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Schade, dass sie eine Hure war

Oper in fünf Akten
Libretto von Kerstin Maria Pöhler nach dem Drama 'Tis Pity She's a Whore von John Ford
Musik von Anno Schreier


in deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 40' (eine Pause)

Auftragswerk der Rheinoper
Uraufführung am 16. Februar 2019 im Opernhaus Düsseldorf
(rezensierte Aufführung: 23. Februar 2019)


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Rheinoper
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Zwischen allen Stilen

Von Stefan Schmöe / Fotos von Hans Jörg Michel


Das tut ja gar nicht weh! Diese Oper gehört zu den Werken, mit denen sich ein Theater trefflich "zeitgenössisch" auf die Fahnen schreiben kann, in diesem Fall sogar "Uraufführung" und "Auftragswerk", die aber so furchtbar neu dann gar nicht klingen. Sicher, Schade, dass sie eine Hure war kann mit einer ganzen Reihe aparter, schriller Dissonanzen aufwarten (der Stoff liefert allerlei Vorlagen dafür), klingt am Anfang auch noch ganz originell - aber nach etwas mehr als zweieinhalb Stunden Spieldauer ist vor allem eine Erkenntnis gereift: Komponist Anno Schreier kennt sich ziemlich gut in der Operngeschichte aus und hat eifrig geplündert. Viel Wiedererkennungswert: Schneidige Renaissance, vor allem aber Belcanto. Der Geist von Lucia di Lammermoor geistert ein um das andere Mal über die Bühne. Der komischen Amme aufreizend plakativ Rossini unterzuschieben, das ist schon arg anbiedernd. Und eine Festszene mit einer vierköpfigen Kapelle, einer italienischen banda, auf der Bühne ziemlich ungebrochen zu komponieren, als habe es die Wirtshausszene im Wozzeck nie gegeben, lässt Schreiers Musik ziemlich alt klingen.

Szenenfoto

Verbotene Geschwisterliebe unterm Fliegenpilz: Annabella und Giovanni

Dabei hat Schreier mit seinem Hamlet in Wien durchaus für Furore gesorgt. Weniger freilich mit Mörder Kaspar Brand eben in Düsseldorf, der die Intendanz freilich so begeistert hat, dass sie Schreier prompt den nächsten Kompositionsauftrag erteilte, dessen Ergebnis jetzt besichtigt werden kann. Als Sujet hat Schreier das Schauspiel 'Tis Pity She's a Whore von John Ford gewählt, geschrieben um 1630 herum, auch heute noch gelegentlich auf Sprechtheaterbühnen zu sehen. Ein wahrlich schauerliches Stück um Inzest, Intrigen und viele Morde: Das Geschwisterpaar Annabella und Giovanni liebt sich; als die von etlichen Männern umschwärmte Annabella dabei schwanger wird, muss sie auf Geheiß ihres Vaters den Edelmann Soranzo heiraten. Ein paar Tote später steigern sich Annabella und Giovanni in einen Rausch, bei dem Giovanni die begehrte Schwester tötet, ihr das Herz aus dem Leib schneidet und es Soranzo präsentiert.

Szenenfoto

Zwangsverheiratung: Vater Florio, Annabella, der Mönch und Ehemann Soranzo

Kerstin Maria Köhler hat daraus recht geschickt ein durchaus kurzweiliges Libretto verfasst, immer wieder in derbe Sprache wechselnd, wobei sich Tragik und absurde Komödie einigermaßen die Waage halten. Hinter der durchkomponierten Form erkennt man die Nummernoper, und in weiten Teilen ist Schreier auch jenseits der eklektischen Anspielungen auf diverse Komponisten und Kompositionsstile brav tonal. Das ist natürlich nicht verboten - im Vergleich dazu wirkt die jüngst in Bonn uraufgeführte Oper Marx in London von Jonathan Dove, durch und durch tonal, ungleich origineller und spritziger. Und bei allem handwerklichen Geschick, mit dem Schreier aufwartet, fehlt Schade, dass sie keine Hure war der Biss, der Zynismus, die Boshaftigkeit - eben das, was das Thema (auch musikalisch) interessant machen könnte. Schreiers Musik, die irgendwie alles bedienen möchte und auf Wiedererkennung vertrauter Opernmodelle setzt, verliert sich als hübsches, aber belangloses Kunsthandwerk zwischen allen Stilen.

Szenenfoto

Ehekrise, als die Schwangerschaft offenbar wird: Annabella am Boden, Soranzo (in der Mitte) und Leibwächter Vasquez

Die Regie von David Hermann spiegelt den musikalischen Bilderbogen quer durch die Epochen auf der Bildebene, indem Bühne (Jo Schramm) und Kostüme (Michaela Barth) Versatzstücke aus diversen Jahrhunderten zeigen. Annabellas Kurzzeit-Ehemann Soranzo ist ein moderner Geschäftsmann, ihr Verehrer Grimaldi ein veritabler Pirat, der versehentlich ermordete und eigentlich unbeteiligte Bergetto ein barocker Edelmann, der angebliche Arzt Richardetto ein Bürger des 19. Jahrhunderts undsoweiter. Das inzestuöse Liebespaar indes scheint ein Paar aus dem Märchen zu sein, als wären Hänsel und Gretel ins zeugungsfähige Alter gekommen - sie leben unter einem gewaltigen Fliegenpilz (in dem man die naive Natur wie das drohende Gift erahnen mag), und ihr hübsches Kleid wie seine dämliche Pyjamahose sind rot mit weißen Punkten, eben wie der Pilz. Mit der erzwungenen Hochzeit wechselt sie die Kleidung, trägt jetzt ein modernes Brautkleid (er wandelt mit Schlabberhose weiterhin herum wie ein Geistesverwandter von Büchners verträumten Leonce). Die Bühne aber will vor allem zeigen, dass hier nichts als Theater gespielt wird - alle Elemente sind die meiste Zeit als Dekoration zu erkennen, oft steht eines demonstrativ falsch herum. Alles nur Schmierentheater, soll das wohl sagen. Und wie man sich bei der Musik, wenn die sich gerade in Donizetti-, Rossini- oder Verdisphären bewegt, gelegentlich fragt, ob man sich nicht gerade lieber eines der Meisterwerke dieser Epochen anhören würde als diese untermittelprächtige Uraufführung, so wünscht man sich bei manchem eindrucksvollen Bild der Regie, man sähe eine ernst gemeinte Arbeit dieses Regieteams und keine Ansammlung für sich beeindruckender, aber in der Summe verpuffender Einfälle, die dem Stoff die Schärfe schuldig bleiben.

Szenenfoto

Blutiges Finale: Annabella und Giovanni

Gesungen wird auf gutem Niveau. Lavinia Dames empfiehlt sich mit der Partie der Annabella für größere Partien. Mit ihrem leuchtenden und beweglichen Sopran sticht sie Jussi Myllys, der den Liebhaber-Bruder Giovanni mit akzeptablem, ein wenig farblosem Tenor singt, ein ganzes Stück weit aus. Aus dem homogenen, in allen Partien sehr ordentlich besetzten Ensemble ragt ansonsten Paula Iancic in einer nicht weiter wichtigen Nebenrolle mit kokettem Sopran heraus. Der Chor singt zuverlässig, die Düsseldorfer Symphoniker sind zwar immer wieder mal ungenau bei den Einsätzen, spielen unter Leitung von Kapellmeister Lukas Beikircher aber insgesamt sehr schön. Freundlicher Applaus.


FAZIT

Ganz nett und ziemlich harmlos.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Lukas Beikircher

Regie
David Hermann

Bühne
Jo Schramm

Kostüme
Michaela Barth

Licht
Tobias Löffler

Chor
Patrick Francis Chestnut

Dramaturgie
Hella Bartnig



Statisterie der
Deutschen Oper am Rhein

Chor der
Deutschen Oper am Rhein

Düsseldorfer Symphoniker


Solisten

Annabella
Lavinia Dames

Giovanni
Jussi Myllys

Florio, deren Vater
Günes Gürle

Mönch
Bogdan Taloş

Soranzo, ein Edelmann
Richard Šveda

Grimaldi, ein Soldat
Florian Simson

Bergetto, ein Bürger von Parma
Florian Simson

Richardetto, angeblicher Arzt
David Jerusalem

Hippolyta, Richardettos Frau
Sarah Ferede

Philotis, Richardettos Nichte
Paula Iancic

Vasquez, Soranzos Diener
Sami Luttinen

Putana, Annabellas Amme
Susan Maclean






Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Rheinoper
(Homepage)



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