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Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
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Jeder Mensch ist ein Königskind
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Bettina Stöß
Gänsemagd und Hexe
Engelbert Humperdinck? Das ist der Komponist von Hänsel und Gretel, dem Repertoire-Hit schlechthin, kennt jeder. Dass er darüber hinaus noch andere Werke komponiert hat, ist eher eine Angelegenheit für Liebhaber, auch wenn man im Falle der Königskinder nicht von einer Ausgrabung sprechen kann, denn hin und wieder erscheint das Werk auf den Spielplänen, so in Hagen, Frankfurt, München und Dresden. Trotzdem unterstreicht es (einmal mehr) die ambitionierte Spielplanpolitik des Musiktheater im Revier und seines Intendanten Michael Schulz, die allein wegen ihrer Länge von drei Stunden wenig kinderfreundliche Märchenoper zu spielen. Ein unbedingt lohnenswertes Wagnis allerdings, denn Chefdirigent Rasmus Baumann und die ausgezeichnete, sehr differenziert spielende Neue Philharmonie Westfalen bringen die farbige Partitur ungemein feinfühlig zum Klingen, sängerfreundlich zurückgenommen und ganz ausgezeichnet den Tonfall zwischen liedhafter Spieloper und Musikdrama treffend. Humperdinck hat bei Wagner gelernt, abgeschaut, manches auch geklaut - das blendet Baumann nicht aus, bleibt aber bewusst eine Stufe hinter dem Wagner'schen Götterdämmerungs-Pathos zurück. Schließlich geht es hier um den Menschen.
Königssohn und Gänsemagd
Jeder Mensch ein Königskind! ruft das Libretto dem Publikum ein wenig penetrant zu, auch wenn die Botschaft an sich überaus sympathisch ist. Elsa Bernstein hat das Libretto unter dem Pseudonym Ernst Rosmer verfasst und im Geschmack der Zeit ein dramaturgisch nicht immer überzeugendes Kunstmärchen (in dem die böse Hexe, von Almuth Herbst mit überzeugendem dramatischen Gestus gesungen, ziemlich schnell verschwindet, um einen der Schwachpunkte zu benennen) mit einer eher misslungenen Kunstsprache verfasst (und weil mit exzellenter Textverständlichkeit gesungen wird, ist das nicht zu überhören). Kurz zum Inhalt: Der Königssohn, nach dem Tod des Vaters im Grunde der natürliche Thronfolger, verliebt sich in eine ebenso herzensgute wie weltfremde Gänsemagd (um deren Gunst zu gewinnen, legt er die Krone ab und gibt sich als Bettler aus), die im Bann einer bösen Hexe steht. Mit Hilfe eines verständnisvollen Spielmanns kann der Zauber gebrochen werden, doch der Königssohn wird vom Volk nicht erkannt und verjagt. Allein die Kinder der Stadt erkennen in dem inzwischen verarmten Paar König und Königin, aber es hilft nichts: Ein spät wirkendes Gift der Hexe tötet die beiden.
Nur die Kinder erkennen das wahre Königspaar
Der junge Regisseur Tobias Ribitzki inszeniert die Geschichte als Parabel auf eine herz- und empathielose Gesellschaft, die den Wert des Menschen, das Königliche eines jeden, nicht mehr wahrnimmt. Nicht ohne Risiko legt er die Inszenierung zweischichtig an: Auf der einen Ebene ist das Geschehen in eine moderne U-Bahn-Station verlegt, in der die Gänsemagd (großartig: Bele Kumberger mit jugendliche-lyrischem Elan und zupackender Energie in den dramatischen Passagen) eine Aussteigerin im reichlich verspäteten Habitus der Flower-Power-Generation, der Königssohn (Martin Homrich schlägt sich mit leichtem Tenor sehr achtbar) ein alsbald zum Aussteigen bekehrter Geschäftsmann und der Spielmann (mit etwas dünner Höhe, ansonsten sehr solide: Petro Ostapenko) ein sympathischer Alt-Linker sind. (Dass keiner von ihnen auf die Idee kommt, einen Joint zu rauchen, macht die Sache opernpädagogisch korrekt und leider auch allzu brav.) Gleichzeitig versucht Ribitzki, die Märchenhandlung quasi als Imagination herbeizuzaubern. Ein dickes Märchenbuch wird herumgereicht (und vom herzlosen Volk zerfleddert); aus einer großen Tasche steigen die Märchenfiguren herauf, und gelegentliche Videoprojektionen verwandeln die triste Realität in eine Traumwelt. Alles hübsch gedacht, aber so viel Risiko birgt eben auch die Gefahr des Scheiterns - und weil das Libretto eben doch etliche Märchenklischees bedient haben will, Ribitzki dafür oft keine Lösung einfällt (und er im Umgang mit Chor und Kinderchor ziemlich unbeholfen wirkt, die Personen in solchen Szenen schematisch und plakativ bewegt), wirkt das Konzept in der Umsetzung zwar gut gemeint, aber eben nicht gut genug gemacht.
Der Spielmann und die erfrorene Gänsemagd
Am besten gelingt der dritte und letzte Akt, der am stärksten von Wagner beeinflusst ist, so zumindest der Eindruck nach dieser Inszenierung: Die Märchenwelt war eine Illusion, das Sterben ist Realität. Die Gänsemagd erfriert auf einer Bank. Der Königssohn überlebt, wird aber wohl nicht zurückfinden in sein altes Leben. Der Spielmann hat alle Utopien vergessen. Die Kinder (ganz wunderbar im Klang: Der Opern-Kinderchor der Chorakademie Dortmund), Bewahrer des Glaubens an das Gute, singen unsichtbar vom Bühnenhintergrund - sie, die "Guten", sind ausgeschlossen. Passanten gehen vorbei, werfen einen kurzen gleichgültigen Blick auf die Leiche, bleiben aber unberührt. Ein durchaus berührendes Schlussbild, aber für drei Stunden Spieldauer, in denen man die hehre Botschaft früh vernommen hat, ein bisschen wenig.
Die Regie, so sehr man ihrer humanitären wie sozialpolitischen Botschaft auch zustimmen mag, bekommt im Spagat zwischen Märchenwelt und trauriger Gegenwart die dramaturgischen Probleme der Oper nicht in den Griff, und trotzdem berührt der Ansatz. Musikalisch unbedingt hörenswert.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung und Bühne
Bühne und Kostüme
Licht
Chor
Kinderchor
Dramaturgie
Solisten
Der Königssohn
Die Gänsemagd
Der Spielmann, Ratsälterster, Torwächter
Die Hexe, die Wirtstochter
Der Holzhacker
Der Besenbinder
Sein Töchterchen
Der Wirt
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