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Die göttliche Komödie I: Inferno

Ballett von Xin Peng Wang nach Dante Alighieri
Musik von Michael Gordon und Kate Moore

Aufführungsdauer: ca. 1h 15' (keine Pause)

Premiere im Opernhaus Dortmund am 3. November 2018
(rezensierte Aufführung: 25.11.2018)



Theater Dortmund
(Homepage)

Abstieg in die Hölle

Von Thomas Molke / Fotos: © Maria-Helena Buckley

Seit einigen Jahren erschließt der Dortmunder Ballettdirektor Xin Peng Wang gemeinsam mit seinem Chefdramaturgen Christian Baier Klassiker der Weltliteratur für den Tanz, die der Compagnie in der Ruhrmetropole Dortmund weit über die Region hinaus große Aufmerksamkeit und Sympathie bescheren. Zu erwähnen sind hier unter anderem Leo Tolstois Roman Krieg und Frieden, der auf dem chinesischen Nationalroman basierende Traum der roten Kammer, Ödön von Horváths Volksstück Geschichten aus dem Wiener Wald, Thomas Manns Zauberberg und zuletzt beide Teile von Goethes Faust an zwei Abenden. Nun haben sich die beiden ein Werk vorgenommen, das als die bedeutendste Dichtung der italienischen Literatur gilt und gleichzeitig die italienische Sprache als Schriftsprache begründet hat: Die Divina Commedia von Dante Alighieri, ein Versepos, das in drei Büchern und insgesamt 100 Gesängen all das beschreibt, was die westliche Vorstellung des Jenseits nachhaltig geprägt hat. Diese Fülle lässt sich natürlich nicht in einen Ballettabend packen, und so haben Wang und Baier das ganze Projekt auf drei Jahre angelegt. In dieser Spielzeit gibt es zunächst den Abstieg in die Feuerschlünde des Inferno, bevor in der nächsten Spielzeit die Anhöhe des zweiten Teils, Purgatorio, erklommen werden soll, um dann 2021, im 700. Todesjahr Dantes, schließlich einen Blick ins Paradiso zu werfen. 2021 sollen dann auch alle drei Teile zu einem großen Abend mit zwei Pausen vereint werden.

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Dante (hier: Javier Cacheiro Alemán) und seine Muse Beatrice (Lucia Lacarra)

Der erste Abend beginnt mit den 34 Gesängen des ersten Teils, Inferno. Dabei folgt Wang allerdings nicht episodisch der literarischen Vorlage, sondern zeichnet eher ein abstraktes Bild von den neun Höllenkreisen, in die Dante als Ich-Erzähler mit seinem Führer Vergil hinabsteigt. Zur musikalischen Untermalung wählt er ein knapp 15-minütiges Cellostück der australisch-niederländischen Komponistin Kate Moore, die zu den Vertretern des Postminimalismus zählt. "Whoever You Are Come Forth" ist die instrumentale Version eines Liedes aus dem von ihr nach Texten von Walt Whitman komponierten Vokalzyklus The Open Road. Im Anschluss folgt die gut einstündige Symphonie Decasia des amerikanischen Komponisten Michael Gordon, der zusammen mit Julia Wolfe und David Lang Begründer der postminimalistischen Künstlergruppe "Bang On A Can" ist und als akustischer Grenzgänger gilt. Der Titel der Symphonie ist eine Symbiose aus "Decay", also einer Symphonie, die sukzessiv zerfällt, und "Fantasia", was diesem Zerfall einen artifiziellen imaginären Charakter verleiht. 2001 drehte Bill Morrison zu dieser Musik den gleichnamigen Experimentalfilm, der durch Montage, Überlagerung und Auflösung des alten Filmmaterials während des Abspielvorgangs ein Kaleidoskop einer Ära aufzeigt, die mit industriellem Pioniergeist und einer gewissen wissenschaftlichen Unbedarftheit beginnt und in einem folgenschweren Desaster endet, also gewissermaßen einen Abstieg in die Hölle beschreibt. Was musikalisch dabei entsteht, macht den Begriff Hölle mit seinen ganzen Schrecken wesentlich greifbarer, als das beispielsweise der berühmte "Furientanz" aus Glucks Orfeo ed Euridice vermag.

Vergil (hier: Dustin True) lädt zu einem Gang in die Unterwelt ein.

Wenn der Vorhang sich öffnet, sieht man einen einsamen Mann (István Simon) auf dem Boden unter einer Vielzahl von herabhängenden Ketten liegen, die ihn niederzudrücken scheinen. Wenn die Ketten langsam in den Schnürboden emporgezogen werden, versucht auch der Mann, wieder auf die Beine zu kommen, hat aber zunächst große Schwierigkeiten, sein Gleichgewicht zu halten. Hierbei handelt es sich um den alten Dante, der zu Beginn der Geschichte durch einen unheimlichen Wald irrt und glaubt, dass sein Lebensende nun gekommen sei. Doch aus dem Hintergrund tritt wie eine Traumgestalt eine Frau (Lucia Lacarra) in einem unschuldigen weißen Gewand auf. Es ist Beatrice, Dantes Muse Bice Portinari, die in ihrer engelsgleichen Erscheinung Dantes Gefühlswelt von frühester Jugend an beflügelt hat. Als sie im Alter von 24 Jahren der Pest zum Opfer fiel, stilisierte Dante sie zu einer Art überirdischem Wesen mit einer den Tod überdauernden Liebe. Mit grazilen Bewegungen holt sie zum relativ sanft anmutenden Cellostück von Kate Moore Dante ins Leben zurück, was von Simon und Lacarra in einem bewegenden Pas de deux umgesetzt wird. Doch nachdem Dante wieder Kraft getankt hat, entschwindet sie, und der Dichter Vergil (Dann Wilkinson) tritt auf. In einem dunkelroten Gewand lädt er Dante zu einer fantastischen Reise ins Jenseits ein. Wilkinson gibt den großen römischen Dichter mit einer gewissen Unnahbarkeit, schafft aber mit geschmeidigen Bewegungen Vertrauen, so dass Dante ihm bereitwillig folgt.

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Gefangen im Inferno (Ensemble)

Nun tritt Shai Ottolenghi als Fährmann Charon auf, der mit einem riesigen Ruder die beiden Fremden durch die verschiedenen Bereiche der Hölle führt. Dabei weist er die einzelnen Geister, die auf dem Weg durch die Höllenkreise immer wieder aufbegehren, mit seinem Ruder autoritär in ihre Schranken. Mit seinem langen Rauschebart und der weißen Mähne wirkt er fast wie die Verkörperung des Allmächtigen. Sein nackter Oberkörper glänzt dabei, als ob er gerade dem Fluss des Vergessens entstiegen sei. Frank Fellmann konstruiert die Höllenringe als riesigen Schlund, der sich trichter- und spiralförmig nach unten fortsetzt. Teilweise gleiten die Tänzerinnen und Tänzer wie auf einer Art Rutsche auf nach unten führenden Ringen hinab, teilweise versuchen sie, an dem Gerüst nach oben zu klettern, um dem Abgrund zu entkommen. Doch es gibt kein Entrinnen, was auch durch die sich ständig wiederholenden Rhythmen und die tief ins Mark bohrenden Klänge von Gordons Musik deutlich wird. Man hat stellenweise das Gefühl, dass die Schmerzgrenze hier überschritten wird. Der Gang durch die Hölle ist eben kein gemütlicher Spaziergang. An zahlreichen Büßern führt Vergil Dante vorbei, die in Wangs Inszenierung allerdings eher identitätslos bleiben. Die eng anliegenden Kostüme der Tänzerinnen und Tänzer erinnern an die Strukturen der Figuren aus den "Körperwelten".

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Kein Entkommen aus dem Höllenschlund (Ensemble)

In zwei Soli, einem Pas de deux, einem Pas de trois und einem Pas de quatre heben sich einzelne Tänzerinnen und Tänzer aus der Masse der Toten ab und deuten individuelle Schicksale an. Die Kostüme dieser Tänzerinnen und Tänzer sind durch einen helleren Rotton gezeichnet als die Kostüme des übrigen Ensembles. Der eine oder andere Zuschauer mag vielleicht in dem Pas de deux von Jelena-Ana Stupar und Dustin True die Gattenmörderin Francesca da Rimini und ihren Geliebten Paolo wiedererkennen. Doch diese einzelnen Büßer verlieren sich immer wieder schnell in der Masse, so dass man die einzelnen Höllenkreise lediglich als gewaltigen Abgrund wahrnimmt, der den Zuschauer immer tiefer hinabzieht. Auch Dante scheint sich darin zu verlieren. Immer wieder taucht Beatrice auf, um anzudeuten, dass es vielleicht doch einen Weg aus diesem Abgrund gibt. So schreitet Dante am Ende auch gemeinsam mit Vergil und seiner Muse von der Bühne, während Charon ein letztes Mal mit seinem Ruder donnernd auf den Boden schlägt und die Schatten der Unterwelt erschauern lässt. Die Compagnie begeistert durch ausdrucksstarke Bewegungen und vermittelt regelrecht erdrückend die Höllenqualen, die diese Figuren im Inferno erleiden. Das Publikum spendet am Ende allen Beteiligten frenetischen Beifall und wirkt irgendwie erlöst, dass es diesen Abstieg in die Hölle überstanden hat. Nun wartet man schon gespannt auf die Reise durch das Purgatorio.

FAZIT

Xin Peng Wang gelingen mit seinem Ensemble ergreifende Bilder, die die Grauen des Inferno zusammen mit der Musik von Michael Gordon regelrecht spürbar machen. Diesen Weg möchte man gerne bis zum Paradiso verfolgen.


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Produktionsteam

Inszenierung und Choreographie
Xin Peng Wang

Bühnenbild und Video
Frank Fellmann

Kostüme
Bernd Skodzig

Lichtdesign
Carlo Cerri

Konzept, Szenario und Dramaturgie
Christian Baier

 

Tänzerinnen und Tänzer

*rezensierte Aufführung

Beatrice
*Lucia Lacarra /
Shuci Cao /
Amanda Vieira

Dante
Javier Cacheiro Alemán /
*István Simon /
Simon Jones

Vergil
Dustin True /
*Dann Wilkinson /
Erik Sosa Sánchez

Charon
Cyril Pierre /
*Shai Ottolenghi /
Guillem Rojo i Gallego

Soli
*Sae Tamura
*Stephanine Ricciardi

Pas de deux
Sayaka Wakita /
*Jelena-Ana Stupar /
Sae Tamura
Erik Sosa Sánchez /
*Dustin True

Pas de trois
*Sae Tamura /
Stephanine Ricciardi /
Jelena-Ana Stupar
*Erik Sosa Sánchez /
Matheus Vaz
*Francesco Nigro /
Dustin True

Pas de quatre
Stephanine Ricciardi /
*Jelena-Ana Stupar
*Sae Tamura /
Caroline Vandenberg
Francesco Nigro /
*Dustin True
*Erik Sosa Sánchez /
Matheus Vaz

Gruppe Damen
*Amélie Demont
*Clara Sorzano Hernandez
*Charlotte Amalie Kragh
Loïs Martens
*Rion Natori
*Yume Okano
*Martina Renau
Stephanine Ricciardi
*Manuela Souza
*Jelena-Ana Stupar
*Sae Tamura
Caroline Vandenberg
*Amanda Vieira
*Giuditta Vitiello
*Sayaka Wakita
*Yingyue Wang

Gruppe Herren
Javier Cacheiro Alemán
*Leonardo Cheng
*Pedro Frizon
*William Castro Hechavarria
*Simon Jones
*Daniel Leger
*Márcio Barros Mota
*Francesco Nigro
Shai Ottolenghi
*Guillem Rojo i Gallego
*Erik Sosa Sánchez
*Duccio Tariello
Dustin True
*Mateus Vaz
Dann Wilkinson
*Nikita Zdravkovic

 


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