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Verletzte SeelenVon Bernd Stopka / Fotos von Olaf Struck “Leibhaftige Menschen“ wünscht sich der Theaterdirektor La Roche in Capriccio, dem weisen Alterswerk von Richard Strauss, das Brigitte Fassbaender im letzten Jahr in Frankfurt sehr überzeugend inszeniert hat (unser Bericht). Diesen Wunsch erfüllte sie ihm dort ebenso wie nun in ihrer Sichtweise auf Die Frau ohne Schatten in Kiel, wo sie die Figuren aus den Verschlingungen des Kunstmärchens hebt, ihre Charaktere feinsinnig analysiert und sie als Personen zeigt, die so realistisch wie möglich agieren. Ebenso wie Capriccio verortet sie Die Frau ohne Schatten in ihrer Entstehungszeit (1915 war die Oper fertig, wurde aber erst 1919 uraufgeführt, weil Strauss und Hofmannsthal eine Uraufführung im Krieg ablehnten). Der
Bucklige (Michael Müller-Kasztelan, Der
Einäugige (Matteo Maria Ferretti), Der Einarmige
(Ivan Scherbatyh), Färberin (Rebecca Nash)
Ein bunkergrauer, schlichter Einheitsraum mit großen Seitenöffnungen bildet den szenischen Rahmen (Bühnenbild: Helfried Lauckner), die Kostüme (Julia Scheeler) weisen in die Zeit des ersten Weltkrieges, deutlich erkennbar durch den Flieger-Lederanzug, den der Geisterbote trägt und die Schwesternkleidung des Damenchores im ersten Akt. Die Amme trinkt Tee aus blauer englischer Keramik, Kaiser und Kaiserin schlafen in einem stoffverhangenen Würfel, der mehr den Eindruck eines Gefängnisses denn eines Liebesnestes macht. Mit gespieltem Interesse hört sich die Amme die Geschichte des Kaisers an – wahrscheinlich schon zum x-ten Male… Sie ist so unsympathisch, dass niemand ihren Tee möchte, den sie anbietet. Allerdings zeigt sie ehrliches Entsetzen, wenn der Kaiser die Kaiserin als seine „Beute der Beuten“ besingt. Der Kerl ist aber auch zu widerlich eitel und selbstgefällig. Sein Falkner-Haus hat er rundum mit vergoldeten Gazellengeweihen dekorieren lassen, die wie Kleiderhaken in einer Edel-Umkleide aussehen, als die sie Amme und Kaiserin auch benutzen. Barak
ist kein Färber, sondern ein Tapezierer
(was hoffentlich keine Anspielung sein
soll), der mit seinem Musterbuch
hausieren geht und in einem
kleinbürgerlichen Zimmer lebt. Über
einem großen Ehebett hängt ein idyllisch
kitschiges Bild einer Rubens-Mutter mit
Kindern – ein enormer
vermehrungsorientierter Leistungsdruck
für das unglückliche Paar. Die Amme ist
eine intrigante Drahtzieherin, aber
keine Zauberin, sie hat etwas Perfides,
aber nichts Dämonisches. Die
Fische-Beschwörung ist allenfalls Show,
denn die Pfanne holt sie dann ganz
realistisch von der Seitenbühne.
Nebenbei scheint sie eine erfahrene
Köchin zu sein, denn sie widersteht der
Versuchung, das brennende Fett mit
Wasser zu löschen. Der Jüngling
ist ihr Statist, er seilt sich vom Dach
ab und macht der Amme mehr Lust als der
Färberin, der das, was er dann später
mit seinem Kopf zwischen ihren Beinen
macht, eher unangenehm fremd als
behaglich ist (er sollte es auch im
Hinblick auf das Gesamtniveau der
Inszenierung lieber lassen). Darum geht
es der Färberin ja auch nicht und sie
ist ihrem Barak auch gar nicht so
abgeneigt wie es meistens klingt. Wenn
er sich bei seinem ersten Auftritt vor
ihr umzieht, schaut sie nicht
abschätzig, sondern durchaus angetan auf
seine nackte Brust, als ob sie denken
würde „warum kann ich denn nur nicht…?“.
Doch die Unterhose macht ihr Angst. Sie
hasst ihn nicht, sie ist durchaus
besorgt, kann sich ihm aber nicht
hingeben. Sie wird von seinen Brüdern
verspottet und Barak weist diese nicht
wirklich zurecht. Als Tochter von
Bettlern müsste sie doch froh sein, dass
es ihr jetzt besser geht. Barak versteht
das nicht. Er ist ein ordnungsgemäßer
Mensch, ein sachlich kühler Mann, der
einfach an seiner Frau vorbeilebt, der
ihr nicht geben kann, was sie sich
wünscht, denn auch als Tochter von
Bettlern kann sie doch Ambitionen haben,
mehr zu fühlen, mehr zu erfahren,
geliebt zu werden, als die, die sie ist,
nicht, weil sie es nicht besser treffen
konnte. Sie führt sich auf wie ein in
die Enge getriebener tollwütiger Hund
und beißt mit Gemeinheiten nur so um
sich, die sie aber gar nicht wirklich so
böse meint. In ihr steckt die Liebe zu
Barak, die ihr aber erst bewusst wird,
als er seine Liebe zu ihr zu verfluchen
droht. Mit „Dritthalb Jahr bin ich
dein Weib“ wird die ganze Tragik der
Figur deutlich – mehr durch die Musik
als durch den Text. Sie schmiegt kurz
ihre Wange an Baraks Hand, wollend, aber
nicht könnend. Verzweifelt. Das
Teilen des Bettes findet nicht statt,
die Färberin zieht einfach ein Sofa in
den Vordergrund, das Barak zu kurz und
zu eng ist, der sich aber seinem
Schicksal ergibt. Wohlsorgend, aber
nicht liebevoll deckt sie ihn dann
richtig zu (nicht einmal das macht er
richtig) und legt sich dann allein quer
ins Ehebett, was sie aber auch nicht
glücklich macht. Diese Färberin ist eine
höchst tragische Figur, von der Regie
vielschichtig gezeichnet und von Rebecca
Nash ganz großartig eindringlich
gespielt und gesungen.
Färberin (Rebecca Nash), Geisterbote (Ks.
Tomohiro Takada), Barak (Thomas Hall), Zwei
Dienerinnen (Carola Bock, Jutta Jensen)
Neben
den
Charakterisierungen
der Personen
überzeugen
auch viele
Details in der
Personenregie.
Feinheiten,
die
menschlich,
zuweilen
sympathisch
allzu
menschlich
sind. So
schreibt die
Kaiserin dem
Kaiser eine
Nachricht,
bevor sie zur
Färberin geht,
die Nachricht,
die der Kaiser
dann liest und
aus der er den
Schwindel über
den
Aufenthaltsort
der Kaiserin
entdeckt. In
der Szene hat
dies aber
etwas so
Natürliches,
dass sie auch
schreiben
könnte „Sind
im
Falknerhaus,
Abendessen
steht im
Herd“.
Während die
Kaiserin
im dann
offenen, mit
einem
Sternenhimmel
ausgekleideten
Würfel träumt,
legt die Amme
eine Patience
und erschrickt
entsetzt über
die Zukunft,
die sie da
sieht.
Dem Kaiser
wird zur
Versteinerung
eine
Falkenhaube
aufgesetzt,
die ihm, dem
sehend
Gewordenen,
nach der
Menschwerdung
der Kaiserin
wieder
abgenommen
wird. Die
Dienerin, die
die Haube
halten soll,
setzt sie sich
selbst auf und
wird vom
Geisterboten
dafür kräftig
ausgeschimpft.
Färberin und
Färber sind zu
Beginn des 3.
Aktes wie zwei
Kriegsverschüttete
hinter
Sandsäcken zu
sehen und von
einer fast
bühnenbreiten,
dicken
Steinmauer
getrennt.
Drahtzieher im
dritten Akt
ist der
Geisterbote,
der die Dinge
lenkt und
steuert und
auch den Kahn
zieht, in dem
die Amme dann
zu den von ihr
so gehassten
Menschen
verstoßen
wird. Ein
grandioses
Bild, zu dem
lange,
gefährlich
scharf
aussehende
Lanzetten über
der Bühne
hängen. Der
Hüter der
Schwelle
bietet der
Kaiserin
tänzelnd das
Wasser des
Lebens in der
Livree eines
First-Class-Hotel-Pagen
der damaligen
Zeit an und
schaut
ungläubig
immer wieder
nochmal nach,
ob das Glas
vielleicht
nicht sauber
sei, nachdem
die Kaiserin
gesungen hat
„Blut ist in
dem Wasser,
ich trinke
nicht!“. Nach
Bestehen ihrer
Prüfung
betrachtet die
Kaiserin ihren
überdimensional
an der Wand
stehenden
Schatten mit
ehrfürchtiger
Freude – beim
ersten Besuch
im Färberhaus
hatte sie sich
im Schatten
der Färberin
geradezu
badend auf den
Boden gelegt.
Am Ende
erscheint sie
in
lebensfrohes
Rot gekleidet
und Barak
jubelt nicht
nur „wie
keiner
gejubelt“, er
tanzt auch und
kommt ganz aus
sich heraus.
Das wäre ein
schönes Ende,
aber…
Das Finale des zweiten Aktes ist so komplex und hochdramatisch, dass es keines zusätzlichen optischen Statements bedarf. Explodierende Bomben des ersten Weltkrieges mögen eine Assoziation der Regisseurin sein – der äußere Krieg als Pendant zum häuslichen Krieg. Aber wirklich überzeugen kann das genauso wenig wie die Projektionen sich bewegender Maschinenteile zu den Zwischenmusiken. Die Einordnung in die Entstehungszeit wird am Ende dann aber noch weiter auf die Spitze getrieben, auf eine harte, bitterböse Spitze – zu grandioser, jubelnder Musik. Zu den beiden Paaren gesellen sich alle Beteiligten und bringen 5 Kinderwagen verschiedener Zeiten mit. Mit Sekt wird auf die allgemeine Verbrüderung/Verschwesterung angestoßen. Selbst der Kaiser wirkt herzlich und menschlich. Nachdem alle die Bühne verlassen haben, erscheint die Amme, die Ausgestoßene, mit einem Kinderwagen. Ihre Verdammnis unter den Menschen zu leben, hat offensichtlich auch ihr das wahre Glück gebracht, das Glück der Mutterschaft. Vom Typ würde sie zwar eher wieder einmal „gewaltige Namen anrufen“ als sich einem Mann hinzugeben, aber das Schicksal der armen bösen Amme noch weiter zu betrachten, wird der Figur gerecht, ohne die die ganze Menschwerdung der Kaiserin ja nicht in Gang gekommen wäre, deren Wege und Machenschaften aber zu gesetzlos und unehrenhaft waren. Dann erscheinen Projektionen von Aufmärschen mit Hakenkreuzfahnen aus den 1930er-Jahren. Die so hoch besungenen Kinder der Zukunft nach dem 1. Weltkrieg werden als Pimpfe und Hitler-Jugend gezeigt. Die Amme nimmt ihr Baby schützend auf den Arm und läuft entsetzt davon. Man möchte mitlaufen. Geschichtlich ist dies zwar relativ konsequent gedacht und auch logisch nachvollziehbar. Aber dass sich ein Regieteam mit diesem so bedeutsam- und politisch-sein-wollendenden Statement so viel Wasser in den zuvor wunderbar kredenzten, edlen Wein schüttet, hinterlässt einiges Kopfschütteln und hörbares, genervtes Aufstöhnen im Publikum. Hüter der
Schwelle des
Tempels
(Caroline Nkwe),
Geisterbote (Ks.
Tomohiro Takada),
Kaiserin
(Agnieszka
Hauzer), Kaiser
(Bradley Daley),
Falke (Vigdis
Bergitte
Unsgård)
Bradley Daley verleiht dem Kaiser auch gesanglich alle Selbstgefälligkeit und Egozentrik, indem er die Partie kraftvoll in den Saal schmettert. Etwas mehr Stimmkultur und Differenzierung könnte dabei aber nicht schaden. Agnieszka Hauzers individuell timbrierter Sopran hat eine angenehme Mittellage und zeigt in der Höhe Substanz. Sie gibt dort dann aber gern dem Ausdruck den Vorrang vor einer exakten Intonation und lässt die edle Kaiserin von Anfang an sehr menschlich erscheinen. Mit sauberster Intonation in allen Lagen, sicheren Spitzentönen und intensivster Ausdruckskraft lässt Rebecca Nash die Färberin zu einer besonders beeindruckenden Figur werden. Ihre Färberin ist verletzlich, verletzt, verletzend – und dabei der tragischste Mensch auf der Bühne. Eine Glanzleistung. Als Barak lässt Thomas Hall einen klangvollen Bariton hören und setzt die regieliche Zeichnung vollkommen überzeugend um. Ebenso wie Irmgard Vilsmeier, die sehr eindrucksvoll eine zickige intrigante Gouvernante ohne jegliche Dämonie, ohne Geheimnis oder Zweideutigkeit gibt. Als Geisterbote setzt Tomohiro Takada Akzente. Baraks Brüder sind mit Michael Müller-Kasztelan, Matteo Maria Ferretti und Ivan Scherbatyh bestend besetzt und ein Sonderlob gilt dem Gesang der Wächter, die vom Rang aus gänsehauterregenden Wohlklang verströmen. Die weiteren kleineren Partien sind adäquat besetzt und der Chor bewältigt seine Aufgabe mit Bravour. Natürlich sind Kürzungen immer schmerzlich, aber die in Kiel gesetzten Striche sind nicht unüblich. Doch wer z. B. die glücklich schmausenden Bettelkinder im 2. Akt vermisst, wird sich über das zumindest in Kurzform erhaltene Melodram der Kaiserin freuen. FAZIT
In stilisierten Bühnenbildern
mit realistischen Elementen erlebt man
eine höchst intensive Personenregie,
die die Charaktere ganz menschlich
zeichnet und damit sehr emotionale
Eindrücke hinterlässt, in den letzten
Minuten aber böser wird als die Amme
und die Färberin in ihren giftigsten
Momenten zusammen. Rebecca Nash und
Thomas Hall sind ein wunderbares
Färberpaar.
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ProduktionsteamMusikalische LeitungGeorg Fritzsch Daniel Carlberg *Yura Yang Inszenierung Brigitte Fassbaender Bühne Helfried Lauckner Kostüme Julia Scheeler Choreinstudierung Lam Tran Dinh Licht Martin Witzel Video Julian Jetter Frank Scheewe Dramaturgie Cordula Engelbert Opernchor des Theaters Kiel Kinder- und Jugendchor der Akademien am Theater Kiel Philharmonisches Orchester Kiel |
- Fine -