Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Die Macht des Rassismus
Von Roberto Becker
/
Fotos von Monika Rittershaus Tobias Kratzer ist einer, der als Regisseur überlieferte Geschichten gerne genau und neu liest. Er kommt dabei manchmal zu völlig auf der Hand liegenden szenischen Lösungen. Etwa bei seinem Propheten in Karlsruhe oder Hoffmanns Erzählungen in Amsterdam. Manchmal aber auch zu verblüffenden Resultaten - wie mit der Weltraumversion der Afrikanerin in Frankfurt. Dabei ist noch jeder Zugang spannend, weil Kratzer mit all seiner entfesselten szenischen Fantasie nie das Stück und die Musik aus den Augen verliert. Dopplung und Umkehr - der Anfang auf der Bühne und im Film
Mit der jüngsten Inszenierung von Verdis La Forza del destino gelingt ihm das Kunststück, über einen ziemlich weiten inhaltlichen und zeitlichen Umweg im Grunde punktgenauer im Zentrum des Werkes zu landen, als man es gemein hin auf der Bühne erleben kann. Er hat die krude Story nach Ansatzpunkten abgeklopft, die auf einen internalisierten Rassismus verweisen, und konsequent als eine Geschichte des Rassismus in den USA erzählt. Das wirkt in der Wahl der ästhetischen Mittel ungewöhnlich und trifft in der deutlichen politischen Aussage nicht nur auf Zustimmung beim Premierenpublikum. Kratzer, Rainer Sellmaier (Ausstattung) und Manuel Braun (Video) ziehen allerdings auch alle metaphorischen Register. Von der Peitsche des Sklavenhalters in den Südstaaten der Bürgerkriegszeit über die enthemmten Konföderierten, die in einem Saloon auf einen Aufsteller mit dem Antlitz des Präsidenten Abraham Lincoln schießen, über die Spitzhüte des Ku-Klux-Klan bis hin zu den GI's, die im Vietnamkrieg zu ihrem Vergnügen Vietcongs abschießen. Das ist schon harte Kost. Aber es ist nie gegen die Vorlage von Verdi. Weder gegen die Geschichte noch gegen die Musik. Die Konföderierten feiern
Wenn das Verhängnis beginnt, also die Waffe des fremdländisch südamerikanischen Liebhabers von Leonora, Don Alvaro, aus Versehen losgeht, dann schafft Kratzer durch eine filmische Dopplung der Szene genau den Abstand, der zum Nachdenken darüber zwingt, ob es hier lediglich um einen Zufall beim Umgang mit einer geladenen Pistole geht, oder nicht doch eher um das Brodeln tief verwurzelter Ressentiments. Im Film wird im typischen Südstaatenambiente die Geschichte einer Liebe zwischen einer weißen Frau - man darf unterstellen, dass sie auf einer Plantage lebt, auf der schwarze Sklaven arbeiten - und einem Schwarzen erzählt. Der Vater kommt dazu und der vorgesehene Schuss löst sich. Auf der fast leeren Bühne bewegen sich die Sänger parallel dazu - hier verhält es sich mit der Konstellation der Hauptfarbe genau umgekehrt. Mit diesem Verfremdungstrick schließt Kratzer am Ende das Historienpanorama wieder. Da ist es ein tristes Motelzimmer von heute, irgendwo in dem Teil der Vereinigten Staaten, wo der Polizistencolt besonders locker sitzt, wenn farbige Amerikaner, aus welchen Gründen auch immer, ins Visier geraten. Rataplan als Truppenbetreuung in Vietnam
Am pointiertesten fallen die Kriegsszenen aus. Die spielen im Dschungel von Vietnam. Im Video wuchert das Grün ebenso üppig wie sich in einem der berühmtesten Bilder der jüngeren Filmgeschichte die Kampfhubschrauber nähern. In einer Formation, zu der der Walkürenritt wie in Francis Ford Coppolas Apocalypse Now als Erinnerung aufsteigt. Aber auch das sonst immer etwas isoliert ausbrechende "Rataplan" taugt als Begleitmusik fürs Aufputschen der Truppen. Als patriotische, playboykompatible Truppenbetreuerin animiert Preziosilla (inspiriert von Michael Ciminos Film The Deer Hunter) die Soldaten zu einer Runde "Russisches Roulette". Hier geht Kratzer am weitesten, wenn dazu "echte" Vietnamesen zusammengetrieben werden und dann der Schwarze in der Truppe gezwungen wird, einen von ihnen zu erschießen. Doppelter Rassismus als szenisches Ausrufezeichen, das obendrein an das berühmte Kriegsfoto erinnert, auf dem der Polizeichef von Saigon einem Zivilisten die Pistole an den Kopf hält. Kurz danach drückte der bekanntlich ab. Auch die Flucht Leonoras in den Schutz der Kirche bietet die Vorlage für einen kritischen Blick auf die Institution und ihre Rituale. Im Schutz der Kirche? Die Spitztüten des Ku Klux Klan
Im Graben verordnet der Italiener Jader Bignamini dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester dramatischen Schwung, ohne die Sängern zu überdecken. Aus dem Protagonistenensemble ragt vor allem Christopher Maltman als stimmgewaltiger Finsterling Don Carlo heraus. Franz-Josef Selig erweckt sowohl den Vater Leonoras als auch den Padre Guardiano zum Leben. Hovhannes Ayvazyan beeindruckt als Don Alvaro im Drauflosschmettern, ist aber etwas gaumig in den tieferen Lagen. Michelle Bradley ist (nach kleinen Anlaufproblemen in dieser Premiere) als Leonora großformatig, Tanja Ariane Baumgartner eine meist überzeugende Preziosilla. Auch sonst wird auf Frankfurter (also hohem) Niveau gesungen. Das gilt auch für den von Tilman Michael einstudierten, verstärkten Chor.
Tobias Kratzer inszeniert Verdis La forza del destino als eine Geschichte des Rassismus in den USA und kommt der Vorlage damit verblüffend nahe. Musikalisch ist die Produktion herausragend. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Bühne und Kostüme
Video
Licht
Choreographie
Chor
Dramaturgie
Solisten
Marchese von Calatrava / Padre Guardiano
Leonora
Don Carlo di Vargas
Don Alvaro
Preziosilla
Fra Melitone
Curra
Ein Alkalde
Mastro Trabuco
Ein Militärarzt
|
© 2019 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de