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Giselle

Handlungsballett in zwei Akten
Libretto von Théophile Gautier und Jules-Henri Vernoy de Saint-Georges
Musik von Adolphe Adams
Bearbeitung von David Garforth (2011)
Choreographie von Silvana Schröder

mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 30' (eine Pause)

Koproduktion zwischen dem Theater Erfurt und dem Thüringer Staatsballett von Theater&Philharmonie Thüringen
Premiere im Großen Haus des Theaters Erfurt am 10. November 2018
(rezensierte Aufführung: 14. November 2018)


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Theater Erfurt
(Homepage)

Tanzen kann tödlich sein

Von Joachim Lange / Fotos von Lutz Edelhoff / © Theater Erfurt

"Brüderchen, komm tanz' mit mir", singt Gretel, um ihren Bruder Hänsel aufzumuntern. Wenn Giselle eine solche Aufforderung tanzt, und sich ein Mann darauf einlässt, dann kann das tödlich enden. Für die Männer. Ganz egal, ob es Hilario (hier der Bruder) oder beinahe auch ihren Freund Albrecht trifft. Bei der Neubearbeitung des Ballettklassikers Giselle durch die Chefin des Thüringer Staatsballetts Gera geht es, romantischer Klassiker hin oder her, zur Sache. Es beginnt im Kinderzimmer mit einem harmlosen "Guten Abend, Gute Nacht" aus der Spieldose mit einer tanzenden Ballerina. Und es endet, wenn das monströse Kinderzimmer gänzlich surreal auf die Seite gekippt ist, in einem Blutbad und im Wahnsinn. Das Bühnenbild von Verena Hemmerlein liefert mit der imaginierten Übergröße des Raumes und dann mit seiner 90-Grad-Drehung auf die Seite einen alptraumhaften Rahmen. Da brauchts keine Videos oder Trash-Zutaten, da reichen atmosphärische Beleuchtungswechsel und etwas Bühnennebel.

Szenenfoto

Durch die Geschichte von Giselle und ihrer unglücklichen Liebe geistern ursprünglich die Wilis, tanzende Luftgeister. Das sind junge Frauen, die vor ihrer Hochzeit gestorben sind und in der Nacht treulose Männer zu Tode tanzen. Die romantische Giselle-Musik von Adolphe Adam aus dem Jahre 1841, die die Philharmonie Erfurt unter der Leitung von Takahiro Nagasaki flott und froh, schwungvoll und melodiös, auch mal marschierend aus dem Graben aufsteigen lässt, liefert der Bewegung der Tänzer Antrieb und Futter. Durchaus in einem Spannungsverhältnis zur Musik entfaltet sich auf der Bühne die ins Märchenhafte gekleidete Geschichte als das Psychogramm eines Mädchens an der Schwelle zum Erwachsenwerden, die genau daran scheitert. An sich selbst und an der Erschütterung einer ersten Liebe, die nicht erwidert wird, an der Lust auf Selbsterkundung, am Druck, der von einer ehrgeizigen Mutter kommt. Sie reagiert nicht mit Anpassung und Entwicklung, sondern mit Suchtverhalten und einer letztlich mörderischen Zerstörungswut. Das ungefähr sieht man. Sie wird von Anfang an von schwarzen Gestalten bedrängt. Sie lauern unter dem Bett oder hinter der Riesentür, an deren Klinke das Mädchen gerade so heranreicht. Vor allem die düster schwarze Mutter-Gestalt zu der die Königin der Willi (Myrtha) hier wird, ist furchterregend, fordernd. Alina Dogodina tanzt sie mit großer eleganter Geste.

Szenenfoto

Silvana Schröder hat zwar nicht die Giselle, wie sie beim Librettisten Théophile Gautier im Buche steht, erzählt, dafür einen durchaus lebens- und gegenwartsnäheren Thriller. Ästhetisch in sich geschlossen. Mit solistischer Virtuosität und beachtlicher Ensemble-Disziplin. Und doch nicht mutwillig gegen die Vorlage, sondern in einem höheren Sinn auf deren Kern zielend. Dieser Zugang ist eine beachtliche dramaturgische Kunstleistung der Choreographin. Und im Detail eine Glanzleistung ihrer Tänzerinnen und Tänzer. Neben den Solistinnen sind es die, durch junge Elevinnen ergänzten, Tänzerinnen des Corps de ballet im klassischen weißen Tüll und der männlichen gesichtslosen Tänzer als geheimnisvoll schwarz verhüllte Wiedergänger der Schreckensmutter.

Szenenfoto

Vor allem die Solistin Daria Suzi als Giselle nutzt ihren enormen Spielraum, beim Ausgestalten einer Abwärtsspirale in den Wahnsinn. Auf dem Weg dahin vervielfacht sie sich. Auf bis zu zehn zombiehafte Wiedergängerinnen mit schwarz auslaufenden Augenhöhlen. Diese vielen Ichs fallen wie die Bachantinnen über Giselles Bruder Hilarion (verspielt und sympathisch, doch dominierend: Vinicius Leme) her. Fast genauso brutal geht es dem in eine andere Frau verliebten Albrecht an den Kragen. Auf ihn erhebt Giselle Besitzansprüche und setzt die in einen verschärften Fall von Stalking um. Wenn Albrechts Verlobte Bathilde (Carolina Micone) auftaucht und ihr die Hand reichen will, wird Giselle aggressiv und Albert hat sie im wahrsten Sinne des Wortes an der Hacke. Filip Kvačák glänzt als Albert mit seiner Präsenz und hat ein furioses Solo als Betrunkener. Giselle verletzt ihn schwer, erlegt ihn gleichsam, um ihn zu besitzen. Gut gehen kann das nur solange, bis die Sanitäter kommen. Für welche Arten von Monstern Giselle die Männer in ihrem Wahn allerdings hält, das bleibt ihr Geheimnis. Wie Silvana Schröder klassisches Ballett und zeitgenössisches Tanztheater verbindet, das ist faszinierend. Das Publikum in Erfurt war jedenfalls auch in der zweiten Vorstellung vor vollem Haus begeistert.

FAZIT

Den Ballett-Klassiker Giselle gibt es jetzt bei Silvana Schröder und dem Thüringer Staatsballett Gera in einer Koproduktion mit dem Theater Erfurt als packenden Psychothriller.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Takahiro Nagasaki

Inszenierung / Choreographie
Silvana Schröder

Ausstattung
Verena Hemmerlein

Licht
Torsten Bante

Dramaturgie
Franziska Mölle
Daniel Siekhaus
Larissa Wieczorek


Solisten, Corps de ballet und Balletteleven
des Thüringer Staatsballetts

Philharmonisches Orchester Erfurt


Solisten

Giselle
Daria Suzi

Albrecht
Filip Kvačák

Hilarion
Vinicius Leme

Mutter
Alina Dogodina

Bathilde
Carolina Micone


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Erfurt
(Homepage)



Da capo al Fine

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