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Musiktheater
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Tod in Venedig

Oper in zwei Akten von Benjamin Britten
Libretto von Myfanwy Piper
Nach der gleichnamigen Novelle von Thomas Mann

In englischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 Stunden (eine Pause)

Premiere im Stadttheater Hildesheim des Theaters für Niedersachsen am 20. April 2019



Theater für Niedersachsen
(Homepage)

Aschenbachs Liebestod

von Bernd Stopka / Fotos: Falk von Traubenberg

Der alternde, wohlangesehene Schriftsteller Gustav von Aschenbach versucht, seine Schaffenskrise durch eine Reise nach Venedig zu überwinden. Dort begegnen ihm immer wieder Vorboten des Todes, ihm wird die Tragödie seines Lebens in verschiedenen Szenen und Situationen offenbar und er stürzt in eine elementare Lebenskrise.  Schließlich stirbt er an der Cholera, vor der er nicht rechtzeitig flieht, weil er sich vom Anblick des von ihm verehrten Jünglings Tadzio nicht trennen kann. Von der Vollkommenheit seiner Erscheinung, der Schönheit und Jugend hingerissen, sieht er sich zwischen Apollo und Dionysos hin und hergerissen, weiß sich dem Edlen verbunden und spürt doch zunehmend auch das leidenschaftlich Rauschhafte. Zwischen den verschiedenen Formen der Liebe aufgerieben, versucht er schließlich jünger zu erscheinen und macht sich damit genauso lächerlich, wie ein alter geschminkter Geck, den er auf der Schiffsfahrt nach Venedig mit Verachtung dabei beobachtet hat, wie er sich in einer Gruppe von jungen Männern als ihresgleichen aufzuführen versucht hat. Aschenbach bewegt eine homoerotische Anziehung, die aus der Bewunderung der Schönheit, dem Sinn für Ästhetik entsteht und eine Sehnsucht nach verlorener Jugend und Zugehörigkeit weckt. Soweit kann er damit leben, es sogar als Inspiration für seine Arbeit empfinden, als Leidenschaft im Rahmen von Anstand und Respekt. Doch als in ihm die sinnlichen Gefühle wachsen, verliert er den Respekt vor sich selbst. Mehr passiert aber nicht. Er ist kein Missbraucher, kein Kinderschänder.

 Foto folgt
von links: Hans-Jürgen Schöpflin (Aschenbach), Uwe Tobias Hieronimi (Reisender), Chor

Thomas Mann bezeichnete seine Novelle Der Tod in Venedig als „Tragödie einer Entwürdigung“ und versicherte, dass er die Geschichte als 36jähriger so erlebt hat, wie er sie beschreibt. Von den autobiographischen Zügen, die der Dichter seiner Novelle verliehen hat, fühlte sich auch der Komponist Benjamin Britten angesprochen und komponierte auf das Libretto von Myfanwy Piper die Oper Tod in Venedig als sein letztes Bühnenwerk, das sich so nah wie möglich an die literarische Vorlage hält, Apollo und Dionysos aber zusätzlich leibhaftig im Traum erscheinen lässt. In der auf die Bühne übertragenen Novelle fungiert Aschenbach gleichzeitig als Erzähler und Hauptdarsteller.

Brittens Musik drückt die tiefen Gefühle mit minimalistischen musikalischen Mitteln aus. Ein Prinzip, das auch Felix Seiler in seiner Neuinszenierung des Werkes am Theater für Niedersachsen im Stadttheater Hildesheim aufnimmt und das sich ebenso in der Ausstattung von Hannes Neumaier wiederfindet. Das Regieteam belässt die Geschichte am Beginn des 20. Jahrhunderts und macht trotzdem oder gerade deshalb deutlich, dass die Lebensfragen, die hier gestellt werden, an keine Zeit gebunden sind.

Eine einfache variierbare Holzkonstruktion bildet verschiedene Spielebenen, wird durch einen Rettungsring zum Schiff, durch Tücher zum Strand und erinnert durch eine andere Anordnung an Venedigs Treppen, auf denen die Straßenhändler Aschenbach aufdringlich ihre Waren anpreisen. Warmes Licht vor blauem Hintergrund schafft eine mediterrane Atmosphäre, im geschickt eingesetzten Bühnennebel irrt Aschenbach durch die Gassen. Gleichzeitig deutet das auch den Hauch des Todes der sich ausbreitenden Cholera an. Ein wunderschöner und leicht augenzwinkernder Einfall ist ein Panoramabild Venedigs, das auf verschiedene Wäschestücke gedruckt ist, die auf Wäscheleinen hängen. Reizvoll sind die dadurch entstehenden Unterbrechungen des Bildes und witzig der Verweis auf die Wäscheleinen, die oft durch enge italienische Gassen gezogen sind. Die unterste, die das Wasser zeigt, bewegt sich leicht. Venedig, immer wieder als Serenissima besungen, wird stilvoll auf die Bühne gezaubert. Mit klassischen Theatermitteln, ohne Projektionen. 

foto folgtHans-Jürgen Schöpflin (Aschenbach), Chor

Als optisches Leitmotiv fährt ein flaches Holzpodium mit einem Stuhl und einem Gondoliere von rechts nach links und von links nach rechts über die Bühne. Aschenbach betritt diese Gondel immer wieder und verlässt sie auch mal in unlogischen Momenten, etwa, wenn eine Trauergemeinde mit einem schwarzen Sarg über die Bühne schreitet und er sich unter die Menge mischt. Da müsste er dann eigentlich im Wasser stehen. Aber auch dies ist ein Kunstgriff der Regie, die in solchen Augenblicken Reales und Irreales vermischt und so eine weitere Interpretationsebene schafft. Menschen, die zu lebenden Bildern erstarren, Straßenhändler, die mit dem Rücken zum Publikum stehen, sich erst zu ihrer Szene umdrehen und dann ganz real agieren, transportieren eine besondere, eindringliche Atmosphäre. Die Nebelszenen erscheinen unheimlich und irreal, die Träume wirken dagegen sehr real. Apollo im Badedress und Dionysos im schwarzen Frack, dessen Kummerbund eher an ein rot-seidenes Kardinals-Zingulum erinnert und eine antike Göttermaske am Stab regen die Gedanken des Zuschauers an.  

Tadzios natürliche Anmut und Schönheit und seine jugendliche Unbedarftheit sind die Grundvoraussetzungen, um das Drama entstehen zu lassen. Wenn Tadzio sich, wie hier gezeigt, ganz offensichtlich seines guten Aussehens bewusst ist, eher selbstgefällig als natürlich lächelt und sogar mit Aschenbach spielt – in einer Szene geht er an dem Tisch vorbei, an dem der Schriftsteller gerade arbeitet und streicht provokativ mit dem Finger die Tischkante entlang, woraufhin Aschenbach die Stelle sofort sehnsuchtsvoll berührt – fehlt der Entwicklung der unschuldige, lediglich ästhetisch bewegte Beginn, dessen Entwicklung Aschenbach so sehr erschreckt. Diese Zeichnung Tadzios wirkt wie eine Überinterpretation von Aschenbachs Bemerkung „Du merkst es, wenn man dich beobachtet“.

Foto folgtvorne: Hans-Jürgen Schöpflin (Aschenbach), Uwe Tobias Hieronimi (Hotelmanager), Julian Rohde (Hotelportier)

Nach dem Vorspiel, das nicht auf einem Friedhof spielt, sondern eine Autogrammstunde des beliebten Schriftstellers zeigt, wird auf dem Vorhang ein Filmvorspann gezeigt, der als Reminiszenz an Viscontis geniale Verfilmung der Novelle gedeutet werden könnte, das Theater aber eher störend für eine kurzen Moment zum Kino werden lässt. Aschenbach lässt sich in der zweiten, eher grotesken Friseurszene nur durch etwas Wangenschminke dezent verjüngen, gebärdet sich dann aber wie ein losgelassener jung-sein-wollender Alter, wirkt dabei einfach nur peinlich-lächerlich – und wird von den anderen noch lächerlicher gemacht. Dass es dann aber zu einer tatsächlichen, wenn auch vorsichtigen Berührung eines daraufhin empörten jungen Mannes kommt, ist etwas zu viel. Dagegen hat es etwas Anrührendes, wenn Aschenbach sich Tadzio als Phaidros wünscht, sich wie Sokrates im Gespräch ihm zur Seite setzt und dessen Hand an seine Wange führt. Vor so viel verlorener Selbstdisziplin erschrocken, versucht er den Jungen zu erwürgen, was ihm aber nicht gelingt. Aschenbach als ein Zerrissener – das wird immer wieder deutlich.

Im sparsamen, aber stimmungsvollen Bühnenbild wirken die zeitgemäßen, üppigen Kostüme umso stärker. Nicht zuletzt dadurch wird der Blick des Zuschauers auf viele bedeutungsvolle Details in der feingearbeiteten Personenregie fokussiert. Tadzios Mutter bleibt Aschenbachs Interesse an ihrem Sohn nicht verborgen und so tauscht sie mit Tadzio am Cafétisch die Plätze, um ihn aus Aschenbachs Blickrichtung zu nehmen (Familie und Freunde Tadzios werden hier übrigens nicht wie von Britten vorgesehen von Tänzern dargestellt, sondern von Statisten/Schauspielern). Während Aschenbach die erste Portion Erdbeeren eher mit Widerwillen kauft, um die Händlerin loszuwerden, stürzt er sich in die später gekaufte, üppig bezahlte, übergierig, um zu merken, dass er verdorbenes Obst bekommen hat. Überreifes Obst, gierig verschlungen, bringt ihm die Cholera. Thomas Manns Symbole schlagen Kapriolen. Als der Hoteldirektor den schon kränkelnden Schriftsteller in einen Liegestuhl drückt und ihn mit seinem Jackett zudeckt, meint er nicht unbedingt die Abreise, wenn er vermutet, dass auch Aschenbach Venedig bald verlassen wird.

Aschenbachs Gegenpart erscheint zum Anfang und zum Ende im gleichen Anzug wie Aschenbach. Am Ende steht er anstands- und ordnungsgemäß mit einer älteren Dame am Arm am Bühnenrand und schaut ins Publikum, während Aschenbach, zusammengebrochen aber nicht gestorben, aufsteht und sich im sonnenwarm beleuchteten Hintergrund neben Tadzio stellt. Der war zuvor von einer Erpresserbande nicht nur niedergerungen, sondern auch erwürgt worden, stand ebenfalls auf und stellte sich ins Licht. Aschenbachs anderes Ich ist entsetzt. Soll hier eine Erfüllung im Tode, nach dem Tode, durch den Tod angedeutet werden? Tadzio und Gustav als Holländer und Senta, als Tristan und Isolde?

foto folgtHans-Jürgen Schöpflin (Aschenbach)

In Hildesheim hat die Aufführung von Brittens Werken Tradition und diese Produktion schließt sich an die Reihe eindrucksvoller Aufführung szenisch mit gewissen Einschränkungen, musikalisch aber nahtlos an. Hans-Jürgen Schöpflin ist ein großartiger Darsteller und feingestaltender Sänger, sehr realistisch, ohne Übertreibungen zeichnet er die Entwicklung des Aschenbach und gestaltet die Partie singend und im Parlando gänzlich überzeugend aus. Sein heller, klarer Tenor bewältigt die umfangreiche Partie ohne Ermüdungserscheinungen fesselnd und bewegend vom ersten bis zum letzten Ton. Uwe Tobias Hieronimi gestaltet alle Bariton-Partien und verleiht den einzelnen Figuren individuelle Charaktere. Britten wollte mit dieser Besetzung einen allgegenwärtigen Gegenpart zu Aschenbach schaffen, was der Sänger bestens umsetzt. Kraftvoll klingt sein üppiger Bass, wo es angemessen ist, auch gewaltig dröhnend. Tobias Hechlers wunderbarer Countertenor verleiht dem Apollo Stil, Würde und Lebensfreude. Als Hotelportier wartet Julian Rohde mit jugendlichem Tenor auf. Jesper Mikkelsens angenehm timbrierter, kultivierter Bariton lässt in mehreren kleinen Partien aufhorchen. Die vielen kleinen Partien sind mit Chorsängern besetzt, die Anspruchsvolles überzeugend leisten und neben den umfangreichen Chorszenen so auch ihre Qualitäten als Solisten zeigen können.
Achim Falkenhausen breitet mit dem hochengagierten Orchester Stimmung und Spannung über den gesamten Abend aus. Man erlebt intensiv, welche Bedeutung ein einzelner Ton bekommen kann.


FAZIT

Eine tief beeindruckende Produktion mit zwei wunderbaren Sängerdarstellern in den Hauptpartien.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Achim Falkenhausen

Inszenierung
Felix Seiler

Ausstattung
Hannes Neumaier

Dramaturgie
Susanne von Tobien

Chöre
Achim Falkenhausen



Opernchor und Jugendchor
des TfN
 
Statisterie des TfN

Orchester des TfN



Solisten

Gustav von Aschenbach
Hans Jürgen Schöpflin

Reisender/ Alter Geck/
Alter Gondoliere/ Hotelmanager/
Coiffeur/ Anführer der Straßensänger/
Stimme des Dionysos
Uwe Tobias Hieronimi

Tadzio
Olv Grolle

Stimme des Apollo
Tobias Hechler

Hotelportier
Julian Rohde

Clerk im englischen Reisebüro
Jesper Mikkelsen

Polnische Mutter
Doris Falkenhausen

Polnische Gouvernante
Lydia Klosowsky

Tadzios Schwestern
Naemi Hauser
Sara Schonebeck

Deutscher Junge
Kilian Dedroogh

Russischer Junge
Linus Hampe


Weitere Informationen
erhalten Sie hier:
Theater für Niedersachsen
(Homepage)





Da capo al Fine

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