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Il barbiere di Siviglia
(Der Barbier von Sevilla)

Commedia in zwei Akten
Libretto von Cesare Sterbini
Musik von
Gioachino Rossini

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 45' (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Dortmund am 7. Oktober 2018




Theater Dortmund
(Homepage)
Anarchie in der Puppenkiste

Von Thomas Molke / Fotos von Björn Hickmann

Zwei große Opernpremieren und dazwischen ein Klangprojekt mit ca. 800 Mitwirkenden, das sich von der Fußgängerzone bis zum Opernhaus erstreckt: Der neue Intendant Heribert Germeshausen hat sich für seinen Start an der Oper Dortmund am Eröffnungswochenende viel vorgenommen, und am Schluss kann man guten Gewissens konstatieren, dass er dabei den Mund nicht zu voll genommen hat. Nach einer musikalisch hochrangigen Eröffnung mit Verdis Klassiker Aida wird der Einstand mit Rossinis wohl berühmtester Buffo-Oper, Il barbiere di Siviglia, zu einem ruhmreichen Abschluss gebracht. Dabei wirken die Dortmunder Philharmoniker auch am dritten Tag noch genauso frisch wie in der Eröffnungspremiere und lassen Rossinis flotte Crescendi mit viel Spielwitz aufblühen. Dazu hat das Regie-Team um Martin G. Berger einen Ansatz gewählt, der zumindest bis zur Pause sehr familientauglich daherkommt, und die Geschichte in einer Art Augsburger Puppenkiste ansiedelt. Die verbindenden Rezitative werden zum großen Teil gestrichen und durch einen Erzähler ersetzt, der die Geschichte ein wenig strafft und somit von einem musikalischen Höhepunkt zum nächsten überleitet.

Für den Part des Erzählers hat man Kammersänger Hannes Brock verpflichtet, der zwar mittlerweile eigentlich im Ruhestand ist, aber seiner langjährigen Wirkungsstätte weiterhin die Treue hält, frei nach dem Motto: "Niemals geht man so ganz!" So steht auch im Februar 2019 ein neuer Abend mit ihm unter dem Titel I am still here auf dem Programm. Mit dem ihm ganz eigenen Charme betritt er zum Ende der Ouvertüre, die von den Dortmunder Philharmonikern unter der Leitung von Motonori Kobayashi sehr schmissig präsentiert wird, die Bühne und führt wie ein netter Märchenonkel durch den ersten Akt. Dabei konzentriert er sich auf passende Charakterisierungen der einzelnen Figuren, die sich anschließend jeweils mit ihrer großen Arie aus dem ersten Akt vorstellen. Dass die Arien dabei in leicht abweichender Reihenfolge vom Libretto eingebaut sind, stört weder den Handlungsablauf noch den Spannungsbogen der Geschichte. Die Figuren bewegen sich dabei als überdimensionale Marionetten an langen aus dem Schnürboden herabgelassenen Fäden über die Bühne und wirken gewollt hölzern, so dass bei der erhöhten Guckkastenbühne mit dem roten Vorhang der Eindruck einer Puppenkiste sehr glaubhaft umgesetzt wird.

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Figaro (Petr Sokolov) lässt sich vom Gold des Grafen verlocken.

Sarah-Katharina Karl entwirft für jede Arie ein eigenes Bühnenbild, das hervorragend auf die vorgestellten Figuren abgestimmt ist. Bei Figaro, der als eine Art Harlekin aus der Commedia dell'Arte auftritt unterstreicht ein rot leuchtender Glitzervorhang im Hintergrund seine Rolle als Faktotum der Stadt, der neben seiner Tätigkeit als Barbier noch zahlreiche andere Einnahmequellen hat und letztendlich vom Gold verlockt wird, das Vorhaben des Grafen zu unterstützen. Almaviva sitzt als Figur in feinem Renaissance-Kostüm in einem recht eintönigen Zimmer, in dem zwar alles golden glänzt, aber dennoch betont wird, dass ihm in dieser Umgebung mehr als langweilig ist. So schwebt auch ein Skelett über dem riesigen Goldberg, mit dem er Figaro überzeugt, ihm bei der Eroberung der jungen Rosina behilflich zu sein. Rosina erinnert in ihrem knallbunten "Gefängnis" zunächst an eine Sarah Kay Puppe mit einem ausladenden grünen Reifrock. Doch während ihrer großen Arie "Una voce poco fa" löst sie sich aus diesem Kleid und verwandelt sich in eine grüne Schlange, deren Schwanz am Ende der Bühne aus dem Boden auftaucht. Bei Morgan Moody hat die Maske wirklich ganze Arbeit geleistet, und man kann den charismatischen Sänger in dem Rokoko-Kostüm des Vormunds Dr. Bartolo mit der langen Hakennase und der weißen Perücke wirklich gar nicht erkennen.

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Don Basilio (Denis Velev, links) demonstriert Dr. Bartolo (Morgan Moody, rechts) die "Macht der Verleumdung".

Der Musiklehrer Don Basilio scheint neben seiner Tätigkeit als Musiklehrer und Intrigant auch noch ein großes Faible für chemische Experimente zu haben. So hält er sich nicht nur ein futuristisch anmutendes sechsbeiniges Haustier mit einem riesigen Auge als Kopf, das von ein bis zwei Puppenspielerinnen bewegt wird und für ihn eine Art Wachhund darstellt, sondern lässt es bei seiner berühmten Verleumdungsarie auf der Bühne szenisch so richtig krachen. Da sieht man zunächst eine kleine Kugel, die eine Bahn hinunterrollt und stetig wachsende Effekte auslöst, die vom Feuer über das Platzen eines Luftballons bis hin zu brodelnden Flüssigkeiten führen, die dann in einer Explosion gipfeln. Hier muss man der Technik wirklich ein ganz großes Lob aussprechen, wie genau der Ablauf auf die Musik abgestimmt ist. Bis zu diesem Punkt könnte man die Aufführung als sehr kindgerecht bezeichnen, doch dann schlägt Berger eine andere Richtung ein. Der Graf löst sich von seinen Fäden und will ein selbstbestimmtes Leben führen. Dafür schlüpft er in das Kostüm des Punch, eines englischen Pendants zum deutschen Kasper, und wirbelt die Geschichte durcheinander. Mit einer riesigen Schere schneidet er die Fäden der anderen Figuren durch und bringt alles aus dem Gleichgewicht. Auch der Erzähler wird kurzerhand außer Gefecht gesetzt. Der Herrenchor tritt nun aus dem Publikum dazwischen und lässt zum großen Finale des ersten Aktes einen Tumult entstehen, in dessen Verlauf die ganze Bühne auseinander genommen wird.

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Almaviva (Sunnyboy Dladla, rechts) trennt die Schnüre der Figuren: von links: Don Basilio (Denis Velev), Dr. Bartolo (Morgan Moody), Erzähler (Ks Hannes Brock) und Figaro (Petr Sokolov).

Nach der Pause versuchen die Figuren zunächst, die Geschichte ohne den Erzähler weiterzuführen. Doch sie müssen erkennen, dass ihnen der Halt fehlt. Rosina kommt mit der neuen Freiheit überhaupt nicht klar. Wer den weiteren Verlauf der Oper nicht kennt, dürfte an dieser Stelle Schwierigkeiten haben, der Handlung zu folgen. Die zweite Verkleidung Almavivas als Musiklehrer und der amüsante Versuch, den misstrauischen Dr. Bartolo vor seinen eigenen Augen mit der Geliebten hinters Licht zu führen, bleiben unverständlich. Rosina singt die Arie, die sie mit dem angeblichen Musiklehrer übt, bevor sich der Graf das Vertrauen Bartolos erschlichen hat. Figaro beginnt, die Fäden bei Bartolo neu zu befestigen, um somit in die Struktur der Geschichte zurückzufinden. Doch das bleibt alles nur Stückwerk. Der Erzähler muss reanimiert werden. Nachdem die Figuren nach und nach wieder mit ihren Schnüren verbunden sind, kehrt allmählich wieder Ordnung in das Chaos. Almaviva erkennt, dass die von ihm angestrebte Anarchie nicht funktioniert, wenn er mit Rosina zu einem glücklichen Ende finden will. So gibt er schließlich selbst kleinlaut dem Erzähler nach und lässt sich ebenfalls wieder zur Marionette umfunktionieren. Die Bühne wird erneut hergerichtet, und die Figuren stimmen gemeinsam den glücklichen Ausgang der Geschichte an, wonach der Graf allein aufgrund seiner Stellung die Oberhand behält und Rosina ehelichen kann.

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Um Rosina (Aytaj Shikhalizada) zu erobern, müssen der Graf (Sunnyboy Dladla, links) und Figaro (Petr Sokolov, Mitte) ins Marionettenspiel zurück.

Musikalisch und darstellerisch überzeugt das Ensemble auf ganzer Linie. Sunnyboy Dladla stattet den verliebten Grafen mit lyrischem Tenor aus, der in den Höhen große Strahlkraft besitzt. In seiner Auftrittskavatine "Ecco ridente in cielo", in der Almaviva der von ihm verehrten Rosina ein Ständchen unter dem Fenster bringt, begeistert er mit sauberer und beweglicher Stimmführung. Auf die große Schluss-Arie im zweiten Akt, "Cessa di più resistere" wird, wie in den meisten Stadttheateraufführungen, allerdings verzichtet, da sie einerseits inhaltlich nicht ins Regie-Konzept gepasst hätte - Almaviva gibt sich darin Bartolo als Graf und Ehemann Rosinas zu erkennen und rät dem gehörnten Vormund, seinen Widerstand aufzugeben -, andererseits Dladlas jugendlichen Tenor vielleicht überfordert hätte. Rossini hatte diese Arie nämlich bei der Uraufführung dem berühmten spanischen Tenor Manuel García in die Kehle gelegt, der über heutzutage von einem Tenor kaum erreichbare Höhen verfügte. Von Petr Sokolov muss man leider bald schon wieder in Dortmund Abschied nehmen, da der junge Bariton ein Engagement an die Stuttgarter Oper antritt. Von diesem Figaro würde man in Dortmund gerne noch mehr hören. Mit kräftigem und sauber geführtem Bariton begeistert er in der berühmten Auftrittsarie "Largo al factotum" und beweist auch im Duett mit dem Grafen, "All' idea di quel metallo", in dem er sich vom Gold motivieren lässt, das Vorhaben des Grafen zu unterstützen, überragende Bühnenpräsenz.

Aytaj Shikhalizada hat schon tags zuvor beim Willkommenskonzert Barock bis Broadway und bei ihrer Vorstellung vor einem Monat im Rahmen der Cityring-Konzerte unter Beweis gestellt, dass Rosina auch bei einem Mezzosopran nichts von ihrer Gewitztheit und Klugheit einbüßt. Normalerweise kennt man die berühmte Arie "Una voce poco fa" aus dem Repertoire renommierter Koloratursopranistinnen. Doch Rossini hatte sie ursprünglich für einen Mezzosopran komponiert. Shikhalizada punktet durch bewegliche Läufe und sauber angesetzte Spitzentöne. Dabei spielt sie kokett mit den Koloraturen und macht die Arie auch szenisch durch die Verwandlung in eine grüne Schlange zu einem Höhepunkt des Abends. Denis Velev stattet den Musiklehrer Don Basilio mit fulminantem Bass aus. Morgan Moody punktet als Dr. Bartolo durch sehr beweglichen Bariton und große Durchschlagskraft. Die Sorbetto-Arie der Berta ist wie der Großteil der Rezitative gestrichen. So darf Vera Fischer in der Partie der Gouvernante nur mit großem Spielwitz im Schneckenkostüm über die Bühne krabbeln und bei den Ensembles mitwirken. Der Herrenchor präsentiert sich unter der Leitung von Fabio Mancini stimmgewaltig. Motonori Kobayashi führt die Dortmunder Philharmoniker mit leichter Hand beschwingt durch die Partitur, so dass es am Ende großen und verdienten Applaus gibt, in den sich auch das Regie-Team einreiht.

FAZIT

Martin G. Berger bietet mit seiner Sichtweise auf Rossinis Opernklassiker kurzweilige Unterhaltung und ein großes Bühnenspektakel für die ganze Familie, auch wenn jüngere Zuschauer im zweiten Akt vielleicht Verständnisprobleme haben könnten. Das Eröffnungswochenende der Oper Dortmund findet mit dieser Produktion musikalisch und szenisch zu einem gelungenen Abschluss.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
*Motonori Kobayashi /
Christoph Müller

Regie
Martin G. Berger

Bühne
Sarah-Katharina Karl

Kostüme
Alexander Djurkov Hotter

Puppenbau
Rachel Pattison

Chor
Fabio Mancini

Licht
Ralph Jürgens

Dramaturgie
Merle Fahrholz
Laura Knoll

 

Dortmunder Philharmoniker

Herrenchor Theater Dortmund

Statisterie Theater Dortmund

 

Solisten

*Premierenbesetzung

Graf Almaviva
Sunnyboy Dladla

Rosina, ein reiches Mündel
Aytaj Shikhalizada

Figaro, Barbier
Petr Sokolov

Dr. Bartolo, Vormund Rosinas
Morgan Moody

Don Basilio, Rosinas Musiklehrer
Denis Velev

Berta, Gouvernante
*Vera Fischer /
Ji-Young Hong

Der Puppenspieler / Erzähler
Ks. Hannes Brock

Puppenspielerinnen
Julia Giesbert
Veronika Thieme

 


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