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Vertanzter Genre-Mix Von Thomas Molke / Fotos von Bettina Stöß Nachdem Ben Van Cauwenbergh vor elf Jahren die Herzen des Essener Ballettpublikums vor allem mit Themenabenden wie La vie en rose, einer Liebeserklärung an das französische Chanson, und der Tanzhommage an Queen im Sturm erobert hat, studiert er nun einen Abend neu ein, der in seiner Zeit in Wiesbaden 1995 gemeinsam mit der deutschen Rockband Mallet entstand und dort über elf Jahre als eine der erfolgreichsten Ballettproduktionen des Hauses lief: Rock Around Barock. Van Cauwenbergh war auf die 1979 gegründete Wiesbadener Band in seiner Zeit als Ballettdirektor und Chefchoreograph am Staatstheater aufmerksam geworden und hatte Interesse an einer Zusammenarbeit geäußert. Gemeinsam entwickelten sie ein Rockballett, das sie anschließend auch in Gastspielen unter anderem in Frankreich und Spanien als Publikumsrenner präsentierten. Nun hat Van Cauwenbergh Mallet zu einer Neueinstudierung mit der Essener Compagnie überzeugen können. Es bleibt abzuwarten, ob das Stück in Essen ebenfalls so lange im Repertoire bleiben wird. Gemessen an der Begeisterung des Publikums in der zweiten nahezu ausverkauften Vorstellung wäre das durchaus vorstellbar. Von links: Aidos Zakan, Dale Rhodes, Denis Untila und Ige Cornelis als Beatles Im Titel treffen zwei recht unterschiedliche Genre aufeinander, die mehr gemeinsam haben, als man auf den ersten Blick vielleicht vermutet. Die Barockmusik hat im 18. Jahrhundert mit den Starkastraten einen ähnlichen Hype ausgelöst wie die Anfänge der Rock-Musik in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts, mit der sich eine neue Musikgeneration vor allem von verkrusteten Strukturen befreien wollte. Während allerdings die Barockmusik zunächst vor allem dem Amüsement erlauchter adeliger Kreise gedacht war, galt die Rockmusik schon immer als "Musik des Volkes". Dieser Kontrast wird auch zu Beginn des Abends sehr augenscheinlich herausgearbeitet. Als Vorhang fungiert ein riesiger Prospekt, der mit kräftigen Farben an eine barocke Wandmalerei erinnert. Yegor Hordiyenko tritt als Bühnenmeister mit weißer Perücke und feinem Barockkostüm auf und wirkt wie seine drei Gehilfen Ige Cornelis, Moisés León Noriega und Denis Untila zunächst recht "angestaubt". Heribert Feckler und Florian Hoheisel betreten ebenfalls im Barockkostüm den Orchestergraben und beginnen am Cembalo und Violoncello mit Arcangelo Corellis "Trio", bei dem sich die vier Tänzer austauschen. Der Vorhang hebt sich und gibt den Blick auf eine Ballettstange frei, an der Tänzerinnen und Tänzer zu Johann Sebastian Bachs "C-Moll-Präludium" trainieren. Es kommt zum Streit zwischen den vier Figuren der Vergangenheit über die Sinnhaftigkeit des Tanzes. Kampf der Geschlechter bei "I don't want to be loved by you": Adeline Pastor und Davit Jeyranyan Nach einer betörend schönen Klassik Pas de trois-Probe auf Spitze mit Yurie Matsuura, Ige Cornelis und Artem Sorochan unterbricht die Rockband Mallet das "harmonische" Spiel mit einem eigenen Song, der wohl als Reaktion auf Marilyn Monroes berühmten Song "I wanna be loved by you" verstanden werden kann. Adeline Pastor und Davit Jeyranyan tragen in einem expressiven modernen Pas de deux einen regelrechten Geschlechterkampf aus. Danach folgen unterschiedliche Szenen, die verschiedene Stilrichtungen des Rock durchleuchten. Insgesamt präsentiert die Band Mallet vier eigene Lieder neben zahlreichen gecoverten Songs, in denen Jürgen Rehberg mit markanter dunkler Stimme begeistert. Die einzelnen Songs werden vom Ensemble oder kleineren Gruppen ausdrucksstark umgesetzt. Da ist beispielsweise ein großartiges Beatles-Medley zu nennen, in dem Ige Cornelis, Dale Rhodes, Denis Untila und Aidos Zakan als "Pilzköpfe" begeistern. Adeline Pastor glänzt durch atemberaubende kraftvolle Drehungen, in denen sie wie ein Wirbelwind über die Bühne fegt. Auch stimmlich kann sie nach ihrer Darbietung als Edith Piaf in La Vie en rose überzeugen, wenn sie gemeinsam mit Heribert Feckler Kris Kristoffersons "Help me through the night" präsentiert. Yegor Hordiyenko punktet mit großartiger Komik beim legendären "Wonderful". Denis Untila schwebt bei "Sailing" durch die Luft. Während man sich bis zur Pause im Großen und Ganzen auf Rock und Barock beschränkt, kommen im zweiten Teil Musikrichtungen hinzu, mit denen man in diesem Zusammenhang vielleicht nicht gerechnet hätte. Zu nennen sind hier lateinamerikanische und spanische Rhythmen. Zunächst präsentieren Yusleimy Herrera León, Yurie Matsuura und Yanelis Rodriguez ihr feuriges Temperament bei einem Flamenco, bevor Artem Sorochan mit den drei Tänzerinnen bei einem leidenschaftlichen Tango von Astor Piazzolla überzeugt. Recht abstrakt wird das Stück "Garb" umgesetzt, bei dem die Tänzerinnen und Tänzer mit den Dimensionen der Bühne spielen und auf der einen Seite etwas auftauchen lassen, was auf der anderen Seite kurz zuvor verschwunden ist. Das Bühnenbild arbeitet im zweiten Teil vor allem mit einer weißen Leinwand und eindrucksvollen Projektionen. Großartig gelingt die Choreographie zu "Sailing" von Rod Stewart. Vor den projizierten Wogen des Meeres schwebt Denis Untila scheinbar schwerelos an einem aus dem Schnürboden herabhängenden Segel über die Bühne. Yanelis Rodriguez und Yegor Hordiyenko bei "Whiter Shade of Pale", rechts hinten: Jürgen Rehberg Die Rockband Mallet sorgt im zweiten Teil vor allem für komische Momente. Wenn Drummer Mario Gerhards sein Faible für Western erläutert, klopft er scheinbar mit zwei Stöcken auf seinem Kopf die Melodie zu "Bonanza". Yegor Hordiyenko tobt dabei als Cowboy ausgelassen durch die Prärie. Auch das Publikum wird von der Band einbezogen. So studiert Rehberg mit den Zuschauern den Jingle aus Ennio Morricones "The good, the bad and the ugly" ein, und lässt das Publikum in zwei Gruppen die Melodie singen. Die Zuschauer lassen sich begeistert auf das Spiel ein. Musikalisch großartig gelingt am Ende der Übergang von dem großen Hit der Rockband Procol Harum, "Whiter Shade of Pale", zu Johann Sebastian Bachs "Air", dessen Einflüsse in dem Rocksong deutlich hörbar sind. Yanelis Rodriguez und Yegor Hordiyenko überzeugen mit einem eindrucksvollen Pas de deux, bis der Bogen zur Barockmusik mit Bach wieder geschlossen wird und der Vorhang vom Anfang des Abends wieder heruntergelassen wird. Der Bühnenmeister erscheint erneut mit seinen drei Gehilfen, allerdings jetzt ohne Perücken. Der Vorhang fällt herab, und Rehberg tritt mit weißer Perücke von hinten auf. Ob Gerhard Wendlands "Tanze mit mir in den Morgen" als Persiflage verstanden werden soll, bleibt offen. Das Publikum bedankt sich mit frenetischem Applaus, so dass die Band sich nicht lumpen lässt und noch eine Zugabe gibt. Gemeinsam mit dem Publikum singt Rehberg "Hit the Road, Jack" von Ray Charles und heizt die Zuschauer zu einem ausgelassenen "No more, no more, no more, no more" an, auch wenn es für die meisten sicherlich noch eine Weile so hätte weitergehen können. FAZIT Dieser Ballettabend hat mit dem bunten Stilmix von Barock bis zu Rock, unterhaltsamem Tanz und einer charismatischen Band das Potenzial, ein gefeierter Dauerbrenner im Ballettrepertoire zu werden. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Konzept, Choreographie, Bühne,
Licht
Dramaturgie
Rockband Mallet
Violoncello
Bühnenmeister
Trio
Alfonsina
I don't want to be loved by you
Wonderful
Help me make it through the night
Beatles-Medley
Out of my mind
Ik wil deze nacht in de straten verdwalen
Gas Gas
Tomorrow
Breakdance
Why can't you follow me
Bonanza
Cowboy
Flamma 1
Flamma 2
New Flamenco
Tango
Garb
KoniJo
Marooned
Sailing
Yo Yo Ma /Bobby McFerrin
Whiter Shade of Pale
Air Johann Sebastian Bach / Finale
Weitere Ensemblemitglieder
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