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Die Krönung der Poppea
(
L'Incoronazione di Poppea)

Oper in einem Prolog und drei Akten (1642)
Text von Giovanni Francesco Busanello
Musik
von Claudio Monteverdi

Aufführungsdauer: ca. 3 Stunden, 25 Minuten (1 Pause)

In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Premiere am 7. Juni 2019 in der Staatsoper Hannover

 

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Staatsoper Hannover
 (Homepage)

Liebeslust und Machtgier sind zeitlos


Von Bernd Stopka / Fotos von Thomas M. Jauk


Claudio Monteverdis letzte Oper L'incoronazione di Poppea (Die Krönung der Poppea) wurde 1642 in Venedig uraufgeführt. Hundert Jahre später fiel die Partitur wahrscheinlich einem Brand zum Opfer und erst 1888 und 1930 wurden verschiedene, aber beide nicht der Urfassung entsprechende Handschriften wiederentdeckt, in denen aber nur Gesangsstimmen und Continuo notiert sind. Diverse Fassungen und Bearbeitungen versuchen nun dieser Oper, in der erstmals auch wirkliche Menschen als handelnde Figuren auftreten, gerecht zu werden.

Die erste Wiederaufführung einzelner Szenen fand 1905 in Paris statt, die erste Aufführung als Oper 1913 ebenda. Seit den 1960er Jahren erfreut sich das Werk größter Beliebtheit. Als letzte große Musiktheaterpremiere der Saison steht diese Oper in einer Fassung auf dem Spielplan der Staatsoper Hannover, für die der Dirigent Howard Arman einige Zwischenspiele im Stil der damaligen Zeit komponiert hat und eine (zuweilen befremdliche) Auswahl von Strichen setzt.
 
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Josy Santos, Julie-Marie Sundal

Amor behauptet den um den Vorrang streitenden Göttinnen des Schicksals und der Tugend gegenüber, dass die Liebe, also er, den Lauf der Dinge bestimmt und alles andere sie nur nachrangig bewegt. Bezieht man ihre Gegenstücke, Eifersucht und Hass, mit ein, könnte er Recht haben. Nerones Liebe zu Poppea, die eigentlich die Geliebte seines Feldherrn Ottone ist, macht ihn nicht nur blind für die Warnungen seines Erziehers und Haus-Philosophen Seneca, er fordert ihn sogar zum Selbstmord auf. Ottone wird von Nerones Gattin Ottavia erpresst und soll nun als Frau verkleidet, in den Kleidern seiner (aus Trotz) neuen Geliebten Drusilla Poppea töten. Doch da greift Amor höchstselbst ein und vereitelt den Anschlag. Aus Liebe nimmt Drusilla alle Schuld auf sich, doch Ottone bekennt sich zu dem Mordversucht und benennt Ottavia als Auftraggeberin. Nerone und Ottavia werden von Nerone aus Rom verbannt und wiederum aus Liebe folgt Drusilla ihrem Geliebten. Nerone und Poppea feiern ihr Liebeglück auf dem Thron.

Dem Libretto von Giovanni Francesco Busenello liegt das 14. Buch der Annalen des Tacitus und das Drama Octavia aus der Schule des Seneca zugrunde. Die Geschichte der großen Liebe zwischen Nero und Poppea ist mit reichlich Tiefsinn und Zweideutigkeiten angereichert. Philosophie, Vernunft und Stoizismus (Seneca) stehen den wilden Leidenschaften und der Gier nach Macht gegenüber. Standesunterschiede werden ignoriert und der geordnete Staat droht durch die entfesselten Leidenschaften und eine untergrabene Moral ins Wanken zu geraten. Das alles wird mit zuweilen geradezu heiteren Texten in feingegliederten Szenen erzählt. Die Figuren teilen sich nicht in Gut und Böse, sie sind gleichermaßen sympathisch und unsympathisch und haben alle irgendwo mehr oder weniger Dreck am Stecken. Über allem jedoch triumphiert Amor und beweist auch musikalisch seine These. Doch über dem finalen Liebesduett schwebt hinter der Musik ein großes Fragezeichen. Monteverdis Musik deutet mit reichen Mitteln die diversen Emotionen menschlichen Lebens aus und weist den Weg zu späteren Opernstrukturen und Arienformen. Somit wird seine letzte Oper zu seiner bedeutendsten und zu einem Meilenstein in der Operngeschichte überhaupt.

Foto folgtMonika Walerowicz, Uwe Gottswinter, hinten: Edward Mout

Triebgesteuerte Entscheidungen, die Herrschaft der Leidenschaft über die Vernunft, Machtgier, die die Liebe ausnutzt, um an ihr Ziel zu kommen, das Auslöschen von Kritikern und Warnern. Ist das Freiheit und wenn ja, was bewirkt sie im Großen, wenn sie im Einzelnen gelebt wird? Eine elementare Weltfrage stellt sich in dieser Oper, die zeitlos mit Sex, Mord, Intrigen und sonstigen Leidenschaften ein Festessen für jeden Regisseur bietet, vor allem, wenn er neben diesen offensichtlichen Aspekten auch die Vielfältigkeit und Widersprüchlichkeit der einzelnen Personen deutlich werden lässt.

Regisseur Ingo Kerkhof konzentriert seine Regiearbeit auf diese inneren Konflikte und stellt sie in den Kostümen von Stephan von Wedel, die Elemente diverser Zeitalter aufweisen, und mit ausgefeilter Personenregie als zeitlos dar. Ein Bühnenbild im klassischen Sinne gibt es nicht. Auf dem abgedeckten Orchestergraben steht ein langer einfacher Tisch mit ebenso einfachen Stühlen, dahinter sitzt das Orchester. Dadurch rücken die Sänger ganz nah an das Publikum und es entsteht die Atmosphäre, die man sonst eher im Schauspielhaus erlebt, was die historische Entwicklung des Musiktheaters andeutet. Die wenigen Requisiten beschränken sich in erster Linie auf Wein nebst Gläsern, Tabletts mit Trauben, verschiedenen Waffen – auch hier wird die Regie nicht konkret aktuell und zeigt wirklich Dolch und Degen – und einen langen toten Baum, den Ottone auf die Bühne schleift.

Beginn und Ende zeigen die Personen als trinkfreudige Feiergesellschaft, was an ein Familienfest erinnert, bei dem sich Konflikte auftun und ausgetragen werden. Der Tisch dient dabei als Ausgangs- und Angelpunkt. Auf und unter ihm wird gegessen, getrunken, geliebt und gemordet – mal mit und mal ohne Tafeltuch. Einige Personen schlüpfen in verschiedene Rollen, die sich durchaus logisch verknüpfen lassen. So ist Amor gleichzeitig der Page, der Seneca verspottet und Drusilla auch die Stimme der Athene, die Seneca seinen Tod verkündet (wenngleich dies eigentlich Merkur in Athenes Auftrag tut). Weniger logisch ist, dass die Ammen der Ottavia und Poppea zu einer zusammengefasst wurden und mit einem Tenor besetzt sind, der dasselbe Kleid aber jeweils eine andere Perücke trägt und mal gebückt rückenleidend auftritt und mal nicht. Arnalta, Poppeas Amme, wird meistens mit einem Tenor besetzt (und das kann herrlich komisch sein), Ottavias Amme hingegen mit einer Alt-Stimme. Möglicherweise steckt hinter der Zusammenführung eine tiefere Bedeutung, offensichtlich ist aber, dass die Figur der Amme deutlich aufgewertet wird und zu einer Zentralfigur wird. Das wäre an sich eine gute Idee, werden doch oft genug die Dinge im Hintergrund durch Ratschläge von Vertrauten in ihre Bahnen gelenkt. Dass die Amme vollständig überzogen und zum Fremdschämen albern gezeichnet ist, unterminiert diesen Gedanken allerdings. Sie wirkt wie eine komische Alte, die aus dem Schmierentheater entsprungen ist, der Liebeslust nicht abgetan (wenn sie sich beim finalen Festmahl von hinten anbietet) und eine Geisha imitierend, wenn sie einen Fächertanz andeutet.

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                                                          folgt
Sung-Keun Park, Ania Vegry

Moderne Tanzbewegungen, die immer wieder gezeigt werden, wirken dagegen einfach nur  peinlich. Dass immer wieder Personen aktiv in Szenen einbezogen werden, in denen sie eigentlich abwesend sind, verdeutlicht, dass sie das gerade Gesungene auch betrifft. Reichlich befremdlich wirkt, dass Seneca in der Szene mit Ottavia als lustiger Onkel erscheint, (während Ottone auf der anderen Bühnenseite gerade seinen Namen oder sonstwas tanzt) und auch Nerone gegenüber nur ein schwacher, wenig engagierter und eher genervter Mahner ist.  Eigentlich hat er da noch nicht mit dem Leben abgeschlossen. Richtig ärgerlich wird es, wenn Poppea während Nerones Gesang einen Degen geräuschvoll über die Bühne schleift.

Die stärksten Szenen entstehen, wenn die Regie sich zurückhält und Text, Musik und Sängern den Vorrang lässt, wie zum Beispiel bei Ottavias Abschiedsarie. Auch Senecas Tod beginnt tief bewegend: Eine Öffnung im Bühnenboden deutet mit ein wenig Bühnennebel das Bad an, in das Seneca steigt, um sich die Pulsadern zu öffnen, während seine Freunde am Tisch sitzen und immer wieder herzzerreißend „Oh nein, Seneca, stirb nicht!“ singen. Dass Nerone ihm dann die Kehle durchschneidet, ist eine dieser Überdeutlichmachungen, die dem feinsinnigen Zuschauer so fürchterlich auf die Nerven gehen können. Ja, Nerone tötet Seneca, aber nicht so, sondern viel subtil-perfider durch den Befehl sich selbst zu töten. Überdeutlich ist vieles in dieser Produktion, nicht zuletzt alles derb Sexuelle, das darin gipfelt, dass sich Drusilla und Ottone ihre Liebe dadurch beweisen, dass sie sich jeweils im Schritt des anderen zu schaffen machen. „Drusilla ist auf meinen Lippen“ singt Ottone und leckt sich die zwei Finger ab, die er zuvor zwischen ihren Beinen hatte.  Nun denn, wie auch immer.

Foto folgtam Tisch: Jonas Böhm, Josy Santos, Edward Mout, Uwe Gottswinter, Julie-Marie Sundal, Sung-Keun Park; auf dem Boden: Ania Vegry, Ylva Stenberg

Das Finale zeigt Poppea als Siegerin, die ihr Ziel erreicht hat und voller Stolz an der Tafel sitzt, nachdem sie Nerone zuvor einen Ring nach dem anderen abgerungen hat, indem sie eine von ihm geschenkte Ringschachtel immer wieder leer über den Tisch zum ihm zurückschob und er sie immer wieder neu befüllte. Gekrönt wird sie dann mit einem bunten Plastikblumengebinde. Ihr Ziel war nicht Nerones Liebe, sondern die Macht. Die kostet sie dann auch weidlich aus, indem sie Drusilla, Ottone und der Amme die Kehlen durchschneidet und mit einem Wink auch die anderen an der Festtafel sitzenden Figuren hinrichtet. Amor drückt Nerone den Dolch in die Hand, der ihn an Poppeas Kehle hält. Das deutet an, dass Nero ziemlich bald auch Poppeas und ihrer Machtgier überdrüssig wird.

Howard Arman leitet die Aufführung vom Cembalo aus und lässt die Musik mit dem klein aber fein besetzten Orchester wundervoll klingen. Für die Gesangspartien hat man keine Spezialisten geholt, was Puristen sich wünschen würden, sondern alle Rollen mit Ensemblemitgliedern besetzt – und die werden dieser besonderen Herausforderung höchst beachtlich gerecht. Allen voran Julie-Marie Sundal als androgyner Ottone mit wunderschön timbriertem, samtig-weichem Mezzo, Ania Vegry als Drusilla die mit substanzreichem Sopran glasklare Koloraturen hören lässt, Ylva Stenberg als jugendlich leicht klingender Amor, Stella Motina als leidenschaftliche Poppea, Monika Walerowitz als sich seinen Lauen und Lüsten hingebender Nerone, Josy Santos als sich als Opfer fühlende Ottavia und nicht zuletzt Daniel Eggert mit klangvollem, beweglichen Bass als Seneca. Sung-Keun Park beeindruckt, wenn er das Schlaflied für Poppea mit sanft schwebender Kopfstimme singt. Das Schwanken zwischen keifendem Falsett und diversen anderen Klanggebungen ist der oben erläuterten regielichen Zeichnung der Amme(n) zuzuschreiben. Uwe Gottwinter (Lucano), Jonas Böhm (Liberto) und Edward Mout (Soldat) komplettieren das Ensemble adäquat.

FAZIT

Eine wenig überzeugende Regiearbeit, aber musikalisch höchst beeindruckend mit einigen großartigen Sängerleistungen


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Produktionsteam

Musikalische Leitung    
Howard Arman

Inszenierung   
Ingo Kerkhof

Raum   
Dirk Becker

Kostüme    
Stephan von Wedel

Choreographie    
Mathias Brühlmann


Licht    
Susanne Reinhardt

Dramaturgie    
Klaus Angerman


Niedersächsisches Staatsorchester Hannover


Solisten

Poppea
Stella Motina

Nerone
Monika Walerowicz

Ottone
Julie-Marie Sundal

Ottavia
Josy Santos

Seneca
Daniel Eggert

Drusilla / Stimme der Athene
Ania Vegry

Amore (Valetto)
Ylva Stenberg

Arnalta / Nutrice
Sung-Keun Park

Lucano
Uwe Gottswinter

Liberto
Jonas Böhm

Soldat
Edward Mout


Weitere Informationen
erhalten Sie von der

Staatsoper Hannover
(Homepage)





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