Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum



Götterdämmerung

Dritter Tag des Bühnenfestspiels Der Ring des Nibelungen
Text und Musik von Richard Wagner


in deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 5h 35' (zwei Pausen)

Premiere am 1. Dezember 2018 im Opernhaus Chemnitz (siehe auch unsere Premierenrezension)
(Rezension im Rahmen des 2. Ring-Zyklus zu Ostern 2019: 22.04.2019)


Homepage

Theater Chemnitz
(Homepage)
Weltenbrand im Schnee

Von Thomas Molke / Fotos: © Kerstin Nijhof und Nasser Hashemi

Was im Spätsommer 1848 ursprünglich als große Heldenoper in drei Akten unter dem Titel Siegfrieds Tod geplant war, fand ein Vierteljahrhundert später seine kompositorische Vollendung im letzten Teil einer groß angelegten Tetralogie, die den Nibelungen-Mythos nicht nur mit einem musikalischen Gewand versah, sondern auch die aus dem Nibelungenlied bekannte Sage unter Einbezug der nordischen Edda und der Volsungen-Saga völlig neu definierte. Dabei ist die Götterdämmerung nicht nur der längste Abend des kompletten Rings, da hier noch einmal alle Motive der drei vorherigen Stücke zusammenfließen, sondern vielleicht auch der anspruchsvollste Teil, weil in der Partitur neben einem riesigen Orchesterapparat und exzellenten Solisten anders als in den vorangegangenen Teilen zusätzlich noch ein stattlicher Opernchor verlangt wird. Hinzu kommen mehrere Ortswechsel in den einzelnen Aufzügen, was eine weitere Herausforderung für eine szenische Umsetzung darstellt. Beim neuen Ring-Zyklus in Chemnitz kommt als weiterer Anspruch hinzu, dass alle Teile von unterschiedlichen Regisseurinnen in Szene gesetzt werden, so dass Anschlüsse zwischen den einzelnen Teilen vielleicht nicht so aufgebaut sind, wie man sie erlebt, wenn der komplette Zyklus in einer Regie-Hand liegt. Bei dem "weiblichen Blick" auf den Ring in Chemnitz dürfte die "feministische" Deutung bei Elisabeth Stöpplers Inszenierung der Götterdämmerung am ausgeprägtesten sein. Böse Zungen möchten am Schluss vielleicht vermuten, dass Stöppler uns beim Weltuntergang zeigen will, dass die Welt ohne Männer eine bessere sei.

Bild zum Vergrößern

Die Nornen (Anja Schlosser, Sylvia Rena Ziegler und Cornelia Ptassek) im ewigen Eis (© Nasser Hashemi)

Grundsätzlich lässt Stöppler in ihrer Inszenierung zwei gegensätzliche Welten aufeinanderprallen. Da ist zunächst einmal Brünnhilde auf ihrem Felsen, der sich irgendwo im ewigen Eis befindet, und dann das Reich der Gibichungen am Rhein, für die Annika Haller einen hohen abgeschlossenen Raum in kühler hellbrauner Optik konzipiert hat, der der Zivilisation überdrüssig ist und innerlich völlig erkaltet ist. Die Nornen spannen das Schicksalsseil im Vorspiel auf einer Art Eisscholle und wirken in den Fellkostümen von Gesine Völlm wie Forscher auf einer Expedition zum Nordpol. Das Seil fungiert als Art Sicherung zwischen den dreien. So schleppen sie sich über eine Eisscholle, während sie sich ihren Visionen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft hingeben. Stimmlich begeistern Anja Schlosser, Sylvia Rena Ziegler und Cornelia Ptassek durch eine sehr klare Diktion und kraftvollen Gesang. Was das kleine weiße Säckchen bedeutet, aus dem sie nacheinander einen tiefen Schluck nehmen, der sie dann körperlich außer Gefecht zu setzen scheint, erschließt sich nicht. Jedenfalls reißt das Seil in Stöpplers Inszenierung nicht wirklich, da es schon vorher nur Stückwerk ist, das von den drei Nornen zusammengehalten wird. Durch Einsatz der Drehbühne verwandelt sich die Eisscholle in den Felsen, auf dem Brünnhilde und Siegfried in inniglicher Umarmung ihre Liebe genießen. Stéphanie Müther begeistert als Brünnhilde mit kraftvollem Sopran und strahlenden Höhen, wenn sie Siegfrieds Drängen zu neuen Abenteuern nachgibt. Martin Iliev setzt wie schon im Siegfried die Partie recht dunkel gefärbt an und verfügt so in der Mittellage über großes Volumen. In den Höhen muss er bisweilen forcieren und setzt die Töne nicht immer ganz sauber an. Ob man die Idee mit Brünnhildes Pferd Grane als Schlitten mag, ist Geschmacksache.

Bild zum Vergrößern

Siegfried (hier: Daniel Kirch, vorne) kommt bei den Gibichungen (hinten von links: Gunther (Pierre-Yves Pruvot), Hagen (Marius Boloş) und Gutrune (Cornelia Ptassek)) an. (© Kerstin Nijhof)

Bei den Gibichungen gewinnt man in Stöpplers Inszenierung den Eindruck, dass Gunther und Gutrune nicht nur Marionetten des Strippenziehers Hagen sind. Marius Boloş verfügt als Hagen über einen Bass, der für die Partie fast zu weich ist und in den Tiefen nicht genügend Schwärze besitzt. Da kann sich Pierre-Yves Pruvot als Gunther mit seinem dunklen Bariton wesentlich kräftiger durchsetzen. Ptassek, die neben der 3. Norn auch Gutrune verkörpert, überzeugt durch leuchtenden Sopran und eine klare Textverständlichkeit. In ihrem weiten langen Kleid ist sie auch optisch eine Augenweide, die nachvollziehbar macht, dass sie Siegfrieds Aufmerksamkeit erweckt. Ob man in der Gibichungenhalle das Eisbärenfell mit großem Eisbärenkopf benötigt, über den Siegfried wie der Butler in Dinner For One stolpert, ist sicherlich diskutabel. Der Gag wirkt ähnlich aufgesetzt wie der Schlitten, mit dem Siegfried in der Gibichungenhalle vorfährt. Der Einsatz des Vergessenstrankes stellt immer ein dramaturgisches Problem dar. Stöppler entscheidet sich für eine Art Nervengift, das Siegfried beim ersten Schluck beinahe außer Gefecht setzt und ihn dann wie eine Droge abhängig macht. Hagen muss in den weiteren Szenen die Wirkung mit weiteren Dosen immer wieder auffrischen.

Bild zum Vergrößern

Brünnhilde (Stéphanie Müther) wird überwältigt (links: Pierre-Yves Pruvot, rechts: hier: Daniel Kirch). (© Kirsten Nijhof)

Ein musikalischer und szenischer Glanzpunkt ist die Szene zwischen Brünnhilde und Waltraute. Anne Schuldt landet als Waltraute mit einem Fallschirm auf dem Felsen und versucht, mit ihrer eindringlichen Erzählung Brünnhilde zu überreden, den Ring, den Siegfried als Liebespfand zurückgelassen hat, den Rheintöchtern zu geben, um das Ende der Welt doch noch abwenden zu können. Leider weist Brünnhilde das Ansinnen entsetzt zurück. Schuldt begeistert durch einen satten Mezzosopran und hervorragende Textverständlichkeit. Für Verwirrung sorgt dann Siegfrieds Auftauchen in Gestalt Gunthers. Stöppler lässt zwei identisch wirkende Männer in gelber Schutzkleidung mit einer dunklen Schutzbrille als Tarnhelm in Brünnhildes Reich eindringen. Sollen das Siegfried und Gunther sein, der doch laut Libretto eigentlich vor dem Felsen wartet? Ist es eine Dopplung Siegfrieds, der zum einen sein Schwert zwischen ihn und Brünnhilde legt, um seinem Blutsbruder in der kommenden Nacht die Treue zu halten, und zum anderen der gebrochenen Brünnhilde in ihr Schlafgemach folgt? Mit abstoßender Brutalität wird die Erniedrigung Brünnhildes inszeniert. Die beiden Männer bedrohen die ehemalige Walküre, indem sie ein Schwert an ihrer Brust und ein Schwert im Schritt ansetzen und ihr anschließend die Bluse vom Leib reißen. Dass Brünnhilde dabei Hassgefühle entwickelt, ist mehr als verständlich.

Bild zum Vergrößern

Alberich (Jukka Rasilainen, links) erscheint seinem Sohn Hagen (Marius Boloş) im Traum. (© Nasser Hashemi)

Wieso Stöppler in der großen Szene zwischen Hagen und seinem Vater Alberich zu Beginn des zweiten Aufzuges den Albensohn derart schwach darstellt, lässt sich schwer nachvollziehen, wird von der Musik und dem Text eigentlich auch nicht unterstützt. Boloş krümmt sich beim Auftritt von Jukka Rasilainen als Alberich und versucht sich zu verstecken. Auch stimmlich wird das Kräfteverhältnis in dieser Inszenierung eher umgedreht. Während normalerweise Alberich merkt, dass Hagen seinem Einfluss zu entgleiten droht, behält er hier absolut die Oberhand und wirkt ob der Schwäche des Sohnes beinahe schon enttäuscht. Völlm gestaltet Alberichs Aussehen  sehr ungepflegt. Dass Rasilainen wie ein Tier seinen Rücken an der hölzernen Bar kratzt, unterstreicht noch diesen Eindruck. Rasilainens Bass wirkt an diesem Abend nicht so dunkel und bedrohlich wie an den vorherigen Abenden im Rheingold und Siegfried. Boloş gelingt es stimmlich nicht, dem verhassten Vater auf Augenhöhe zu begegnen. Auch im folgenden Racheschwur bleibt er neben Müther und Pruvot blass. Wieso Völlm den Chor als Volk der Gibichungen derart undifferenziert und schäbig ausstattet, bleibt ein Rätsel. Es wirkt, als habe man im Kostümfundus wahllos irgendwelche Sachen zusammengesucht.

Bild zum Vergrößern

Die Rheintöchter (von links: Floßhilde (Sophia Maeno), Wellgunde (Sylvia Rena Ziegler) und Woglinde (Guibee Yang)) begehren von Siegfried (hier: Daniel Kirch) den Ring. (© Nasser Hashemi)

Wo sich die Rheintöchter in dieser Inszenierung im dritten Aufzug eigentlich befinden, bleibt unklar. Durch Einsatz der Drehbühne wird eine undefinierbare schäbige Wand sichtbar, die fast an einen unterirdischen Kanal erinnert. Wie schon im Rheingold begeistern Guibee Yang als Woglinde, Sylvia Rena Ziegler als Wellgunde und Sophia Maeno als Floßhilde mit homogenem Klang und großartiger Textverständlichkeit. Dass sie optisch sehr heruntergekommen aussehen, ist wohl der Tatsache geschuldet, dass durch den Verlust des Goldes ihre natürlich Umgebung zerstört worden ist und sie somit kurz vor dem Untergang stehen. Siegfried wirkt in der Begegnung mit den Rheintöchtern stark angetrunken und tänzelt etwas albern über die Bühne. Die Jagdszene im Wald findet dann auf der Rückseite der Gibichungenhalle statt. Hagen holt Siegfrieds Erinnerung mit einem scheinbar chloroformierten Taschentuch zurück. Irgendwie scheinen die Regisseurinnen bei diesem Ring aber ein Problem mit den im Libretto vorgeschriebenen Waffen zu haben. Während Wagemakers in der Walküre vollständig auf Notung und Wotans Speer verzichtet und Hartmannshenn im Siegfried Notung im dritten Aufzug scheinbar vergisst und Siegfried Wotans Speer mit dem Arm zerschlagen lässt, hat nun auch bei Stöppler Hagen den Speer nicht zur Hand, mit dem eigentlich Siegfrieds Meineid gerächt werden soll. Da muss eben Gunthers Gewehr herhalten, und Siegfried wird kurzerhand erschossen. Im Anschluss versagt dann scheinbar die an diesem Abend im Dauereinsatz befindliche Souffleuse den Dienst, und Iliev verpatzt seine letzten Worte an Brünnhilde vollständig. Wie gut, dass es Übertitel gibt. So versteht jeder, dass der sterbende Siegfried sich in seinen letzten Minuten an Brünnhilde erinnert.

Bild zum Vergrößern

Brünnhildes (Stéphanie Müther) Schlussgesang im Schnee (© Nasser Hashemi)

In diesem Augenblick lässt Stöppler dann auch noch Brünnhilde auftreten. Zum Trauermarsch bereitet sie Siegfrieds Leichnam für den Gang ins Reich der Toten vor und nimmt auch direkt den Ring an sich. So sucht Hagen den Ring am toten Siegfried später vergeblich. Wer die anderen halbnackten Toten sein sollen, die in dieser Szene auf dem Boden liegen, bleibt unklar. Handelt es sich um die bisherigen übrigen Opfer des Rings? Nachdem Hagen im Streit Gunther getötet, bei Stöppler natürlich erschossen, hat, wird kurzerhand auch noch Hagen liquidiert. Brünnhilde reicht Gutrune eine Pistole, mit der sie auf einen Wink Hagen abknallt. Wie er dann am Ende noch die Worte "Zurück vom Ring" sagen soll, bleibt unklar. Man sieht ihn allerdings auch nicht mehr, sondern hört die Worte nur undifferenziert aus dem Off. Überhaupt verlässt Stöppler am Ende vollkommen Wagners Vorlage. Die Gibichungenhalle wird nach hinten gezogen und gibt den Blick auf die leere Bühne frei, von der während Brünnhildes Schlussgesang fortwährend Schnee herabrieselt. Zeitgleich schüttet sie mit einem Kanister Benzin auf die Bühne und sich, um sich anschließend mit einem Feuerzeug in Brand zu stecken. Dann hält sie aber inne und bricht weinend zusammen. Plöztlich tritt Erda auf und spendet ihr Trost. Anschließend gesellen sich noch die Rheintöchter, eine Norn - die anderen können wegen der Doppelbesetzung nicht noch einmal auftreten -, Waltraute und schließlich sogar Gutrune zu den beiden. Erda holt den Schlitten Grane (das letzte männliche Wesen?) und steckt es in Brand. Friedlich betrachten die Frauen den brennenden Schlitten. Dass es keine Unmutsbekundungen gibt, ist wohl vor allem der großartigen Stéphanie Müther zu verdanken, die beim Schlussgesang mit dramatischen Höhen und wunderbarer Diktion wirklich keine Wünsche offen lässt. Die Robert-Schumann-Philharmonie wirkt am letzten Abend unter der Leitung von Generalmusikdirektor Guillermo García Calvo nicht mehr ganz so konzentriert, was sich in leichten Ungenauigkeiten vor allem beim Blech äußert. Bei einer derart kompakten Präsentation ist das allerdings durchaus entschuldbar. So gibt es für alle Beteiligten am Ende großen Beifall.

FAZIT

Der "weibliche Blick" auf den neuen Ring geht in Stöpplers Inszenierung der Götterdämmerung vielleicht doch ein bisschen zu weit und dürfte nicht bei jedem der zahlreichen Ring-Touristen uneingeschränkte Begeisterung auslösen.

Zurück zur Übersicht

Zurück zu den Rezensionen:

Das Rheingold (zur Rezension der Premiere am 3. Februar 2018 geht es hier)

Die Walküre

Siegfried

 


Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Guillermo García Calvo

Inszenierung
Elisabeth Stöppler

Bühne
Annika Haller

Kostüme
Gesine Völlm

Chöre
Stefan Bilz

Lichtgestaltung
Holger Reinke

Dramaturgie
Susanne Holfter



Robert-Schumann-Philharmonie

Opernchor und Chorgäste
der Oper Chemnitz

Mitglieder der Statisterie der
Oper Chemnitz


Solisten

*rezensierte Aufführung

Siegfried
Daniel Kirch /
*Martin Iliev

Gunther
Pierre-Yves Pruvot

Alberich
Jukka Rasilainen

Hagen
Marius Boloş

Brünnhilde
Stéphanie Müther

Gutrune
Cornelia Ptassek

Waltraute
Anne Schuldt

1. Norn
Anja Schlosser

2. Norn
Sylvia Rena Ziegler

3. Norn
Cornelia Ptassek

Woglinde
Guibee Yang

Wellgunde
Sylvia Rena Ziegler

Floßhilde
Sophia Maeno





Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Oper Chemnitz
(Homepage)



Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum
© 2019 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -