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Siegfried

Zweiter Tag des Bühnenfestspiels Der Ring des Nibelungen
Text und Musik von Richard Wagner


in deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 5h 10' (zwei Pausen)

Premiere am 29. September 2018 im Opernhaus Chemnitz
(Rezension im Rahmen des 2. Ring-Zyklus zu Ostern 2019: 20.04.2019)


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Theater Chemnitz
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Menschen als Nibelungenschatz

Von Thomas Molke / Fotos: © Nasser Hashemi

Als Richard Wagner den zweiten Aufzug seiner Siegfried-Partitur 1857 abgeschlossen hatte, brach er die Arbeit an seinem Ring-Zyklus zunächst ab, weil er zum damaligen Zeitpunkt nicht mehr daran glaubte, dieses Projekt in einem Opernhaus umsetzen zu können. Stattdessen widmete er sich "leichter" zu realisierenden Werken wie Tristan und Isolde und Die Meistersinger von Nürnberg. Erst als sein größter Förderer, der bayerische König Ludwig II., ihm den Bau des Festspielhauses in Bayreuth zusicherte, nahm Wagner 1869 die Arbeit an der Komposition des dritten Aufzuges wieder auf. Im Gegensatz zum Rheingold und der Walküre, die auf Drängen des Königs gegen Wagners Willen in München bereits 1869 und 1870 uraufgeführt wurden, kam Siegfried erstmals 1876 im Rahmen eines Zyklus zur Eröffnung der ersten Bayreuther Festspiele heraus. Wagner selbst hatte ursprünglich gehofft, dass diese Oper als populärstes Ring-Stück am ehesten ein Eigenleben führen werde. Allerdings steht das Werk im Gegensatz zu den anderen Teilen am seltensten außerhalb eines kompletten Zyklus auf dem Programm. Cosima Wanger bezeichnete es in ihren Tagebüchern aufgrund des scherzohaften Tons in der Musik und dem märchenhaften Charakter mit seinen teilweise recht komischen Elementen als "eine Art Intermezzo", das einen starken Kontrast zu den beiden weitaus dramatischeren Teilen Die Walküre und Götterdämmerung bildet. Daher ist es bei einer szenischen Umsetzung immer interessant, ob und in welchem Maße die komischen Aspekte betont werden. Das Regie-Team um Sabine Hartmannshenn interessiert sich mehr für den ernsten Kern der Geschichte und schreckt auch nicht davor zurück, zusätzliche Szenen einzubauen, die teilweise fragwürdig erscheinen.

Noch bevor das Vorspiel beginnt, lässt Hartmannshenn eine Vielzahl von Statisten auftreten, die sich in Lukas Kretschmers Bühnenbild, das aus zahlreichen hohen Säulen besteht, die in abstrakter Form an Baumstämme erinnern, positionieren. Auch der Wanderer erscheint, um seinen Speer, eine lange zweiteilige Leuchtstoffröhre, an eine Säule in der Mitte zu lehnen. Dann beginnt eine Statistin zu stöhnen und bricht unter scheinbaren Wehen zusammen. Es soll Sieglinde kurz vor der Geburt Siegfrieds sein. Anscheinend hat die schwangere Frau auf der Flucht keinen Unterschlupf bei Mime gefunden. Stattdessen rammt dieser ihr ein Schwertstück in den Bauch und schneidet so den neugeborenen Siegfried aus ihrem Leib. Jetzt erst beginnt die Musik. Während die Statisten aus unerklärlichen Gründen im Hintergrund der Bühne verweilen, tollt Siegfried als Heranwachsender über die Bühne und wird bei jedem weiteren Auftritt von einem größeren Kinderstatisten dargestellt, bis er schließlich ausgewachsen ist. Auf Mimes Versuch, die Schwertstücke zu schmieden, wird verzichtet, da Kretschmers Bühnenbild die Schmiede noch nicht einmal andeutet. Stattdessen hält der Zwerg die Schwertstücke zur lautmalerischen Musik lediglich in die Luft. Stimmlich hat Arnold Bezuyen in den Höhen leichte Probleme, da ihm dort die Luft auszugehen scheint und er stellenweise in Sprechgesang übergeht. In der Mittellage trifft er Mimes näselnden Ton sehr gut, was die negativen Züge der Figur gut unterstreicht. Während auf die Schmiede verzichtet wird, bekommt man immerhin einen riesigen Bären, den Siegfried auf die Bühne zieht. Wieso dieses Tier allerdings tot ist und von Siegfried in der Szene ausgenommen wird, macht keinen Sinn. Martin Iliev setzt die Titelpartie mit recht dunkel gefärbtem Tenor an, was zu einem enormen Volumen in der Mittellage, leider allerdings ohne allzu große Textverständlichkeit, führt. In den Höhen muss er dann stellenweise sehr quetschen.

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Frage-Szene am üppig gedeckten Tisch: Mime (Arnold Bezuyen, links) und der Wanderer (Ralf Lukas)

Die etwas langatmige Frageszene zwischen Mime und dem Wanderer bleibt in der Regie etwas unklar. Während Mime die Fragen an den Wanderer stellt, spannt er ein Seil von der linken zur rechten Bühnenseite, das er an den hochragenden Säulen befestigt. Will er damit sein Reich einzäunen und vor Eindringlingen schützen? Sollen damit die Umrisse seiner Schmiede angedeutet werden? Man weiß es nicht. Wenn der Wanderer alle Fragen beantwortet hat, reißt jedenfalls das Seil, wie später im Vorspiel der Götterdämmerung der Faden der Nornen. Nun ist der Wanderer am Zug. Aus dem Schnürboden wird ein üppig gedeckter Tisch herabgelassen, an dem er mit Mime zu einem ausgiebigen Mahl Platz nimmt. Mit den Fragen hat das eigentlich überhaupt nichts zu tun. Als Mime dann die letzte Frage, wer denn die Schwertstücke zu einem neuen Schwert zusammensetzen könne, nicht beantworten kann, stößt Wotan den Tisch nach hinten von der Bühne in eine herabgelassene Mulde. In dieser macht sich Siegfried anschließend auch ans Werk, um Notung neu zu schmieden. Diese Szene wird recht unspektakulär umgesetzt, da man das Gefühl hat, dass die Stücke noch auf der Bühne liegen, während Siegfried bereits das frisch geschmiedete Schwert emporhebt. Immerhin gibt es hier ein Schwert, im Gegensatz zu Wagemakers' Ansatz in der Walküre. Ralf Lukas verleiht dem Wanderer markante Tiefe und liefert sich mit Bezuyen ein wortgewaltiges Duell. Iliev erreicht in der Schmiedeszene stimmlich an seine Grenzen.

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Der Wanderer (Ralf Lukas, hinten rechts) und Alberich (hier: Bjørn Waag, vorne links) treffen vor der Neidhöhle aufeinander.

Auch der zweite Aufzug beginnt mit einer Szene, deren Sinn hinterfragt werden kann. Dass Alberich, der die Neidhöhle bewacht, seinen Sohn Hagen mit sich führt, lässt sich noch erklären, weil Hagen in der Götterdämmerung ja über die früheren Ereignisse genauestens informiert ist. So lässt sich auch zeigen, wie sehr der Nachtalbe seinen Sohn für seine Zwecke manipuliert hat. Dass Alberich allerdings eine Statistin auf der Bühne vergewaltigt und sie dann wie Abfall zur Seite wirft, ist absolut überflüssig und nicht aus den Figuren heraus motiviert. Zwar hat Alberich Hagens Mutter zur Liebe gezwungen, um Hagen zu zeugen. Aber um Hagens Mutter kann es sich in dieser Szene ja nicht handeln, zumal Hagen die auf dem Boden liegende Frau auch noch mit den Füßen malträtiert. Hier hat man einfach nur den Eindruck, dass Hartmannshenn der gewaltigen Macht der Musik misstraut und deshalb diese völlig unnötige Szene einbaut. Stimmlich liefern sich Jukka Rasilainen als Alberich und Lukas als Wanderer ein wunderbares Duell, treffen doch hier gewissermaßen zwei langjährige Ring-Veteranen aufeinander. Optisch kann man sie leicht verwechseln, da Rasilainen in ähnlichem Outfit mit langen Haaren und Hut auftritt. Im Gegensatz zum Wanderer führt er einen richtigen Speer mit sich. Unverständlich bleibt, wieso Erda im Hintergrund mehrmals über die Bühne wandelt. Angeblich liegt sie doch in tiefem Schlaf, aus dem der Wanderer sie im dritten Aufzug erwecken muss.

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Durch Fafners (hier: James Moellenhoff, liegend) Tod ist Siegfried (hier: Daniel Kirch, Mitte) in der Lage, den Waldvogel (Guibee Yang, links oben) zu verstehen.

Einen niedlichen Auftritt hat Guibee Yang als Waldvogel. Optisch erinnert sie zwar eher an eine Figur aus Astrid Lindgrens Romanen, gestaltet den Vogel allerdings darstellerisch mit beweglichem Spiel. Ihr klarer, hoher Sopran ist auch stimmlich für die Partie prädestiniert. Dabei verfügt sie über eine wunderbare Diktion. Mehr schlecht als recht versucht Iliev als Siegfried die vom Waldvogel übereichten Stöcke zu einer Flöte zu schnitzen. Der Musiker der Robert-Schumann-Philharmonie scheut hier bewusst keinen schiefen Ton und unterstreicht mit seinem beherzten Spiel den komischen Moment der Szene. Ein Horn hat Siegfried allerdings nicht zur Hand, so dass er im Anschluss nur die Hände an den Mund legen kann und den Drachen aufweckt. Magnus Piontek, der im Rheingold als Fasolt zu erleben war, stattet die Partie des in einen Riesenwurm verwandelten Fafner mit schwarzem und bedrohlichem Bass aus. Mit den Statisten umkreist er Siegfried wie ein riesiger, langer Wurm. Vor dem Gesicht tragen er und die Statisten goldene Masken. Es ist zu vermuten, dass es sich bei diesen Maske um den Tarnhelm handeln könnte. Wenn Siegfried Fafner Notung ins Herz gestoßen hat, bleiben die Statisten auf der Bühne stehen. Laut Programmheft sollen sie für den Schatz stehen, über den Siegfried jetzt herrscht.

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Erda (Simone Schröder) wandelt durch den Wald. Man fragt sich warum.

Im dritten Aufzug lässt Hartmannshenn dann Erda auftreten und sich auf der Bühne schlafen legen. Der Wanderer legt sich zunächst neben sie, bevor er dann irgendwann beschließt, die Wala aufzuwecken. Das macht genauso wenig Sinn wie den Waldvogel in die Auseinandersetzung mit Erda platzen und von Wotan mit dem Speer umbringen zu lassen. In der Musik ist der Waldvogel nämlich noch sehr lebendig, wenn Siegfried den Felsen mit der schlummernden Brünnhilde erreicht, und macht sich erst aus dem Staub, als Siegfried auf den Wanderer trifft. Zwar warnt der Wanderer im Libretto davor, was mit dem Waldvogel passiert, wenn ihn seine Raben erwischen, aber zu diesem Zeitpunkt können sie ihn definitiv noch nicht erwischt haben. Simone Schröder stattet die Erda mit einem satten, dunklen Mezzosopran aus und schreitet am Ende genauso majestätisch von der Bühne, wie sie zu Beginn aufgetreten ist. Lukas hat als Wanderer mit markantem Bass stimmlich einen großartigen Abgang. Wieso Siegfried das Schwert jetzt nicht bei sich trägt und den Speer mit der Hand zerschlagen muss, lässt sich allerdings nicht nachvollziehen. Bevor der Wanderer dann endgültig abgeht, richtet er noch Brünnhilde für die Erweckungsszene her. Iliev erhält von einer Statistin eine Augenbinde, so dass er zunächst blind über den Walkürenfelsen irrt. Erst kurz vor dem Kuss reißt er sich die Binde von den Augen und wird gewissermaßen sehend.

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Siegfried (hier: Daniel Kirch) erweckt Brünnhilde (hier: Christiane Kohl).

Nach dem Kuss lässt Hartmannshenn Siegfried und Brünnhilde zunächst sehr auf Abstand agieren. Stéphanie Müther gestaltet die Partie der Brünnhilde wie tags zuvor mit kräftigem, dramatischem Sopran, der in den Spitzentönen bisweilen ein bisschen schrill klingt. Iliev wankt zunächst wie ein liebestrunkener Mann über die Bühne und scheint für die erweckte Walküre die Erfüllung ihrer Träume zu sein. Erst als er die körperliche Liebe einfordert, wird Brünnhilde widerspenstig. Jetzt hält sie auch plötzlich das Schwert in den Händen. Wo es herkommt, bleibt ein Rätsel. Die Robert-Schumann-Philharmonie kostet unter Leitung des Generalmusikdirektors Guillermo García Calvo die musikalisch emotionale Wucht dieser Begegnung klanggewaltig aus. Wenn Brünnhilde dann schließlich Siegfrieds Werben nachgibt, erscheinen die Statisten erneut als Schatz, und auch Alberich ist mit seinem Sohn Hagen als Beobachter anwesend. Im Gegensatz zur Walküre gibt es am Ende vor dem Auftritt der Solisten keine Unmutsbekundung, obwohl mancher Regie-Einfall sicherlich noch mehr missfällt als in Wagemakers' Walküren-Inszenierung. Wahrscheinlich ist das Publikum von Ilievs und Müthers "leuchtender Liebe" und "lachendem Tod" so ergriffen, dass man in diesem Moment die Kritik am Regie-Konzept vergisst. Die Solisten und das Orchester werden vom Publikum mit kräftigem Beifall gefeiert.

FAZIT

Szenisch ist dieser Teil des Ring-Zyklus bisher der schwächste. Musikalisch bewegt sich die Produktion auf gutem Niveau.

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Zurück zu den Rezension:

Das Rheingold (zur Rezension der Premiere am 3. Februar 2018 geht es hier)

Die Walküre

Zur weiteren Rezension:

Götterdämmerung (zur Rezension der Premiere am 1. Dezember 2018 geht es hier)

 


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
*Guillermo García Calvo /
Felix Bender

Inszenierung
Sabine Hartmannshenn

Bühne und Choreographie
Lukas Kretschmer

Kostüme
Susana Mendoza

Lichtgestaltung
Mathias Klemm

 

Robert-Schumann-Philharmonie

Mitglieder der Statisterie
der Oper Chemnitz


Solisten

*rezensierte Aufführung

Siegfried
Daniel Kirch /
*Martin Iliev

Mime
*Arnold Bezuyen /
Gerhard Siegel

Der Wanderer
Ralf Lukas

Alberich
Bjørn Waag /
*Jukka Rasilainen

Fafner
Avtandil Kaspeli /
*Magnus Piontek

Erda
Simone Schröder

Brünnhilde
Christiane Kohl /
Rebecca Teem /
*Stéphanie Müther

Der Waldvogel
Guibee Yang

 


Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Oper Chemnitz
(Homepage)



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