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Tristan und Isolde

Handlung in drei Aufzügen
Text und Musik von Richard Wagner

Aufführungsdauer: ca. 4 Stunden, 50 Minuten (zwei Pausen)

In deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Premiere am 16. September 2018 in der Staatsoper Hannover
besuchte Aufführung: 7. Oktober 2018

 

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Staatsoper Hannover
 (Homepage)

Verliebt ins eigene Verliebtsein


Von Bernd Stopka / Fotos von Thomas M. Jauk

Dass Tristan und Isolde die Menschen in den Wahnsinn treiben kann, war Wagner bewusst, daher hatte er insbesondere vor „vollständig guten“ Aufführungen Angst, in denen er das Potenzial sah, die Menschen verrückt zu machen. Vielleicht wollte Regisseur Stephen Langridge genau dies menschenfreundlich verhindern, indem er das Regiekonzept für seine Inszenierung an der Staatsoper Hannover dem schon recht staubigen Prinzip anvertraute, das Gegenteil zu zeigen, um den Blick auf das Wirkliche zu schärfen. (Eine Theorie, die sich in Pausengesprächen bestätigen kann, aber nur selten beim Erleben der Aufführung).

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Isolde (Kelly God, vorn), Butoh-Tänzer (Tadashi Endo, Nora Otte), Tristan (Robert Künzli, oben)

Die Grundlage des Bühnenbildes (Ausstattung: Conor Murphy) wirkt wie ein langes weißes Tuch in Paneel-Optik, das auf der Bühne liegend die Spielfläche bildet, die es in einem flachen Bogen zum Orchestergraben hin abschließt. Im Hintergrund bäumt es sich auf, wölbt sich über der Szene und fällt dabei in immer engere, lamellenartige Falten, die sich dezent heben und senken lassen, was – durch entsprechende Beleuchtungseffekte unterstützt – wie Wellengang wirkt. Drei Elemente ziehen sich durch alle drei Akte: Eine begehbare Brücke, die im ersten Akt einmal über die Bühne führt, im zweiten Akt von links hineinragt und im dritten auf die Bühne abgestürzt ist. Ein großes Rohr, das im ersten Akt längs wie ein Tunnel über die Bühne gelegt ist und in der Mitte eine runde Öffnung hat, im zweiten Akt schräg durchgeschnitten von der Decke herunterhängt und im dritten Akt ebenso abgeschnitten auf der rechten Bühnenseite liegt. Und schließlich ein flaches Podest in stilisierter Form eines Nachens, das sich unmerklich von links nach rechts bewegt – und dann wieder zurück. Auf ihm steht zunächst ein Stuhl, der Isolde zugewiesen wird, dann ein kaltes Rohrgestellbett und schließlich wieder der Stuhl. Alles, wirklich alles in weiß. Isolde trägt einen gelben Mantel, später einen gelben  Morgenrock mit einem schwarzen Kleid darunter, Tristan eine blaue Uniform, Brangäne ein grünes Kleid, Kurwenal einen schwarzen Mantel mit tristanblauen Revers und Marke nebst Gefolge Warnwesten in orange über der schwarzen Kleidung (was sie weniger als Jäger, denn als Treiber vermuten lässt). Tristans Schwert hat immer noch die Scharte, es fehlt das Stück, das Isolde im Kopf ihres Verlobten Morold gefunden hatte. Markes Mannen tragen dagegen moderne Gewehre mit Zielfernrohr, um den 3 Meter entfernt unübersehbar stehenden Kurwenal auch wirklich zu treffen…
Die irische Flagge wird vom jungen Seemann provokativ vor Isoldes Augen verbrannt, aber eine neue steht bereit, um den auftretenden König zwischen dieser und der englischen zu postieren. Kurwenal nimmt dem jungen Seemann einen (weißen) Ball ab, malt ihm Augen, Nase und Mund an und präsentiert ihn Isolde als Morolds abgeschlagenen Kopf, den Tristan ihr geschickt hatte. Im Hintergrund springt ein Dutzend Bälle hoch. Liebes- und Todestrank sehen in identischen Trinkgläsern identisch aus. Schließlich ist es egal, was sie trinken – wichtig ist nur, dass sie etwas trinken, von dem sie glauben, dass es ihnen den Tod bringt, vor dessen Eintritt sie völlig enthemmt, offen und ehrlich zu ihren Gefühlen stehen können. In dieser Inszenierung tritt weder Tod noch Liebe, sondern erst einmal Verwirrung ein. Mäntel ausziehen ist schonmal nicht verkehrt, aber wenn beide sich auf den Rücken legen, bleibt einfach nur je eine Hand zum liebevollen Berühren. Das ist schon fast komisch und wird nur vom peinlich regieschulbuchadäquaten symbolischen Anziehen des Mantels des jeweils anderen im zweiten Akt überboten.

Vergrößerung in neuem
                        FensterTristan (Robert Künzli), Isolde (Kelly God)

Der zweite Akt regt die Fantasie zu allem Möglichen an, aber nicht zu leidenschaftlicher Liebe, Todessehnsucht, das im Tod-miteinander-vereinigt-sein-Wollen, das ineinander-Aufgehen, das sich-selbst-Aufgeben… der ganze metaphysische Überbau fehlt hier völlig bis hin zur Tag/Nacht-Symbolik. Das grellweiße Licht, das sich nur kurz im zweiten Akt in blau wandelt, zeigt durchweg die kalte Realität, das Unmögliche dieser Liebe und Leidenschaft. Leidenschaft zeigt sich nur selten, z. B. wenn Isolde Tristan bei der Erinnerung an die Vorgeschichte wutentbrannt ohrfeigt oder wenn Tristan „Der öde Tag zum letzten Mal“ mit voller Wut singt. Vieles in der gesamten Personenregie wirkt wie in Zeitlupe, wie abwesend, wie erstarrt, dann kurz wieder voller Aktionismus (Ohrfeige), um dann wieder zu erstarren. Wirkliche Beziehungen untereinander, weder liebevolle oder liebestolle noch freundschaftliche gibt es nicht. Man lebt, singt nebeneinander her. Kurze Momente echten Kontaktes saugt man auf wie ein trockener Schwamm, etwa wenn Marke sich zu Beginn des zweiten Aktes von Isolde mit einem stilvollen Handkuss verabschiedet und selbst die schon beschriebene Ohrfeige zeigt endlich ein Gefühl für einen anderen, kein Sieden im eigenen Saft, kein Verliebtsein in das eigene Verliebtsein.

Wenn im dritten Akt dann der offensichtlich unvermeidbare (Sperr-)Müll die Bühne verstellt und gar zu deutlich der Zusammenbruch szenisch gezeigt werden soll, stellen sich doch einige Fragen. Zum Beispiel, warum Tristan von einem schmutzigen Rotkreuz-Pflegetrio versorgt wird und warum er vor dem offenen Rohr am Tropf liegt und nicht geschützt darin… wenn schon…
Doch dann entsteht der stärkste szenische Eindruck der ganzen Produktion. Die Idee, das Geschehen in prägnanten Momenten von gänzlich weiß geschminkten Butoh-Tänzern (Nora Otte und Tadashi Endo) vertiefend ausgestalten zu lassen, wirkt über den Abend hin mehr dekorativ als erhellend, aber in dem Moment, in dem sich Tadashi Endo in Tristans Bett legt und mit beklemmender Intensität Tristans Leiden darstellt, während Tristan wie ein aus dem Körper befreiter Geist höchst gesund weitersingt, das geht unter die Haut, das lässt nicht kalt. Na also, geht doch, möchte man sagen. Bitte mehr davon!
 
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                    folgtTristan (Robert Künzli, Kurwenal (Stefan Adam)

Kelly God gestaltet die Isolde differenziert, farbenreich und ausgesprochen ausdrucksvoll. Nur selten erlebt man eine so klug und minutiös durchdachte Ausgestaltung des Textes. Sie ist keine stimmgewaltige, hochdramatische Wagner-Heroine – ihre Isolde ist eine junge ungestüm hin- und hergerissene Frau. Kelly God gelingt es, die ganze Bandbreite der Gefühle stimmlich auszudrücken, beeindruckt mit klangschöner Tiefe und schreckt zuweilen auch vor schrillen Tönen nicht zurück. Robert Künzli kann als Tristan nicht nur durchweg überzeugen, sondern geradezu begeistern. Ein Heldentenor mit strahlender Höhe und leuchtendem Metall. Kein hochgepeitschter Bariton, sondern ein echter Tenor, der obendrein auch noch mitreißend gestalten kann (wenn die Regie ihn lässt).  Tobias Schabel ist als Marke ein echter Glücksfall. Er macht aus dieser Figur einen wahren König, der die zahlreichen Facetten der Figur in der Klage atemberaubend ausgestaltet. Verletztheit und Wut, Trauer und Ärger, Verzweiflung und Ungläubigkeit… – und das alles mit Stil und Haltung und ebenso volltönendem wie flexiblem Bass. Khatuna Mikaberidze bringt für die Brangäne einen klangschönen, aber weniger klangvollen Mezzo mit. Schade, dass sie die Phrasenenden abbrechen lässt und nicht aussingt. Stefan Adam lässt als Kurwenal an die Größe und Schönheit seiner Stimme erinnern, steht aber nicht ganz über der Partie und klingt zuweilen etwas überfordert. Sein Marathon durch die Baritonpartien der Opernwelt in den letzten Jahren hat hörbare Spuren hinterlassen. Byung Kweon Jun ist ein eher unscheinbarer Melot mit dunklem Timbre. Mit Gihoon Kim (Steuermann), Edward Mout (Hirt) und Simon Bode (junger Seemann) sind die kleineren Partien adäquat besetzt.
Mit großen Gesten und zuweilen geradezu besorgniserregenden Schnauf-, Stöhn- und Ächz- Geräuschen wirft sich Gastdirigent Will Humburg mit ungeheurer Leidenschaft in die leidenschaftlichste aller Partituren. Das wogt und wallt und schwellt und schwillt und katapultiert den Hörer in eine Gefühlswelt, die die Inszenierung verweigert. Allerdings bleiben bei diesem Dirigat der großen Gesten viele feine Details auf der Strecke und adäquat zur Bühne vermisst man das Metaphysische, das Entrückte, das den Hörer für eine Zeit lang aus der Welt entführt. Das Staatsorchester folgt den Intentionen des Dirigenten hochkonzentriert und engagiert, ein paar Ungenauigkeiten können den Genuss nicht trüben. Wohleinstudiert bewältigt der Herrenchor seine kurze aber prägnante Aufgabe.

FAZIT

Einige eindrucksvolle Sängerleistungen, die man gern einmal in einer Inszenierung erleben möchte, die dem opus magnum der Opernliebe selbige nicht verweigert. Aber wenigstens der Dirigent lässt die wilden Leidenschaften toben.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Will Humburg

Inszenierung
Stephen Langridge

Bühne und Kostüme
Conor Murphy

Butoh Choreographie
Tadashi Endo

Licht
Susanne Reinhardt

Choreinstudierung
Lorenzo Da Rio

Dramaturgie
Christopher Baumann

 

Chor der Staatsoper Hannover

Niedersächsisches Staatsorchester
Hannover

 

Solisten

Tristan
Robert Künzli

König Marke
Tobias Schabel

Isolde
Kelly God

Kurwenal
Stefan Adam

Melot
Byung Kweon Jun

Steuermann
Gihoon Kim

Brangäne
Khatuna Mikaberidze

Ein Hirt
Edward Mout

Ein junger Seemann
Simon Bode

Butoh-Tanz
Nora Otte /
Tadashi Endo


Weitere Informationen
erhalten Sie von der

Staatsoper Hannover
(Homepage)





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