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Musiktheater
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Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny

Oper in drei Akten
Text von Bertolt Brecht
Musik von Kurt Weill

in deutscher Sprache mit Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 35' (eine Pause)

Premiere im Großen Haus im MiR am 26. Januar 2019
(rezensierte Aufführung: 14.02.2019)

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Musiktheater im Revier
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Mahagonny im Ruhrgebiet

Von Thomas Molke / Fotos:© Karl und Monika Forster

Während die meisten Opern nur mit ihrem jeweiligen Komponisten assoziiert werden und dem Librettisten in der Regel sehr wenig Aufmerksamkeit zukommt, haben sich Kurt Weill und Bertolt Brecht in ihren insgesamt sechs gemeinsamen Arbeiten immer auf Augenhöhe bewegt. Schon vor ihrem Welterfolg mit der Dreigroschenoper 1928 hatten sie eine Oper unter dem Titel Mahagonny geplant. Als Weill im Sommer 1927 für das Musikfest in Baden-Baden den Auftrag für einen Operneinakter erhielt, stellte er die in Brechts Hauspostille enthaltenen Gesänge zu einer Art szenischen Kantate zusammen und schuf so Mahagonny. Ein Songspiel, das am 17.7.1927 unter großem Beifall uraufgeführt wurde. In den folgenden Jahren erweiterten Brecht und Weill das Songspiel zu der abendfüllenden Oper Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny, wobei Weill sämtliche Lieder neu instrumentierte. Die Uraufführung wurde allerdings ein riesiger Skandal. Zum einen fehlte dem Publikum im Gegensatz zur Dreigroschenoper die Distanz zu den Protagonisten, da hier eben nicht nur Verbrecher auf der Bühne dargestellt wurden, sondern den Zuschauern mit einem Spiegel ihre eigene Verführbarkeit vor Augen geführt wurde. Zum anderen betrachteten die erstarkenden Nationalsozialisten die gesellschaftskritische Parabel und die bitterböse Untergangsphantasie als entartete Kunst, die nicht in die "deutsche Ideologie" passte. Zwar folgten nach der Uraufführung trotz heftiger Demonstrationen der Nationalsozialisten noch einige recht erfolgreiche Aufführungen in Braunschweig, Kassel, Frankfurt und Berlin. Aber das Stück verschwand bald von den Spielplänen und fand erst Ende der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts wieder wachsendes Interesse in Deutschland.

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Fatty (Petra Schmidt, Mitte oben) und Dreieinigkeitsmoses (Urban Malmberg, oben rechts) locken die Männer (Männer des Opernchors) in die neue Stadt (oben links in der Reihe: Jenny (Petra Sieloff) mit den Damen des Opernchors).

Die Geschichte spielt eigentlich in Nordamerika in einer fiktiven Stadt namens Mahagonny, was "Netzestadt" bedeutet. Die drei steckbrieflich gesuchten Gauner Leokadja Begbick, ihr Prokurist Fatty und der Dreieinigkeitsmoses gründen sie kurzerhand, als sie auf der Flucht bei einer Autopanne im Nirgendwo stranden. Hierhin locken sie die Goldgräber aus der Umgebung, indem sie ihnen viel freie Zeit, billigen Alkohol und willige Prostituierte versprechen. Auch der Goldgräber Jim Mahoney (hier: Paul Ackermann) kommt mit seinen drei Freunden in die Stadt und verliebt sich in die Prostituierte Jenny. Aber schnell wird ihm langweilig, und als ein Wirbelsturm die Stadt zu zerstören droht, ruft er die Devise aus, dass nun in Mahagonny alles erlaubt sei, solange man es bezahlen kann. Der Wirbelsturm verschont die Stadt, und die Anarchie breitet sich aus. Pauls Freund Jack O'Brien (hier: Jakob Schmidt) frisst sich zu Tode. Sparbüchsenheinrich geht beinahe an seinem sexuellen Drang zu Grunde. Alaskawolfjo zieht im Boxring gegen Dreieinigkeitsmoses den Kürzeren und stirbt. Paul organisiert ein Saufgelage, das er nicht bezahlen kann. Dafür wird er zum Tode verurteilt. Selbst Jenny ist nicht bereit, ihm zu helfen. Bei seiner Hinrichtung lässt ihm die Witwe Begbick das "Spiel vom Gott in Mahagonny" mit Dreieinigkeitsmoses in der Rolle des Gottes vorspielen. Eine große Demonstration beschwört das Ende der Stadt herauf.

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Auch Paul Ackermann (Martin Homrich, Mitte), Jakob Schmidt (Tobias Glagau, links vorne), Sparbüchsenheinrich (Petro Ostapenko, links hinten) und Alaskawolfjo (Joachim G. Maaß, rechts) erliegen dem Reiz der neuen Stadt.

Das Regie-Team um Jan Peter, der in Gelsenkirchen in der Spielzeit 2015/2016 für das Video-Design in dem Schalke-Oratorium Kennst du den Mythos...? verantwortlich zeichnete und nun seine erste Opernarbeit vorstellt, verlegt das fiktive, bei den Goldgräbern angesiedelte Mahagonny ins Ruhrgebiet der Nachkriegszeit. Wie die Goldgräber in Alaska gelangen auch hier die Menschen durch das "Grubengold" nach Jahren der Entbehrung langsam wieder zu neuem Wohlstand. Die Männer, die hier in die neu gegründete Stadt gelockt werden sollen, sind Bergleute, die unter Tage arbeiten, und tauchen folglich auf, als der Bühnenboden nach oben gefahren wird. Die Witwe Begbick, Fatty und Dreieinigkeitsmoses sind Verbrecher des Nationalsozialismus, die nach dem verlorenen Krieg versuchen unterzutauchen. Anna-Maria Münzner hat für die drei expressive Kostüme entworfen, die ihre früheren Aufgaben bei den Nationalsozialisten erahnen lassen. Dreieinigkeitsmoses wirkt mit seiner Schlächterschürze wie ein Arzt, der Experimente an lebenden Menschen durchgeführt hat. Der Prokurist Fatty, der in Peters Inszenierung eine Frau ist, erinnert mit den streng geflochtenen langen blonden Haaren in dem dunklen Kleid an die reine Arierin, die dem deutschen Volk kräftige Soldaten gebären sollte, und die Witwe Leokadja Begbick sticht in ihrem roten Kostüm mit den feuerroten Haaren wie ein verführerischer Teufel aus der Unterwelt heraus. Jenny und ihre Freundinnen, die als Prostituierte in der Stadt neuen Wohlstand suchen, erinnern in ihren Kleidern und mit ihren Perücken an die 50er Jahre des letzten Jahrhunderts.

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Paul Ackermann (Martin Homrich, oben) gibt die Devise aus: "Alles ist erlaubt." (unten links vorne: Jenny (Petra Sieloff) mit dem Opernchor).

Das Bühnenbild von Kathrin-Susann Brose wird von einem großen, drehbaren Gerüst dominiert, das sich in die Stadt Mahagonny verwandelt und die Stadt mit allen Schattenseiten zeigt. Zunächst ist das Gerüst heruntergelassen. Auf die dunkle Bühne werden Filmaufnahmen vom Kriegsende in Westfalen projiziert. Erst als die Witwe Begbick, Fatty und Dreieinigkeitsmoses erkennen, dass sie hier nicht weiterkommen, beschließen sie, in dieser Einöde die neue Stadt zu gründen, und der Bühnenboden wird hochgefahren. Die mit Blut beschmierte Schürze, die wie ein Segel an diesem Gerüst angebracht ist und wohl für die Verbrechen steht, die die drei begangen haben, wird durch eine reine weiße Schürze ausgetauscht. Auch der Saal, in den die drei die Männer in die neue Stadt locken, erstrahlt in glänzendem Weiß. Über einer Brüstung weht ein Spruchband, das besagt, dass alle ihre Westen mit Persil rein gewaschen werden. Doch Paul Ackermann reißt im Verlauf des ersten Aktes die weiße Fassade herunter, hinter der die Reste eines blutroten Hakenkreuzes wie eine Mahnung aus der Vergangenheit sichtbar werden. Dennoch erliegen die Menschen dem Reiz dieser Stadt, in der alles erlaubt ist. Bei der Demonstration am Ende des Stückes gibt Peter auch eine Erklärung warum. Auf den ganzen Plakaten steht nur ein einziges Wort: "Ich". Jeder sieht nur seinen eigenen Vorteil. Die anderen sind ihm völlig egal. Wenn die Stadt schließlich im Chaos versinkt und der Bühnenboden hinabgesenkt wird, werden alle von der Witwe Begbick, Fatty und Dreieinigkeitsmoses mit Maschinengewehren abgeknallt.

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Paul Ackermann (Martin Homrich, rechts oben) wird hingerichtet (rechts oben: Leokadja Begbick (Almuth Herbst), linke Seite oben von links: Fatty (Petra Schmidt), Dreieinigkeitsmoses (Urban Malmberg) und Jenny (Petra Sieloff), unten: Opernchor).

Musikalisch arbeitet Thomas Rimes mit der Neuen Philharmonie Westfalen die unterschiedlichen Stile, die zwischen Jazz, Foxtrott, Blues, oratorienhafter Strenge, klassischer Opernarie und postmodernen Formen changieren, differenziert heraus und verleiht dem berühmten "Alabama"-Song, Jennys "Wie man sich bettet, so liegt man" und dem "Mandalay"-Song Ohrwurmcharakter, ohne dabei in das Klischeehafte abzudriften. Die Solisten sind mit Mikroports ausgestattet, die aber nur bei den Sprechpassagen eingesetzt werden. Die Lieder werden ohne Verstärkung vorgetragen. Almuth Herbst begeistert als Witwe Begbick durch diabolisches Spiel und einen dunkel angesetzten Mezzosopran. Petra Schmidt gestaltet die Fatty als Angst einflößende schwarze Witwe, die im Verlauf des Stückes immer wieder ihren Blutdurst stillen muss. Urban Malmberg verleiht dem Dreieinigkeitsmoses sehr unheimliche Züge, vor allem wenn er mit der Kettensäge in den Boxring steigt und Alaskawolfjo (Joachim G. Maaß) im wahrsten Sinne des Wortes auseinandernimmt. Anke Sieloff verleiht der Jenny mit warmem Sopran verführerischen Charme, macht aber darstellerisch sehr deutlich, dass dies alles nur Kalkül ist und sie stets an ihren eigenen Vorteil denkt. So lässt sie ihren Geliebten Paul am Ende, wenn er ihre Hilfe benötigt, eiskalt abblitzen. Tobias Glagau ist als Jakob Schmidt eigentlich viel zu schlank, so dass man ihm seine Fresssucht nur schwer abnimmt. Mit einer dunkelgrünen Plastikplane, die ihm übergestülpt wird, und zahlreichen aus dem Schnürboden herabregnenden Würstchen wird jedoch glaubhaft vermittelt, dass er immer mehr in die Breite geht. Hinter einer ähnlichen grünen Plastikfolie lebt auch Petro Ostapenko als Sparbüchsenheinrich seinen übermäßigen sexuellen Drang an den Prostituierten rücksichtslos aus. Martin Homrich punktet als Paul Ackermann mit strahlendem und höhensicherem Tenor. Der Opernchor unter der Leitung von Alexander Eberle leistet stimmlich und darstellerisch ebenfalls Gewaltiges, so dass es am Ende einhelligen Beifall für alle Beteiligten gibt.

FAZIT

Jan Peters Übertragung der Geschichte auf die Nachkriegszeit im Ruhrgebiet geht im Großen und Ganzen auf. Das Ensemble begeistert stimmlich und darstellerisch.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Thomas Rimes

Inszenierung
Jan Peter

Bühne
Kathrin-Susann Brose

Kostüme
Anna Maria Münzner

Choreinstudierung
Alexander Eberle

Licht
Thomas Ratzinger

Video / Graphik
Susanne Schiebler

Dramaturgie
Olaf Roth

 

Neue Philharmonie Westfalen

Opernchor des MiR

Statisterie des MiR

 

Solisten

*rezensierte Aufführung

Leokadja Begbick
Almuth Herbst

Fatty
Petra Schmidt

Dreieinigkeitsmoses
Urban Malmberg

Jenny Hill
Anke Sieloff

Paul Ackermann
Martin Homrich

Jakob Schmidt
*Tobias Glagau /
Khanyiso Gwenxane

Sparbüchsenheinrich
Petro Ostapenko

Alaskawolfjo
Joachim G. Maaß

Tobby Higgins
Jiyuan Qiu

 


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