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Aschenbachs Liebestodvon Bernd Stopka / Fotos: Falk von TraubenbergDer
alternde, wohlangesehene Schriftsteller
Gustav von Aschenbach versucht, seine
Schaffenskrise durch eine Reise nach Venedig
zu überwinden. Dort begegnen ihm immer
wieder Vorboten des Todes, ihm wird die
Tragödie seines Lebens in verschiedenen
Szenen und Situationen offenbar und er
stürzt in eine elementare Lebenskrise.
Schließlich stirbt er an der Cholera, vor
der er nicht rechtzeitig flieht, weil er
sich vom Anblick des von ihm verehrten
Jünglings Tadzio nicht trennen kann. Von der
Vollkommenheit seiner Erscheinung, der
Schönheit und Jugend hingerissen, sieht er
sich zwischen Apollo und Dionysos hin und
hergerissen, weiß sich dem Edlen verbunden
und spürt doch zunehmend auch das
leidenschaftlich Rauschhafte. Zwischen den
verschiedenen Formen der Liebe aufgerieben,
versucht er schließlich jünger zu erscheinen
und macht sich damit genauso lächerlich, wie
ein alter geschminkter Geck, den er auf der
Schiffsfahrt nach Venedig mit Verachtung
dabei beobachtet hat, wie er sich in einer
Gruppe von jungen Männern als ihresgleichen
aufzuführen versucht hat. Aschenbach bewegt
eine homoerotische Anziehung, die aus der
Bewunderung der Schönheit, dem Sinn für
Ästhetik entsteht und eine Sehnsucht nach
verlorener Jugend und Zugehörigkeit weckt.
Soweit kann er damit leben, es sogar als
Inspiration für seine Arbeit empfinden, als
Leidenschaft im Rahmen von Anstand und
Respekt. Doch als in ihm die sinnlichen
Gefühle wachsen, verliert er den Respekt vor
sich selbst. Mehr passiert aber nicht. Er
ist kein Missbraucher, kein Kinderschänder. Thomas
Mann
bezeichnete
seine Novelle
Der Tod in
Venedig als
„Tragödie
einer
Entwürdigung“
und
versicherte,
dass er die
Geschichte als
36jähriger so
erlebt hat,
wie er sie
beschreibt.
Von den
autobiographischen
Zügen, die der
Dichter seiner
Novelle
verliehen hat,
fühlte sich
auch der
Komponist
Benjamin
Britten
angesprochen
und
komponierte
auf das
Libretto von
Myfanwy Piper
die Oper Tod
in Venedig als
sein letztes
Bühnenwerk,
das sich so
nah wie
möglich an die
literarische
Vorlage hält,
Apollo und
Dionysos aber
zusätzlich
leibhaftig im
Traum
erscheinen
lässt. In der
auf die Bühne
übertragenen
Novelle
fungiert
Aschenbach
gleichzeitig
als Erzähler
und
Hauptdarsteller. Tadzios natürliche Anmut und Schönheit und seine jugendliche Unbedarftheit sind die Grundvoraussetzungen, um das Drama entstehen zu lassen. Wenn Tadzio sich, wie hier gezeigt, ganz offensichtlich seines guten Aussehens bewusst ist, eher selbstgefällig als natürlich lächelt und sogar mit Aschenbach spielt – in einer Szene geht er an dem Tisch vorbei, an dem der Schriftsteller gerade arbeitet und streicht provokativ mit dem Finger die Tischkante entlang, woraufhin Aschenbach die Stelle sofort sehnsuchtsvoll berührt – fehlt der Entwicklung der unschuldige, lediglich ästhetisch bewegte Beginn, dessen Entwicklung Aschenbach so sehr erschreckt. Diese Zeichnung Tadzios wirkt wie eine Überinterpretation von Aschenbachs Bemerkung „Du merkst es, wenn man dich beobachtet“. Nach dem Vorspiel, das nicht
auf einem
Friedhof
spielt,
sondern eine
Autogrammstunde
des beliebten
Schriftstellers
zeigt, wird
auf dem
Vorhang ein
Filmvorspann
gezeigt, der
als
Reminiszenz an
Viscontis
geniale
Verfilmung der
Novelle
gedeutet
werden könnte,
das Theater
aber eher
störend für
eine kurzen
Moment zum
Kino werden
lässt.
Aschenbach
lässt sich in
der zweiten,
eher grotesken
Friseurszene
nur durch
etwas
Wangenschminke
dezent
verjüngen,
gebärdet sich
dann aber wie
ein
losgelassener
jung-sein-wollender
Alter, wirkt
dabei einfach
nur
peinlich-lächerlich
– und wird von
den anderen
noch
lächerlicher
gemacht. Dass
es dann aber
zu einer
tatsächlichen,
wenn auch
vorsichtigen
Berührung
eines
daraufhin
empörten
jungen Mannes
kommt, ist
etwas zu viel.
Dagegen hat es
etwas
Anrührendes,
wenn
Aschenbach
sich Tadzio
als Phaidros
wünscht, sich
wie Sokrates
im Gespräch
ihm zur Seite
setzt und
dessen Hand an
seine Wange
führt. Vor so
viel
verlorener
Selbstdisziplin
erschrocken,
versucht er
den Jungen zu
erwürgen, was
ihm aber nicht
gelingt.
Aschenbach als
ein
Zerrissener –
das wird immer
wieder
deutlich.
Im sparsamen, aber stimmungsvollen Bühnenbild wirken die zeitgemäßen, üppigen Kostüme umso stärker. Nicht zuletzt dadurch wird der Blick des Zuschauers auf viele bedeutungsvolle Details in der feingearbeiteten Personenregie fokussiert. Tadzios Mutter bleibt Aschenbachs Interesse an ihrem Sohn nicht verborgen und so tauscht sie mit Tadzio am Cafétisch die Plätze, um ihn aus Aschenbachs Blickrichtung zu nehmen (Familie und Freunde Tadzios werden hier übrigens nicht wie von Britten vorgesehen von Tänzern dargestellt, sondern von Statisten/Schauspielern). Während Aschenbach die erste Portion Erdbeeren eher mit Widerwillen kauft, um die Händlerin loszuwerden, stürzt er sich in die später gekaufte, üppig bezahlte, übergierig, um zu merken, dass er verdorbenes Obst bekommen hat. Überreifes Obst, gierig verschlungen, bringt ihm die Cholera. Thomas Manns Symbole schlagen Kapriolen. Als der Hoteldirektor den schon kränkelnden Schriftsteller in einen Liegestuhl drückt und ihn mit seinem Jackett zudeckt, meint er nicht unbedingt die Abreise, wenn er vermutet, dass auch Aschenbach Venedig bald verlassen wird. Aschenbachs Gegenpart erscheint zum Anfang und zum Ende im gleichen Anzug wie Aschenbach. Am Ende steht er anstands- und ordnungsgemäß mit einer älteren Dame am Arm am Bühnenrand und schaut ins Publikum, während Aschenbach, zusammengebrochen aber nicht gestorben, aufsteht und sich im sonnenwarm beleuchteten Hintergrund neben Tadzio stellt. Der war zuvor von einer Erpresserbande nicht nur niedergerungen, sondern auch erwürgt worden, stand ebenfalls auf und stellte sich ins Licht. Aschenbachs anderes Ich ist entsetzt. Soll hier eine Erfüllung im Tode, nach dem Tode, durch den Tod angedeutet werden? Tadzio und Gustav als Holländer und Senta, als Tristan und Isolde? In
Hildesheim hat
die Aufführung
von Brittens
Werken
Tradition und
diese
Produktion
schließt sich
an die Reihe
eindrucksvoller
Aufführung
szenisch mit
gewissen
Einschränkungen,
musikalisch
aber nahtlos
an.
Hans-Jürgen
Schöpflin ist
ein
großartiger
Darsteller und
feingestaltender
Sänger, sehr
realistisch,
ohne
Übertreibungen
zeichnet er
die
Entwicklung
des Aschenbach
und gestaltet
die Partie
singend und im
Parlando
gänzlich
überzeugend
aus. Sein
heller, klarer
Tenor
bewältigt die
umfangreiche
Partie ohne
Ermüdungserscheinungen
fesselnd und
bewegend vom
ersten bis zum
letzten Ton.
Uwe Tobias
Hieronimi
gestaltet alle
Bariton-Partien
und verleiht
den einzelnen
Figuren
individuelle
Charaktere.
Britten wollte
mit dieser
Besetzung
einen
allgegenwärtigen
Gegenpart zu
Aschenbach
schaffen, was
der Sänger
bestens
umsetzt.
Kraftvoll
klingt sein
üppiger Bass,
wo es
angemessen
ist, auch
gewaltig
dröhnend.
Tobias
Hechlers
wunderbarer
Countertenor
verleiht dem
Apollo Stil,
Würde und
Lebensfreude.
Als
Hotelportier
wartet Julian
Rohde mit
jugendlichem
Tenor auf.
Jesper
Mikkelsens
angenehm
timbrierter,
kultivierter
Bariton lässt
in mehreren
kleinen
Partien
aufhorchen.
Die vielen
kleinen
Partien sind
mit
Chorsängern
besetzt, die
Anspruchsvolles
überzeugend
leisten und
neben den
umfangreichen
Chorszenen so
auch ihre
Qualitäten als
Solisten
zeigen können.
Achim Falkenhausen breitet mit dem hochengagierten Orchester Stimmung und Spannung über den gesamten Abend aus. Man erlebt intensiv, welche Bedeutung ein einzelner Ton bekommen kann. FAZIT
Eine tief beeindruckende
Produktion mit
zwei
wunderbaren
Sängerdarstellern
in den
Hauptpartien.
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ProduktionsteamMusikalische Leitung Inszenierung Ausstattung Susanne von Tobien Chöre Achim Falkenhausen
SolistenGustav von AschenbachHans Jürgen Schöpflin Reisender/ Alter Geck/ Alter Gondoliere/ Hotelmanager/ Coiffeur/ Anführer der Straßensänger/ Stimme des Dionysos Uwe Tobias Hieronimi Tadzio Olv Grolle Stimme des Apollo Tobias Hechler Hotelportier Julian Rohde Clerk im englischen Reisebüro Jesper Mikkelsen Polnische Mutter Doris Falkenhausen Polnische Gouvernante Lydia Klosowsky Tadzios Schwestern Naemi Hauser Sara Schonebeck Deutscher Junge Kilian Dedroogh Russischer Junge Linus Hampe
Weitere Informationen
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- Fine -