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Musiktheater
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Idomeneo

Dramma per musica in 3 Akten (KV 366)
Libretto von Giambattista Varesco nach dem Libretto von Antoine Dancet zu der gleichnamigen Tragédie-lyrique von André Campra, deutsche Textfassung von Bettina Bartz und Werner Hintze
Musik von Wolfgang Amadeus Mozart

In deutscher Sprache

Dauer: ca 2 1/4 Stunden – eine Pause

Premiere am 16. November 2018 im Marguerre-Saal

Logo: Theater Heidelberg

Theater Heidelberg
(Homepage)

Eine radikale Deutung

Von Christoph Wurzel / Fotos © Sebastian Bühler

An diesem Abend wird viel geschossen und am Schluss sind alle tot. Buchstäblich alle Figuren dieser Oper werden ausradiert. Eine ganze Welt scheint zusammengebrochen zu sein. Im originalen Libretto dagegen wird der Tod, d.h. das archaische Ritual der Opferung eines Sohnes durch den eigenen Vater durch eine aufgeklärte Stimme von oben gerade noch abgewendet und eine neue Zeit beginnt.

Peter Konwitschny bricht die Geschichte des aus dem trojanischen Krieg heimkehrenden Kreterkönigs Idomeneo radikal auf und wendet sie in ihr Gegenteil. Er widerspricht in seiner Inszenierung der Gültigkeit jenes Gelübtes, das Idomeneo zum Dank für seine Rettung aus Seenot dem Meeresgott Neptun gegeben hat und welches bedeutet, den ersten Menschen zu opfern, auf den er nach Wiederbetreten des Festlands trifft. Dieser ist bekanntlich sein eigener Sohn Idamantes. Der Regisseur widerspricht damit zugleich der Bindungskraft der Religion schlechthin, daher gibt es auch keinen versöhnlichen Schluss. Denn Idamantes ist tatsächlich zu Idomeneos Opfer geworden, weil nach allen in der Handlung vorangegangenen Verletzungen die Möglichkeit zu Liebe und Glück verspielt worden ist. Für Konwitschny sind alle Figuren dieser Oper Opfer, weil sie ihr ethisches Fundament verloren haben.

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Alles zerbrochen: die pessimistische Schlussszene
liegend: Winfrid Mikus (Idomeneo), Namwon Huh (Idamante); Streichquartett: Thierry Stöckel, Juliane Kliegel, Jonathan Kliegel, Johann Aparicio Bohórquez; im Hintergrund: Nenad Čiča (Arbace/Oberpriester), Dietger Holm (Dirigent), Chor

Die Schlussszene arrangiert er so auf besonders berührende Weise. Zum Rezitativ "Vater, mein teurer Vater", in welchem dem Libretto nach Vater und Sohn vor der vermeintlich bevorstehenden Opferung zärtlich von einander Abschied nehmen, lässt er vier Streicher auf der Bühne das Accompagnato kammermusikalisch spielen. Das wirkt gleichsam wie die musikalische Umrahmung einer Trauerfeier, denn am Boden liegt vereint im Tod der ermordete Sohn mit dem Vater, der sich selbst das Leben genommen hat.

Derartige Verfremdungen nutzt Konwitschny an mehreren Stellen seiner Inszenierung. Entgegen der Melancholie im verdüsterten zweiten Teil geht es vor der Pause noch gelöst, ja lustig zu. Da werden in großzügiger Willkommenskultur die soeben befreiten trojanischen Kriegsgefangenen von den Kretern mit neuen bunten Kleidern versorgt. Flugs kommt es zur Verbrüderung beider Völker und alle feiern am Strand mit viel Alkohol und in deftig sexueller Aktivität fröhlich Party. Als höchst ironischer Kommentar lässt sich die Szene lesen mit Assoziationen zu bestimmten Ansichten zum aktuell heißesten Diskussionsthema Migration. Und auch die #MeToo-Debatte bekommt einen Beitrag ab, wenn Idomeneo zu Ilias Arie "Wenn ich auch den Vater verlor, so sei du mir jetzt Vater" diese Aufforderung allzu wörtlich nimmt und der trojanischen Prinzessin, die  sich anschickt, seine Schwiegertochter zu werden, gleich an die Wäsche will. Aber nach dem Motto "not with me" lässt diese junge Frau den mächtigen älteren Herrn gehörig abblitzen.

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Willkommenskultur auf Kreta: Chor der Trojaner und Kreter im 1. Akt

Auch die Grenzen des fiktionalen Handlungsraums werden aufgebrochen. So lässt Konwitschny das Liebesduett zwischen Ilia und Idamentes getrennt auf den gegenüberliegenden Seitentreppen des Zuschauerraumes singen. Nah sind sie sich im Gefühl, aber wirklich zusammenkommen werden sie nicht können. Und selbst der Dirigent bleibt nicht ungeschont, wenn Winfrid Mikus als Idomeneo ihm mit den Worten "Ich bin nicht schuldig!" die Partitur vom Pult reißt und auf die Bühne schleudert. Zuvor hat er textgetreu aber seine Schuld an dem verheerenden Seesturm bekennen müssen, den Neptun als Mahnung für das nicht erfüllte Gelübte über die Stadt geschickt hat.

Opernfiguren und neue Deutung durch das Regieteam werden an diesem Abend nicht selten quer zu einander gestellt. Das macht die Aufführung ganz im brechtschen Sinne zum Anstoß für kritisches Nachdenken. Einfühlung in die Figuren ist weniger erwünscht. Da hilft es in diesem Sinne, dass die Oper auf deutsch gesungen wird. Und auch der Gesang selbst folgt eher dem Gesetz "prima le parole", also der deutlichen Textvermittlung. Dabei singen die Solistinnen und Solisten gut und vor allem Yasmin Özkan und Namwon Huh als junges Liebespaar lyrisch schön. Da aber in dieser Produktion  gerade einige lyrische Arien gestrichen wurden, gehorcht der Gesang aller vornehmlich einer starken Expression zwischen Verzweiflung, Wut und Aggressivität. Vor allem Hye-Sung Na tobt sich als furienhafte Elettra mit Verve aus. Auch Winfrid Mikus legt die vokale Gestaltung der Titelrolle hauptsächlich ausdrucksbetont an. So bleibt er den halsbrecherischen Koloraturen seiner zwei Arien technisch doch einiges schuldig.

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Das Solistenensemble der Hauptrollen: Namwon Huh (Idamante), Ks. Winfrid Mikus (Idomeneo), Yasmin Özkan (Ilia), Hye-Sung Na (Elettra)

Überhaupt sind die Striche aus rein musikalischer Sicht schmerzlich. Nicht allein die Secco-Rezitative sind gekürzt, auch zahlreiche Arien sind gestrichen. Gänzlich fällt das Intermezzo zwischen dem ersten und zweiten Akt dem Rotstift zum Opfer, dramaturgisch allerdings durchaus begründet, denn darin wird mit Gesängen und Tänzen Neptun gehuldigt, jener Gottheit, die gerade durch diesen Regieansatz negiert werden soll.

Allerdings entschädigt das zupackend spielende Orchester für diesen Verlust. Dietger Holm am Pult sorgt für Klasse statt Masse, für die hohe Qualität der musikalischen Interpretation. Und das Orchester spielt exzellent. Immer wieder fährt die Musik zu eminenter Dramatik auf, wobei besonders in den Holzbläsern virtuose Funken sprühen. Orchester und Dirigent scheinen mit Mozarts Sturm-und-Drang- Musik mitzuatmen. Große Aufmerksamkeit schenkt Holm den Accompagnato-Rezitativen, in denen er der Gefühlslage der Figuren mit musikalischem Ausdruck intensiv nachspürt. So wird das Orchester immer wieder zum Miterzähler der Geschichte auf einer anderen Ebene, einer Ebene über dem Geschehen nämlich und ist daher auch völlig sinnvoll sichtbar hinter der schmalen Bühne postiert. Dass dies in keiner Weise die Koordination zwischen Solisten und Orchester beeinträchtigt, ist zusätzlich ein großes Verdienst des erfahrenen Dirigenten.

FAZIT

In einer wahrhaft radikalen Deutung hat Peter Konwitschny Mozarts erste Meisteroper auf die kleine Bühne des Heidelberger Theaters gebracht. Das Publikum nahm ihm aber diesen heftigen Denkanstoß ab. Nur ein einziges Buh mischte sich in den herzlichen Beifall. Der kleinen Heidelberger Operntruppe gilt hoher Respekt für ein derartiges Wagnis. Und das entschädigt auch für manchen entgangenen musikalischen Genuss.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Dietger Holm /
*Julian Pontus Schirmer

Inszenierung
Peter Konwitschny

Bühne und Kostüme
Okarina Peter
Timo Dentler

Licht
Ralf Kabrhel

Chordirektion
Ines Kaun

Dramaturgie
Juliane Votteler

 

Chor und Extrachor
des Theaters Heidelberg

Statisterie des Theaters
Heidelberg

Philharmonisches Orchester
Heidelberg


Solisten

*Premierenbesetzung

Idomeneo, König von Kreta
Ks. Winfrid Mikus

Idamante, sein Sohn
Namwon Huh

Elektra, griechische Prinzessin
Hye-Sung Na

Ilia, trojanische Prinzessin
*Carly Owen /
Yasmin Özkan

Arbace, Minister / Oberpriester
Nenad Čiča

Erste Kreterin
Mi Rae Choi /
*Claudia Schumacher

Zweite Kreterin
*Jana Kraße /
Ewelina Rakoca-Larcher

Erster Trojaner
Sang Hoon Lee /
*Seung Kwon Yang

Zweiter Trojaner
*Woo Kyung Shin /
Philipp Stelz

Eine Stimme (Einspielung)
AP Zahner

 


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