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Die Welt en miniature
Von Stefan Schmöe / Fotos von Gert Weigelt
Es ist ein ziemlich bunter Kosmos, den Martin Schläpfer portraitiert. Menschen kommen und gehen in den hier uraufgeführten 44 Duos, finden sich in Paaren, in kleinen Gruppen, manchmal in größeren Ensembles zusammen, gehen schnell wieder auseinander, organisieren sich neu. Der Titel bezieht sich dabei weniger auf die Choreographie (die keineswegs beim Duo als Grundform verharrt), sondern auf die Musik: <44 Duos für zwei Violinen komponierte Béla Bartók 1931 für ein Lehrwerk, inspiriert von Volksmusik aus unterschiedlichen Kulturen. Schläpfer hat daraus 44 Miniaturen geschaffen, die er selbst als "choreographische Skizzen" bezeichnet. Es sind kurze, sehr konzentrierte Geschichten geworden, lose miteinander verbunden, nicht konkret deutbar, ungemein fantasievoll. Oft rustikal, stampfend, mit dem Spitzenschuh in den Boden hauend, mitunter von derber Komik; dann wieder zärtlich oder traurig. Jede Bewegung wirkt genau überlegt, und bei aller Fülle ist jede dieser Skizzen für sich ökonomisch ausgefeilt.
Die farbenfrohen Fantasiekostüme (Hélène Vergnes), sehr individuell gehalten und bei aller artifiziellen Überspitzung Alltagskleidung andeutend, wiedersetzen sich ebenso einem konkreten Realismus wie die Bewegungsfolgen. Auch die Bühne mit einer federleicht schwebenden Skulptur, einer Art Band (worin man, je nach Beleuchtung, eine Bergkette oder auch eine Dorf- oder Stadtlandschaft erahnen mag, die aber vor allem als abstraktes Objekt ihren ganz einigem Reiz besitzt) lässt Assoziationen zu, aber keineswegs eine konkrete naturalistische Deutung (Bühne: Marcus Spyros Bertermann). Schläpfer hält brillant kleine Elemente eines Handlungsballetts und Abstraktion in der Schwebe. Es entsteht eine Art Mosaik, ein Panorama menschlicher Empfindungen, bei dem einem ganz schwindelig wird vor lauter Einfällen. Bei aller Faszination im Detail sind 44 Duette freilich ziemlich viele, zumal der ständige Wechsel auch beim Hören einiges abverlangt. Insbesondere im Mittelteil hat das Stück Längen. Dragos Manza und Catherine Ribes spielen Bartóks Musik mit großem Ton. 44 Duos: Rubén Cabaleiro Campo, Aleksandra Liashenko Allerdings ist dieser Ballettabend b.39 bereits von der Disposition her nicht ganz glücklich angelegt. Mit Schläpfers fulminanten, rund einstündigen 44 Duos steht nicht nur das gewichtigste, sondern auch das deutlich längste Werk am Ende, während Hans van Manens ebenso knappe wie elegante Dances with Piano mit kurzen 20 Minuten Spieldauer am Anfang stehen, da kommt die erste von zwei Pausen allzu schnell. Choreographiert ist das Werk ursprünglich für Het Nationale Ballett Amsterdam und dort auch 2014 erstmals getanzt - seinerzeit unter dem Titel Dances with harp. Aus der ursprünglich verwendeten ungewöhnlichen Harfe ist, man möchte sagen: leider, ein Klavier geworden, das nun Bearbeitungen von Musik von Carlos Micháns, Frederic Mompou, Heitor Villa-Lobos sowie zwei von Bachs Goldberg-Variationen spielt (ganz überzeugend gelingt Pianistin Schaghajegh Nosrati der Stilwechsel nicht, da bleibt ihr Spiel recht unverbindlich). Insofern auch weht auch hier ein Hauch von Uraufführung, wobei zumal Hans van Manen ein paar Details an der Choreographie verändert hat. Drei hübsche Pas de deux hat er arrangiert, die bei allem Charme ein wenig konventionell geraten sind und denen ein wenig die so charakteristische ironische Distanz fehlt, die man bei anderen Arbeiten van Manens findet.
Musikalisch steht ein Konzert für Cello und Streichorchester mit dem Titel Lurking oft he Purple Demon Die gibt es in den beiden aufreizend lässig choreographierten Trios für die drei Herren (Orazio di Bella, Alexandre Simoes, Marcos Menha), die im ärmellosen Top mit neckischem schwarzen Längsstreifen lausbubenhaft loslegen dürfen - zur Musik Bachs. Diese beiden Nummern trennen die drei Pas de Deux mit den Damen (Sonja Dvořák, Doris Becker, So-Yeon Kim) in hübschen Kleidchen (Ausstattung: Keso Dekker), in denen man drei unterschiedliche Paarbeziehungen erkennen kann. Eine vergleichsweise strenge fünfteilige Form also, der van Manen eine kurze Einleitung voranstellt, als müssten sich die Tänzerinnen und Tänzer zum Training auf ihre Positionen begeben. Ein Finale gibt es dagegen nicht - van Manen reduziert auf das Notwendige. Ein hübsches, ein wenig harmloses Stück, dem es hier in der tänzerischen Umsetzung an der letzten - vielleicht entscheidenden - Präzision fehlt. Dances with Piano: So-Yeon Kim, Marcos Menha
Zwischen diesem sehr kurzen und Schläpfers ziemlich langen Werk steht eine weitere, etwa halbstündige Uraufführung, Atmosphères von Martin Chaix, der bis 2015 selbst in der Compagnie getanzt hat. Zeigen van Manen und Schläpfer in ihren Arbeiten "richtige" Menschen mit ihren Gefühlen, so organisiert Chaix das Ensemble über weite Strecken skulptural, erzählt keine Geschichte, sondern arrangiert große Bilder. Den Hintergrund bildet ein riesiges Foto, ein Frauenakt, unscharf, die Dargestellte nach hinten überstreckt und leicht verdreht, im verschwommenen Schwarzweiß wie eine Statue wirkend (das Bühnenbild hat Chaix selbst entworfen). Noch intensiver als Schläpfer lässt Chaix die Damen ihre Spitzenschuhe auf den Boden Hämmern, als wolle er die Anwesenheit dieses Schuhwerks auch akustisch untermauern. Es wird dann viel auf Spitze getanzt, aber die Körper betonen dabei keineswegs die zum Himmel strebende Vertikale, sondern verdrehen sich, Arme und Beine sind angewinkelt, die Körperhaltung ist oft bis zur Hässlichkeit unnatürlich. Daraus resultiert eine eigentümliche Spannung: Körper, die in "unmenschlicher" Haltung gefangen scheinen, sich wie fremdartige Wesen bewegen.
Das etwa halbstündige Ballett ist dreiteilig angelegt. Mit Pendereckis Intermezzo für 24 Streichinstrumente im ersten und Ligetis Atmosphères im dritten Teil hat Chaix zwei flächige Kompositionen mit verschwimmender rhythmischer Kontur ausgewählt (die Musik kommt vom Band), und mit allerlei Bühnennebel entsteht eine geradezu apokalyptische Atmosphäre, sehr geheimnisvoll und nicht deutbar. Um die hautfarbenen Trikots haben die Tänzerinnen filigrane Tücher geknotet, allzu kunstvoll, aber man darf an zerbrechliche Flügel denken. Den hässlichen schwarzen Streifen auf dem Rücken vom Po die Wirbelsäule hinauf hätte Kostümbildner Alexander Noshpal ruhig weglassen dürfen. Die Herren haben das Tuch wie einen Rock um den Bauch gebunden, was an Völker der Südsee oder Zentralafrikas erinnert und ein archaisches Moment, etwas Rituelles einbringt. Dances with Piano: Sonia Dvořák
Den kontrastierenden Mittelteil bildet der langsame Satz aus Beethovens achter Klaviersonate, der Pathetique. Ann-Kathrin Adam und Rashaen Arts tanzen einen Pas de Deux, der konventioneller, auch "menschlicher", wirkt. Irgendwann geht der Mann in der Dunkelheit verloren, lässt die Tänzerin allein zurück. Wenn Chaix im Programmheft andeutet, dass hier auch ein autobiographisches Moment, der Tod des Vaters 20 Jahre zuvor, eingegangen ist, hilft das nicht wirklich weiter, wäre zu ungenau choreographiert, sollte das so konkret zu verstehen sein. Das plötzliche Verschwinden gehört zum Rätselhaften dieses eigentümlichen Balletts, das seinen Spannungsbogen auch über die drei unterschiedlichen Teile hinweg aufrecht halten kann.
Van Manen nicht in Bestform (was immer noch viel ist), eine sehr achtbare Choreographie von Martin Chaix, ein tolles (aber zu langes) neues Stück von Martin Schläpfer - ein lohnenswerter Abend, den vom ganz großen Tanzglück aber ein paar Momente trennen. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
ProduktionsteamDances with Piano
Choreographie
Bühne und Kostüme
Licht
Einstudierung
Klavier Tänzerinnen und Tänzer* Besetzung der Premiere
1. Paar
Eleanor Freeman * Orazio di Bella / Vincent Hoffman
2. Paar
Aleksandra Liashenko * Alexandre Simões / Eric White
3. Paar
Feline van Dijken * Marcos Menha / Rashaen Arts Atmosphères
Choreographie und Bühne
Kostüme
Licht
Choreographie
Bühne
Kostüme
Licht
Violinen |
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