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Il turco in Italia

Komische Oper in zwei Akten
Libretto von Felice Romani
Musik von Gioacchino Rossini

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 45' (eine Pause)

Premiere im Theater Hagen am 2. Februar 2019
(rezensierte Aufführung: 15.02.2019)


Logo: Theater Hagen

Theater Hagen
(Homepage)
Vom Stummfilm zum Tonfilm mit allerlei Klamauk

Von Thomas Molke / Fotos von Klaus Lefebvre (Rechte Theater Hagen)

Obwohl der gerade mal 24-jährige Rossini bei der Uraufführung seiner Opera buffa Il turco in Italia erst vier Jahre im Operngeschäft tätig war, handelte es sich bei diesem Werk bereits um seine 13. Oper. Nachdem zunächst Venedig das Zentrum seines kompositorischen Schaffens gewesen war, konnte er 1812 am Teatro alla Scala mit La pietra del paragone einen so großen Erfolg verbuchen, dass weitere Kompositionsaufträge für Mailand folgten. Nach der Opera seria Aureliano in Palmira 1813 griff er ein Jahr später mit Il turco in Italia auf einen Stoff zurück, der bereits 1794 von Franz Xaver Süßmayer auf ein Libretto des Dresdner Hofdichters Caterino Mazzolà vertont worden war. Im Gegensatz zu seiner ein Jahr zuvor in Venedig uraufgeführten L'italiana in Algeri war Il turco bei der Aufführung im August 1814 kein großer Erfolg beschieden, und die erste Produktion brachte es lediglich auf vierzehn Vorstellungen. Vielleicht lag es daran, dass ein Großteil der Komposition nicht von Rossini stammte. So ließ er nicht nur die Secco-Rezitative und Albazars Sorbetto-Arie von einem Mitarbeiter anfertigen, sondern vertraute diesem auch noch die Kavatine des Don Geronio und das komplette zweite Finale an. Vielleicht schockierte allerdings auch das freizügige Verhalten einer italienischen Frau, die ihren Gatten offen betrügt, das damals vorherrschende Moralverständnis. Am Theater Hagen hat man sich nun entschieden, dem auch heute noch meist nur bei Festspielen zu erlebenden Werk neue Aufmerksamkeit zu schenken.

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Prosdocimo (Kenneth Mattice, mit Marie-Pierre Roy als Fiorilla) sucht ein Thema für seinen neuen Film.

Im Gegensatz zu den zu Rossinis Zeit sehr populären "Türkenopern" verschlägt es im Turco nicht irgendwelche Europäer in den Orient, sondern Selim, ein reicher Türke, kommt nach Italien, um sich dort noch europäischen Frauen umzusehen. Seine ehemalige Geliebte Zaida hat er dafür verstoßen und beinahe umgebracht. In Italien trifft er nun auf die frustrierte Fiorilla, die unglücklich mit dem älteren Don Geronio verheiratet ist und auch bei ihrem Liebhaber Don Narciso keine rechte Befriedigung zu finden scheint. Fiorilla ist von Selim sehr angetan, doch hat sie die Rechnung ohne Zaida gemacht, die ebenfalls nach Italien gekommen ist und sich dort als Wahrsagerin über Wasser hält. Diese will nämlich ihren ehemaligen Geliebten zurückerobern. So kommt es zu einem Streit zwischen den beiden Frauen. Selim bietet Don Geronio Geld dafür an, dass dieser ihm Fiorilla überlässt, woraufhin Don Geronio empört dem Türken eine Tracht Prügel androht. Folglich beschließt Selim, mit Fiorilla heimlich auf einem Maskenball zu fliehen. Doch Zaida und Don Narciso tragen auf dem Fest die gleichen Kostüme wie Selim und Fiorilla, so dass es zu einer Verwechslung kommt. Selim entscheidet sich schließlich doch für Zaida und kehrt mit ihr in seine Heimat zurück. Fiorilla bleibt nichts anderes übrig, als ihr ungebührliches Verhalten ihrem Gatten gegenüber zu bereuen, so dass er sie wieder bei sich aufnimmt.

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Fiorilla (Marie-Pierre Roy) hat Stress mit ihrem alten Gatten Don Geronio (Rainer Zaun).

Eingebettet ist die Geschichte in eine Rahmenhandlung um den erfolglosen Theaterdichter Prosdocimo der verzweifelt eine Geschichte für eine Opera buffa sucht. Erst die Ereignisse um Don Geronio, Fiorilla, Selim und Zaida inspirieren ihn zu einem neuen Werk. Dabei greift er auch immer wieder in die Handlung ein und zieht geschickt die Fäden, um die Geschichte in seinem Sinne fortzuführen. Das Regie-Team um Christian von Götz gibt diesem Rahmen ein ganz besonderes Gewicht und macht aus Prosdocimo einen erfolglosen Filmemacher, der verzweifelt versucht, einen neuen Film zu produzieren. Schon vor der Ouvertüre nimmt er mit der eingefügten Figur des Produttore (Francesco Rescio) an der Bühnenrampe Platz, um ihm zur Ouvertüre seinen neuesten Stummfilm zu präsentieren. In diesem sieht man die späteren Figuren des Stückes eine sehr hanebüchene Liebesgeschichte mit dem für Stummfilme übertriebenen Pathos darstellen, der zwar beim Publikum für große Komik sorgt, bei dem Produttore allerdings überhaupt nicht ankommt, so dass er Prosdocimo am Ende der Ouvertüre das Drehbuch wütend vor die Füße wirft und die Bühne verlässt. Jetzt kann die Geschichte beginnen. Die Bühne von Lukas Noll wird von einer riesigen gelben Kameralinse dominiert. Die Figuren bewegen sich teils in der Linse und teils davor. Die Kostüme der Protagonisten sind Anspielungen auf Klassiker der Stummfilmära.

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Da kommt der Türke Selim (Dong-Won Seo) gerade recht.

Ist der Regie-Ansatz bis dahin noch nachvollziehbar, artet die folgende Geschichte in absoluten Klamauk ohne Sinn und Verstand aus. Von Götz äußert zwar im Interview im Programmheft über seine Inszenierung, dass man als "guter Rossini-Regisseur in der Partitur wohnen" müsse, aber ob die von ihm gefundene Theatersprache wirklich den Geist von Rossinis Musik einfängt, ist Geschmacksache. Wenn Prosdocimo wie in alten Sketchen aus Väter der Klamotte mit dem Kopf vor die Wand rennt und auf den Boden fällt, mag das beim ersten oder zweiten Mal noch lustig sein. Irgendwann erschöpft sich allerdings der Gag. Das betrifft auch Rainer Zauns durchaus artistisch bemerkenswerte Leistung, als Don Geronio an einem langen Seil wie Tarzan an einer Liane über die Bühne zu schwingen und dabei auch noch zu singen. Unklar bleibt auch wieso Fiorilla im Kleopatra-Outfit als Ägypterin über die Bühne wandeln und anschließend auch noch Roller-Skates anlegen muss. Diese passen ja nun wirklich nicht in die Zeit. Völlig albern wirkt dann der Teil nach der Pause, wenn Fiorilla und Zaida beim Sackhüpfen um Selims Gunst buhlen und dieser sich schließlich für Fiorilla entscheidet, sich mit ihr darin vergnügt und die beiden ihre Unterwäsche aus dem Sack werfen. Beim Maskenball wird die Verwechslung völlig verschenkt, weil Don Narciso und Zaida gar nicht die Kostüme von Fiorilla und Selim tragen.

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Verwechslung in der Kiste (von links: Zaida (Marilyn Bennett), Selim (Dong-Won Seo), Fiorilla (Marie-Pierre Roy), Don Narciso (Leonardo Ferrando), vor der Kiste: Don Geronio (Rainer Zaun))

Unklar bleibt auch, wieso die Geschichte, die Prosdocimo erlebt und die zu einer Inspirationsquelle für den erfolglosen Dichter wird, mit der Entwicklung vom Stummfilm zum Tonfilm assoziiert wird. Nach der Pause entdeckt Prosdocimo ein Grammophon an der Bühnenrampe, das bei ihm scheinbar zu der Eingebung führt, dass seinem Film wirklich nur der Ton fehlt. So zeigt er das Ende der Oper als Tonfilm. Fiorilla bereut ihr Verhalten nicht, weil von Götz dieses Verhalten bei der Anlage der Figur unglaubwürdig erscheint, sondern spielt die Szene nur im Tonfilm, der in den Bildern noch genauso expressiv überdreht ist wie der Stummfilm zu Beginn, nur dass der Film jetzt eben mit Gesang unterlegt ist. Das große Versöhnungs-Duett zwischen Don Geronio und Fiorilla wird eingespielt, wobei die leichte Versetzung zwischen Mundbewegung und Ton wahrscheinlich beabsichtigt ist, um noch einmal zu unterstreichen, dass Fiorillas Einsicht nur gespielt ist und sie am Ende genauso weitermachen wird wie vorher. Will von Götz uns sagen, dass nur der Ton, also die Musik Rossinis, den Erfolg dieses Stückes ausmacht, und die Geschichte an sich völlig albern ist? Das gilt sicherlich für zahlreiche Opernlibretti, aber muss man deshalb die ganze Handlung in albernen Klamauk ausarten lassen?

Musikalisch hat der Abend Licht- und Schattenseiten. Gerade beim Chor und den beiden Finali zeigen sich die Tücken von Rossinis Musik sehr deutlich, weil der Chor und die Solisten hier große Probleme mit den Tempi haben. Da ist nicht alles im Einklang mit dem aus dem Orchestergraben forsch aufspielenden Philharmonischen Orchester Hagen unter der Leitung von Steffen Müller-Gabriel. Auch szenisch weiß man nicht so genau, wo von Götz in seiner Personenregie mit dem Chor eigentlich hin will. Mal treten die Chorsänger als Blumenmädchen, mal als Clowns im Zirkus auf. Sinn macht das eigentlich nicht. Marie-Pierre Roy gibt eine optisch sehr verführerische Fiorilla, die sich auch auf den Roller-Skates bemerkenswert sicher bewegt. Die schnellen Rossini-Koloraturen meistert sie relativ sicher. Nur in den Höhen wirkt ihre Stimme bisweilen ein wenig dünn. Kammersängerin Marilyn Bennett gestaltet die Rolle ihrer Gegenspielerin Zaida mit großem komischem Talent und kräftigem Mezzosopran. Dong-Won Seo lässt als Türke Selim mit profundem Bass ebenfalls keine Wünsche offen und bleibt auch beim Sackhüpfen genauso wie Bennett und Roy gut bei Stimme. Rainer Zaun kann als Don Geronio sein komisches Talent wunderbar ausspielen und begeistert mit kräftigem Buffo-Bass und großartiger Mimik. Leonardo Ferrando verfügt als verschmähter Liebhaber Don Narciso, der ständig mit einem Strick um den Hals herumläuft, mit weich fließendem und sehr beweglichen Tenor, der nur in den Spitzentönen ein wenig an Strahlkraft einbüßt. Kenneth Mattice überzeugt als Prosdocimo mit markantem Bariton und großer Spielfreude. Beim Tanz mit den vier Tänzerinnen zeigt er sich auch sehr sportlich, auch wenn eigentlich nicht klar ist, was die vier Tänzerinnen eigentlich in dem Stück zu suchen haben.

FAZIT

Die Grundidee der Inszenierung hätte vielleicht funktionieren können, wenn das Regie-Team nicht in völligen Klamauk abdriften würde. Da kann auch Rossinis spritzige Musik nicht alles retten.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Steffen Müller-Gabriel

Inszenierung und Choreographie
Christian von Götz

Choreographie
Kerstin Ried

Bühne und Kostüme
Lukas Noll

Licht
Ernst Schießl

Chor
Wolfgang Müller-Salow

Dramaturgie
Rebecca Graitl

 

Chor des Theaters Hagen

Statisterie des Theaters Hagen

Philharmonisches Orchester Hagen


Solisten

*rezensierte Aufführung

Selim
Dong-Won Seo

Donna Fiorilla
Marie-Pierre Roy

Don Geronio
Rainer Zaun

Don Narciso
*Leonardo Ferrando /
Juan de Dios Mateos

Prosdocimo
Kenneth Mattice

Zaida
Marilyn Bennett

Albazar
Matthew Overmeyer

Produttore
Francesco Rescio

Tänzerinnen
Jana Barkanowitz
Hannah Emami
Olivia Koschinsky
Emily Schwarz


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Hagen
(Homepage)




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