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Die ganze
Bandbreite des Tanzes Von Thomas Molke / Fotos:© Costin RaduAls Bridget Breiner zum Beginn der Spielzeit 2012/2013 als Ballettdirektorin nach Gelsenkirchen kam, stellte sie unter dem Titel Der erste Gang in einer Art Gala ihr Ensemble in kleinen Auszügen aus Kreationen von zahlreichen Choreographen vor (siehe auch unsere Rezension). Seitdem hat sie die aus insgesamt 14 Tänzerinnen und Tänzern bestehende Compagnie durch eindrucksvolle Choreographien, für die sie insgesamt zwei Mal mit dem begehrten FAUST-Preis ausgezeichnet wurde, auch überregional bekannt gemacht und mit einem abwechslungsreichen Spektrum ein großartiges Gespür für den Publikumsgeschmack in Gelsenkirchen bewiesen. Als der Plan für Signaturen, den letzten Ballettabend der Spielzeit 2018/2019, entstand, ahnte man noch nicht, dass Breiner zum Ende dieser Spielzeit das Musiktheater im Revier in Richtung Karlsruhe verlassen wird. Eigentlich wollte Breiner erneut ihren Tänzerinnen und Tänzern eine Chance geben, in Ballett-Höhepunkten von insgesamt sieben Choreographen ihre individuellen Stärken präsentieren zu können. Nun bildet Signaturen mit Der erste Gang gewissermaßen einen Rahmen um die Produktionen, mit denen das Ballett im Revier unter der Leitung von Breiner das Gelsenkirchener Publikum insgesamt sieben Jahre lang begeistert hat. Da Paul Calderone sich kurz vor der Premiere verletzte, musste das Programm noch einmal umgestellt werden. So wurden zwar zwei Stücke aus dem Programm genommen, allerdings durch eine Kreation ersetzt, die aus den "sieben Handschriften" schließlich "acht" machen. Divertissement aus dem 1. Akt Schwanensee: von links: Hitomi Kuhara, Louiz Rodrigues, Francesca Berruto, Valentin Juteau, Lucia Solari und José Urrutia Der Titel bezieht sich auf die "typischen Handschriften", die ein Choreograph in seiner Arbeit mit Tänzerinnen und Tänzern entwickelt. Sieben von diesen "Handschriften" haben auch das Ballett im Revier in den vergangenen sieben Jahren maßgeblich geprägt und ihre Spuren hinterlassen. Den Anfang macht ein Auszug aus Tschaikowskis berühmtem Handlungsballett Schwanensee in einer Choreographie von Lynne R. Charles, die bis Februar 2015 als 1. Ballettmeisterin am Ballett im Revier engagiert war und seitdem neben ihrer Tätigkeit als Professorin an der Folkwang Universität der Künste in Essen dem Ballett als Gast weiterhin verbunden ist. 2015 choreographierte sie für das Nationalballett Ljubljana Tschaikowskis Ballettklassiker und studierte nun ein Divertissement aus dem 1. Akt ihrer Kreation ein. In diesem Ausschnitt zelebrieren Francesca Berruto, Lucia Solari, Hitomi Kuhara, Valentin Juteau, Ledian Soto und José Urrutia in der Gruppe, in mehreren Pas de deux und kleineren Soli Spitzentanz auf höchstem Niveau. Das Schluss-Duett aus Breiners Choreographie zu Shakespeares Ein Sommernachtstraum musste aus dem Programm genommen werden, da Paul Calderone, der die Rollen des Theseus und Oberon übernommen hatte, verletzt ist. Stattdessen präsentiert Bridgett Zehr einen Klassiker, den der legendäre Michel Fokine kreiert hat: Der sterbende Schwan zur Musik von Camille Saint-Saëns. Zehr begeisterte mit diesem Solo in Gelsenkirchen bereits bei einer Ballett-Gala und setzt damit die klassische Linie des Abends fort. Mit großer Intensität begeistert sie auf Spitze als Schwan, der am Ende der Musik leblos zusammensinkt. Francesca Berruto (links) und Rita Duclos (rechts) in Fleeting von Bridget Breiner Nach diesen beiden klassischen Auszügen folgt ein Wechsel in den modernen Ausdruckstanz. Kevin O'Days Choreographie ... With the Lights On war 2015 als Uraufführung im Rahmen des dreiteiligen Ballettabends Sweet Tragedies zu erleben (siehe auch unsere Rezension). Die Musik stammt von der zeitgenössischen Komponistin Julia Wolfe und lässt die zwei Tänzerinnen und zwei Tänzer durch ein ständig wechselndes Beziehungsgeflecht wirbeln. Gezeigt wird der Anfang, bei dem Sarah-Lee Chapman, Hitomi Kuhara, Valentin Juteau und Mason Manning einzeln vor den Vorhang treten, Klatschgeräusche machen und dann wie von unsichtbarer Hand hinter den Vorhang gezogen werden. Die Bewegungen werden anschließend zur Musik von Wolfe, die lediglich aus Perkussionen besteht, wieder aufgenommen und fordern den Tänzerinnen und Tänzern bei den tropischen Temperaturen im Kleinen Haus konditionell einiges ab. Es folgt eine Uraufführung der scheidenden Ballettdirektorin: Fleeting. Als Inspiration diente die Inspiration eines Liedes von Anton Rubinstein durch den russischen Bass Boris Shtokolov. Francesca Berruto, Rita Duclos und Bridgett Zehr fangen in fließenden Bewegungen mit modernem Ausdruck die flüchtigen Momente mit einem Hauch Melancholie bewegend ein. Dabei scheinen die drei zunächst eine Einheit zu bilden, aus der sie sich allerdings im Verlauf des Stückes lösen. Eine weitere Uraufführung ist die Kreation Thirteen des aus Israel stammenden Choreographen Amos Ben-Tal, der in der vergangenen Spielzeit mit dem Ballett im Revier Jiří Kyliáns Choreographie Indigo Rose im Rahmen des Ballettabends Old, New, Borrowed, Blue einstudiert hat. Der Titel bezieht sich auf die exakte Länge des Stückes, die auf einer Digitaluhr immer wieder eingeblendet wird. Zunächst hört man eine Frauenstimme, die die ersten Sekunden anzählt. Es folgt Musik von Georg Friedrich Händel, die Ben-Tal mit eigenen Klang-Kompositionen mischt. Die vier Tänzerinnen und vier Tänzer bewegen sich dazu in einer abstrakten Körpersprache, die ähnlich exakt und maschinell wie die tickende Uhr wirkt. Am Ende hört man erneut die Frauenstimme, die die letzten Sekunden zählt. On Rebuilding Laughter von Renato Paroni de Castro: Mason Manning und Rita Duclos Nach der Pause geht es mit einer weiteren Neukreation weiter: On Rebuilding Laughter von Renato Paroni de Castro, der bereits seit der Spielzeit 2013/2014 als ständiger Gastballettmeister mit dem Ballett im Revier arbeitet und in der letzten Spielzeit seine Kreation Die Architektur der Liebe im Rahmen des Ballettabends The Vital Unrest präsentierte. On Rebuilding Laughter ist ein sehr persönliches Stück und erzählt davon, wie man nach einer schwierigen Lebensphase die Freude zurückgewinnt und lernt, wieder zu lachen. Zur Musik von Johann Sebastian Bach verbindet de Castro klassischen Tanz mit einer unkonventionellen, teils grotesk anmutenden Bewegungssprache. Rita Duclos, Sara Zinna, Valentin Juteau und Mason Manning, die in grellen orange-farbenen Kostümen gekleidet sind, wechseln zwischen Zerbrechlichkeit und kraftvollem Tanz. Zunächst liegen Duclos und Manning geschwächt auf dem Boden, während Juteau mit energiegeladenen Drehungen begeistert. Unklar bleibt die alte Person im Hintergrund, die während des Stückes in einer schwarzen Kutte mit einem schwarzen Hut langsam über die Bühne schleicht und dabei die Tänzerinnen und Tänzer beobachtet. Im Anschluss wird eine Choreographie von Breiner wieder aufgenommen, mit der damals Der erste Gang eröffnet wurde: La Grande Parade de Funk. Einige werden sich vielleicht noch an den leider viel zu früh verstorbenen Joseph Bunn erinnern, der dieses Stück damals mit Aidan Gibson interpretierte. Nun begeistern Lucia Solari und José Urrutia zur Musik von Chris Brubeck mit einer ungeheuren positiven Lebensfreude. Ensemble in Dawn of an Announced End von Benvindo Fonseca Natürlich darf an einem solchen Abend auch Marco Goecke nicht fehlen, der vielen in Gelsenkirchen sicherlich noch durch seine Choreographie Sweet Sweet Sweet im Rahmen des bereits erwähnten Ballettabends Sweet Tragedies in Erinnerung sein dürfte. Seine Choreographie Ring Them Bells liefert Unterhaltung pur. Zu einem Mitschnitt eines Konzertes mit Liza Minnelli vertanzen Francesca Berruto und Louiz Rodrigues Minnellis Aufforderung, doch einfach mal bei seinem Nachbarn anzuklingeln, wenn man auf der Suche nach dem Mann fürs Leben sei. Berruto und Rodrigues setzen die Komik des Songs großartig um. Dabei fahren sie unter anderem auf einem Skateboard liegend quer über die Bühne oder setzen die auf Show-Effekte setzende Musik mit ausladenden Bewegungen um. Zum Abschluss gibt es das Finale aus Dawn of an Announced End, einer Choreographie von Benvindo Fonseca, die bereits als Uraufführung in dem Ballettabend Bł vertanzt 2016 zu erleben war (siehe auch unsere Rezension). Zur Sinfonie Nr. 2 D-Dur von Ludwig van Beethoven tritt noch einmal das komplette Ensemble des Ballett im Revier auf und feiert den Tanz in allen Schattierungen. Die Tänzerinnen und Tänzer finden in immer wieder neuen Gruppierungen zueinander und strahlen mit ihrer Energie pure Lebensfreude aus, die sich auf das Publikum überträgt. So gibt es am Ende großen und verdienten Jubel, in dem aber auch ein bisschen Wehmut mitschwingt, dass man sich von dieser tollen Compagnie nun verabschieden muss.
FAZIT Das Ballett im Revier verabschiedet sich genauso beeindruckend, wie es sich vor sieben Jahren vorgestellt hat.
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ProduktionsteamDivertissement aus Choreographie Kostüme Tänzerinnen und Tänzer *rezensierte Aufführung *Francesca Berruto Der sterbende Schwan Choreographie Tänzerin Bridgett Zehr Auszug aus Choreographie Kostüme Licht Tänzerinnen und Tänzer *rezensierte Aufführung *Sarah-Lee Chapman Fleeting (UA) Choreographie und Kostüme Tänzerinnen Francesca Berruto Thirteen (UA) Choreographie, Kostüme und
Licht Tänzerinnen und Tänzer *rezensierte Aufführung *Sarah-Lee Chapman On Rebuilding Laughter (UA) Choreographie
und Kostüme Tänzerinnen und Tänzer Rita Duclos La Grande Parade de Funk Choreographie und
Kostüme Tänzerin und Tänzer Lucia Solari Ring Them Bells Choreographie und Kostüme Tänzerin und Tänzer Francesca Berruto Finale aus Choreographie Kostüme Tänzerinnen und Tänzer Das Ballett im Revier
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