Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum



Turandot

Dramma lirico in drei Akten
Libretto von Giuseppe Adami und Renato Simoni
Musik von
Giacomo Puccini (letztes Duett und Finale ergänzt von Franco Alfano)

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 30' (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Dortmund am 9. Februar 2019




Theater Dortmund
(Homepage)
Liebe oder Macht?

Von Thomas Molke / Fotos von Björn Hickmann (© Stage Picture)

Nachdem der neue Intendant Heribert Germeshausen die Spielzeit im Oktober mit zwei absoluten Klassikern des italienischen Opernrepertoires, Verdis Aida und Rossinis Il barbiere di Siviglia, eröffnet hat, folgt nun gewissermaßen zur Halbzeit der Saison der dritte große Opernkomponist, der häufig mit Rossini und Verdi in einem Atemzug genannt wird: Giacomo Puccini. Die berühmte Tenor-Arie "Nessun dorma" aus Puccinis letzter Oper Turandot genießt auch bei an Opern weniger interessierten Menschen einen ähnlichen Bekanntheitsgrad wie Verdis Triumphmarsch aus Aida beziehungsweise die Ouvertüre aus Rossinis Il barbiere di Siviglia. Dennoch ist Turandot als komplettes Werk auf den Opernbühnen nicht ganz so häufig zu erleben, was zum einen an den schwer zu besetzenden Hauptpartien liegen dürfte, die in der Regel nicht aus dem jeweiligen Ensemble besetzt werden können. Zum anderen hat Puccini diese Oper auch nicht mehr selbst vollenden können, sondern hinterließ bei seinem Tod nur 36 Skizzenblätter, die an das Geschehen nach Liùs Selbsttötung anschließen. Das Schlussduett für Turandot und Calaf war noch gar nicht instrumentiert. Auf Druck des Verlags und des Ministerpräsidenten willigte Puccinis Schüler Franco Alfano nach anfänglichen Bedenken ein, die Oper auf Grundlage der Skizzen fertigzustellen. Dennoch hat den Musiktheatern seitdem der dramaturgisch und musikalisch fragwürdige Schluss immer wieder Probleme bereitet. Toscanini beispielsweise brach bei der Uraufführung der Oper nach Liùs Tod mit den Worten ab: "An dieser Stelle starb der Maestro." Auch bei der zweiten Aufführung gab es Alfanos Ergänzungen nur in einer gekürzten Fassung. Erst in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde der ergänzte Schluss komplett gespielt. Seitdem gibt es immer wieder unterschiedliche Varianten für das Ende der Oper. In Dortmund hat man sich für die von Alfano ergänzte Fassung entschieden.

Bild zum Vergrößern

Turandot (Stéphanie Müther) stellt Calaf (Andrea Shin) drei Rätsel.

Die Oper basiert auf einer Geschichte aus dem fünfbändigen Erzählwerk Tausendundein Tag, in dem zahlreiche arabische und persische Märchen veröffentlicht wurden. Der italienische Dichter Carlo Gozzi formte die Geschichte des Prinzen Kalaf und der Prinzessin von China zu einem Märchendrama unter dem Titel Turandot. 1802 bearbeitete Friedrich Schiller dieses Stück für das Weimarer Theater. Erzählt wird die Geschichte einer eiskalten Prinzessin, die jedem Bewerber um ihre Hand drei Rätsel stellt, die nicht gelöst werden können, was zum Tod der Männer führt. Nur Calaf ist in der Lage, die Aufgabe zu bewältigen. Da Turandot sich allerdings nicht geschlagen geben möchte, bietet Calaf der Prinzessin aus Liebe an, auf sie zu verzichten und sich hinrichten zu lassen, wenn sie bis zum nächsten Morgen seinen Namen errät. Dass diese Forderung das Herz der Prinzessin erweichen soll, schien Puccini für seine Oper nicht sehr glaubwürdig. Deshalb fügten seine Librettisten die Figur der Liù ein. Da sie Calaf abgöttisch liebt und seinen Vater vor der Folter bewahren will, behauptet sie, die einzige zu sein, die Calafs Namen kennt. Selbst unter körperlichen Qualen verweigert sie, ihn der Prinzessin zu nennen, und wählt den Freitod. Turandot ist von diesem Opfer beeindruckt. Ein Kuss Calafs und die Tatsache, dass er ihr anschließend selbst seinen Namen verrät, führen dazu, dass die Prinzessin einlenkt und Calaf ihre Liebe schenkt.

Bild zum Vergrößern

Die drei Diener Ping (Morgan Moody, hinten Mitte), Pang (Fritz Steinbacher, links) und Pong (Sunnyboy Dladla, rechts) versuchen, Calafs (Andrea Shin, vorne Mitte) Namen zu erfahren.

Für heutige Zuschauer dürfte das Verhalten Calafs und der chinesischen Prinzessin weiterhin schwer nachvollziehbar sein, was ein Regie-Team vor das Problem stellt, wie man mit dieser Geschichte umgehen soll. Zu Zeiten der #MeToo-Debatte ist es mehr als fragwürdig, ob ein erzwungener Kuss auf der Bühne dazu führen kann oder darf, eine Männern doch sehr ablehnend gesinnte Frau in ein empfindsam liebendes Wesen zu verwandeln. Wenig nachvollziehbar ist auch, wieso Calaf trotz des grausamen Umgangs mit der ihn liebenden Sklavin Liù an seinen Gefühlen für die eiskalte Prinzessin festhalten soll. Tomo Sugao findet für beide Probleme eine Lesart, die die dramaturgischen Ungereimtheiten umschifft. So verändert sich Turandots Haltung den Männern gegenüber nicht wirklich. Liùs Tod und der anschließend erzwungene Kuss brechen ihren Stolz. Aufgrund ihrer Erfahrung mit Männern hat sie zwar kein Problem, Männer leiden zu sehen und hinzurichten. Aber wenn Liù sich aus Liebe zu einem Mann selbst tötet, macht ihr das bewusst, dass sie als Frau doch nicht so selbstbestimmt ist, wie sie es sich erhofft hat. Schlussendlich wird sie selbst zu einer Trophäe des Prinzen, ohne sich dagegen wehren zu können. Calaf geht es hier scheinbar gar nicht um die Liebe sondern um die Macht. So legt er am Ende den Mantel des bei Sugao aufgebahrten toten Kaisers Altoum an und lässt sich als neuer Herrscher vom Volk feiern, während Turandot als gebrochene Frau von der Bühne schleicht und die tote Liù wie ein Mahnmal an der Bühnenrampe liegt.

Bild zum Vergrößern

Turandot (Stéphanie Müther, rechts) will Liù (Sae-Kyung Rim, links) zwingen, den Namen des Prinzen zu verraten (vorne rechts: Timur (Karl-Heinz Lehner), hinten: Opernchor).

Dies alles bettet Frank Philipp Schlößmann in bombastische abstrakte Bilder ein. Die Bühne ist von hohen rot gesprenkelten Wänden eingerahmt, wobei die rote Farbe vielleicht für das Blut steht, das zahlreiche Bewerber im Kampf um die Gunst der Prinzessin Turandot bei der Hinrichtung vergossen haben. In der Mitte befindet sich ein riesiges Podest, auf dem die Todgeweihten vorgeführt werden und das der Chor wie ein reißerischer Mob umkreist. Die Decke kann dabei herabgelassen werden, um gewissermaßen eine klaustrophobische Enge zu erzeugen. Im Hintergrund sieht man im ersten Akt einen fahlen Mond aufgehen, der erst beim Auftritt der Prinzessin in gleißendem Licht aufleuchtet. Mechthild Seipel hat für die einzelnen Figuren aufwändige, orientalisch anmutende Kostüme entworfen. Turandot wird zunächst mit einem feuerroten Drachen verglichen, der wie ein Mahnmal mit zahlreichen Puppen hinter ihr thront. Für jedes Rätsel hat sie eine lange Kralle an einem Finger, die sie bei Lösung des Rätsels durch Calaf verliert. Sugao deutet mit den Puppen und drei Statistinnen, die Turandot als Kind und Jugendliche in unterschiedlichen Stadien darstellen sollen, an, dass sie selbst als Kind wohl Opfer von Missbrauch geworden ist, um so ihr Verhalten den Männern gegenüber zu motivieren. Dass er dabei aber ausgerechnet die drei Diener Ping, Pang und Pong wählt, die bei ihm einen recht zynischen Blick auf das ganze Geschehen werfen, erschließt sich nicht wirklich, weil sie in diesem Fall sicherlich von der Prinzessin ihres Amtes enthoben worden wären.

Bild zum Vergrößern

Calaf (Andrea Shin) lässt sich vom Volk (Opernchor) als neuer Herrscher feiern (links vorne: die tote Liù (Sae-Kyung Rim)).

Musikalisch bewegt sich der Abend auf hohem Niveau. Gabriel Feltz findet mit den Dortmunder Philharmonikern einen packenden Zugang zu Puccinis Musik und lotet die Dramatik des Stückes differenziert aus. Bei aller Brutalität, die im Klang der Musik hörbar ist, klingt es zu keinem Zeitpunkt scheppernd aus dem Operngraben. Selbst wenn man die Augen schließen würde, hätte man durch den lautmalerischen Klang das Geschehen auf der Bühne genauestens vor Augen. Ein sehr großes Lob verdient auch der Dortmunder Opernchor unter der Leitung von Fabio Mancini. Der Chor begeistert nicht nur durch stimmgewaltigen, homogenen Klang, sondern auch durch überzeugendes Spiel. Als reißerischer Mob fordert der Chor immer wieder neue Opfer und findet Gefallen daran, die Bewerber um die Hand der Prinzessin scheitern zu sehen. Calaf feiern sie nach der Lösung der Rätsel zunächst als Held, setzen allerdings dennoch alles daran, ihm das Geheimnis seines Namens zu entreißen. Die drei Ensemble-Mitglieder Morgan Moody, Fritz Steinbacher und Sunnyboy Dladla überzeugen als Diener Ping, Pang und Pong musikalisch und darstellerisch. Besonders ihre große Szene zu Beginn des zweiten Aktes kosten sie mit großem Spielwitz aus, auch wenn der angedeutete Missbrauch an Turandot als Kind und Jugendlicher nicht ganz nachvollziehbar ist. Ks. Hannes Brock überzeugt stimmlich und darstellerisch als Turandots Vater Altoum, auch wenn nicht ganz klar wird, wieso Sugao ihn in der Inszenierung sterben lässt. Karl-Heinz Lehner ist als entthronter König Timur mit markantem Bass ebenfalls eine gewohnt sichere Bank in Dortmund.

Als neues Ensemble-Mitglied lässt Stéphanie Müther in der Titelpartie aufhorchen. Mit großer Dramatik präsentiert sie im zweiten Akt ihre Arie "In questa reggia", in der sie eine Begründung für ihr Verhalten gegenüber den Männern abgibt. Dies alles sei die Auswirkung einer längst vergangenen Geschichte, in der eine Prinzessin von einem Prinzen vergewaltigt worden sei, so dass sie sich anschließend getötet habe. Der von Sugao angedeutete Missbrauch von Turandot selbst wäre also für die Motivation der Prinzessin gar nicht erforderlich gewesen. Überzeugend gestaltet Müther die Unnahbarkeit und Kälte der Prinzessin und lässt sie nach Liùs Selbstmord zu einer gebrochenen Frau mutieren. Wie sie am Ende unter den jubelnden Klängen des Volkes von der Bühne schleicht, rührt beinahe zu Tränen. Andrea Shin glänzt in der anspruchsvollen Partie des Calaf mit strahlendem Tenor, der die Höhen sauber meistert, ohne dabei zu forcieren. Mit tenoralem Schmelz und einem exakt ausgesungenen "Vincerò" gestaltet er das berühmte "Nessun dorma" und setzt absolut uneitel mit Feltz durch, dass die Bravourarie nicht mit Applaus bedacht wird, um den musikalischen Fluss nicht zu unterbrechen. Mit Müther liefert er sich spielerisch und sängerisch ein Duell, bei dem es keine Verlierer gibt. Konsequent ist, dass Sugao sie in ihrem großen Duett nicht wirklich zusammenfinden lässt. Der erzwungene Kuss entbehrt jeglicher Leidenschaft, sondern ist ein bloßes Machtkalkül auf Calafs Weg zur Übernahme der Herrschaft. Sae-Kyung Rim begeistert als Liù mit klaren Höhen, die zu Beginn in ihrer ersten Arie "Signore, ascolta", in der sie Calaf ihre Gefühle offenbart, noch etwas scharf und schneidend sind. Hier hätte man sich für die sanfte Figur der Sklavin eine etwas weichere Stimmführung gewünscht. Das Publikum feiert die Darsteller, den Chor, das Orchester und das Regie-Team mit großem Jubel.

FAZIT

Auch diese Produktion lässt musikalisch und szenisch kaum Wünsche offen und dürfte nicht zuletzt wegen "Nessun dorma" zu einem Publikumsmagneten avancieren.

Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Gabriel Feltz

Regie
Tomo Sugao

Bühne
Frank Philipp Schlößmann

Kostüme
Mechthild Seipel

Chor
Fabio Mancini

Licht
Ralph Jürgens

Dramaturgie
Merle Fahrholz

 

Dortmunder Philharmoniker

Opernchor Theater Dortmund

Statisterie und Kinderstatisterie
Theater Dortmund

 

Solisten

Turandot, die Prinzessin von China
Stéphanie Müther

Altoum, der Kaiser von China
Ks. Hannes Brock

Timur, entthronter König der Tartaren
Karl-Heinz Lehner

Calaf, sein Sohn
Andrea Shin

Liù, eine junge Sklavin
Sae-Kyung Rim

Ein Mandarin / Ping, Großkanzler
Morgan Moody

Pong, Großmarschall
Sunnyboy Dladla

Pang, oberster Küchenmeister
Fritz Steinbacher

 

 


Weitere
Informationen

erhalten Sie vom
Theater Dortmund
(Homepage)



Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum
© 2019 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -