Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Der Wald steht schwarz und schweiget
Von Stefan Schmöe
/
Fotos von Martin Kaufhold Die Hölle sind seit Sartre bekanntlich die anderen. Aus diesem Blickwinkel ist es plausibel, dass die Wolfsschlucht, Ort des Grauens, mitten im Dorf liegt, wo Max von den Bewohnern zuvor ziemlich aggressiv ausgelacht und verspottet worden ist. Und Samiel, der Teufel? Der steckt in jedem dieser vom Krieg traumatisierten Bewohner, und er zeigt sich am Ende der Wolfsschluchtszene da, wo man ihn am wenigsten erwartet. Das ist einer der Überraschungsmomente in der sehr konzentrierten Regie von Tatjana Gürbaca, die sich weder zeitlich noch räumlich festlegt. Eine Reihe von auf die einfache Form reduzierter schwarzer Hausfassaden, dahinter ein noch schwärzerer Vorhang aus Lamellen, der wie eine Wand das Dorf von der Welt trennt. Der deutsche Wald? Manchmal geht ein Hauch hindurch, was zu irritierenden Schattierungen führt. Es bleibt aber ein sehr finsterer Wald. Max, von der Dorfgemeinschaft verspottet
Der Freischütz gilt als deutsche Nationaloper. Wieso eigentlich? fragte ein Besucher in der vom Theater veranstalteten Gesprächsrunde nach der hier besprochenen zweiten Aufführung. Am plausibelsten argumentiert man wohl damit, dass die Uraufführung 1821 in die Zeit fiel, als das Bedürfnis nach einer Nationaloper vorhanden war, und der romantische Wald als gemeinsamer Nenner diverser deutscher Mittel- und Kleinstaaten irgendwie konsensfähig war. Besonders rühmlich ist es allerdings nicht, wie man in der Oper miteinander umgeht, und es muss schon ein Eremit ex machina auftreten, um das halbwegs glückliche Ende (an das die Regie nicht glauben mag) einzufordern. Die Regisseurin sieht das spezifisch Deutsche dieser Oper in der Fixierung auf den Krieg, und so lassen die Kostüme (Silke Willrett) raffiniert offen, ob die Geschichte 1648, 1871, 1916 oder 1939 spielt (gemeint ist sicher jeder kriegerische Konflikt auf Erden), für alles findet man subtile Hinweise. Aus der Geschichte kann man offenbar nichts lernen - oder diese Gesellschaft, in der sich natürlich unsere heutige Gesellschaft spiegelt, will nichts lernen. Max, der (als einziger aus diesem Dorf?) um den Krieg herumgekommen ist, wirkt geradezu naiv neben dem kriegserfahrenen, keineswegs unsympathischen Kaspar, der sich damit abgefunden hat, dass jedes Mittel recht sein muss zum Überleben. Und seien es die geheimnisvollen Freikugeln. Kaspar (links) und Max
Kreidezeichnungen auf den Häuserfronten (Bühne: Klaus Grünberg) zeigen alchemistische und naturwissenschaftliche Symbole und mathematisch-physikalische Formeln, Zeichen einer Weltaneignung zwischen Aberglauben und Wissenschaft, was vielleicht letztendlich beides nicht hilft. Die Gesellschaft ist erstarrt in Ritualen, in der Wolfsschluchtszene zwanghaft wiederholt. Die Atmosphäre ist durchweg düster. Tatjana Gürbaca hat das Textbuch sehr genau gelesen und hebt die Vorgeschichte hervor: Einst muss Kaspar mit Agathe verlobt gewesen sein, hat als erster Jägersbursche auch das natürliche Anrecht auf Försterstochter und Erbförsterei. Diese Dreieckskonstellation - zwei Männer rivalisieren um eine Frau - ist deutlich herausgearbeitet, wobei auch hier weniger romantische Liebe im Spiel sein dürfte als vielmehr das Kalkül um die soziale Stellung. Die präzise Personenregie sorgt für immense Spannung, wobei durch geschickte Streichungen und kleine Ergänzungen die Balance zwischen gesprochenem Text und Musik ganz ausgezeichnet gelingt - kein Wort zu viel, keines zu wenig. Dann gibt es ein subtiles Spiel mit Symbolen. Den Adler, den Max im ersten Akt mit einer von Kaspars Freikugeln schießt, ist ein in Leinen eingeschnürter Kinderleichnam, und die durchgeblutete Seite hat die gleiche Farbe wie Agathes Kleid. In dem kleinen Teich in der Mitte kann man einen Bombenkrater erahnen. Zweieinhalb Akte lang funktioniert Tatjana Gürbacas eindrucksvolles Konzept ziemlich gut, wirft sicher auch Fragen und Widersprüche auf, ist aber in jedem Moment von großer Intensität. Agathe
Schwierig bleibt das Finale. Da weicht die Regie, die bis dahin ziemlich stringent die Geschichte erzählt hat, vom Libretto ab und setzt andere Bilder dagegen: Eingefrorene Bilder mit Szenen aus Krieg und Flucht. Das sieht ein wenig so aus wie Dioramen im historischen Museum, ein wenig zu niedlich, ein wenig zu belehrend, selbst wenn auch hier keine eindeutige zeitliche Festlegung getroffen wird. Natürlich kommt Tatjana Gürbaca an Auschwitz nicht vorbei, die Einblendung eines Eisenbahngleises ist deutlich genug; gleichwohl ist es absurd, von "Holzhammermethoden" zu sprechen (wie es ein Besucher bei dem erwähnten Publikumsgespräch tat) - es bleibt bei Assoziationen, wie man auch aktuelle Flüchtlingsströme erahnen kann. Ein rein deutsches Phänomen ist Krieg eben nicht. Ob die gedachten Leitlinien von Weber und der deutschen Romantik zur Katastrophe des Nationalsozialismus bis hin zur heutigen nationalen Gemütsverfassung reichen, ob der Ansatz nicht doch ein wenig zu eindimensional gedacht ist - das steht auf einem anderen Blatt. Eine Operninszenierung ist allerdings auch kein geschichtswissenschaftlicher Diskurs, und das will die Inszenierung auch nicht sein, sondern sie will unmittelbar packendes Theater mit vielfältigen Assoziationen präsentieren. Das gelingt auf sehr hohem Niveau. Am Finale sind andere Regisseure schon weit kläglicher gescheitert. Max in der Wolfsschlucht
Essens Generalmusikdirektor Tomáš Netopil interpretiert mit den sehr guten Essener Philharmonikern und dem klangprächtigen, im Tempo allerdings nicht immer ganz präzisen Chor und Extrachor die Partitur flott und unprätentiös und vermeidet den gefährlichen Singspielton, der im Hintergrund lauert - so werden die beiden verspielten Arien des Ännchen deutlich aufgewertet, die Chöre verlieren sich nicht in Folklore, und die großen Szenen von Max und Agathe erhalten (sängerfreundlich begleitet) das entsprechende Gewicht. Das ist nicht immer spektakulär, stellt sich aber sehr bedacht in den Dienst der Szene und hat Hand und Fuß. Maximilian Schmitt singt den Max mit der Eleganz eines Mozarttenors; ganz ohne Wackler bewältigt er die tückische Partie nicht und die Stimme besitzt auch nicht die ganz große Strahlkraft, was der Figurenzeichnung durchaus entgegenkommt. Mit immer ein wenig flackerndem Sopran gestaltet Jessica Muirhead die Agathe mit tragfähigem Piano und Pianissimo ungemein intensiv. Heiko Trinsinger ist ein vergleichsweise hell timbrierter, sehr präsenter Kaspar, und Tamara Banješević gibt dem Ännchen gleichermaßen Koketterie und Statur deutlich über Soubrettenharmlosigkeit hinaus. Mit Albrecht Kludszuweit (Kilian), David Pichlmaier (für den erkrankten Martijn Cornet als Fürst Ottokar eingesprungen), Karel Martin Ludvik (Erbförster Kuno) und Tijl Faveyts (Eremit) sowie Uta Schwarzkopf und Helga Wächter (Brautjungfern) sind auch die kleineren Partien sehr ordentlich besetzt.
Wo andere Regisseure sich mit Ironie aus der Affäre zu ziehen versuchen, nimmt Tatjana Gürbaca den Freischütz als Zerrbild einer Gesellschaft im Dauerkriegsmodus todernst - auch wenn nicht alles widerspruchsfrei überzeugt, wird das zu einer beklemmend fesselnden Interpretation auf sehr hohem musikalischen Niveau. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Licht
Kostüme
Mitarbeit Bühne
Mitarbeit Kostüm
Chor
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Ottokar, böhmischer Fürst
Kuno, Erbförster
Agathe, seine Tochter
Ännchen, eine junge Verwandte
Kaspar, 1. Jägerbursche
Max, 2. Jägerbursche
Ein Eremit
Kilian, ein reicher Bauer
Zwei Brautjungfern
|
© 2018 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de