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Mare nostrum

Entdeckung, Befriedung und Konversion des Mittelmeerraumes durch einen Stamm aus Amazonien
Text und Musik von Mauricio Kagel


in deutscher Sprache mit Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 1h 15 (keine Pause)

Premiere im Staatenhaus Köln-Deutz (Saal 3) am 23. September 2018
(rezensierte Aufführung: 28. September 2018)


Logo: Oper Köln

Oper Köln
(Homepage)

Apokalyptische Bilderrätsel

Von Stefan Schmöe / Fotos von Hans-Jörg Michel

Szenenfoto

Begegnung im Müll: Der Amazonier (Bariton Miljenko Turk, links) und der Europäer (Countertenor Kai Wessel)

Es ist ja ein hübsches Gedankenspiel, das die unselige Kolonialgeschichte auf den Kopf stellt: Ein Stamm aus Amazonien "entdeckt" und "befriedet" das (nördliche) Mittelmeer. Die Amazonier müssen hier und da ziemlich gewalttätig ein Exempel statuieren, um die merkwürdig zurückgebliebenen Europäer zu unterwerfen. Abendländische Geschichte im Spiegel also. Mauricio Kagels hat das etwa einstündige Werk für die Berliner Festwochen 1975 komponiert. Keine Oper im eigentlichen Sinne, sondern eine Mischung aus Melodram und Kantate für Countertenor, Bariton (der gleichzeitig als Sprecher fungiert) und Kammerensemble - Flöte, Oboe (im Wechsel mit Englischhorn), Cello, Harfe, Schlagzeug und Gitarre (in verschiedenen Varianten). Der Sprecher, ein Amazonier, erzählt von der Kolonialisierung des Mittelmeerraumes; in einigen Szenen wechselt die Ebene und er tritt als Sänger dem Countertenor gegenüber, der die Europäer vertritt. Dabei ist mare nostrum auch ein Stationendrama, denn nach und nach werden verschiedene Länder bereist und erobert, und Kagel greift im weiteren Sinne landestypische Musik auf, die er als Material verwendet. Wobei er mitunter gleichsam über Bande spielt: Für die Türkei steht keineswegs türkische Volksmusik, sondern Mozarts Alla turca, das "türkische" Rondo-Finale aus der A-Dur-Klaviersonate, das gut erkennbar, aber mit völlig falschen Tönen erklingt. Der Schluss in Israel-Palästina zitiert Strauss' Salome. In vielen anderen Passagen sind die Bezüge weniger offensichtlich, aber ziemlich raffiniert konstruiert.

Szenenfoto

Ortswechsel: Countertenor Kai Wessel mit Schlagzeugerin Yuka Otha

Der Sprecher erzählt die Geschichte der Kolonialisierung in einem stilisierten "Gastarbeiterdeutsch" voller Fehler, wodurch man zwar den Inhalt erkennt, der Text aber allerlei Doppeldeutigkeiten und damit eine große Assoziationsbreite erhält. Regisseur Valentin Schwarz koppelt diese Sprechpassagen von der auf der Bühne agierenden Figur ab und lässt sie aus dem Off per Lautsprecher einspielen (Miljenko Turk verleiht der Sprache mit edler Diktion eine große Musikalität). Außerdem werden originale Tondokumente eingesteuert, in denen Kagel über seine Musik spricht. Man kann die Geschichte schließlich auch noch anders lesen und hören, nämlich aus der autobiographischen Perspektive Kagels: Der als Kind einer ukrainisch-jüdischen Familie in Argentinien geborene Komponist ist der Amazonier, der die europäische Musikkultur erobert und umkrempelt. Somit hat die Regie dem Werk zwei Meta-Ebenen eingezogen: Kagels Reflexionen und den erzählenden Bericht, während auf der Bühne einigermaßen opernhaft die gesungene Geschichte abläuft.

Szenenfoto

Bariton und Countertenor

Die Römer nannten das Mittelmeer "mare nostrum", also "unser Meer", und im Programmheft wird Jakob Augstein zitiert, der nicht zuletzt daraus die moralische Verantwortung der Europäer ableitet, das Sterben im Mittelmeer zu verhindern. So tagesaktuell gibt sich die Inszenierung von Valentin Schwarz dann allerdings nicht, vielmehr wartet sie mit einem anderen apokalyptischen Szenario auf: Der Europäer lebt am Strand mit zwei alten Damen (laut Programmheft handelt es sich bei dieser Konstellation um zwei Schwestern und ihrem Sohn) in einer primitiven Hütte inmitten von allerlei Strandgut. Die drei sind offenbar die einzigen Überlebenden einer Katastrophe. Der Bariton erscheint als ein Fremder wie aus einem Science-Fiction-Film, der die Katastrophe zu verstehen versucht. Der Countertenor stellt eine Mischung aus Robinson Crusoe und Jesus Christus dar und mutiert am Ende zum hilflosen Engel mit lädierten Plastikmüll-Flügeln. Die Rolle der alten Schwestern bleibt ziemlich unklar, eine wird im Verlauf des Stückes getötet. Währenddessen rollt das Podium mit den Instrumentalisten langsam zwischen den beiden Zuschauertribünen im Haus 3 des Köln-Deutzer Staatenhauses, der Bühne für die kleinen Formate, an die Spielfläche heran.

Szenenfoto

Der Countertenor als trauriger Engel

Das wirkt ja alles ziemlich ambitioniert, aber gleichzeitig auch arg konstruiert und leidet an einer Überfülle an bildlichen Andeutungen. In der Szene etwa, in der der Amazonier von der Kolonialisierung Griechenlands erzählt, wird eine antike Statue aufgestellt, gleich mit dem zugehörigen Museumsschild, aber der Torso ist mit Nähten und Narben überzogen wie Frankenstein, und als ob das immer noch nicht reichen würde, fließen rote und braune Flüssigkeiten daraus hervor. Gleichzeitig soll man aber auch noch auf die komplexe Musik achten - das ist dann doch allzu viel des Guten und endet in ziemlicher Verwirrung. Man muss ziemlich viel im Programmheft nachlesen, was sich auf der Bühne (trotzdem) nicht ohne Weiteres erschließt.

Wenn der Europäer letztendlich an sich selbst scheitert, mag das eine edle Botschaft der Regie sein, die sich aber nur bedingt in Kagels Oper wiedererkennen lässt. So bleibt der Eindruck, dass an Kagels ironisch gebrochener Musik vorbei der inhaltliche Aspekt von der Regie weitergedacht wird - nicht unbedingt zum Nutzen des Stücks, das tatsächlich zum ersten Mal in Köln, der Wahlheimat Kagels, gespielt wird. Die souveränen Gesangsleistungen von Bariton Miljenko Turk und Countertenor Kai Wessel gehen dazwischen ein wenig unter. Die sechs Instrumentalisten bewältigen ihre Partien beachtlich, dürften aber unter der Leitung von Arnaud Arbet bei den gemeinsamen Einsätzen präziser sein.


FAZIT

Mare nostrum berührt kaum: Kagels verspielte Oper gerät allzu verkopft, weil sich die Regie in Bilderrätseln verliert.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Arnaud Arbet

Inszenierung
Valentin Schwarz

Bühne und Video
Valentin Schwarz

Kostüme
Astrid Eisenberger

Licht
Nicol Hungsberg

Dramaturgie
Georg Kehren
Tanja Fasching


Mitglieder des Gürzenich-Orchester
und Gäste:

Bonian Tian, Cello
Sunghyun Cho, Flöte
Lena Schuhknecht, Oboe/Englischhorn
Yuka Otha, Schlagzeug
Saskia Kwast, Harfe
Moritz Beck, Gitarre


Solisten

Countertenor
Kai Wessel

Bariton / Sprecher
Miljenko Turk

Zwei Schwestern
Hilke Kluth
Fernande Meyer



Weitere
Informationen

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Oper Köln
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Da capo al Fine

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