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Das Rheingold

Vorabend zum Bühnenfestspiel Der Ring des Nibelungen
Text und Musik von Richard Wagner

Aufführungsdauer: ca. 2 Stunden 35 Minuten (keine Pause)

In deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Premiere am 1. September 2018 im Opernhaus des Staatstheaters Kassel

 

Staatstheater Kassel
 (Homepage)

Sauberes Wasser statt reines Gold


Von Bernd Stopka / Fotos von N. Klinger
 
Noch bevor das Kontra-Es, aus dem Wagner musikalisch die Welt entstehen lässt, aus dem Orchestergraben aufsteigt, stehen sich die Kontrahenten Wotan und Alberich in einigem Abstand auf der dunklen Bühne gegenüber und starren sich lange an. Dann nimmt Wotan eine leuchtende Neonröhre in Speerlänge vom Boden auf, berührt den Bühnenrand und löst so das sich langsam aufbauende Leuchten zweier Neonröhrenrahmen aus, die das Bühnenbild perspektivisch umgrenzen. So beginnt die Welt im neuen Ring des Staatstheaters Kassel szenisch. Die Symbolik ist klar: Wotan schneidet sich seinen Speer aus einem Ast der Weltesche, in den er die Verträge einschnitzt, die er schließt, um die Herrschaft zu übernehmen, die ihn aber auch binden, unfrei sein lassen und so seinen Handlungsspielraum begrenzen.

foto folgt
von links: Elisabeth Bailey (Woglinde), Marta Herman (Flosshilde), Marie-Luise Dreßen (Wellgunde), liegend: Thomas Gazheli (Alberich)

Regisseur Markus Dietz zeigt damit gleich zu Beginn, wie er bei seiner Regiearbeit für Das Rheingold vorgeht. Er beleuchtet Details des Textes und interpretiert ihn mit eigenen Bildern und Übertragungen in die heutige Zeit, was die Kostüme von Henrike Bromber ebenso deutlich machen wie das Bühnenbild von Ines Nadler. Das Rheingold ist kein Gold, sondern klares sauberes Wasser, dass die Rheintöchter mit Champagner feiern und umtanzen. Alberichs Raub besteht darin, in diesem Wasser zu baden, das dann sofort trübe wird. Der Klagegesang am Ende des Rheingolds „Rheingold! Rheingold! Reines Gold! Wie lauter und hell leuchtest hold du uns! Um dich, du klares, wir nun klagen: gebt uns das Gold! O gebt uns das reine zurück!“ bekommt damit eine ganz besondere, ganz aktuelle weltumgreifende gesellschaftliche Bedeutung. Sauberes Wasser als notwendigstes Überlebensmittel soll in den nächsten Jahrzehnten zum kostbarsten Rohstoff werden. Wie Alberich aus dem von ihm verschmutzten Wasser den Ring der Weltherrschaft schmiedet, erschließt sich allerdings nicht. Etwa aus dem goldglänzenden Lamettavorhang, der glitzernd die erste Szene umrandet?

Auch gibt es keinen Hort aus Gold. Das Kapital, über das Alberich verfügt, sind Menschen, ist die menschliche Arbeitskraft – deren Wert in einer immer stärker digitalisierten Arbeitswelt, in der man weniger Menschen als Technik braucht, zu hinterfragen ist. Menschen in weißer Unterwäsche, mit weißen Arbeitsanzügen schrubben den Bühnenboden mit ihren Händen, was an Strafexerzitien erinnert. Die gleichen Menschen sitzen, die ganze Bühne ausfüllend, während der ersten Szene in Badebekleidung um das Wasserbassin herum. Schrecklich, wenn es beim Baden im Rhein so voll ist. Ganz reizvoll sind dann die Auf- und Ab-Bewegungen zweier Hubpodien, die wellenartige Effekte erzeugen. Die Menschen beobachten die Rheintöchter und Alberich und verlachen ihn, wenn Wellgunde sein Gesicht erst selbst schwarz beschmiert, bevor sie ihn als „Schwarzes, schwieliges Schwefelgezwerg!“ verspottet und mit Champagner übergießt. Damit wird der Spott noch bösartiger und diese Aktion ist ein Beispiel dafür, wie genau der Regisseur den Text nimmt und ihn interpretiert. Dergleichen ist den ganzen Abend über immer wieder zu erleben.


Vergrößerung in neuem FensterHansung Yoo (Donner), Tobias Hächler (Froh), Jaclyn Bermudez (Freia), Lothar Odinius (Loge), Marc-Olivier Oetterli (Fasolt), Ulrike Schneider (Fricka), ganz links: Arnold Bezuyen (Mime), stehend: Thomas Gazheli (Alberich)

Zu Erleben und Sehen gibt es viel in diesem Rheingold. Neben einer aktionsreichen, ausgefeilten Personenregie, die spannend und gedankenanregend, und nur gelegentlich nicht logisch, aber immer textbezogen ist, auch viel Einsatz der Bühnentechnik. Hubpodien in Aktion deuten den Abstieg Wotans und Loges nach Nibelheim an, wo man zwischendurch Mime bei der Arbeit am Tarnhelm sieht. Auch werden die Götter nach Freias Entführung mit Bett, Stühlen, Sesseln und dem mit Bier gefüllten Kühlschrank erst hinunter- und dann als Greise mit Rollatoren bzw. Rollstuhl wieder heraufgefahren. Walhall ist als bühnengroßes, mit leuchtenden Röhren versehenes „W“ (Walhall, Wagner, Wahn, wagalaweia, was auch immer…) und zwei begehbaren Etagen gestaltet, dessen Erbauung durch einzeln flackernde Röhren angedeutet ist, die die fertige Götterburg schließlich komplett leuchten lassen. Warum Froh, Donner und Freia sich zusammen mit den Riesen zu Beginn der zweiten Szene schon im „W“ befinden, während Wotan im Halbschlaf von Walhall träumt und von Fricka aus dem Bett getrieben wird („Auf, aus der Träume wonnigem Trug!“), bleibt unklar, zumal sie ja vorn gebraucht werden, vor allem Donner als Wotans Kammerdiener, der ihn ankleidet. Wenn Loge (der Feuergott mit roten sportlichen Schuhen und einem schwarzen Shirt mit Flammenaufdruck) berichtet, dass er auf der ganzen Welt vergeblich nach etwas gesucht hat, das auf „Lieb‘ und Weib“ verzichten möchte, werden hinter dem „W“-Gestell Bilder aus aller Welt in heutiger Zeit projiziert. Freia wird von den Riesen mit einem ihrer eigenen Äpfel geknebelt.

In Nibelheim hält Alberich die Rheintöchter in jeweiliger Einzelhaft in eindeutiger Absicht gefangen. Er hat zwar für das Rheingold auf Liebe verzichtet, aber nicht auf Sex: „sie zwingt zur Lust sich der Zwerg, lacht Liebe ihm nicht!“ Woglinde hat er bereits geschändet und tut dies auf offener Bühne erneut. Neben zwei diesbezüglichen viel zu direkten und obszönen Aktionen ist in der Nibelheimszene fast wie nebenbei aber auch wieder eine jener Feinheiten der Personenregie zu erleben, die richtig Spaß machen: „…wer gab dir Licht und wärmende Lohe, wenn Loge nie dir gelacht?“ singt Loge, während er Alberich Feuer zum Rauchen gibt. Unnötige Freilandprojektionen zeigen Alberichs Verwandlung zu Riesenschlange und Kröte ein bisschen zu direkt und unlogisch – Nibelheim mit Waldlichtung? Dort ist Wotan auch sehr mobil zu sehen, während er mangels Apfelfrühstück am Rollator nach Nibelheim hinabgestiegen ist. Befreit helfen die Rheintöchter, den gebundenen Alberich nach oben zu bringen und sind entsetzt, als Wotan ihnen den Ring, das Gold, nicht zurückgibt.
 

Foto folgtganz links: Arnold Bezuyen (Mime), stehend: Thomas Gazheli (Alberich), Bürgerinnen und Bürger der Stadt Kassel und Umgebung
 

Noch bevor Wotan Freia bei den Riesen auslöst, verteilt sie ihre jugenderhaltenen Äpfel („an apple a day…“) unter den Göttern was Fasolt mit „Noch gehört sie uns.“ unterbindet. Das Verdecken Freias mit dem Menschen-Kapital statt eines Goldhaufens ist szenisch unglücklich gelöst, da wäre etwas Überzeugenderes nötig. Das gilt auch dafür, wie gelangweilt Loge den sogenannten Tarnhelm, eine von innen grell und blendend leuchtende Kiste, wie nebenbei dazustellt. Dass Erda einfach rasch von der Seitenbühne auf die Bühne huscht, nachdem die Menschen Walhall nach hinten geschoben haben (die Götterburg ist sehr mobil), wirkt einfallslos und schon gar nicht mystisch. Ihr Reifrock aus runden leuchtenden Neonröhren konterkariert die düstere Musik. Wotan lässt schließlich den Ring fallen – im wahrsten Sinne –, der von einem Statisten aufgehoben und Fasolt gereicht wird. Dass Freia Wotan dankbar und glücklich um den Hals fällt, ist ein bisschen einfach gedacht. Immerhin hat er mit ihr als Bau-Lohn gepokert, sie als Pfand den Riesen mitgegeben und sich wenig um ihr Wohlergehen gekümmert. Ihre Auslösung ist nur ein Nebenprodukt der Zwänge des furchtbar prollig wirkenden Gottes. Eigentlich müsste sie stinksauer auf ihn sein.
Mit blauem Licht „strahlt der Sonne Auge“ auf Walhall und changiert ganz dezent farblich, einen Regenbogen nur andeutend. Das Schlussbild zeigt, wie Wotan sich zu Erda begibt, die ihren leuchtenden Rock abstreift und sich ihm hingibt. Die ursprüngliche Absicht Wotans ist zwar eine andere, „Soll ich sorgen und fürchten, dich muss ich fassen, alles erfahren!“, aber ein weltaufklärendes Kaffeetrinken mit der weisen Urmutter wäre ein weniger effektvolles Schlussbild als die Zeugung Brünnhildes, die zwischen beiden ja auch stattfindet –  als praktischer Anteil von Wotans Fortbildung, der der Umsetzung seines neu erworbenen Wissens dient. Hier wird ein Zeugungsakt zum Aktschluss gedoppelt, mit dem Wagner den ersten Akt der Walküre enden und Sieglinde und Siegmund Siegfried zeugen lässt. Aber die Walküre, die jetzt gezeugt wird ist ja Brünnhilde, nach der Die Walküre benannt ist…insofern…

Foto folgtEnsemble

Kein besonders glückliches Händchen hatte man bei der Sängerbesetzung. Bjarni Thor Kristinsson protzt mit kernigem, kraftvoll dröhnendem Bass und wäre stimmlich sicher ein überzeugender Alberich. Für den Wotan wünscht man sich aber doch mehr stimmliche Eleganz als elementare Wucht, mehr gestaltende Größe als Lautstärke und vor allem auch mehr Intonationssicherheit. Lothar Odinius wirkt als Loge eher wie ein Diplomat, der schon bessere Zeiten gesehen hat und nicht wie ein selbstbewusster, gewitzter, frecher Rechts- und Unrechtsberater und setzt dies auch stimmlich so um, wobei einige Unsicherheiten auch bei ihm unüberhörbar sind. Ulrike Schneider klingt als Göttergattin Fricka etwas schmalstimmig, Jaclyn Bermudez ist eine stimmlich selbstbewusste Freia und Edna Prochnik eher eine markant resolute als warmen Wohlklang verströmende Erda. Elisabeth Bailey, Marie-Luise Dreßen und Marta Hermann sind drei wunderschön singende, bestens aufeinander abgestimmte Rheintöchter. Marc-Olivier Oetterli interpretiert den Fasolt eher feinsinnig, aber sehr eindringlich und zeigt ihn mehr als diplomatischen Geschäftsmann, denn als groben stimmvollen Riesen, den Rúni Brattaberg als sein Bruder Fasolt hören lässt. Tobias Hächler ist der verschacherten Freia auch stimmlich ein liebevoller, schönstimmiger Bruder. Thomas Gazheli gestaltet den Alberich mehr deklamierend als singend, die Partie in Intonation und Artikulation oft bis zur Unkenntlichkeit nur als Richtwert verwendend. Arnold Bezuyen zeigt als Mime eine der eindrucksvollsten Sängerleistungen des Abends und beweist, dass man einen Wagner-Zwerg mit keifenden Einwürfen interpretieren und trotzdem wirklich singen kann. Die Krone gebührt aber Hansung Yoo, der mit geradezu verschwenderischem Wohlklang als Donner – zur Nachahmung dringend empfohlen – demonstriert, wie man Wagner mit höchster Stimmkultur singt.
Die Menschen sind im Programmheft übrigens nicht als Statisten, sondern als „Bürgerinnen und Bürger der Stadt Kassel und Umgebung“ genannt, womit sich Stadt und Opernhaus in besonderer Weise verbinden.

Kassels GMD Francesco Angelico lässt die Welt sehr direkt und sachlich entstehen. Man hört Es-Dur, aber nicht die Entstehung der Welt. Im weiteren Verlauf spannt er immer wieder große Spannungsbögen, setzt kurze, eindrucksvolle Akzente und lässt die Musik dann wieder eher unauffällig weiterlaufen. Das Staatsorchester folgt ihm brav, reichert die Partitur aber gelegentlich mit fremden Tönen und kleinen Patzern an. Diverse Koordinationsprobleme zwischen Bühne und Graben ergänzen den Eindruck des Premierenabends, dass dieses Rheingold musikalisch noch nicht ganz fertig ist.
 

FAZIT

Der neue Ring des Staatstheaters Kassel beginnt szenisch spannend und vielversprechend in die heutige Zeit versetzt mit detailgenauer Personenregie, die nur gelegentlich fraglich ist. Musikalisch ist dieses Rheingold eher enttäuschend.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Francesco Angelico

Inszenierung
Markus Dietz

Bühne
Ines Nadler

Kostüme
Henrike Bromber

Licht
Christian Franzen

Videoproduktion
David Worm

Dramaturgie
Christian Steinbock

 

Staatsorchester Kassel

Solisten

Wotan
Bjarni Thor Kristinsson

Donner
Hansung Yoo

Froh
Tobias Hächler

Loge
Lothar Odinius

Fricka
Ulrike Schneider

Freia
Jaclyn Bermudez

Erda
Edna Prochnik

Alberich
Thomas Gazheli

Mime
Arnold Bezuyen

Fasolt
Marc-Olivier Oetterli

Fafner
Rúni Brattaberg

Woglinde
Elizabeth Bailey

Wellgunde
Marie-Luise Dreßen

Floßhilde
Marta Herman

Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Staatstheater Kassel
 (Homepage)





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