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Die Rache der FrauenVon Stefan Schmöe / Fotos von Paul Leclaire
An Verständnis für Salome mangelt es nicht. Das Haupt eines Propheten zu fordern, das mag eine unappetitliche Sache sein - man bekommt aber inzwischen in fast jeder Aufführung quasi auf dem Silbertablett die psychologische Rechtfertigung dazu. In der Rhein-Ruhr-Region, wo an Salome-Inszenierungen kein Mangel ist, gab es zuletzt drei bemerkenswerte Ansätze - Tatjana Gürbaca in Düsseldorf und Duisburg, Alexandra Szemerédy und Magdolna Parditka in Bonn und Mariame Clément in Essen haben den Aspekt des sexuellen Missbrauchs von Herodes an Stieftochter Salome als Motiv und Auslöser der Katastrohe herausgestellt. Wohlgemerkt: Allesamt Regisseurinnen. Jetzt geht mit Ted Huffman ein männlicher Regisseur noch einen Schritt weiter, indem er aus der Familientragödie ein Gesellschaftsdrama macht: Salome als Opfer einer sexistischen und chauvinistischen Männerwelt. #metoo auf der Opernbühne also. Salome
Das Bühnenbild (Ben Baur) greift raffiniert die Architektur des Staatenhauses auf, wo die Kölner Oper ja derzeit noch spielt, bis das Opernhaus eines fernen Tages saniert sein wird. Die Gesellschaft auf der Bühne ist modern, eher amerikanisch als europäisch (was der Herkunft des in New York geborenen Regisseurs geschuldet sein dürfte, es lässt sich unschwer auf deutsche Verhältnisse umdenken). Dort gibt es Frauen (mit blonden Perücken, die Salomes Frisur ziemlich ähnlich sehen), die von den Männern gedemütigt und brutal durch den Saal geschleift werden. Man sieht eine wohlhabende Männergesellschaft, die Frauen als Objekte behandelt. Huffman wechselt ziemlich geschickt zwischen einer realistischen und einer symbolischen Ebene hin und her, etwa indem er immer wieder ganze Personengruppen "einfrieren" lässt, als werde die Zeit kurz angehalten, um Salome die Situation reflektieren zu lassen. Auch Salomes Tanz ist gebrochen dargestellt, zeigt teilweise eindeutige sexuelle Avancen an Herodes, parallel dazu auch laszive Tänzerinnen, mit denen Herodias ihren Gatten von der Tochter ablenken will, aber die Erzählzeit ist momentweise eine andere als die real vergehende Zeit. Jochanaan
Jochanaan als Eiferer gegen die verderbten Sitten stützt letztendlich das chauvinistische System, weil er die unsittlich agierende Frau als vermeintliche Ursache des Übels ausmacht. Assoziationen zum Fall Kavanaugh, der ja trotz der Vergewaltigungsvorwürfen ausgerechnet von den Konservativen in den amerikanischen Supreme Court gewählt wurde, liegen - bei allen Unterschieden - nahe. Salome wird also doppelt verraten, von den lüsternen alten Männern um sie herum, und auch noch von dem, der dieses Verhalten an sich anprangert. Ihr taktisches Vorgehen - Herodes unter ihr Kleid schauen zu lassen und dafür den Kopf des Jochanaan zu fordern - wird hier zum feministischen Befreiungsakt, übrigens mit einigen Abweichungen vom Libretto, die aber in diesem Kontext glaubwürdig sind. Huffman versteht es, mit einer sehr genauen Personenregie sein Konzept schlüssig umzusetzen. So ist die Inszenierung nicht nur ziemlich spannend, sondern wirft auch den Ballast ab, den die Mischung aus schwüler Erotik und femme-fatale-Mythos mit sich bringt. Salome und Herodes
Mit Ingela Brimberg ist die Titelpartie auch im Hinblick auf dieses Konzept sehr gut besetzt. Kein junges Mädchen (auch keine auf jung getrimmte Sängerin), sondern eine Frau um die 40, die Selbstbestimmung einfordert. Ingela Brimberg ist kein richtiger hochdramatischer Sopran und bewahrt sich damit eine Spur an Verletzlichkeit, auch stimmlich; aber sie hat die vokale Attacke und bleibt trotzdem klangschön. Kostas Smoriginas ist ein kraftvoller, dabei durchaus gesanglicher Jochanaan. John Heuzenroeder singt einen beinahe nachdenklichen, differenziert gestalteten Herodes, Daliah Schaechter macht fehlende stimmliche Substanz mit überdeutlicher Artikulation und präzisem Spiel einigermaßen wett. Dino Lüthy fehlt als Narraboth die Höhe und das schwärmerische Element, Judith Thielsen ist ein leuchtend klarer Page (etwas unglücklich als Mann mit Vollbart ausstaffiert; Kostüme: Annemarie Woods). Salome und Herodias
Einmal mehr ist die Akustik im langgezogenen Saal 2 des Staatenhauses recht problematisch. Das Orchester ist in dieser Produktion neben der Bühne platziert und klingt reichlich weit weg - für die Sänger nicht undankbar, weil sie nicht zugedeckt werden. Man hätte freilich gerne noch mehr gehört (und noch genauer), was das ausgezeichnete Gürzenich Orchester spielt, denn François-Xavier Roth gelingt in seiner angeblich ersten Strauss-Oper eine ungeheuer spannende Interpretation, mit großen Bögen einerseits, einer faszinierender Feinzeichnung im Detail andererseits - da wird Salome zum überaus raffinierten orchestralen Hörkrimi. Aber kein vordergründiger Schocker, sondern ein verästeltes Geflecht mit großer Sogwirkung. Zudem ist das genau mit der Bühne abgestimmt. Roth interpretiert Strauss' Partitur durchaus "modern", hebt die schroffen Seiten hervor, die an Wirkung noch gewinnen, wenn Roth in andere Passagen bereits den Wiener Charme des auf die Salome folgenden Rosenkavalier anklingen lässt. Hoffentlich ist die nächste Strauss-Oper schon in der Planung.
Regisseur Ted Huffman stellt sich entschieden auf die Seite der Frauen und kommt zu einer radikalen, gleichwohl schlüssigen szenischen Lösung. Musikalisch mit einer famosen Hauptdarstellerin und einer mitreißenden orchestralen Interpretation ein Coup, der Maßstäbe für die noch junge Saison setzt. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Video
Kostüme
Choreographie
Kampfchoreographie
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Herodes
Herodias
Salome
Jochanaan
Narraboth
Ein Page
1. Jude
2. Jude
3. Jude
4. Jude
5. Jude
1. Nazarener
2. Nazarener
1. Soldat
2. Soldat
Ein Kappadozier
Ein Sklave
Tänzer
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