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Musiktheater
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West Side Story

Musical in zwei Teilen
Nach einer Idee von Jerome Robbins, Buch von Arthur Laurents, Gesangstexte von Stephen Sondheim
Deutsche Fassung von Frank Thannhäuser und Nico Rabenald
Musik von
Leonard Bernstein

Songs in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 40' (eine Pause)

Koproduktion mit dem Theater Magdeburg

Premiere im Opernhaus Dortmund am 24. November 2018




Theater Dortmund
(Homepage)
Traum vom Irgendwo

Von Thomas Molke / Fotos: © Anke Sundermeier

Am 25. August 2018 wäre Leonard Bernstein 100 Jahre alt geworden. Das ist Grund genug für zahlreiche Bühnen und Konzertsäle, sich mit dem musikalischen Schaffen dieses bedeutenden Dirigenten, Komponisten und Pianisten des 20. Jahrhunderts auseinanderzusetzen, der mit seinem breit gefächerten Stil für viele als Sprachrohr in Sachen Musik galt. Während man im Musiktheater im Revier mit Bernsteins Bühnenwerk Mass die Spielzeit allerdings mit einem in Deutschland relativ unbekanntem Stück eröffnet hat (siehe auch unsere Rezension), setzt man in Dortmund auf Bewährtes und hat sich für die berühmte West Side Story entschieden, die mittlerweile Kultstatus besitzt. Um diesem Klassiker aber dennoch das Flair einer "Jubiläumsproduktion" zu verleihen, hat man eine Inszenierung übernommen, die im Sommer 2017 mit großem Erfolg beim Domplatz Open Air in Magdeburg lief. Wieso im Programmheft allerdings nur von einer Übernahme des Kostümbildes und der Requisiten dieser Magdeburger Produktion die Rede ist, erschließt sich nicht, da Gil Mehmert und Jonathan Huor auch in Magdeburg für die Inszenierung beziehungsweise Choreographie verantwortlich zeichneten und auch ein großer Teil der Hauptdarsteller bereits in Magdeburg zu erleben war.

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"Tonight": Maria (Iréna Flury) und Tony (Anton Zetterholm) haben sich ineinander verliebt.

Das soll den Genuss der Inszenierung aber keineswegs schmälern. Jens Kilian hat mit zwei eindrucksvollen Backsteingebäuden auf der rechten und linken Bühnenseite, die einen Platz mit einem Basketballkorb einrahmen, optisch für ein Flair gesorgt, dass den Zuschauer in die Entstehungszeit des Musicals eintauchen lässt und auch Erinnerungen an die legendäre Verfilmung mit Natalie Wood und Richard Beymer als Maria und Tony weckt. Dass an diesen beiden Gebäuden die Songtitel "Tonight" und "Cool" als Leuchtreklame prangen, ist zwar unnötig, stört allerdings auch nicht weiter. Docs Drugstore ist in Mehmerts Inszenierung eine Tankstelle, die als großes bewegliches Element schnell auf die Bühne gefahren werden kann und sich durch Drehung in den Laden verwandeln lässt, in dem Maria und Anita als Näherinnen arbeiten. Auf dem Dach wirbt eine Leuchtreklame mit der Aufschrift "America" nebst einigen Sternen für das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Im Hintergrund sieht man anstelle der Skyline von New York ein riesiges Plakat, das eine Straße zeigt, die in undefinierbare Ferne führt. Auf der linken Seite rollt ein Reifen mit der Aufschrift "Somewhere". Unter dem Plakat ist eine weitere Zeile aus dem Song zu lesen: "We'll find a new way of living". Mehmert stellt folglich über die ganze Inszenierung den Traum der Jugendlichen, aus diesem sinnlos erscheinenden Leben voller Feindseligkeiten auszubrechen. Ob dies allerdings wirklich das Bestreben ist, dass die Handlungen der jungen Leute von Anfang an antreibt, ist fraglich. Zunächst einmal wollen ja sowohl die Jets als auch die Sharks die Vorherrschaft über die Straße gewinnen.

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Die Jets (vordere Reihe von links: Action (Pascal Cremer), Riff (Markus Schneider) und Baby John (Jan Rogler) in einer mitreißenden Choreographie zum Song "Cool"

Die Choreographien von Jonathan Huor setzen diese Feindseligkeiten zwischen den beiden Gangs großartig um. Schon bei der Ouvertüre wird jeder Takt der Musik punktgenau in Handlung umgesetzt, und bei den jungen Tänzern stimmt dabei jede Bewegung. Mit kleinen Nuancen entwickelt sich beispielsweise der Streit um einen Basketball zu einer kämpferischen Auseinandersetzung, die dann vom Auftreten des zwielichtigen Lieutenant Schrank und dem leicht tumben Officer Krupke unterbrochen wird. Daniel Berger macht als Schrank mit herrlich unsympathischem Spiel deutlich, dass er bei aller Ablehnung gegen die Straßenkinder die einheimischen Jugendlichen dennoch den Puertoricanern vorzieht. Edward Steele stellt den Officer Krupke recht grobschlächtig dar, so dass es gut nachvollziehbar wird, dass diese Gesetzeshüter einerseits den öffentlichen Frieden nicht sichern können und andererseits für die orientierungslosen Jugendlichen keine Vorbildfunktion besitzen. Gleiches gilt auch für Florian Sigmund als Glad Hand, der mit köstlich gespielter Naivität glaubt, die verfeindeten Gangs beim "Dance at the Gym" vereinen zu können. Hier macht vor allem der ausdrucksstarke Tanz der Mädchen deutlich, dass sie die Feindseligkeiten zwischen den beiden Gangs zusätzlich befeuern und keinesfalls gewillt sind, mit einem Jungen der anderen Gruppe zu tanzen.

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Tony (Anton Zetterholm, vorne an der Rampe) hat mit Maria eine Vision wie sich Anybody's (Esther Conter, Mitte) mit den Jets und Sharks zu "Somewhere" in eine andere Welt träumt.

Diskutabel ist hingegen die Umsetzung des berühmten Songs "Somewhere". Maria hat gerade erfahren, dass Tony ihren Bruder Bernardo getötet hat, will ihn aber dennoch nicht an die Polizei ausliefern, sondern ihn vor Chinos Rache schützen und mit ihm aus diesem trostlosen Leben ausbrechen. An der Bühnenrampe sinkt sie in Tonys Arme, und beide blicken sehnsuchtsvoll auf das große Plakat im Hintergrund, vor dem zunächst Anybody's (Esther Conter) mit einem Megaphon auftritt, durch das sie den Song "Somewhere" anstimmt. Durch diesen leicht verzerrten Klang verliert das Lied ein wenig an Tiefe und wirkt seltsam hohl, auch wenn Conter es sehr gefühlvoll ansetzt. Wenn dann die Jets und die Sharks auftreten und in dieses Lied einstimmen, choreographiert Huor zum Gesang einige leicht hektisch wirkende Bewegung, die ebenfalls von der ausgedrückten Sehnsucht ablenken. Am Ende treten dann Riff (Markus Schneider) und Bernardo (Sascha Luder) vor dem Plakat auf, tauschen ihre Jacken und geben einander die Hände, bevor sie sich in die Tiefe fallen lassen und von den anderen aufgefangen werden. Hier wird der eindrucksvolle Song dann endgültig dem Kitsch geopfert. Maria und Tony ziehen sich zur "Hochzeitsnacht" in einen auf der linken Bühnenseite stehenden Wagen zurück, in dem sie dann von Anita entdeckt werden. Dass Tony sich erst während des Liedes "A Boy Like That" vor den Augen Anitas zurückzieht, wirkt unglaubwürdig, da er seine geliebte Maria sicherlich in diesem Moment nicht allein gelassen hätte.

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"I like to be in America": Anita (Dorina Garuci, Mitte) mit den Shark-Girls

Ansonsten lässt der Abend szenisch, musikalisch und darstellerisch keine Wünsche offen. Anton Zetterholm begeistert als Tony mit sauberen und klaren Höhen bei seinem Auftritts-Song "Something's Coming", in dem er bereits spürt, dass er an diesem Abend der Liebe seines Lebens begegnen wird. Sein Zusammentreffen mit Iréna Flury als Maria beim "Dance at the Gym" wird darstellerisch bewegend umgesetzt und geht in das berühmte "Maria" über, bei dem seine Stimme tenoralen Glanz verströmt. Flury gestaltet die Partie der Maria mit großer Lebensfreude und mädchenhaftem Charme und punktet durch einen strahlenden Sopran. In ihrem Duett "Tonight" weckt die Szene auf der Feuertreppe erneut Erinnerungen an die legendäre Verfilmung. Flurys Sopran und Zetterholms Tenor finden dabei zu einer betörenden Innigkeit. Mit viel Leichtigkeit präsentiert Flury auch "I Feel Pretty" nach der Pause, wenn sie im siebten Himmel der Liebe schwebt und noch glaubt, dass Tony den Zweikampf verhindert hat. Dorina Garuci tritt als Bernardos Freundin Anita sehr selbstbewusst und mit viel Sex-Appeal auf. Ihr freches Mundwerk und ihre Überlegenheit kommen vor allem in der großartig angelegten Nummer "America" zum Ausdruck, in der sie den naiven Träumen Rosalias (Charlotte Katzer) mit viel Schärfe Paroli bietet. Großartig gelingt auch ihr eindringliches Duett mit Flury, "A Boy Like That", in dem sie Maria zunächst für ihre Gefühle für Tony verurteilt und dann am Ende doch einbricht und sich bereit erklärt, Tony vor Chino zu warnen. Relativ brutal wird dann das Scheitern dieses Versuchs auf der Bühne inszeniert. Doch auch hier bewahrt Garuci darstellerisch bei aller grausamen Demütigung Haltung und schleudert die fatale Lüge heraus, dass Chino Maria getötet habe.

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Tony (Anton Zetterholm, links) versucht, den fatalen Kampf zwischen Riff (Markus Schneider, Mitte) und Bernardo (Sascha Luder, rechts) zu verhindern.

Sascha Luder macht als Anführer Bernardo eine ebenso gute Figur wie Markus Schneider als sein Gegenspieler Riff und die kompletten Jets, von denen an dieser Stelle neben der bereits erwähnten Conter als Anybody's, die mit eindringlichem Spiel ihren Kampf um einen Platz in der Gang deutlich macht, auch noch Pascal Cremer als Action und Jan Rogler als Baby John hervorgehoben werden sollen. Cremer überzeugt mit unbändigem Bewegungsdrang, wenn er versucht, seinen Aggressionen freien Lauf zu lassen, und einer glaubhaft gespielten Unsicherheit, wenn er meint, nach Riffs Tod dessen Platz übernehmen zu müssen. Rogler wird seinem Namen Baby John als Angsthase wunderbar gerecht. Einen weiteren musikalischen und szenischen Höhepunkt stellt der Song "Officer Krupke" dar, bei dem zahlreiche Ölfässer in die Choreographie eingebaut werden, in die dann die Interpreten des Officers, des Richters, des Psychiaters und Sozialarbeiters schlüpfen. Mit einem großen Plastikkanister auf dem Kopf werden diese Institutionen herrlich karikiert, während die restlichen Jets um Cremer als Action in einer humorvollen Choreographie die diagnostizierten Leiden umsetzen. Philipp Armbruster zaubert aus dem Orchestergraben mit den Dortmunder Philharmonikern einen in jedem Moment packenden Musical-Sound, so dass es am Ende stehende Ovationen für alle Beteiligten gibt. Beim Auftritt des Regie-Teams scheint es eine vereinzelte Unmutsbekundung im Publikum zu geben, die allerdings im allgemeinen Jubel untergeht.

FAZIT

Diese temporeiche Inszenierung kann es mit den kommerziellen Musical-Produktionen in jeder Hinsicht aufnehmen. Hingehen lohnt sich.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
*Philipp Armbruster /
Christoph JK Müller

Regie
Gil Mehmert

Bühne
Jens Kilian

Kostüme
Falk Bauer

Choreographie
Jonathan Huor

Licht
Ralph Jürgens

Dramaturgie
Laura Knoll

 

Dortmunder Philharmoniker

 

Solisten

*Premierenbesetzung

Die Jets
Riff, der Anführer
Markus Schneider

Tony, Riffs Freund
*Anton Zetterholm /
Philipp Büttner

Action
*Pascal Cremer /
Robin Koger

A-Rab
Tomas Stitilis

Baby John
Jan Rogler

Snowboy
Alexander Sasanowitsch

Big Deal
Florian Minnerop

Diesel
*Florian Sigmund /
Pascal Cremer

Gee-Tar
Lukas Mayer

Mouthpiece / Swing
Nico Hartwig

Tiger
Leon Petzold

Ihre Mädchen
Anybody's
Esther Conter

Graziella
Jessica Trocha

Velma
Eva Zamostny

Clarice
Nicky Milford

Pauline
Daniela Günther

Minnie
Doreen Naß

Die Sharks
Bernardo, der Anführer
Sascha Luder

Chino, Bernardos Freund
Ben Cox

Pepe
Alejandro Fernández

Indio
Daniel Ojeda

Luis
Iván Keim

Nibbles
Roberto Junior

Juano
Michael Berres

Ihre Mädchen
Maria, Bernardos Schwester
*Iréna Flury /
Sybille Lambrich

Anita, Bernardos Freundin
Dorina Garuci

Rosalia
Charlotte Katzer

Consuelo
Lara de Toscano

Francisca
Aline Bucher

Teresita
Myriam Akhoundov

Estella
Lara Hofmann

Margarita
Zoe Staubli

Luisa
Sophia Riedl

Mina
Yara Hassan

Die Erwachsenen
Doc
Axel Gottschick

Lieutenant Schrank
*Daniel Berger /
Patrick Imhof

Officer Krupke
*Edward Steele /
Johannes Knecht

Glad Hand / Swing
Florian Sigmund

 


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