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Musiktheater
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b.39

Dances with Piano

Ballett von Hans van Manen
Musik von Carlos Micháns (Vivo e giusto aus Mouvements Eclatants), Frederic Mompou (Nr. 1 Angelico, Nr. 2 Lent und Nr. 28 Lent aus Música Callada), Johann Sebastian Bach (Variation 1 & 11 aus den Goldberg-Variationen BWV 988) und Heitor Villa-Lobos (Prélude Nr. 4 für Gitarre) in Bearbeitungen für Klavier
- Deutsche Erstaufführung -

Atmosphères

Ballett von Martin Chaix
Musik von Krzysztof Penderecki (Intermezzo für 24 Streicher), Ludwig van Beethoven (Adagio cantabile aus der Klaviersonate Nr. 8 Pathétique) und György Ligeti (Atmosphères für Orchester)
- Uraufführung -

44 Duos

Ballett von Martin Schläpfer
Musik von Béla Bartók (44 Duos für zwei Violinen)
- Uraufführung -

Aufführungsdauer: ca. 2h 45' (zwei Pausen)

Premiere am 12. April 2019 im Opernhaus Düsseldorf


Homepage

Ballett am Rhein / Rheinoper
(Homepage)
Die Welt en miniature

Von Stefan Schmöe / Fotos von Gert Weigelt

Es ist ein ziemlich bunter Kosmos, den Martin Schläpfer portraitiert. Menschen kommen und gehen in den hier uraufgeführten 44 Duos, finden sich in Paaren, in kleinen Gruppen, manchmal in größeren Ensembles zusammen, gehen schnell wieder auseinander, organisieren sich neu. Der Titel bezieht sich dabei weniger auf die Choreographie (die keineswegs beim Duo als Grundform verharrt), sondern auf die Musik: <44 Duos für zwei Violinen komponierte Béla Bartók 1931 für ein Lehrwerk, inspiriert von Volksmusik aus unterschiedlichen Kulturen. Schläpfer hat daraus 44 Miniaturen geschaffen, die er selbst als "choreographische Skizzen" bezeichnet. Es sind kurze, sehr konzentrierte Geschichten geworden, lose miteinander verbunden, nicht konkret deutbar, ungemein fantasievoll. Oft rustikal, stampfend, mit dem Spitzenschuh in den Boden hauend, mitunter von derber Komik; dann wieder zärtlich oder traurig. Jede Bewegung wirkt genau überlegt, und bei aller Fülle ist jede dieser Skizzen für sich ökonomisch ausgefeilt.

Vergrößerung 44 Duos: Ensemble

Die farbenfrohen Fantasiekostüme (Hélène Vergnes), sehr individuell gehalten und bei aller artifiziellen Überspitzung Alltagskleidung andeutend, wiedersetzen sich ebenso einem konkreten Realismus wie die Bewegungsfolgen. Auch die Bühne mit einer federleicht schwebenden Skulptur, einer Art Band (worin man, je nach Beleuchtung, eine Bergkette oder auch eine Dorf- oder Stadtlandschaft erahnen mag, die aber vor allem als abstraktes Objekt ihren ganz einigem Reiz besitzt) lässt Assoziationen zu, aber keineswegs eine konkrete naturalistische Deutung (Bühne: Marcus Spyros Bertermann). Schläpfer hält brillant kleine Elemente eines Handlungsballetts und Abstraktion in der Schwebe. Es entsteht eine Art Mosaik, ein Panorama menschlicher Empfindungen, bei dem einem ganz schwindelig wird vor lauter Einfällen. Bei aller Faszination im Detail sind 44 Duette freilich ziemlich viele, zumal der ständige Wechsel auch beim Hören einiges abverlangt. Insbesondere im Mittelteil hat das Stück Längen. Dragos Manza und Catherine Ribes spielen Bartóks Musik mit großem Ton.

Vergrößerung

44 Duos: Rubén Cabaleiro Campo, Aleksandra Liashenko

Allerdings ist dieser Ballettabend b.39 bereits von der Disposition her nicht ganz glücklich angelegt. Mit Schläpfers fulminanten, rund einstündigen 44 Duos steht nicht nur das gewichtigste, sondern auch das deutlich längste Werk am Ende, während Hans van Manens ebenso knappe wie elegante Dances with Piano mit kurzen 20 Minuten Spieldauer am Anfang stehen, da kommt die erste von zwei Pausen allzu schnell. Choreographiert ist das Werk ursprünglich für Het Nationale Ballett Amsterdam und dort auch 2014 erstmals getanzt - seinerzeit unter dem Titel Dances with harp. Aus der ursprünglich verwendeten ungewöhnlichen Harfe ist, man möchte sagen: leider, ein Klavier geworden, das nun Bearbeitungen von Musik von Carlos Micháns, Frederic Mompou, Heitor Villa-Lobos sowie zwei von Bachs Goldberg-Variationen spielt (ganz überzeugend gelingt Pianistin Schaghajegh Nosrati der Stilwechsel nicht, da bleibt ihr Spiel recht unverbindlich). Insofern auch weht auch hier ein Hauch von Uraufführung, wobei zumal Hans van Manen ein paar Details an der Choreographie verändert hat. Drei hübsche Pas de deux hat er arrangiert, die bei allem Charme ein wenig konventionell geraten sind und denen ein wenig die so charakteristische ironische Distanz fehlt, die man bei anderen Arbeiten van Manens findet.

Vergrößerung Dances with Piano: Orazio Di Bella, Sonia Dvořák

Musikalisch steht ein Konzert für Cello und Streichorchester mit dem Titel Lurking oft he Purple Demon Die gibt es in den beiden aufreizend lässig choreographierten Trios für die drei Herren (Orazio di Bella, Alexandre Simoes, Marcos Menha), die im ärmellosen Top mit neckischem schwarzen Längsstreifen lausbubenhaft loslegen dürfen - zur Musik Bachs. Diese beiden Nummern trennen die drei Pas de Deux mit den Damen (Sonja Dvořák, Doris Becker, So-Yeon Kim) in hübschen Kleidchen (Ausstattung: Keso Dekker), in denen man drei unterschiedliche Paarbeziehungen erkennen kann. Eine vergleichsweise strenge fünfteilige Form also, der van Manen eine kurze Einleitung voranstellt, als müssten sich die Tänzerinnen und Tänzer zum Training auf ihre Positionen begeben. Ein Finale gibt es dagegen nicht - van Manen reduziert auf das Notwendige. Ein hübsches, ein wenig harmloses Stück, dem es hier in der tänzerischen Umsetzung an der letzten - vielleicht entscheidenden - Präzision fehlt.

Vergrößerung

Dances with Piano: So-Yeon Kim, Marcos Menha

Zwischen diesem sehr kurzen und Schläpfers ziemlich langen Werk steht eine weitere, etwa halbstündige Uraufführung, Atmosphères von Martin Chaix, der bis 2015 selbst in der Compagnie getanzt hat. Zeigen van Manen und Schläpfer in ihren Arbeiten "richtige" Menschen mit ihren Gefühlen, so organisiert Chaix das Ensemble über weite Strecken skulptural, erzählt keine Geschichte, sondern arrangiert große Bilder. Den Hintergrund bildet ein riesiges Foto, ein Frauenakt, unscharf, die Dargestellte nach hinten überstreckt und leicht verdreht, im verschwommenen Schwarzweiß wie eine Statue wirkend (das Bühnenbild hat Chaix selbst entworfen). Noch intensiver als Schläpfer lässt Chaix die Damen ihre Spitzenschuhe auf den Boden Hämmern, als wolle er die Anwesenheit dieses Schuhwerks auch akustisch untermauern. Es wird dann viel auf Spitze getanzt, aber die Körper betonen dabei keineswegs die zum Himmel strebende Vertikale, sondern verdrehen sich, Arme und Beine sind angewinkelt, die Körperhaltung ist oft bis zur Hässlichkeit unnatürlich. Daraus resultiert eine eigentümliche Spannung: Körper, die in "unmenschlicher" Haltung gefangen scheinen, sich wie fremdartige Wesen bewegen.

Vergrößerung Atmosphères: Philip Handschin, Feline van Dijken, Bruno Narnhammer

Das etwa halbstündige Ballett ist dreiteilig angelegt. Mit Pendereckis Intermezzo für 24 Streichinstrumente im ersten und Ligetis Atmosphères im dritten Teil hat Chaix zwei flächige Kompositionen mit verschwimmender rhythmischer Kontur ausgewählt (die Musik kommt vom Band), und mit allerlei Bühnennebel entsteht eine geradezu apokalyptische Atmosphäre, sehr geheimnisvoll und nicht deutbar. Um die hautfarbenen Trikots haben die Tänzerinnen filigrane Tücher geknotet, allzu kunstvoll, aber man darf an zerbrechliche Flügel denken. Den hässlichen schwarzen Streifen auf dem Rücken vom Po die Wirbelsäule hinauf hätte Kostümbildner Alexander Noshpal ruhig weglassen dürfen. Die Herren haben das Tuch wie einen Rock um den Bauch gebunden, was an Völker der Südsee oder Zentralafrikas erinnert und ein archaisches Moment, etwas Rituelles einbringt.

Vergrößerung

Dances with Piano: Sonia Dvořák

Den kontrastierenden Mittelteil bildet der langsame Satz aus Beethovens achter Klaviersonate, der Pathetique. Ann-Kathrin Adam und Rashaen Arts tanzen einen Pas de Deux, der konventioneller, auch "menschlicher", wirkt. Irgendwann geht der Mann in der Dunkelheit verloren, lässt die Tänzerin allein zurück. Wenn Chaix im Programmheft andeutet, dass hier auch ein autobiographisches Moment, der Tod des Vaters 20 Jahre zuvor, eingegangen ist, hilft das nicht wirklich weiter, wäre zu ungenau choreographiert, sollte das so konkret zu verstehen sein. Das plötzliche Verschwinden gehört zum Rätselhaften dieses eigentümlichen Balletts, das seinen Spannungsbogen auch über die drei unterschiedlichen Teile hinweg aufrecht halten kann.


FAZIT

Van Manen nicht in Bestform (was immer noch viel ist), eine sehr achtbare Choreographie von Martin Chaix, ein tolles (aber zu langes) neues Stück von Martin Schläpfer - ein lohnenswerter Abend, den vom ganz großen Tanzglück aber ein paar Momente trennen.


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Produktionsteam

Dances with Piano

Choreographie
Hans van Manen

Bühne und Kostüme
Keso Dekker

Licht
Bert Dalhuysen

Einstudierung
Rachel Beaujean

Klavier
Schaghajegh Nosrati

Tänzerinnen und Tänzer

* Besetzung der Premiere

1. Paar
* Sonia Dvořák /
Eleanor Freeman
* Orazio di Bella /
Vincent Hoffman

2. Paar
* Doris Becker /
Aleksandra Liashenko
* Alexandre Simões /
Eric White

3. Paar
* So-Yeon Kim /
Feline van Dijken
* Marcos Menha /
Rashaen Arts


Atmosphères

Choreographie und Bühne
Martin Chaix

Kostüme
Aleksandar Noshpal

Licht
Franz-Xaver Schaffer


Tänzerinnen und Tänzer

Ann-Kathrin Adam
Wun Sze Chan
Feline van Dijken
Sonia Dvořák
Eleanor Freeman
Alexandra Inculet
Helen Clare Kinney
Marjolaine Laurendeau
Aleksandra Liashenko
Sinthia Liz
Asuka Morgenstern
Rashaen Arts
Brice Asnar
Orazio di Bella
Filipe Frederico
Philip Handschin
Vincent Hoffman
Pedro Maricato
Tomoaki Nakanome
Bruno Narnhammer
Daniel Smith
Eric White


44 Duos

Choreographie
Martin Schläpfer

Bühne
Marcus Spyros Bertermann

Kostüme
Hélène Vergnes

Licht
Franz-Xaver Schaffer

Violinen
Dragos Manza
Catherine Ribes


Tänzerinnen und Tänzer

Marlúcia do Amaral
Camille Andriot
Doris Becker
Wun Sze Chan
Sonia Dvořák
Eleanor Freeman
Alexandra Inculet
Yuko Kato
Helen Clare Kinney
So-Yeon Kim
Aleksandra Liashenko
Sinthia Liz
Cassie Martín
Asuka Morgenstern
Virginia Segarra Vidal
Marié Shimada
Brice Asnar
Yoav Bosidan
Rubén Cabaleiro Campo
Michael Foster
Philip Handschin
Sonny Locsin
Pedro Maricato
Marcos Menha
Tomoaki Nakanome
Chidozie Nzerem
Boris Randzio
Alexandre Simões
Daniel Smith
Arthur Stashak
Daniel Vizcayo
Eric White



Weitere Informationen
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Ballett am Rhein
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Da capo al Fine

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