Liebeslust
und Machtgier sind zeitlos
Von
Bernd
Stopka / Fotos von Thomas M. Jauk
Claudio
Monteverdis letzte Oper L'incoronazione
di Poppea (Die Krönung der
Poppea) wurde 1642 in Venedig
uraufgeführt. Hundert Jahre später
fiel die Partitur wahrscheinlich
einem Brand zum Opfer und erst 1888
und 1930 wurden verschiedene, aber
beide nicht der Urfassung
entsprechende Handschriften
wiederentdeckt, in denen aber nur
Gesangsstimmen und Continuo notiert
sind. Diverse Fassungen und
Bearbeitungen versuchen nun dieser
Oper, in der erstmals auch wirkliche
Menschen als handelnde Figuren
auftreten, gerecht zu werden.
Die erste Wiederaufführung einzelner
Szenen fand 1905 in Paris statt, die
erste Aufführung als Oper 1913
ebenda. Seit den 1960er Jahren
erfreut sich das Werk größter
Beliebtheit. Als letzte große
Musiktheaterpremiere der Saison
steht diese Oper in einer Fassung
auf dem Spielplan der Staatsoper
Hannover, für die der Dirigent
Howard Arman einige Zwischenspiele
im Stil der damaligen Zeit
komponiert hat und eine (zuweilen
befremdliche) Auswahl von Strichen
setzt.
Josy Santos,
Julie-Marie Sundal
Amor
behauptet den um den Vorrang
streitenden Göttinnen des Schicksals
und der Tugend gegenüber, dass die
Liebe, also er, den Lauf der Dinge
bestimmt und alles andere sie nur
nachrangig bewegt. Bezieht man ihre
Gegenstücke, Eifersucht und Hass,
mit ein, könnte er Recht haben.
Nerones Liebe zu Poppea, die
eigentlich die Geliebte seines
Feldherrn Ottone ist, macht ihn
nicht nur blind für die Warnungen
seines Erziehers und
Haus-Philosophen Seneca, er fordert
ihn sogar zum Selbstmord auf. Ottone
wird von Nerones Gattin Ottavia
erpresst und soll nun als Frau
verkleidet, in den Kleidern seiner
(aus Trotz) neuen Geliebten Drusilla
Poppea töten. Doch da greift Amor
höchstselbst ein und vereitelt den
Anschlag. Aus Liebe nimmt Drusilla
alle Schuld auf sich, doch Ottone
bekennt sich zu dem Mordversucht und
benennt Ottavia als Auftraggeberin.
Nerone und Ottavia werden von Nerone
aus Rom verbannt und wiederum aus
Liebe folgt Drusilla ihrem
Geliebten. Nerone und Poppea feiern
ihr Liebeglück auf dem Thron.
Dem Libretto von Giovanni Francesco
Busenello liegt das 14. Buch der Annalen
des Tacitus und das Drama Octavia
aus der Schule des Seneca zugrunde.
Die Geschichte der großen Liebe
zwischen Nero und Poppea ist mit
reichlich Tiefsinn und
Zweideutigkeiten angereichert.
Philosophie, Vernunft und Stoizismus
(Seneca) stehen den wilden
Leidenschaften und der Gier nach
Macht gegenüber. Standesunterschiede
werden ignoriert und der geordnete
Staat droht durch die entfesselten
Leidenschaften und eine untergrabene
Moral ins Wanken zu geraten. Das
alles wird mit zuweilen geradezu
heiteren Texten in feingegliederten
Szenen erzählt. Die Figuren teilen
sich nicht in Gut und Böse, sie sind
gleichermaßen sympathisch und
unsympathisch und haben alle
irgendwo mehr oder weniger Dreck am
Stecken. Über allem jedoch
triumphiert Amor und beweist auch
musikalisch seine These. Doch über
dem finalen Liebesduett schwebt
hinter der Musik ein großes
Fragezeichen. Monteverdis Musik
deutet mit reichen Mitteln die
diversen Emotionen menschlichen
Lebens aus und weist den Weg zu
späteren Opernstrukturen und
Arienformen. Somit wird seine letzte
Oper zu seiner bedeutendsten und zu
einem Meilenstein in der
Operngeschichte überhaupt.
Monika
Walerowicz,
Uwe
Gottswinter,
hinten: Edward
Mout
Triebgesteuerte Entscheidungen, die
Herrschaft der Leidenschaft über die
Vernunft, Machtgier, die die Liebe
ausnutzt, um an ihr Ziel zu kommen,
das Auslöschen von Kritikern und
Warnern. Ist das Freiheit und wenn
ja, was bewirkt sie im Großen, wenn
sie im Einzelnen gelebt wird? Eine
elementare Weltfrage stellt sich in
dieser Oper, die zeitlos mit Sex,
Mord, Intrigen und sonstigen
Leidenschaften ein Festessen für
jeden Regisseur bietet, vor allem,
wenn er neben diesen
offensichtlichen Aspekten auch die
Vielfältigkeit und
Widersprüchlichkeit der einzelnen
Personen deutlich werden lässt.
Regisseur Ingo Kerkhof konzentriert
seine Regiearbeit auf diese inneren
Konflikte und stellt sie in den
Kostümen von Stephan von Wedel, die
Elemente diverser Zeitalter
aufweisen, und mit ausgefeilter
Personenregie als zeitlos dar. Ein
Bühnenbild im klassischen Sinne gibt
es nicht. Auf dem abgedeckten
Orchestergraben steht ein langer
einfacher Tisch mit ebenso einfachen
Stühlen, dahinter sitzt das
Orchester. Dadurch rücken die Sänger
ganz nah an das Publikum und es
entsteht die Atmosphäre, die man
sonst eher im Schauspielhaus erlebt,
was die historische Entwicklung des
Musiktheaters andeutet. Die wenigen
Requisiten beschränken sich in
erster Linie auf Wein nebst Gläsern,
Tabletts mit Trauben, verschiedenen
Waffen – auch hier wird die Regie
nicht konkret aktuell und zeigt
wirklich Dolch und Degen – und einen
langen toten Baum, den Ottone auf
die Bühne schleift.
Beginn und Ende zeigen die
Personen als trinkfreudige
Feiergesellschaft, was an ein
Familienfest erinnert, bei dem
sich Konflikte auftun und
ausgetragen werden. Der Tisch
dient dabei als Ausgangs- und
Angelpunkt. Auf und unter ihm wird
gegessen, getrunken, geliebt und
gemordet – mal mit und mal ohne
Tafeltuch. Einige Personen
schlüpfen in verschiedene Rollen,
die sich durchaus logisch
verknüpfen lassen. So ist Amor
gleichzeitig der Page, der Seneca
verspottet und Drusilla auch die
Stimme der Athene, die Seneca
seinen Tod verkündet (wenngleich
dies eigentlich Merkur in Athenes
Auftrag tut). Weniger logisch ist,
dass die Ammen der Ottavia und
Poppea zu einer zusammengefasst
wurden und mit einem Tenor besetzt
sind, der dasselbe Kleid aber
jeweils eine andere Perücke trägt
und mal gebückt rückenleidend
auftritt und mal nicht. Arnalta,
Poppeas Amme, wird meistens mit
einem Tenor besetzt (und das kann
herrlich komisch sein), Ottavias
Amme hingegen mit einer
Alt-Stimme. Möglicherweise steckt
hinter der Zusammenführung eine
tiefere Bedeutung, offensichtlich
ist aber, dass die Figur der Amme
deutlich aufgewertet wird und zu
einer Zentralfigur wird. Das wäre
an sich eine gute Idee, werden
doch oft genug die Dinge im
Hintergrund durch Ratschläge von
Vertrauten in ihre Bahnen gelenkt.
Dass die Amme vollständig
überzogen und zum Fremdschämen
albern gezeichnet ist,
unterminiert diesen Gedanken
allerdings. Sie wirkt wie eine
komische Alte, die aus dem
Schmierentheater entsprungen ist,
der Liebeslust nicht abgetan (wenn
sie sich beim finalen Festmahl von
hinten anbietet) und eine Geisha
imitierend, wenn sie einen
Fächertanz andeutet.
Sung-Keun
Park, Ania
Vegry
Moderne
Tanzbewegungen, die immer wieder
gezeigt werden, wirken dagegen
einfach nur peinlich. Dass
immer wieder Personen aktiv in
Szenen einbezogen werden, in denen
sie eigentlich abwesend sind,
verdeutlicht, dass sie das gerade
Gesungene auch betrifft. Reichlich
befremdlich wirkt, dass Seneca in
der Szene mit Ottavia als lustiger
Onkel erscheint, (während Ottone auf
der anderen Bühnenseite gerade
seinen Namen oder sonstwas tanzt)
und auch Nerone gegenüber nur ein
schwacher, wenig engagierter und
eher genervter Mahner ist.
Eigentlich hat er da noch nicht mit
dem Leben abgeschlossen. Richtig
ärgerlich wird es, wenn Poppea
während Nerones Gesang einen Degen
geräuschvoll über die Bühne
schleift.
Die stärksten Szenen entstehen, wenn
die Regie sich zurückhält und Text,
Musik und Sängern den Vorrang lässt,
wie zum Beispiel bei Ottavias
Abschiedsarie. Auch Senecas Tod
beginnt tief bewegend: Eine Öffnung
im Bühnenboden deutet mit ein wenig
Bühnennebel das Bad an, in das
Seneca steigt, um sich die Pulsadern
zu öffnen, während seine Freunde am
Tisch sitzen und immer wieder
herzzerreißend „Oh nein, Seneca,
stirb nicht!“ singen. Dass Nerone
ihm dann die Kehle durchschneidet,
ist eine dieser
Überdeutlichmachungen, die dem
feinsinnigen Zuschauer so
fürchterlich auf die Nerven gehen
können. Ja, Nerone tötet Seneca,
aber nicht so, sondern viel
subtil-perfider durch den Befehl
sich selbst zu töten. Überdeutlich
ist vieles in dieser Produktion,
nicht zuletzt alles derb Sexuelle,
das darin gipfelt, dass sich
Drusilla und Ottone ihre Liebe
dadurch beweisen, dass sie sich
jeweils im Schritt des anderen zu
schaffen machen. „Drusilla ist auf
meinen Lippen“ singt Ottone und
leckt sich die zwei Finger ab, die
er zuvor zwischen ihren Beinen
hatte. Nun denn, wie auch
immer.
am
Tisch: Jonas
Böhm, Josy
Santos, Edward
Mout, Uwe
Gottswinter,
Julie-Marie
Sundal,
Sung-Keun
Park;
auf dem Boden:
Ania Vegry,
Ylva Stenberg
Das Finale zeigt Poppea als
Siegerin, die ihr Ziel erreicht hat
und voller Stolz an der Tafel sitzt,
nachdem sie Nerone zuvor einen Ring
nach dem anderen abgerungen hat,
indem sie eine von ihm geschenkte
Ringschachtel immer wieder leer über
den Tisch zum ihm zurückschob und er
sie immer wieder neu befüllte.
Gekrönt wird sie dann mit einem
bunten Plastikblumengebinde. Ihr
Ziel war nicht Nerones Liebe,
sondern die Macht. Die kostet sie
dann auch weidlich aus, indem sie
Drusilla, Ottone und der Amme die
Kehlen durchschneidet und mit einem
Wink auch die anderen an der
Festtafel sitzenden Figuren
hinrichtet. Amor drückt Nerone den
Dolch in die Hand, der ihn an
Poppeas Kehle hält. Das deutet an,
dass Nero ziemlich bald auch Poppeas
und ihrer Machtgier überdrüssig
wird.
Howard Arman leitet die Aufführung
vom Cembalo aus und lässt die Musik
mit dem klein aber fein besetzten
Orchester wundervoll klingen. Für
die Gesangspartien hat man keine
Spezialisten geholt, was Puristen
sich wünschen würden, sondern alle
Rollen mit Ensemblemitgliedern
besetzt – und die werden dieser
besonderen Herausforderung höchst
beachtlich gerecht. Allen voran
Julie-Marie Sundal als androgyner
Ottone mit wunderschön timbriertem,
samtig-weichem Mezzo, Ania Vegry als
Drusilla die mit substanzreichem
Sopran glasklare Koloraturen hören
lässt, Ylva Stenberg als jugendlich
leicht klingender Amor, Stella
Motina als leidenschaftliche Poppea,
Monika Walerowitz als sich seinen
Lauen und Lüsten hingebender Nerone,
Josy Santos als sich als Opfer
fühlende Ottavia und nicht zuletzt
Daniel Eggert mit klangvollem,
beweglichen Bass als Seneca.
Sung-Keun Park beeindruckt, wenn er
das Schlaflied für Poppea mit sanft
schwebender Kopfstimme singt. Das
Schwanken zwischen keifendem Falsett
und diversen anderen Klanggebungen
ist der oben erläuterten regielichen
Zeichnung der Amme(n) zuzuschreiben.
Uwe Gottwinter (Lucano), Jonas Böhm
(Liberto) und Edward Mout (Soldat)
komplettieren das Ensemble adäquat.
FAZIT
Eine wenig überzeugende Regiearbeit, aber musikalisch höchst
beeindruckend mit einigen großartigen Sängerleistungen
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Howard Arman
Inszenierung
Ingo Kerkhof
Raum
Dirk Becker
Kostüme
Stephan von Wedel
Choreographie
Mathias Brühlmann
Licht
Susanne Reinhardt
Dramaturgie
Klaus Angerman
Niedersächsisches Staatsorchester Hannover
Solisten
Poppea
Stella Motina
Nerone
Monika Walerowicz
Ottone
Julie-Marie Sundal
Ottavia
Josy Santos
Seneca
Daniel Eggert
Drusilla / Stimme der Athene
Ania Vegry
Amore (Valetto)
Ylva Stenberg
Arnalta / Nutrice
Sung-Keun Park
Lucano
Uwe Gottswinter
Liberto
Jonas Böhm
Soldat
Edward Mout
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Staatsoper Hannover
(Homepage)
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