Ein
entzückender Teufel
Von Bernd
Stopka / Fotos: Falk von Traubenberg
Zum Thema Tschaikowsky und
Musiktheater fallen dem fleißigen
Opernbesucher spontan Eugen
Onegin und Pique Dame
ein, vielleicht noch Mazeppa und
Iolanta, wenngleich nur Eugen
Onegin und Pique Dame
regelmäßig auf den Spielplänen
deutscher Opernhäuser zu finden
sind. Die Pantöffelchen,
deren Libretto auf der
fantastischen Erzählung „Die Nacht
vor Weihnachten“ von Nikolai Gogol
basiert, waren in den letzten 30
Jahren nicht auf deutschsprachigen
Bühnen zu erleben. Das Theater für
Niedersachsen hat diese
entzückende Oper nun aus ihrem
Dornröschenschlaf mit einer
szenisch wie musikalisch
wunderbaren Produktion
wachgeküsst.
Neele Kramer
(Hexe Solocha), Peter Kubik TeuDie
Handlung im Wesentlichen:
Der Teufel kommt am Abend vor
Weihnachten in ein Dorf, an deren
Kirchwand eine Karikatur von ihm
prangt. Er will sich am Täter, dem
Schmied Wakula, dafür rächen, wird
aber von einer triebhaften Zuneigung
zu Wakulas Mutter, der Hexe Solocha,
zunächst davon abgehalten. Wakula
liebt Oxana, die bei ihrem Vater
Tschub lebt, kann sie aber nur
treffen, wenn ihr Vater ins
Wirtshaus geht. Um das zu
verhindern, reitet der Teufel auf
Solochas Besen in den Himmel und
stiehlt den Mond. Doch Oxanas Vater
geht auch bei Dunkelheit zum
Trinken, auch am Weihnachtsabend,
was Oxana ausgiebig bejammert.
Wakula macht ihr einen
Heiratsantrag, doch sie weist ihn
zunächst zurück, obwohl sie ihn
eigentlich mag.
Der Teufel versucht Solocha tanzend
darüber hinwegzutrösten, dass ihr
Besen den Mond-Diebstahl-Ritt nicht
überstanden hat. Auch der
Dorfschulze, der Schulmeister und
Tschub hofieren Solocha. Alle drei
Verliebten verstecken sich
voreinander in leeren Säcken, die
ihnen Solocha reicht. Als Wakula
erscheint, räumt er für Weihnachten
auf, schafft die Säcke aus dem Haus
und will sich aus Verzweiflung vor
einer unlösbaren Aufgabe mit dem
Sack, in dem der Teufel steckt und
dessen Gewicht er für sein Werkzeug
hält, ertränken: Oxana will ihn nur
heiraten, wenn Wakula ihr goldene
Pantöffelchen bringt, wie sie nur
die Zarin trägt. Wakula widersteht
den Wassernixen, die ihn zu sich
herabziehen wollen. Der Teufel
springt aus dem Sack und bietet
seine Hilfe an, wenn Wakula ihm
seine Seele verkauft. Wakula
überlistet den Teufel und
verpflichtet ihn nun seinerseits als
Diener, der ihn auf dem Rücken zum
Zarenhof tragen muss. Seine
Durchlaucht, den Prinzen, bewegt
Wakulas Geschichte so sehr, dass er
ihm ein Paar goldener Pantöffelchen
der Zarin schenkt. Zurück im Dorf
bittet Wakula Tschub, ihm Oxana zur
Frau zu geben, die in deutlich
gewordener Liebe um den
verschwundenen Wakula trauert und
nun auch ohne Pantöffelchen bereit
wäre, ihn zu heiraten.
Wolfgang
Schwaninger (Wakula), Katja
Bördner (Oxana), im
Hintergrund Peter Kubik
(Teufel)
Anna
Katharina Bernreitner inszeniert Die
Pantöffelchen in der
Ausstattung von Hannah Oellinger und
Manfred Rainer als fantastisches
Märchen mit einfachen, aber
effektiven Bühnenmitteln und ebenso
fantasiereichen wie archetypischen
Kostümen.
Der Winter ist durch einen weißen
Bühnenboden, weiße Häuserminiaturen,
weiße Tücher und eine große Rutsche
stilisiert dargestellt. Das Dorf
baut der ebenfalls weißgekleidete
Teufel aus immer kleiner werdenden
ineinander stehenden Häuschen auf,
die er auspackt, wie die berühmten
russischen ineinander stehenden
Puppen. Jeweils eine Wand der
Häuser, in denen Solocha und Oxana
leben, liegt flach auf dem Boden und
wird zur entsprechenden Szene
aufgestellt. Der Mond ist ein großer
weißer Luftballon, zu dem der Teufel
erst auf einer Schaukel
(ordnungsgemäß angeschnallt) und
dann freischwebend ohne die Hexe
heraufsteigt um ihn mit einem
Holzstab platzen zu lassen. Dabei
wurde daher auch kein Besen
zerstört, sondern der durchsichtige
Plastikregenschirm, mit dem Solocha
danach nicht mehr zaubern kann
(Regenschirm als Zauberstab? Hagrid
lässt grüßen.).
Viele kleine Ausdeutungen des Textes
zaubern dem Zuschauer ein ums andere
Lächeln ins Gesicht. Etwa wenn der
Teufel Solocha umwerbend singt „und
Warzen hast Du auch“ während er auf
ihre noch beschuhten Füße schaut.
„Scher Dich zum Teufel“ bekommt eine
besondere Bedeutung, wenn man dabei
auf einen Sack geschleudert wird, in
dem der Teufel leibhaftig steckt.
Köstlich und wohldurchdacht leuchtet
der Teufel Tschub den Weg nach Hause
zu seiner Tochter, die gerade Besuch
von Wakula hat. Er konnte durch das
Löschen des Mondlichts nicht
bewirken, dass Tschub nicht ins
Wirtshaus geht, lässt ihn aber
schneller nach Hause kommen, damit
er Wakula noch erwischt, was dem
Teufel seinerseits zur Rache an dem
Karikaturisten dient. Ebenso
bezaubernd wie versöhnlich wirkt das
Schlussbild, in dem sich nicht nur
Oxana und Wakula, sondern auch der
Teufel und seine Hexe Solocha als
Paare gefunden haben.
Peter Kubik
(Teufel), NIxen (Chor)
Besonders
stimmungsvoll gelingt das wie eine
Schneenacht ausgeleuchtete Bild am
Teich der Nixen, die mit dunklen,
grauen Schleiern bedeckt sind.
Urkomisch ist die Szene, in der sich
die verschiedenen Männer in den
Säcken verstecken, nachdem Solocha
für jeden eine neue Flasche geöffnet
hat – ganz realistisch inszeniert
und die komischen Talente der
Darsteller ausschöpfend – aber eben
ohne albern oder gar peinlich zu
werden. Das gilt auch für die im
Text schon sehr deutlichen
erotischen, ja sexuellen
Anspielungen, die nicht als platter
Sex, sondern als knisternde Erotik
zu erleben sind. Kleine Gags, wie
das über die Bühne fahrende
ferngesteuerte Modell eines
Gasthauses, das zwischenzeitlich
auch als Tisch dient und die dezente
Schrift „open“ trägt, die
unaufdringlich in gleicher Farbe wie
die Häuserfenster leuchtet; die am
Anfang über die Hinterbühne fahrende
Mini-Kirche mit der Teufelsfratze,
die im Finale von Wakula abgewischt
wird, wofür sich der Teufel mit
einer stilvollen Verbeugung bedankt;
sowie die Pantöffelchen – die eher
wie Sneakers mit goldener
Weihnachtslamettagirlande aussehen –
und im Finale an Oxanas Füßen mit
LED-Lichtern fröhlich blinken.
Die ironisch überzogenen Kostüme
karikieren russische Klischees:
Oxanas überdimensionierter Rock, die
Fellkappen und Mäntel der Liebhaber
Solochas ebenso wie ihr Hosenanzug.
Die Gesellschaft am Zarenhofe ist in
enge weiße Trikots gekleidet und
sieht nicht nur beim skurrilen
Ballett im letzten Akt, (das als
Kampf um die Pantöffelchen
choreografiert ist – als Palmen
dekorierte Wärmestrahler tanzen
fröhlich mit), sondern per se aus,
als seien sie dem Schwanensee oder
einer Szene des Nussknackers
entsprungen.
Drahtzieher der ganzen Geschichte
ist der Teufel, der hier keineswegs
als Satan, sondern als
verschmitzter, ironisch-witziger,
verführerisch lächelnder, frech
grinsender und zuweilen mit der
Technik überforderter Puck
gezeichnet ist. Köstlich wie er mit
großer Geste einen Zauber ausführen
möchte, der dann nicht gelingt.
Insbesondere, wenn es darum geht,
Wakula auf seinem Rücken bald
hierhin und bald dorthin zu bringen.
Dann entgleiten ihm die Gesichtszüge
und er sieht kurz aus wie ein
kleiner Trottel, bevor er die
Situation retten kann – ist doch
egal, ob er mit Wakula auf der
Schaukel nach oben oder zur Seite
abgeht… Die erotischen Szenen mit
Solocha entgleiten nie ins Derbe,
obwohl der Text es hergäbe, die
geschmackssichere Personenregie
erliegt dieser Versuchung aber
nicht. Mit Peter Kubik steht in
Hildesheim ein Teufel auf der Bühne,
der dies alles und noch viel mehr so
bravourös, darstellt und singt, dass
man es sich nicht besser wünschen
könnte. Diese Mimik! Herrlich!
Jesper Mikkelsen
(Zeremonienmeister), Chor
Wolfgang Schwaninger wurde vor
der Premiere als „angeschlagen“
angesagt, hielt in der
anspruchsvollen Tenor-Partie des
Wakula aber tapfer bis zum Ende
durch. Neele Kramer ist eine
dezent verruchte, schönstimmige
Solocha, Katja Bördener eine
partiturgetreu zickige
Oxana, die aber auch die inneren
Sehnsüchte der Figur Klang werden
lässt. Ebenso wie als lüsterner
Dorfschulze beweist Levente György
auch als Durchlaucht einmal mehr,
dass er neben einem kultiviert-
und wohlklingenden Bass auch
herrlich komisches Talent besitzt
– und keine noch so ungünstige
Kostümierung scheut. Uwe Tobias
Hieronimi verleiht Oxanas Vater
Tschub auch stimmlich Autorität
und bringt das Publikum als alter
Saporoger zum Schmunzeln. Julian
Rohde ist ein köstlich scheuer,
schlechtgewissiger Schulmeister
mit angenehm hellklingendem Tenor
und Jesper Mikkelsen ist ein
stimmlich wie darstellerisch mit
Ironie gewürzter
Zeremonienmeister.
Florian Ziemen leitet das
Orchester des TfN mit
sängerfreundlicher Umsicht und
zelebriert auch die sperrigen
Teile der Partitur, die zuweilen
etwas hölzern klingen. Chor und
Orchester sind bestens einstudiert
und bilden die verlässlichen
Grundzutaten dieses
Musiktheatergenusses.
Bei aller Begeisterung nach dem
zweiten Teil darf doch nicht
verschwiegen werden, dass die
ersten beiden Akte Längen haben…
sehr lange Längen… Wenn Oxana zum
27. Mal besingt, wie schön ihre
Zöpfe sind und sich die Handlung
in ausgiebigen Parlando-Passagen
nur langsam und langatmig
voranschleppt, denkt man schon
mal, dass man manches Dornröschen
ruhig schlafen lassen sollte. Aber
dann kommt die Szene der Männer in
den Säcken. Die macht Hoffnung,
die im zweiten Teil, nach der
Pause, nicht enttäuscht wird.
Dieser zweite Teil ist
dramaturgisch straffer,
effektvoller konzipiert und auch
musikalisch vielfältiger und
reicher. Auch die häufig nicht
ganz glücklich übereinstimmenden
Fließrichtungen von Sprache und
Musik in der deutschen Übersetzung
fallen hier weniger auf als im
ersten Teil. Durchhalten lohnt
sich also. Nicht in der Pause
weglaufen!
FAZIT
Eine
bezaubernde Produktion dieser
hierzulande vergessenen Oper, die
wunderbare und entzückende Szenen hat,
wenn man sich durch die Längen der
ersten beiden Akte gekämpft hat. Das
liegt aber am Werk, nicht an der
Produktion, für die Hildesheim ein
weiteres Mal für die szenische und
musikalische Seite ein großes Lob
verdient. Mögen viele Freunde von
Opernraritäten den Weg nach Hildesheim
finden.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Florian Ziemen
Inszenierung
Anna Katharina Bernreitner
Ausstattung
Hannah
Oellinger
Manfred Rainer
Choreografie
Natascha Flindt
Chor
Achim Falkenhausen
Dramaturgie
Susanne
von Tobien
Opernchor und
Extrachor
des TfN
Orchester des TfN
Solisten
*Besetzung der hier
besprochenen Premiere
Oxana
Katja Bördner
Wakula der Schmied
*Wolfgang Schwaninger
Beau Gibson
Solocha, Hexe und Wakulas Mutter
Neele Kramer
Teufel, aus der Hölle, fantastische
Person
Peter Kubik
Tschub, ein alter Kosak und Oxanas
Vater
Uwe Tobias Hieronimi
Pan Golowa, der Dorfschulze
Levente György
Panass, der Schulmeister
Julian Rohde
Durchlaucht
Levente György
Alter Saporoger
Uwe Tobias Hieronimi
Zeremonienmeister
Jesper Mikkelsen
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für Niedersachsen
(Homepage)
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