Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Sauberes Wasser statt reines GoldVon Bernd Stopka / Fotos von N. Klinger Noch
bevor das Kontra-Es, aus dem Wagner musikalisch
die Welt entstehen lässt, aus dem Orchestergraben
aufsteigt, stehen sich die Kontrahenten Wotan und
Alberich in einigem Abstand auf der dunklen Bühne
gegenüber und starren sich lange an. Dann nimmt
Wotan eine leuchtende Neonröhre in Speerlänge vom
Boden auf, berührt den Bühnenrand und löst so das
sich langsam aufbauende Leuchten zweier
Neonröhrenrahmen aus, die das Bühnenbild
perspektivisch umgrenzen. So beginnt die Welt im
neuen Ring
des Staatstheaters Kassel szenisch. Die Symbolik
ist klar: Wotan schneidet sich seinen Speer aus
einem Ast der Weltesche, in den er die Verträge
einschnitzt, die er schließt, um die Herrschaft zu
übernehmen, die ihn aber auch binden, unfrei sein
lassen und so seinen Handlungsspielraum begrenzen.
von
links: Elisabeth Bailey (Woglinde), Marta Herman
(Flosshilde), Marie-Luise Dreßen (Wellgunde),
liegend: Thomas Gazheli (Alberich)
Regisseur Markus Dietz zeigt damit gleich zu Beginn, wie er bei seiner Regiearbeit für Das Rheingold vorgeht. Er beleuchtet Details des Textes und interpretiert ihn mit eigenen Bildern und Übertragungen in die heutige Zeit, was die Kostüme von Henrike Bromber ebenso deutlich machen wie das Bühnenbild von Ines Nadler. Das Rheingold ist kein Gold, sondern klares sauberes Wasser, dass die Rheintöchter mit Champagner feiern und umtanzen. Alberichs Raub besteht darin, in diesem Wasser zu baden, das dann sofort trübe wird. Der Klagegesang am Ende des Rheingolds „Rheingold! Rheingold! Reines Gold! Wie lauter und hell leuchtest hold du uns! Um dich, du klares, wir nun klagen: gebt uns das Gold! O gebt uns das reine zurück!“ bekommt damit eine ganz besondere, ganz aktuelle weltumgreifende gesellschaftliche Bedeutung. Sauberes Wasser als notwendigstes Überlebensmittel soll in den nächsten Jahrzehnten zum kostbarsten Rohstoff werden. Wie Alberich aus dem von ihm verschmutzten Wasser den Ring der Weltherrschaft schmiedet, erschließt sich allerdings nicht. Etwa aus dem goldglänzenden Lamettavorhang, der glitzernd die erste Szene umrandet? Auch gibt es keinen Hort aus Gold. Das Kapital, über das Alberich verfügt, sind Menschen, ist die menschliche Arbeitskraft – deren Wert in einer immer stärker digitalisierten Arbeitswelt, in der man weniger Menschen als Technik braucht, zu hinterfragen ist. Menschen in weißer Unterwäsche, mit weißen Arbeitsanzügen schrubben den Bühnenboden mit ihren Händen, was an Strafexerzitien erinnert. Die gleichen Menschen sitzen, die ganze Bühne ausfüllend, während der ersten Szene in Badebekleidung um das Wasserbassin herum. Schrecklich, wenn es beim Baden im Rhein so voll ist. Ganz reizvoll sind dann die Auf- und Ab-Bewegungen zweier Hubpodien, die wellenartige Effekte erzeugen. Die Menschen beobachten die Rheintöchter und Alberich und verlachen ihn, wenn Wellgunde sein Gesicht erst selbst schwarz beschmiert, bevor sie ihn als „Schwarzes, schwieliges Schwefelgezwerg!“ verspottet und mit Champagner übergießt. Damit wird der Spott noch bösartiger und diese Aktion ist ein Beispiel dafür, wie genau der Regisseur den Text nimmt und ihn interpretiert. Dergleichen ist den ganzen Abend über immer wieder zu erleben.
Zu Erleben und Sehen gibt es
viel in diesem
Rheingold.
Neben einer
aktionsreichen,
ausgefeilten
Personenregie,
die spannend
und
gedankenanregend,
und nur
gelegentlich
nicht logisch,
aber immer
textbezogen
ist, auch viel
Einsatz der
Bühnentechnik.
Hubpodien in
Aktion deuten
den Abstieg
Wotans und
Loges nach
Nibelheim an,
wo man
zwischendurch
Mime bei der
Arbeit am
Tarnhelm
sieht. Auch
werden die
Götter nach
Freias
Entführung mit
Bett, Stühlen,
Sesseln und
dem mit Bier
gefüllten
Kühlschrank
erst hinunter-
und dann als
Greise mit
Rollatoren
bzw. Rollstuhl
wieder
heraufgefahren.
Walhall ist
als
bühnengroßes,
mit
leuchtenden
Röhren
versehenes „W“
(Walhall,
Wagner, Wahn,
wagalaweia,
was auch
immer…) und
zwei
begehbaren
Etagen
gestaltet,
dessen
Erbauung durch
einzeln
flackernde
Röhren
angedeutet
ist, die die
fertige
Götterburg
schließlich
komplett
leuchten
lassen. Warum
Froh, Donner
und Freia sich
zusammen mit
den Riesen zu
Beginn der
zweiten Szene
schon im „W“
befinden,
während Wotan
im Halbschlaf
von Walhall
träumt und von
Fricka aus dem
Bett getrieben
wird („Auf,
aus der Träume
wonnigem
Trug!“),
bleibt unklar,
zumal sie ja
vorn gebraucht
werden, vor
allem Donner
als Wotans
Kammerdiener,
der ihn
ankleidet.
Wenn Loge (der
Feuergott mit
roten
sportlichen
Schuhen und
einem
schwarzen
Shirt mit
Flammenaufdruck)
berichtet,
dass er auf
der ganzen
Welt
vergeblich
nach etwas
gesucht hat,
das auf „Lieb‘
und Weib“
verzichten
möchte, werden
hinter dem
„W“-Gestell
Bilder aus
aller Welt in
heutiger Zeit
projiziert.
Freia wird von
den Riesen mit
einem ihrer
eigenen Äpfel
geknebelt.
ganz
links: Arnold Bezuyen (Mime), stehend: Thomas
Gazheli (Alberich), Bürgerinnen und Bürger der
Stadt Kassel und UmgebungIn Nibelheim hält Alberich die Rheintöchter in jeweiliger Einzelhaft in eindeutiger Absicht gefangen. Er hat zwar für das Rheingold auf Liebe verzichtet, aber nicht auf Sex: „sie zwingt zur Lust sich der Zwerg, lacht Liebe ihm nicht!“ Woglinde hat er bereits geschändet und tut dies auf offener Bühne erneut. Neben zwei diesbezüglichen viel zu direkten und obszönen Aktionen ist in der Nibelheimszene fast wie nebenbei aber auch wieder eine jener Feinheiten der Personenregie zu erleben, die richtig Spaß machen: „…wer gab dir Licht und wärmende Lohe, wenn Loge nie dir gelacht?“ singt Loge, während er Alberich Feuer zum Rauchen gibt. Unnötige Freilandprojektionen zeigen Alberichs Verwandlung zu Riesenschlange und Kröte ein bisschen zu direkt und unlogisch – Nibelheim mit Waldlichtung? Dort ist Wotan auch sehr mobil zu sehen, während er mangels Apfelfrühstück am Rollator nach Nibelheim hinabgestiegen ist. Befreit helfen die Rheintöchter, den gebundenen Alberich nach oben zu bringen und sind entsetzt, als Wotan ihnen den Ring, das Gold, nicht zurückgibt.
Noch
bevor Wotan Freia bei den Riesen auslöst,
verteilt sie ihre jugenderhaltenen Äpfel
(„an apple a day…“) unter den Göttern was
Fasolt mit „Noch gehört sie uns.“
unterbindet. Das Verdecken Freias mit dem
Menschen-Kapital statt eines Goldhaufens
ist szenisch unglücklich gelöst, da wäre
etwas Überzeugenderes nötig. Das gilt auch
dafür, wie gelangweilt Loge den
sogenannten Tarnhelm, eine von innen grell
und blendend leuchtende Kiste, wie
nebenbei dazustellt. Dass Erda einfach
rasch von der Seitenbühne auf die Bühne
huscht, nachdem die Menschen Walhall nach
hinten geschoben haben (die Götterburg ist
sehr mobil), wirkt einfallslos und schon
gar nicht mystisch. Ihr Reifrock aus
runden leuchtenden Neonröhren
konterkariert die düstere Musik. Wotan
lässt schließlich den Ring fallen – im
wahrsten Sinne –, der von einem Statisten
aufgehoben und Fasolt gereicht wird. Dass
Freia Wotan dankbar und glücklich um den
Hals fällt, ist ein bisschen einfach
gedacht. Immerhin hat er mit ihr als
Bau-Lohn gepokert, sie als Pfand den
Riesen mitgegeben und sich wenig um ihr
Wohlergehen gekümmert. Ihre Auslösung ist
nur ein Nebenprodukt der Zwänge des
furchtbar prollig wirkenden Gottes.
Eigentlich müsste sie stinksauer auf ihn
sein. Die Menschen sind im Programmheft übrigens nicht als Statisten, sondern als „Bürgerinnen und Bürger der Stadt Kassel und Umgebung“ genannt, womit sich Stadt und Opernhaus in besonderer Weise verbinden. Kassels GMD Francesco Angelico lässt die Welt sehr direkt und sachlich entstehen. Man hört Es-Dur, aber nicht die Entstehung der Welt. Im weiteren Verlauf spannt er immer wieder große Spannungsbögen, setzt kurze, eindrucksvolle Akzente und lässt die Musik dann wieder eher unauffällig weiterlaufen. Das Staatsorchester folgt ihm brav, reichert die Partitur aber gelegentlich mit fremden Tönen und kleinen Patzern an. Diverse Koordinationsprobleme zwischen Bühne und Graben ergänzen den Eindruck des Premierenabends, dass dieses Rheingold musikalisch noch nicht ganz fertig ist. FAZIT Der
neue Ring
des Staatstheaters Kassel beginnt
szenisch spannend und vielversprechend
in die heutige Zeit versetzt mit
detailgenauer Personenregie, die nur
gelegentlich fraglich ist. Musikalisch
ist dieses Rheingold eher
enttäuschend. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
ProduktionsteamMusikalische Leitung
Inszenierung
Bühne Kostüme Licht Videoproduktion Dramaturgie
Staatsorchester Kassel Solisten Wotan
Donner
Froh
Loge
Fricka
Freia
Erda
Alberich
Mime
Fasolt
Fafner
Woglinde
Wellgunde
Floßhilde Weitere Informationen
|
- Fine -