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Musiktheater
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Rodelinda, Regina de' Longobardi

Dramma per musica in drei Akten
Text von Nicola Francesco Haym basierend auf dem Rodelinda-Libretto von Antonio Salvi (1710)
nach der Tragödie Pertharite, roi des Lombards (1652) von Pierre Corneille
Musik von Georg Friedrich Händel

in italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 35' (eine Pause)

Koproduktion mit dem Teatro Real, Madrid, der Opéra de Lyon und dem Gran Teatre del Liceu, Barcelona

Premiere im Opernhaus Frankfurt am 12. Mai 2019



Oper Frankfurt
(Homepage)
Trauma eines Kindes

Von Thomas Molke / Fotos von Monika Rittershaus

Obwohl mit Georg Friedrich Händels Rodelinda 1920 in Göttingen die Händel-Renaissance begann, ist dieses Werk im Gegensatz zu anderen Opern des Hallenser Komponisten eher selten auf den Spielplänen zu finden. Dabei galt das Stück bei der Uraufführung als eines der Meisterwerke und kam kurz nach Giulio Cesare in Egitto und Tamerlano 1725 am King's Theatre Haymarket in Händels absoluter Blütezeit heraus. Der große Erfolg war sicherlich auch mit den außergewöhnlichen Sängerpersönlichkeiten verbunden. Zu nennen sind der Starkastrat Senesino in der Partie des Bertarido, die Sopranistin Francesca Cuzzoni in der Titelrolle und Francesco Borosini, der als Grimoaldo mit seinem Tenor eine ganz neue Stimmfärbung in die Barockoper der damaligen Zeit brachte. Auch Oskar Hagen war 1920 von den musikalischen Qualitäten dieses Werkes so überzeugt, dass er das Stück als erste Händel-Oper nach fast 180 Jahren wieder zur Aufführung brachte. In Frankfurt ist die Oper nun in einer Koproduktion zu erleben, die 2017 am Teatro Real in Madrid herauskam.

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Grimoaldo (Martin Mitterrutzner, vorne rechts) begehrt Rodelinda (Lucy Crowe, oben) (am Tisch von links: Unulfo (Jakub Józef Orliński), Flavio (Fabián Augusto Gómez Bohórquez) und Garibaldo (Božidar Smiljanić)).

Die Handlung basiert auf dem gleichnamigen Libretto von Antonio Salvi, das 1710 von Giacomo Antonio Perti für den Florentiner Hof vertont wurde, und auf Pierre Corneilles Tragödie Pertharite, roi des Lombards aus dem Jahr 1652 und greift historische Vorgänge des 7. Jahrhunderts über den entmachteten Langobardenkönig Perctarit (Bertarido) auf. Händels Librettist Nicola Francesco Haym verdichtete Salvis fünfaktigen Text auf drei Akte. Zu Beginn trauert die Königin Rodelinda um ihren Gatten Bertarido, den sie für tot hält. In einem Streit um den Thron von Mailand hatte er seinen Bruder Gundeberto getötet und war vor dessen Verbündetem Grimoaldo, dem Herzog von Benevento, zum Hunnenkönig geflohen. Seine Frau und seinen Sohn Flavio ließ er in Mailand zurück. Nun möchte Grimoaldo Rodelinda heiraten und damit Herrscher über Mailand werden. Unterstützt wird er von dem intriganten Garibaldo, dem Herzog von Turin, der sich mit Hilfe von Bertaridos Schwester Eduige selbst des Throns bemächtigen möchte. Als Bertarido aus dem Exil zurückkehrt und sich seiner Frau nach einigen Prüfungen schließlich zu erkennen gibt, lässt Grimoaldo ihn in den Kerker werfen. Eduige will ihrem Bruder helfen und gibt Unulfo den Schlüssel zum Kerker. Bertarido wird befreit. Mittlerweile plant Garibaldo Grimoaldo hinterrücks zu ermorden, da er erkennt, dass dieser ihm nicht mehr von Nutzen sein kann. In letzter Minute kann Bertarido das Attentat verhindern und seinen Rivalen retten. Aus Dankbarkeit verzichtet Grimoaldo zugunsten Bertaridos auf Rodelinda und willigt ein, nun doch Bertaridos Schwester Eduige zu heiraten und mit ihr nach Pavia zu gehen. Bertarido erhält den ihm rechtmäßig zustehenden Thron von Mailand zurück und ist wieder glücklich mit seiner Gattin und seinem Sohn vereint.

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Eduige (Katharina Magiera, rechts) und Garibaldo (Božidar Smiljanić, links) planen, Rodelinda (Lucy Crowe, oben links) vom Thron zu stürzen (rechts: Flavio (Fabián Augusto Gómez Bohórquez)).

Das Regie-Team um Claus Guth rückt in der Inszenierung die stumme Figur des Sohns Flavio in den Mittelpunkt und erzählt die Geschichte gewissermaßen aus Sicht des Kindes. Dabei ist gut nachvollziehbar, dass die schrecklichen Ereignisse bei dem Jungen ein Trauma auslösen. Schließlich hält er seinen Vater zunächst für tot und muss erleben, wie seine Mutter von einem neuen Mann umworben wird. Dann droht Garibaldo seiner Mutter, ihn umzubringen, wenn sie nicht Grimoaldo heiratet. Als seine Mutter schließlich von Grimoaldo verlangt, ihren Sohn vor ihren Augen zu töten, wenn der Herzog sie wirklich heiraten wolle, durchschaut der Junge sicherlich nicht, dass Rodelinda damit nur die Ehe mit Grimoaldo verhindern will. Schließlich erkennt Rodelinda im Gegensatz zu Flavio, dass Grimoaldo kein skrupelloser Tyrann ist, so dass sie mit einem derart hohen Einsatz pokern kann. Wenn dann plötzlich Bertarido wieder auftaucht, kurz darauf aber für tot gehalten wird, da Rodelinda und Eduige im leeren Kerker ein blutiges Kleidungsstück vorfinden, muss Flavio denken, den soeben wieder gefundenen Vater erneut verloren zu haben. Die Verkettung dieser Ereignisse müssen bei einer Kinderseele einen Schaden hinterlassen, und so versucht Flavio, mit Zeichnungen, die dann auf das Bühnenbild projiziert werden, die Erlebnisse zu verarbeiten. Doch das allein reicht nicht. Maskenfiguren treten mit riesigen Köpfen auf und unterstreichen die ständige Bedrohung für das Kind. Dabei ist jeder Person im Stück eine eigene Figur zugeordnet, da sich Flavio im Verlauf des Stückes von jedem einzelnen verraten fühlt. Für die Partie des Flavio ist der kleinwüchsige kolumbianische Schauspieler Fabián Augusto Gómez Bohórquez verpflichtet worden, der die Produktion an allen Spielorten begleitet. Bohórquez überzeugt durch intensives Spiel und stellt die Leiden des Kindes sehr glaubhaft dar.

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Bertarido (Andreas Scholl, Mitte) gibt sich seiner Schwester Eduige (Katharina Magiera, rechts) zu erkennen (links: Unulfo (Jakub Józef Orliński), am Fenster: Flavio (Fabián Augusto Gómez Bohórquez)).

Christian Schmidt hat ein zweistöckiges klinisch weißes Haus als Bühnenbild entworfen, das mit der Fassade an den Georgian Style des 18. Jahrhunderts in London erinnert. Dieses Haus steht allerdings isoliert im Nirgendwo und unterstreicht damit die Verlorenheit Flavios. Der Boden um das Haus herum erinnert an schwarze Asche, so dass sich das Haus sogar irgendwo im All auf einem anderen Planeten befinden könnte. Außerdem hat das Haus auch nur auf einer Seite eine Fassade. Auf den anderen drei Seiten fehlen die Außenmauern. Hier besteht folglich kein Schutz vor der Außenwelt. Durch Einsatz der Drehbühne gewinnt man einen Einblick in das Innere. In der oberen Etage befindet sich Rodelindas Schlafzimmer, in dem sie ihrem verlorenen Gatten nachtrauert und in dem Grimoaldo um sie wirbt. Darunter befindet sich ein Raum mit einem riesigen Tisch, in dem unter anderem über die Macht verhandelt wird. Während der musikalischen Einleitung sieht man hier Bertarido in der Auseinandersetzung mit seinem Bruder Gundeberto, was für diesen tödlich endet, so dass Bertarido nichts anderes übrig bleibt, als seinen Sohn und das Haus zu verlassen. Auf der Rückseite befindet sich eine weiße Treppe, die einerseits die beiden Etagen miteinander verbindet, andererseits auch die Herrschaftsstrukturen unterstreicht. Auch bei den Kostümen verzichtet Schmidt größtenteils auf Farben und gestaltet die Figuren in Schwarz und Weiß. Grimoaldo, Garibaldo und Unulfo tragen feine schwarze Anzüge und Eduige ein schwarzes Kleid. Rodelinda legt Schwarz lediglich zur Trauer an. Ansonsten überwiegt der weiße Farbton zur Unterstreichung ihrer Unschuld.

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Rodelinda (Lucy Crowe, rechts oben) und Bertarido (Andreas Scholl, links oben in der Mitte) nehmen bewegend voneinander Abschied (unten rechts: Flavio (Fabián Augusto Gómez Bohórquez)).

Musikalisch bewegt sich die Produktion auf hohem Niveau. Andrea Marcon stellt am Pult des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters, das auf historischen Instrumenten musiziert, unter Beweis, dass er ein ausgesprochener Fachmann für Barockmusik ist. Mit feinem Gespür arbeitet er die vielschichtige Partitur Händels nuancen- und farbenreich heraus und taucht bewegend in die unterschiedlichen Schattierungen der Musik ein. Lucy Crowe hat die Titelpartie bereits in Madrid interpretiert und begeistert auch in Frankfurt mit klarem und leuchtendem Sopran. Mit großem Ausdruck gestaltet sie die Leiden der Königin und unterstreicht dabei dennoch, dass Rodelinda eine starke Persönlichkeit ist, die sich von ihren Gegnern nicht einschüchtern lässt. Dies wird besonders in ihren drei Zornesarien deutlich, in denen sie sich zunächst Grimoaldo, dann Garibaldo und schließlich beiden mit beweglichen Koloraturen entgegenstellt. Andreas Scholl verfügt als Bertarido über einen strahlenden Countertenor, der in den Höhen feinen Glanz entwickelt. Besonders gut gelingen ihm die weichen Töne in den leidenden Arien, wenn er an Rodelindas Treue zweifelt. Ein musikalischer Glanzpunkt ist das Duett am Ende des zweiten Aktes, wenn er von seiner geliebten Frau Abschied nehmen muss und in den Kerker geführt wird. Hier finden Scholls Counter und Crowes Sopran zu einer betörenden Innigkeit, die unter die Haut geht.

Martin Mitterrutzner gestaltet die Partie des Grimoaldo mit einem beweglichen Tenor, der in den Höhen große Strahlkraft besitzt. Sehr gut hebt er damit den eigentlich guten Charakter des Herzogs hervor, der kein Tyrann ist und deshalb auch nicht Rodelinda zur Ehe zwingen will. Besonders eindrucksvoll gelingt ihm seine Arie im dritten Akt, wenn er zwischen schwankenden Gefühlen hin- und hergerissen wird und nicht sicher ist, ob er mit Bertaridos Inhaftierung die richtige Entscheidung getroffen hat. Božidar Smiljanić wird dem finsteren Charakter des Garibaldo mit dunklem Bass-Bariton mehr als gerecht. Ihm nimmt man den Bösewicht darstellerisch und stimmlich in jedem Moment ab. Katharina Magiera begeistert als Eduige mit sattem Mezzosopran und gestaltet die Wandlung von der intriganten Frau, die ihre Schwägerin vom Thron stoßen will, da sie Grimoaldo begehrt, zur liebenden Schwester, die ihren Bruder Bertarido retten will, absolut glaubhaft. Nachdem Jakub Józef Orliński in Frankfurt bereits als Rinaldo in Händels gleichnamiger Oper große Erfolge gefeiert hat, begeistert er auch als Unulfo mit seinem beweglichen Countertenor und halsbrecherischen Koloraturen. Dabei zeigt er sich obendrein noch sehr durchtrainiert, wenn er auf der Bühne vor Begeisterung ein Rad schlägt. So gibt es am Ende für alle Beteiligten großen und verdienten Beifall.

FAZIT

Händels Oper Rodelinda enthält so viele musikalische Perlen, dass man sich wünscht, dieses Werk häufiger auf dem Spielplan zu sehen. Guths Inszenierung überzeugt auf ganzer Linie und lässt die dreieinhalb Stunden wie im Flug vergehen.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Andrea Marcon

Inszenierung
Claus Guth

Szenische Einstudierung
Axel Weidauer

Bühnenbild und Kostüme
Christian Schmidt

Licht
Joachim Klein

Video
Andi A. Müller

Choreographie
Ramses Sigl

Dramaturgie
Konrad Kuhn

 

Frankfurter Opern- und
Museumsorchester

Statisterie der Oper Frankfurt


Solisten

Rodelinda
Lucy Crowe

Bertarido
Andreas Scholl

Grimoaldo
Martin Mitterrutzner

Eduige
Katharina Magiera

Unulfo
Jakub Józef Orliński

Garibaldo
Božidar Smiljanić

Flavio
Fabián Augusto Gómez Bohórquez

Maskenfiguren
Gal Fefferman
Evie Poaros
Manuel Gaubatz
Volodymyr Mykhatskyi
Michael Schmieder
Markus Gläser

 


Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Oper Frankfurt
(Homepage)







Da capo al Fine

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