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Wer ist das Volk?
Von Roberto Becker
/ Fotos © Opera Vlaanderen
Wagners Lohengrin kann man - wie jede andere Oper auch - so oder auch ganz anders sehen: Als ein romantisches Märchen in blau über einen Zauberritter und eine neugierige Maid - wie in diesen Sommer als Neo-Romantik in Bayreuth. Oder als ein Stück, das es darüber hinaus gewaltig in sich hat. Vor allem, weil es da Passagen gibt, die sich wie ein Oper gewordenes Säbelrasseln anhören. Wenn der Chor in Habachtstellung "Für deutsches Land, das deutsche Schwert" heraus donnert, dann muss man das geradezu nationalistisch (miss-)verstehen. Oder sich eben dazu verhalten.
Regisseur David Alden und sein Team haben jetzt in ihrer mit London koproduzierten Inszenierung an der Flämischen Oper in Gent dieser Passage einen geradezu alptraumhaften Rahmen verpasst. Aus dem Schnürboden hängen zig Fahnen mit einem martialisch stilisierten Schwan. Darunter senken Soldaten mit Stahlhelmen ihre Speere (wie die zeitlos personifizierte militärische Gewalt schlechthin) bedrohlich in Richtung Zuschauer. Lohengrin, der Wunderritter, den niemand nach "Nam' und Art" fragen darf, bekommt von König Heinrich für ein wenig Hokuspokus die Macht in Brabant. Dieser große Unbekannte (oder Blender?) verpasst dem Staat das neue Logo der Macht: den zackig stilisierten Schwan für die Fahnen und als Skulptur auf einer Großstele. Vor allem aber profitiert er von der Manipulierbarkeit der Massen. Dass diese Inszenierung an dem im Lohengrin geradezu exemplarischen Opportunismus der Chöre ansetzt, verschafft ihr die hellsichtigsten und faszinierendsten Momente. Auch wegen der präzisen Eloquenz, mit der hier glasklar gesungen wird. Für's Deutsche Reich: Militant unter'm Schwanenbanner Dass alle (außer der taffen Ortrud) platt sind, wenn die Schattenspiele auf den schiefen und düsteren Hausfassaden das Wunder ankündigen, auf das die des Brudermordes verklagte Elsa hofft, kann man noch nachvollziehen. Selbst wenn der Wundermann dann nicht in der von Elsa prophezeiten prächtigen Aufmachung, sondern wie ein Sommerfrischler im weißen Anzug ohne Waffen und Schuhe, ja sogar ohne rechten Durchblick, wer hier eigentlich wer ist, auftaucht. Wenn die Massen vor dem Gottesgericht offensichtlich dem Fremden mehr trauen als ihrem bisherigen Führungspersonal (Telramund und seine Frau gehören zur alten Brabanter Elite), dann erinnert das verdammt an die prominenten Schaumschläger von heute. Als der Kampf zwischen Lohengrin und Telramund zugunsten Lohengrins ausgeht, verwandelt sich das Volk im Handumdrehen in einen Mob, der auf den Grafen Telramund und seine Gattin Ortrud (ihres Zeichens Königstochter mit Migrationshintergrund und "falscher" Religion) losgehen und sie beinahe lynchen. Hier könnte nicht einmal der eifrigste Wegseher behaupten, das sei eigentlich fast Nichts…. Über den plötzlich aufgetauchten Heilsbringer wissen sie nichts. Umso eifriger unterwerfen sie sich ihm. Wagners Musik meint es zwar demonstrativ gut mit ihm, aber, nüchtern betrachtet, könnte man das durchaus auch für Blendwerk halten.
Wenn der Chor dann im Zweiten Akt seinen großen Auftritt mit einstudierten kollektiven Jubel-Gesten bekräftigt, wie sie heute nur noch Nordkorea drauf hat, und bei jeder Atempause kraftlos wieder in sich zusammensinkt, dann wird vollends klar, dass Alden mit seinem Lohengrin 2018 auf eine Dystopie im Sinne und in der Ästhetik von Orwells 1984 zielt. Das Erschreckende und Gutgemachte daran ist, dass er dafür keinerlei direkte Vergegenwärtigung braucht, sondern sich die Bilder dazu von selbst einstellen. Am Ende kriecht unter den herabgefallenen Fahnen der der neue Herzog hervor - und alles wissen, dass hier nichts gut werden wird. Manipuliertes Volk: Der Herrufer im Hintergrund ist zufrieden. Mit diesem düster packenden Lohengrin misst sich die Flämische Oper mit der Oper La Monnaie in Brüssel, wo Olivier Py vor kurzem eine überdeutliche Lehrstunde in Deutscher Geschichte aus Wagners Meisterwerk gemacht hatte. Aus dem ordentlich singenden Ensemble ragt die erfahrene Wagnerheroine Iréne Theorin mit ihrer ersten Ortrud an der Seite des kraftvollen Telramund Craig Colclough heraus. Liene Kinča fand als Elsa nach anfänglichen Schärfen zu einem differenzierteren Ton. Zoran Todorovich fühlte sich in den Regionen schmetternder Lohengrin-Höhen deutlich wohler als bei den leiseren Tönen, hatte aber für die Gralserzählung klug kalkuliert. Den Heerrufer Vincenzo Neri darf man als Entdeckung verbuchen. In der Genter Premiere musste sich der überzeugende spielende Thorsten Grümbel für den kompletten König Heinrich die Stimme von Wilhelm Schwinghammer borgen, der als Retter in der Not von der Seite aus sang. Im Graben des Opernhauses in Gent lässt Alejo Pérez am Pult des Sinfonieorchesters der Flämischen Oper gerne mal die Zügel schleifen, kriegt aber das Martialische zunehmend differenzierter in den Griff. Bei der Übernahme in Antwerpen dürfte die etwas andere Akustik des dortigen Hauses dieses Bemühen unterstützen.
David Alden präsentiert an der Flämischen Oper in Gent einen szenisch düsteren, aber politisch hellsichtigen Lohengrin, den man gerne als polemische Gegenposition zur Neo-Romantik der aktuellen Bayreuther Inszenierung lesen kann. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Bühne
Kostüme
Licht
Chor
Solisten
Lohengrin
Elsa von Brabant
Telramund
Ortrud
König Heinrich
Heerrufer
Vier brabantische Edle
Friedrich Telramund
Vier Pagen
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