Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum



Eugen Onegin

Lyrische Szenen in drei Akten
Libretto von Konstantin Schilowski und Peter I. Tschaikowski nach Alexander Puschkin
Kammerfassung von André Kassel
Musik von Peter I. Tschaikowski

in russischer Sprache mit Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 40' (eine Pause)

Premiere im Kleinen Haus im MiR am 1. März 2019

Homepage

Musiktheater im Revier
(Homepage)

Geplatzte Träume in einer Kammerfassung

Von Thomas Molke / Fotos:© Karl und Monika Forster

Damit hatte Tschaikowski bei der Komposition seines Eugen Onegin wohl nicht gerechnet. Ausgerechnet die Vertonung des gleichnamigen Versromans von Alexander Puschkin sollte sich zu seinem größten Opernerfolg entwickeln, aus dessen Tantiemen er auch im Alter, als die Unterstützung seiner bedeutenden Mäzenin, der reichen Witwe Nadeschda von Meck, weggefallen war, seinen Unterhalt bestreiten konnte. Um einem möglichen Vergleich mit großen Opern vorzubeugen, hatte er das Stück als "lyrische Szenen" bezeichnet, da in jedem der drei Akte die Tragödie einer anderen Person im Mittelpunkt steht. Die eigentliche Uraufführung fand am 17. März 1879 als geschlossene Vorstellung im Moskauer Maly-Theater statt, dem Kleinen Haus des Bolschoi, und wurde von Studenten des Konservatoriums produziert. Doch obwohl einige Zeitgenossen das Stück als zu "handlungsarm" kritisierten und das fehlende dramatische Potenzial bemängelten, ließ sich Tschaikowski von seinen Kollegen überzeugen, das Werk auf die große Bühne am Moskauer Bolschoi-Theater zu bringen. Die Begeisterung für die hochemotionale Musik und die menschlich nachvollziehbaren Konflikte der Figuren, die von Tschaikowski wesentlich ernster genommen wurden als von Puschkin in der Romanvorlage, ließen die Kritiker sehr schnell verstummen, und das Werk verbreitete sich schnell über ganz Europa und erhielt einen festen Platz im Repertoire der Opernhäuser.

Bild zum Vergrößern

Tatjana (Bele Kumberger) träumt, in ihre Bücher vertieft, von der großen Liebe.

In Gelsenkirchen hat man sich wohl überlegt, den Gedanken der Uraufführung an einem "Kleinen Haus" aufzugreifen und verlegt die Produktion ins Kleine Haus. Da hier ein komplettes Orchester nicht unterzubringen ist, hat man sich für eine von André Kassel konzipierte Kammerfassung für elf Instrumente entschieden. Ob sich damit aber die von Tschaikowski intendierte Intimität musikalisch einfangen lässt, da vor allem die Instrumentierung eher eine Verfremdung herbeiführt und den Zuhörer seiner Emotionen beraubt, die Tschaikowskis Musik mit einem vollen Klangkörper auszulösen in der Lage ist, bleibt fraglich. Als besonders problematisch erweist sich das Akkordeon, das die Melancholie des Stücks gar nicht transportieren kann. Da fühlt man sich eher an einen Edith-Piaf-Abend erinnert, der mit Christa Platzer in mehreren Varianten im Kleinen Haus sehr erfolgreich gelaufen ist. Die große sinfonische Wirkung des berühmten Walzers bei Tatjanas Namenstag im zweiten Akt verpufft mit den elf Musikern genauso wie die Introduktion zum dritten Akt, wenn Onegin nach dem Duell mit Lenski rastlos durch Europa irrt. Nur zu den Figuren gewinnt das Publikum wesentlich mehr Nähe, als es im Großen Haus möglich gewesen wäre. Ein Steg führt von der Bühne durch das Parkett in den ersten Rang und wird vom Ensemble und Chor mitbespielt, so dass das Publikum gewissermaßen Teil der Inszenierung wird. Rahel Thiel, die als Regisseurin von Künnekes Vetter aus Dingsda am gleichen Ort vor einem Jahr kein glückliches Händchen gehabt hat (siehe auch unsere Rezension), kann mit Tschaikowskis Figuren scheinbar mehr anfangen. So verzichtet sie dieses Mal auf eine Zertrümmerung des Stückes und wählt szenisch einen in großen Teilen erfreulich konventionellen Ansatz.

Bild zum Vergrößern

Olga (Lina Hoffmann) und Lenski (Khanyiso Gwenxane) feiern ausgelassen Tatjanas Namenstag.

Dieter Richter lotet die beschränkten Möglichkeiten der Bühne im Kleinen Haus großartig aus. Zunächst dominiert eine Rückwand mit zahlreichen Birkenstämmen die Bühne. An den beiden Seiten setzen einzelne schmale hohe Stämme diesen Birkenwald fort. Die Holzstühle, die auf der Bühne stehen, übernehmen mit dem hellen abblätternden Lack ebenfalls die auf die Rückwand projizierten Bäume. Durch eine geschickte Lichtregie von Patrick Fuchs verlieren die Stämme der Bäume in der Nacht, in der Tatjana den verhängnisvollen Liebesbrief an Onegin schreibt, ihre Konturen und deuten bereits den unglücklichen Ausgang dieses Unterfangens an. Bele Kumberger gestaltet die Tatjana mit mädchenhafter Naivität und einem frischen Sopran. Schon vor Beginn der Aufführung träumt sie, in ihre Bücher vertieft, auf der Bühne vor sich hin, bevor sie von ihrer lebenslustigen Schwester Olga (von Lina Hoffmann mit weichem Mezzosopran überzeugend umgesetzt) aus ihren Gedanken gerissen wird. Großartig gelingt das Quartett zu Beginn der Oper mit Noriko Ogawa-Yatake als Gutsbesitzerin Larina und Almuth Herbst als Amme Filipjewna, die beide den verpassten Chancen ihrer Jugend nachtrauern, während Tatjana und Olga mit jugendlicher Frische dagegenhalten. Herbst punktet auch in der anschließenden Szene mit ihrem Schützling Tatjana mit warmem, mütterlichem Mezzosopran, während Ogawa-Yatake mit dunkel gefärbtem Sopran in nostalgischen Erinnerungen schwelgt. Szenisch legt Ogawa-Yatake die Larina recht verbittert an, was ihre Reaktionen auf den aus dem Rang auftretenden Chor der Bauern und das ausufernde Namenstagsfest im zweiten Akt deutlich machen. Kumberger gelingt in der direkten Nähe zum Publikum eine sehr intensive Gestaltung der Briefszene, wobei allerdings nicht ganz deutlich wird, wieso sie an einigen Stellen, wie an einem imaginären Tablet ganze Wortblöcke hin- und herzuschieben scheint, da sie eigentlich schon einen "richtigen" Brief schreibt, den sie am Ende des ersten Aktes von Onegin mit der Zurückweisung wiederbekommt.

Bild zum Vergrößern

Auf dem Fest kommt es zum Eklat zwischen Onegin (Piotr Prochera, Mitte links) und Lenski (Khanyiso Gwenxane, Mitte rechts) (um die beiden herum: Opernchor).

Für den zweiten Akt wird die Rückwand mit dem Birkenwald auf den Boden herabgelassen und gibt den Blick auf einen in relativ dunklem Holz gehaltenen Saal frei, in dem Tatjanas Namenstag gefeiert wird. Ein besonderer Blickfang ist ein Stuhl, der bei diesem Umbau auf der Bühne steht und genau durch ein Loch in der herabgelassen Wand passt. Bunte Lampions und Glühbirnen, die über dem kompletten Parkett erstrahlen, deuten die ausgelassene Stimmung auf dem Fest an. Der spielfreudige Chor legt die Festgäste beim Cotillon recht alkoholisiert an, so dass beim großen Jubel der Gäste die Musik des Kammerorchesters der Neuen Philharmonie Westfalen unter der Leitung von Thomas Rimes etwas untergeht. Kumberger, die in diesem Teil kaum etwas zu singen hat, begeistert hier durch großartige Mimik, die die Kränkung, die die junge Frau noch nicht verarbeitet hat, gerade in dieser absoluten Nähe sehr ausdrucksstark fühlbar macht. Ob man den Auftritt des Franzosen Triquet derart lächerlich anlegen muss, ist Geschmacksache. Tobias Glagau lässt in seinem Couplet vermuten, dass auch der Franzose vor diesem Auftritt bereits viel zu tief ins Glas geschaut hat. Irritierender als die Personenregie des Triquet ist allerdings Onegins Reaktion, der sehr entschlossen dafür sorgt, dass Triquet die Feier verlässt, um Tatjana nicht mehr zu demütigen. Man fragt sich, wieso Onegin auf der Feier derart Partei für die von ihm abgewiesene Tatjana ergreift. Großartig spielt Piotr Prochera in der Titelpartie sein Unbehagen auf dieser Feier aus Sein hemmungsloser Flirt mit Olga führt schließlich zum Eklat mit seinem Freund Lenski.

Bild zum Vergrößern

Onegin (Piotr Prochera) bedrängt vergeblich Tatjana (Bele Kumberger).

Nach der Pause geht es dann mit dem Duell zwischen Lenski und Onegin weiter. Die Rückwand stellt wieder einen Wald dar. Doch mittlerweile ist er wesentlich düsterer als im ersten Akt. Auch die Stämme auf den Bühnenseiten haben ihre helle Farbe verloren. Khanyiso Gwenxane überzeugt als Lenski in seiner großen Arie mit bewegender Leidensfähigkeit. Dabei ist die musikalische Untermalung auch nicht so verfremdet wie im restlichen Teil des Abends. In den Höhen fehlt Gwenxane noch ein bisschen Strahlkraft. Mit Prochera gestaltet er das folgende Duett, in dem sich die beiden Freunde fragen, ob sie wirklich das Duell eingehen wollen oder sich nicht doch besser versöhnen sollen, mit großer Intensität. Gwenxanes Tenor und Procheras Bariton harmonieren dabei sehr gut miteinander. Ob sie sich wirklich umarmen sollen, bevor sie doch zu dem Entschluss kommen, dass es kein Zurück mehr gibt, ist Geschmacksache. Vielleicht hätte Thiel es bei einem Versuch der Annäherung belassen sollen. Für das Duell schreitet Prochera den Steg ins Publikum hinauf, während Gwenxane eine Tür in der Rückwand öffnet, durch die ein greller Lichtstrahl auf die Bühne fällt. In diesem Lichtstrahl sinkt Gwenxane dann getroffen zu Boden und muss bis zum Ende des Stückes auf der Bühne liegen.

Im letzten Akt bleibt für den Ballsaal beim Fürsten Gremin der Wald als Hintergrund. Mehrere Lüster werden aus dem Schnürboden herabgelassen, um die feudale Gesellschaft in St. Petersburg anzudeuten. Renée Listerdal hat den Chor nun mit hellen pelzbesetzten Kostümen ausgestattet, die einen deutlichen Kontrast zu der einfachen Landbevölkerung im ersten Akt darstellen. Kumberger hat sich als Fürstin Gremina von der grauen Maus auf dem Land in eine respektable Dame der Gesellschaft verwandelt, die an der Seite ihres Mannes zunächst sehr selbstbewusst und glücklich wirkt, bis sie erneut auf Onegin trifft. Michael Heine gestaltet die Partie des Fürstin Gremin mit dunklem Bass, der in den Höhen noch ausbaufähig ist. Prochera, der als Titelpartie in den ersten beiden Akten, eigentlich immer ein bisschen Randfigur geblieben ist, dreht nun mit kräftigem Bariton auf und macht überzeugend klar, wie Onegin im dritten Akt erkennt, welche Fehler er damals auf dem Land begangen hat. Mit großer Intensität versucht er Tatjana zu überreden, ihr neues Leben für ihn aufzugeben. Kumberger gestaltet den inneren Kampf Tatjanas, die Onegin immer noch liebt, sehr eindrucksvoll. Am Ende öffnet sie eine Tür in der Rückwand, in der Gremin in dem gleichen gleißenden Lichtstrahl steht, in dem Onegin Lenski am Ende des zweiten Aktes erschossen hat. Dieses Mal ist Onegin der Verlierer, da Tatjana sich gegen ihn entscheidet. Prochera zeichnet die Titelfigur am Ende absolut gebrochen. Auch hier hätte man sich wieder ein dramatisch aufspielendes Orchester gewünscht. Ansonsten lässt der Abend aber keine Wünsche offen, so dass es am Ende großen Applaus für die Beteiligten gibt, in das sich auch das Regie-Team ohne Unmutsbekundungen einreiht.

FAZIT

Szenisch kann das Kleine Haus die Intimität von Tschaikowskis Eugen Onegin überzeugend einfangen. Musikalisch hätte man sich allerdings ein volles Orchester gewünscht, um der großen Emotionalität der Oper gerecht zu werden.


Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Thomas Rimes

Inszenierung
Rahel Thiel

Bühne
Dieter Richter

Kostüme
Renée Listerdal

Choreinstudierung
Alexander Eberle

Licht
Patrick Fuchs

Dramaturgie
Anna Chernomordik
Gabriele Wiesmüller

 

Neue Philharmonie Westfalen

Klavier
Utako Washio

Akkordeon
*Marko Kassl /
Petteri Waris

Opernchor des MiR

 

Solisten

*Premierenbesetzung

Larina, Gutsbesitzerin
Noriko Ogawa-Yatake

Tatjana
Bele Kumberger

Olga
*Lina Hoffmann /
Boshana Milkov

Filipjewna
Almuth Herbst

Eugen Onegin
Petro Ostapenko /
*Piotr Prochera

Lenski, sein Freund
Khanyiso Gwenxane

Fürst Gremin
*Michael Heine /
Joachim G. Maaß

Ein Hauptmann / Saretzki
John Lim

Triquet, ein Franzose
*Tobias Glagau /
Jiyuan Qiu

Monsiur Guillot
Roman Pilgrim /
*Moritz Welsing

 


Weitere
Informationen

erhalten Sie vom
Musiktheater im Revier
(Homepage)



Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum
© 2019 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -