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Spurensuche in Ruinenlandschaft
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Thilo Beu Es fängt alles ganz harmlos an. Die Kostüme hübsch historisierend, dezentes Rokoko. Der Raum irgendwie auch, der Form nach ein Saal eines Schlosses, allerdings schmucklos weiß. Ein wenig Laboratmosphäre, aber es geht ja auch um eine Versuchsanordnung, um ein Experiment: Können Frauen ihren Liebhabern treu bleiben, wenigstens 24 Stunden lang? Das sind durchaus die Bahnen, in denen Cosí fan tutte üblicherweise verläuft. Und doch ist alsbald vieles anders. Regisseur Stephen Lawless und Ausstatter Frank Philipp Schlößmann beginnen ein Spiel der Chiffren und Mehrdeutigkeiten. Don Alfonso überbringt Fiordiligi und Dorabella die Nachricht von der vermeintlichen Einberufen deren verlobter in den Krieg
Standhaft "wie der Felsen" ("Come scoglio" im Original) will Fiordiligi angesichts der drohenden Verführung durch die beiden fremden "Albaner" (die in Wahrheit ihr und ihrer Schwester Verlobte sind) bleiben, und sie singt ihre Arie gelehnt an den Sockel einer antiken Statue, einer keuschen Vestalin, als wolle sie selbst eine solche werden (und musikalisch erhebt sie sich ja auch in solche Höhen, auch wenn man in dieser Oper nie sicher sein kann, wo die Grenze zwischen Ernst und Parodie verläuft - wenn sich nicht ohnehin beide Sphären überlagern). Oder wenn Guglielmo sich an Dorabella heranmacht, dann schließt er wie nebensächlich die Tür zum riesigen Bücherschrank, lässt gleichsam Vernunft und Aufklärung hinter sich. Wenn Kammerzofe Despina als Arzt verkleidet die beiden vermeintlich aus Liebeskummer vergifteten Herren mit neumodischem Magnetismus wiederbelebt und damit das Wirken des seinerzeit außerordentlich populären Arztes Anton Meßmer parodiert, lässt der rätselhafte Don Alfonso einen Drachen steigen, der prompt vom Blitz getroffen wird - eine Anspielung auf die Forschungen Benjamin Franklins. Nun war Familie Mozarts mit den Meßmers gut bekannt, und Meßmer besaß eine - von Franklin erfundene - Glasharmonika, für die Mozart komponieren sollte. Die Regie legt ein Netz von Querbeziehungen und Assoziationen über das Stück, die gleichwohl viel mehr sind als ein bildungsbürgerliches Wissensquiz. Hier wird der Rahmen abgesteckt, in dem man die Oper sehen soll: Keine platte, musikalisch veredelte Boulevardkomödie (wie die Rezeptionsgeschichte des 19. Jahrhunderts dachte), sondern ein Lehrstück aus den Kreisen der wissenschaftsgläubigen Wiener Intelligenz um 1790, die man sicher als Spiegel unserer Gegenwart betrachten darf. Und damit hinterfragt es permanent das Menschenbild in einer von Wissenschaft geprägten Ära. Cosí fan tutte wird hier zu einem ausgesprochen modernen Stück. Finale des ersten Aufzugs: Despina in Verkleidung als Arzt will die angeblich vergifteten Ferrando und Guglielmo "retten", Dorabella und Fiordiligi sind irritiert. Don Alfonso hantiert hinten mit einem Drachen wie einst Benjamin Franklin.
Die Oper spielt in einer Villa am Meer nahe Neapel. Da ist der Vesuv nicht weit, und auch das untergegangene Pompeij nicht - Tummelplatz für Natur- und Altertumsforscher (der Bildungs- und Wissenschaftsaspekt lässt sich noch weit fortspinnen). Der Vulkan steht aber auch für den unkontrollierten Ausbruch der Gefühle, dem der Zusammenbruch der sozialen Ordnung folgt. Die Trümmer Pompeijs werden mehrfach in das Bühnenbild hineingeholt, wie der Raum ohnehin immer weniger ein realer Ort bleibt und sein Personal zunehmend unbehaust lässt. Die Vereinigung Fiordiligis und Ferrandos betrachten Don Alfonso und Guglielmo quasi aus der Zuschauerperspektive - Theater auf dem Theater, eine bewusste Brechung. Auch das so ein doppelter Boden. Und Don Alfonso, dieser merkwürdige Anstifter, dessen Herkunft man nicht kennt, trägt zwischenzeitlich die Soutane eines Abbés, wie Librettist Lorenzo da Ponte, auch so eine schillernde Figur der Kunstgeschichte, einer war. So kann man sich auch der Perspektive nie ganz sicher sein in dieser Inszenierung, die virtuos mit den doppelten Böden hantiert. Ferrando und Guglielmo in Pompeijanischer Trümmerlandschaft mit Vulkan
Aber die Regie funktioniert, und das ist ja vielleicht das Wichtigste, auch auf der unmittelbaren Handlungsebene. Die Offiziere Ferrando (mit beweglich leichtem, im Piano betörenden Tenor: Dmitri Ivantchey) und Guglielmo (mit schlankem, pointiert geführtem Bariton: Martijn Cornet) wetten bekanntlich mit dem "alten Philosophen", so die wenig aufschlussreiche Herkunftsangabe, Don Alfonso (Baurzhan Anderzhanov singt nuaciert ohne jede Spur von Altväterlichkeit), dass ihre Verlobten Fiordiligi (Tamara Banješevič mit nicht allzu großem, aber zupackendem Sopran und der erforderlichen dramatischen Attitüde) und Dorabella (sopranhell timbriert und präsent: Katrin Strobos) ihnen standhaft treu bleiben, auch wenn sie vorgaukeln, in den Krieg ziehen zu müssen, und postwendend verkleidet um die Gunst der Zurückgebliebenen werben. Kammerzofe Despina (großartig: Liliana de Sousa), deren schwarzes Mieder mit blutroter Kordel geschnürt ist, gibt eine Mischung zwischen emanzipierter Frau, koketter Verführerin und Teufelchen. Finale: Als vermeintlicher Notar soll Despina die falschen Paare verheiraten.
Aus Text und Musik wird lange nicht klar, wer eigentlich in diesem Verwechslungsspiel um wen wirbt: Stellen die beiden Herren kostümiert ihren richtigen Partnerinnen nach, oder wechseln sie über Kreuz (worauf es am Ende hinausläuft)? Auch Mozart und da Ponte waren sich da wohl unschlüssig. Sicher ist, dass die Damen ihre - bezogen auf die ursprünglichen Verhältnisse: falsche - Wahl zu Beginn des zweiten Akts treffen. Hier liegt für Regisseur Stephen Lawless ein Schlüssel: Er lässt die Herren nämlich zunächst ihre jeweiligen "richtigen" Partnerinnen anhimmeln, womit sie treu bleiben und sozusagen auf moralisch einigermaßen festem Grund stehen. Aber die Damen durchkreuzen das Spiel und kokettieren mit dem "Falschen". Und aus den vermeintlich überlegenen männlichen Spielgestaltern werden Getriebene, die ihr Handeln nicht mehr steuern können und unversehens selbst vor die Frage nach der Treue gestellt sind. Fiordiligi und Dorabella tauschen ganz offen die Kleider (und damit ihre Rollen im Beziehungsspiel), und auch als Zuschauer muss man höllisch aufpassen, um jederzeit den Überblick zu behalten. Inszeniert ist das ungemein präzise, und es gelingt der Regie, die plötzlichen Gefühlswandlungen plausibel zu machen. Und so gerät auch ganz bildlich alles aus den Fugen (das ist optisch ein wenig dick aufgetragen). Ein versöhnliches Ende ist nicht mehr möglich. Vielleicht befinden wir uns ja auch längst im Irrenhaus, das man in den am Ende verschlossenen weißen Wänden letztendlich auch sehen kann. Der von Patrick Jaskolka einstudierte Chor singt präzise von der Seite und vom Balkon. Ein paar Wackler zwischen den guten Essener Philharmonikern und der Bühne gibt es schon noch, und es liegt wohl auch an der Größe des Raumes, dass Dirigent Tomáš Netopil klanglich nicht die Pointierung und Farbigkeit erreicht, die etwa Julia Jones kurz zuvor im deutlich kleineren Haus im benachbarten Wuppertal in ihrer bemerkenswerten Figaro-Interpretation erzielte. Netopil hat seine stärksten Momente in den reflektierend ruhigen Passagen, erreicht im Pianissimo große Intensität und gewinnt den langsamen Nummern große Spannung ab, während die turbulenten Momente zwar klangschön, aber etwas pauschal bleiben.
Eine szenisch ungemein raffinierte und vielschichtige Così, musikalisch sehr achtbar. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Chor
Dramaturgie
Solisten
Fiordiligi
Dorabella
Despina
Ferrando
Guglielmo
Don Alfonso
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