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Erkenne dich selbst! Von Christoph Wurzel / Fotos von Monika Rittershaus Man stelle sich eine impressionistisch schillernde Klangpalette à la Debussy vor, dazu die überbordende Orchesteropulenz eines Richard Strauss gepaart mit der eruptiven Klangekstase Alexander Skjabins, dann bekommt man etwa eine Vorstellung von dem Klangzauber, den Karol Szymanowski in seiner Oper Król Roger entfaltet - eine Musik die etwas Magisches hat, sagt Sylvain Cambreling, der Dirigent dieser Frankfurter Neuproduktion. Und davon wird viel spürbar an diesem Abend. Sei es die ehrfürchtig sakrale Stimmung, wenn noch bevor der Vorhang sich hebt, der Chor a capella und pianissimo einen alten Kirchenhymnus anstimmt. Dasselbe Kirchenvolk wird sich wenig später, begleitet von chaotischen Klangclustern des Orchesters zu dramatischen Hassausbrüchen hinreißen lassen. Orgiastische Tänze in orientalischem Kolorit sind die Höhepunkte des zweiten Akts. Dagegen ist grüblerische Schwere stimmungsprägend im dritten Akt. Das sind 90 Minuten hochspannender Musik-Erzählung von schier unerschöpflichem Reichtum an Klängen und Formen musikalischer Phantasie, die Assoziationen auslösen, die über die spärliche äußere Handlung dieser Oper hinein ins Innere der Figuren führen, vor allem der Titelfigur, des König Roger von Sizilien. Der polnische Bassbariton Łukasz Goliński als König Roger Dabei ist dieser historische Herrscher des mittelalterlichen Normannenreichs nur die Folie für eine Opernfigur, die stark autobiografische Züge des Komponisten trägt, der auch maßgeblich am Libretto seines Vetters Jarosław Iwaszkiewicz mitgewirkt hat. Es geht um den Prozess eines inneren Ringens um Selbstvergewisserung. Im zutiefst christlichen Reich Rogers taucht ein Hirte als wundersamer Prediger auf, der ein anderes Gottesbild preist, eines der Jugend, der Schönheit und der Lebenslust. Die Vertreter der religiösen Orthodoxie und das ihnen ergebene Volk fordern seine Hinrichtung. Rogers Frau Roxane aber fühlt sich zu diesem Mann hingezogen. Roger selbst wird von seiner Ausstrahlung so sehr verunsichert, dass er ihn in seinen Palast einlädt, um ihn näher zu befragen. Da er sich dessen lockenden Worten aber nicht entziehen kann und Roxane zudem dem Hirten immer mehr verfällt, will er ihn festnehmen lassen. Auf magische Weise erweist der Fremde sich aber als unantastbar. Resigniert und schwer grübelnd bleibt Roger zurück, bis er innerlich die Macht dieses Propheten der Sinnlichkeit anerkennt und in einem hymnischen Gesang die Sonne, d.h. die Erleuchtung preist.
In Frankfurt
stehen besonders für diese drei Hauptrollen hervorragende
Sängerdarsteller zur Verfügung. Łukasz Goliński, der die Rolle König
Rogers bereits mehrfach international verkörperte, macht die inneren
Kämpfe der Titelfigur prägnant spürbar, für seine Hilflosigkeit
gegenüber den Verlockungen des Hirten und seine flehentlichen Rufe nach
Roxane nutzt der Sänger stark expressive Farben. Bis zum
erlösenden Schlussgesang an die Sonne ist diese Partie weitgehend
rezitatorisch, während Roxane in weit gespannten lyrischen Melodiebögen
ihre wachsenden Anziehung durch den Hirten bis hin zu einem fast
ekstatischen, zart von der Flöte umspielten Lied deutlich erkennen
lässt. Sydney Mancasola aus dem Frankfurter Ensemble singt diese
Partie ausnehmend schön und mit strahlender Höhe und reinem,
vibratoarmem Ton. Der verführerischen Rolle des Hirten gibt Gerard
Schneider (ebenfalls Ensemblemitglied in Frankfurt) beeindruckend
Profil. Unter dem ansonsten in strenges, elegantes Schwarz gekleideten
Personal sticht er schon durch seinen weißen, leger getragenen
Leinenanzug hervor. Und seine lyrischen Gesangslinien singt Schneider
entsprechend seiner Rolle als erotischer Verführer mit betörend
intensiver Sinnlichkeit. Gerard Schneider als Prophet der Lebensfreude und Sinnlichkeit (mit Roger als Kind: Filip Niewiadomski, links) Sylvain Cambreling lässt der Musik den nötigen Raum zur Entfaltung, das Orchester hielt am Premierabend sein gewohntes hohes Niveau an Klangschönheit und technischer Perfektion. Allein wirkte die betörende Magie, die irisierende Verzauberung, die von dieser Musik ausgehen kann, die luxuriöse Eleganz des orientalischen Kolorits aber auch das sinnliche Feuer der ekstatischen Ausbrüche unter Cambrelings Leitung doch etwas zu kontrolliert. An Transparenz, Plastizität und subtilerer Ausgestaltung der Klangfarben hätte es noch Luft nach oben gegeben.
Die Regie von
Johannes Erath setzt zu der emotionalisierenden Musik einen
deutlichen Gegenpol. In dem in strenger Schwarz-weiß-Optik gehaltenen
absolut abstrakten Raum von Johannes Leiacker erzählt Erath die
Handlung einerseits deutlich und in präziser Personenregie, reichert
sie aber mit zahlreichen Symbolen an, die versteckte Hinweise für eine
Deutung der Handlung geben. Sydney Mancasola als Roxane (und Statisterie)
Behutsam weist
Eraths Inszenierung in diese Richtung, wenn er als deutlichste Zeichen
die Rollen des Erzbischofs und der Diakonissin aus dem 1. Akt später
gleichsam wie Elternfiguren agieren lässt, die Rogers zaghafter Öffnung
gegenüber den Verlockungen des Hirten strafend begegnen. Hinzugefügt
hat die Regie einen Jungen, der sich spontan und frei dem Hirten
anvertraut, so als sei er ein Wunschbild dafür, wozu der erwachsene
König selbst nicht imstande ist. Im zweiten Akt, wenn Roger sich der
erotischen Macht des Hirten hilflos ausgesetzt sieht und zudem ein
gleichsam ritueller Beischlaf Roxanes mit dem Idol angedeutet wird,
liegen bis auf einen Lendenschurz unbekleidete gefesselte Jünglinge am
Boden. Ein großer Spiegel im ersten Akt und der wie ein Netz
ausgeworfene Umhang des Hirten scheinen in dieselbe Richtung zu deuten.
Die wenigen auf die Rückwand projizierten Videos verstärken die
sinnlich lockende Macht, denen diese innerlich verkapselte Figur König
Rogers ausgesetzt ist. Recht unvermittelt allerdings kommt dann der
Wandel am Schluss. Dieser ist vor allem in der Musik nachzuvollziehen. FAZIT
Musik und Handlung lohnen diese Entdeckung, auch wenn die abstrakt
kühle Optik der Szene gewöhnungsbedürftig ist.
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ProduktionsteamMusikalische Leitung Regie Bühnenbild Kostüme Licht Video Chor und Extrachor Kinderchor Dramaturgie
Frankfurter Opern- und
Chor, Extrachor, Kinderchor und SolistenKönig Roger Roxana Der Hirte Edrisi Der Erzbischof Die Diakonissin Kind
*stumme Rolle /
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