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Medea

Oper in vier Bildern
Libretto vom Komponisten nach Franz Grillparzers gleichnamigem Schauspiel
Musik von Aribert Reimann

in deutscher Sprache mit Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 30' (eine Pause)

Premiere im Aalto-Theater Essen am 23. März 2019
(rezensierte Aufführung: 28. März 2019)


Logo:  Theater Essen

Theater Essen
(Homepage)
Szenen einer gescheiterten Ehe

Von Stefan Schmöe / Fotos von Monika und Karl Forster

Man möchte auf mildernde Umstände plädieren. Nicht nur für den Mord an der unsympathischen Nebenbuhlerin Kreusa, sogar für die Tötung der beiden eigenen Kinder. Wobei das Programmheft in dieser Sache ein wenig über das Ziel hinaus schießt, wenn es Mutterschaft und Mutterliebe als kulturellen Konstrukt des bürgerlichen Zeitalters interpretiert. Aber solche provokanten Positionen wollen vielleicht weniger beim Wort genommen werden als vielmehr den Blickwinkel erweitern. Der Mord an den Kindern wird in Franz Grillparzers Medea-Drama und der Vertonung von Aribert Reimann auf Medeas psychologische Motive hin befragt. Die ist keineswegs eine Furie, sondern kalkulierende Täterin und Opfer zugleich.

Vergrößerung in neuem Fenster Familie auf der Flucht: Jason, Medea und ihre beiden Söhne (Foto: Monika Forster)

Doch der Reihe nach: Medea sucht mit Jason und den beiden gemeinsamen Kindern Schutz in Korinth, weil sie (fälschlich) des Königsmords angeklagt sind. Diesen Schutz will Kreon, Herrscher von Korinth, nur Jason und den Kindern gewähren, nicht der fremdländischen Zauberin Medea, deren Verbindung zu Jason die einst geplante Vermählung von Kreons Tochter Kreusa mit Jason scheitern ließ. Medea wird verstoßen, Jason arrangiert sich erneut mit Kreusa, und keines der Kinder will der Mutter folgen - was zum erwähnten Dreifachmord führt. Eine Konstellation für ein bürgerliches Trauerspiel also - wäre Medea nicht mit übernatürlichen Fähigkeiten ausgestattet und hätte nicht Jason geholfen, das "goldene Vlies" zu erobern, Sinnbild für Macht und, weil diesem Vlies ein Fluch anhängt, für Untergang (man erkennt schnell die Parallelen zu Wagners fluchbeladenem Ring des Nibelungen).

Szenenfoto

In Kreons Palast: Oben Kreon und Jason, unten Kreusa und Medea (Foto: Karl Forster)

Komponist Aribert Reimann selbst hat Franz Grillparzers Drama Medea, das den Abschluss der 1820 vollendeten Trilogie Das goldene Vlies bildet, zum Libretto verdichtet. Reimannns melismatischer Gesangsstil unterstreicht dabei den gleichermaßen kunstvollen wie prägnanten Sprachstil - man muss sich ein wenig einhören in diese sorgfältig ausformulierten Gesangslinien, die jedem Wort Bedeutung verleihen. Die Musik illustriert nicht, schafft weniger eine emotionale dramatische Zuspitzung als mehr Klangräume, die die Figuren umgeben - am Offensichtlichsten in der Figur der ein wenig kapriziösen Kreusa, die mit einer kalt-silbrigen Aura aus Harfe und Celesta umgeben ist. Weil die Musik ihre eigene Zeit einfordert, betont sie weniger den unmittelbaren Affekt, als dass sie Querbezüge schafft. Der neu verpflichtete erste Kapellmeister Robert Jindra setzt das mit denen an diesem Abend ausgezeichneten Essener Philharmonikern ganz hervorragend um. Die Musik klingt kammermusikalisch klar, trotz großem Orchester nie massig, die Sänger werden nicht zugedeckt. Jindra interpretiert die Partitur sachlich, fast nüchtern, schichtet behutsam die registerartigen Klangflächen übereinander und stellt eben die kunstvolle Distanz her, die diese intellektuell reflektierte Medea vom Opernschocker trennt.

Vergrößerung in neuem Fenster Man sieht schon an der Farbe, dass Medea zunehmend in die Isolation gerät: Medea, ihre beiden Söhne, oben Kreon und Kreusa, rechts Jason (Foto: Monika Forster)

Regisseur Kay Link balanciert die Oper in klaren, prägnanten Bildern aus zwischen wuchtigem Antikendrama und moderner Ehetragödie. In den zunächst leeren Bühnenraum fährt ein abstrakter Palast herein, der sich nach Drehung als veritables Einfamilienhaus von nicht ganz billiger Architektur deuten lässt (Ausstattung: Frank Albert). Medea in Rot (leider im unvorteilhaften Hosenanzug), ihre Söhne in Rotbraun, Jason in Grün und Gora, Medeas Amme und Vertraute, in Braun setzen sich zunächst deutlich ab vom Blau Kreons und Kreusas - wenn Jason und seine Söhne sich ebenfalls in diesem Blau kleiden, wird in elementarer Bildsprache der Frontenwechsel und Medeas Isolation deutlich. Die Charaktere werden bewusst holzschnittartig gezeichnet. Machtmensch Kreon etwa verfüttert wiederholt Fleischstücke an offenbar sehr gefräßige (unsichtbare) Tiere - in deren Verschlag wird später der Bote, der die Nachricht von Jasons und Medeas Verurteilung verkündet, kurzerhand entsorgt. Ein wenig differenzierter dürfte indes die Personenregie sein.

Szenenfoto

Der tödliche Brandanschlag auf Kreusa (Foto: Karl Forster)

Link widersteht der Versuchung einer Überpointierung. Tatsächlich gibt es einzelne Passagen von geradezu überrumpelnder Aktualität wie etwa Jasons Aufforderung an Medea, das Kopftuch abzulegen und sich den Sitten des Gastlandes anzupassen. Link lässt die Passage im Raum stehen (ohnehin wird jeder Zuschauer die Brisanz erkennen). Die Ermordung der Kinder geschieht hinter der Szene - vielleicht gibt es gar keinen realen Mord, sondern nur einen symbolischen - eine emotionale Ablösung Medeas? Die Stärke der Regie liegt in ihrer Vielschichtigkeit, die mit eindrucksvollen Bildern Assoziationen in verschiedene Richtungen zulässt, aber nicht aufdrängt.

Vergrößerung in neuem Fenster Medea mit dem fluchbeladenen goldenen Vlies (Foto: Monika Forster)

Claudia Barainsky hat die Titelpartie bereits 2010 bei der deutschen Erstaufführung in Frankfurt gesungen und bewältigt die vertrackten, gleichwohl (nach ihrer Aussage) sehr gut singbare zerklüftete Riesenpartie mit bestechender Sicherheit und Selbstverständlichkeit. Ein klein wenig fehlt ihrer Stimme an dramatischer Spitze. Bariton Sebastian Noack ist ein großartiger, gleichermaßen kraftvoller wie klangschöner Jason. Liliana de Sousa bewältigt souverän die Koloraturen der Kreusa, Rainer Maria Röhr gibt Vater Kreon mit nicht zu scharfem und nicht zu leichtem Charaktertenor. Marie-Helen Joël als warm- und volltönende Amme Gora und Countertenor Hagen Matzeit als markant-präsenter Bote runden ein ausgezeichnetes Ensemble ab.


FAZIT

Reimanns kühl-grandiose Medea wird in faszinierenden Bildern und auf musikalisch eindrucksvollem Niveau in den Rang eines modernen Klassikers erhoben - ein Ereignis.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Robert Jindra

Inszenierung
Kay Link

Bühne, Kostüme, Video
Frank Albert

Choreographische Mitarbeit
Julia Schalitz

Dramaturgie
Christian Schröder



Statisterie des Aalto-Theaters

Essener Philharmoniker


Solisten

Medea
Claudia Barainsky

Gora, ihre Amme
Marie-Helen Joël

Jason
Sebastian Noack

Kreon, König von Korinth
Rainer Maria Röhr

Kreusa, seine Tochter
Liliana de Sousa

Ein Herold
Hagen Matzeit






Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Aalto Musiktheater
(Homepage)




Da capo al Fine

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