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Im Salzkammergut, da kann man gut lustig seinVon Stefan Schmöe / Fotos von Paul Leclaire
Schön war's im guten alten Österreich der Vorkriegszeit, mit einem gütigen und altersweisen Kaiser, der im Vorbeireisen mal eben die Wirtin vom "Weißen Rössl" auf den rechten amourösen Weg bringt. Nostalgisch lassen Ralph Benatzky und seine Librettisten Hans Müller und Eric Charell vom wirtschaftskrisengeschüttelten Berlin aus 1930 den Blick schweifen über das Urlaubsparadies am Wolfgangsee und seine ziemlich heile Welt, in der man musikalisch rückständige Ländler tanzt. Aus dem modern-mondänen Berlin wird dagegen der Tango ins Salzkammergut exportiert: "Es muss was Wunderbares sein, von Dir geliebt zu werden." Charell hatte als Leiter des Großen Schauspielhauses Berlin schon zuvor mit Benatzky die Revueoperetten Casanova und Die drei Musketiere auf die Bühne gebracht; das Weiße Rössl nach einem seinerzeit populären Schauspiel war ein durchgeplanter kommerzieller Erfolg, für den Charell neben Benatzky noch weitere Komponisten für einzelne Nummern verpflichtete: Robert Gilbert ("Was kann der Sigismund dafür, dass er so schön ist?"), Bruno Granichstaedten (Leopolds Walzerlied "Zuschau'n kann i net") und Robert Stolz (der später vergeblich versuchte, für "Die ganze Welt ist himmelblau" und "Mein Liebeslied muss ein Walzer sein" weitere Tantiemen einzuklagen). Darauf läuft's letztendlich hinaus: Wirtin Josepha Vogelhuber (hier: Claudia Rohrbach) und Zahlkellner Leopold (hier: Martin Koch) werden nach manchem Streit ein Paar.
Ganz so harmlos wie die Verfilmung mit Peter Alexander aus dem Jahr 1960 haben Benatzky und Charell sich das Weiße Rössl aber wohl nicht gedacht. In dieser Kölner Neuinszenierung betont Eike Ecker, Oberspielleiterin der Kölner Oper, den Revuecharakter des Werkes. Die Bühne (Darko Petrovic) besteht aus einer runden Spielfläche, rechts und links sieht man die Fassaden des Hotels, am vorderen Rand bauen ein paar Tische die Distanz zum Publikum ab, und hinten thront das Orchester, aufgereiht vor einer Alpenkulisse, wie eine Bigband. Die Kostüme (Ulrich Schulz) überzeichnen quietschbunt folkloristische Trachten, und ein Tanzensemble weitet sie ins Frivole aus. Darin lässt sich die Geschichte im Wesentlichen ungebrochen und ohne Aktualisierungen erzählen und die nötige Ironie gleich mitliefern. Herrlicher Kitsch sozusagen, man darf sich an der seichten Story und der zündenden Musik freuen und sich der eigenen Distanz dazu jederzeit sicher sein. Vermutlich war das bei der Uraufführung 1930 nicht so viel anders. Vorsicht, Travestie: Nicht alle Ballerinen, die Fabrikantentochter Ottilie Giesecke (hier: Jutta Maria Böhnert) und Rechtsanwalt Dr. Siedler (Michael Siemon) tänzerisch in den siebenten Himmel begleiten, sind weiblich.
Dass die Figuren holzschnittartig überzeichnet sind, schützt vor Sentimentalität, vereinfacht die Geschichte aber noch zusätzlich. Warum der fesche, ein wenig zu brave Kellner Leopold (Alexander Kaimbacher mit österreichischem Charme und souveränem, operettengeschmeidigem Tenor) in die spröde Hotelchefin Josepha (Netta Or mit schönem Sopran, aber trotz Dirndl ziemlich unsexy) verliebt ist, das erschließt sich nicht recht - etwas verlockender müsste die Dame schon auftreten. Der Fabrikant Wilhelm Giesecke (mit etwas angestrengter "Berliner Schnauze": Alexander Franzen) wird in so alberne Kleidung gesteckt, dass er allzu sehr zur Witzfigur verkleinert wird. Ähnliches gilt für den schönen Sigismund, Sohn von Gieseckes schärfstem Konkurrenten: Mit überdimensionierter rosa Tolle (und überflüssiger Kurzeinlage als Rockstar Falko mit dessen Erfolgshit Rock me, Amadeus), später als verunsichertem Glatzkopf, ist die Figur in beide Richtungen überzeichnet (was Till von Orlowsky immerhin mit leichtem Tenor überzeugend dargestellt). Gieseckes Tochter Ottilie (solide: Emily Hindrichs) mit 60er-Jahre-Frisur und ihr Liebhaber, der Rechtsanwalt Dr. Siedler (leichtgewichtig: Michael Siemon), bleiben relativ langweilig; die lispelnde Professorentochter Klärchen (quirlig: Katerina von Benningsen) mit Andrea-Nahles-Frisur ist da schon profilierter. Ein bisschen was kann der Sigismund (hier: Miljenko Turk) wohl schon dafür, dass er so schön ist.
Man könnte mehr aus der Personenkonstellation herausholen, aber der Ansatz der Regisseurin, statt Feinzeichnung auf die unterhaltsame, leicht schrille Revue zu setzen, hat auch seine Berechtigung. Mit diversen Auftritten über die Zuschauertribüne, eine opulente Ausstattung und einem intensiv eingesetzten Tanzensemble ist auch allerhand los. Was hier zum ganz großen Operettenglück fehlt, das ist die letzte Präzision in den Abläufen und im timing. Die (wenigen) textlichen Anspielungen auf unsere Zeit werden im Zweifelsfall einmal zu viel wiederholt - das Weiße Rössl (respektive dessen Kuhstall) zum "Bio-Ressort" zu erklären, das taugt als schnelle Pointe, aber nicht als running gag. Und die Frivolitäten werden weniger von den Hauptfiguren angedeutet als vom Tanzensemble, dem eine Spur Spritzigkeit fehlt. Man hat den Eindruck, hier werde eine durchaus schwierige Choreographie (Giorgio Madia) achtbar bewältigt, aber ohne die selbstverständliche Lässigkeit, derer es zur Perfektion noch bedürfte. Und die Regie müsste deutlicher machen, wo sie Zwischenapplaus haben möchte (und wo nicht). 1930 war offenbar auch in Berlin die romantische Sehnsucht nach dem guten Monarchen groß: Kaiser Franz Josef (hier: Bert Oberdorfer) tröstet Wirtin Josepha (hier: Claudia Rohrbach)
Unter der Leitung von Uwe Theimer liefert das gute Gürzenich-Orchester die angemessen flotte Musik, wobei der Orchesterklang recht konventionell symphonisch geraten ist. Die Sänger werden elektronisch verstärkt, leider etwas matt im Klang. Der Chor ist mehrfach abseits postiert und erreicht nicht die Präzision wie zuletzt bei Peter Grimes, wie es überhaupt ein paar kleine Wackler gibt, die aber nicht allzu sehr ins Gewicht fallen.
Keine Produktion, die ambitionierteren Operettenansprüchen gerecht würde, aber für eine vergnügliche Silvesterrevue reicht dieses Weiße Rössl allemal. (Hinweis: Bei der Erstveröffentlichung dieser Rezension sind uns bedauerlicherweise zwei Fehler unterlaufen. Die Vorstellung wurde von Uwe Theimer - nicht, wie ursprünglich von uns angegeben, von Arne Willimczik - dirigirt, die Partie des Dr. Siedler sang Michael Siemon und nicht Pauls Schweinester. Wir bitten um Entschuldigung. Die entsprechenden Passagen sind korrigiert.) Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Choreographie
Chor
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Josepha Vogelhuber, Wirtin
Leopold Brandmeyer, Zahlkellner
Wilhelm Giesecke, Fabrikant
Ottilie, seine Tochter
Dr. Erich Siedler, Rechtsanwalt
Sigismund Sülzheimer
Prof. Dr. Hinzelmann
Klärchen, seine Tochter
Der Kaiser
Die Oberförsterin
Der Piccolo
Der Reiseführer
Kathi, Briefträgerin
Tänzerinnen und Tänzer
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