Heiterkeit
und Fröhlichkeit
Von Bernd
Stopka / Fotos von N. Klinger
Albert Lortzing war nicht nur
Dichterkomponist, er war auch als Schauspieler
aktiv. In Kotzebues höchst erfolgreichem Lustspiel
Der Rehbock oder die schuldlos Schuldbewußten,
spielte er mehrfach den Grafen und fand an dem
Stoff so sehr Gefallen, dass er daraus eine Oper
machte: Der Wildschütz oder Die Stimme der
Natur.
Eigentlich
wollte der Schulmeister Baculus nur günstig an ein
Festmahl zu seiner Hochzeit mit Gretchen kommen,
aber der Schuss, den er beim Wildern abgibt und der
während der Ouvertüre zu hören ist, fungiert
gleichzeitig als Startschuss in eine quicklebendige,
reichlich verwirrte, sich am Ende aber doch in
allgemeines Wohlgefallen auflösenden Handlung.
Wegen seiner Wilderei wird Baculus vom Grafen
entlassen und versucht nun ihn umzustimmen, damit er
Ruf und Beruf nicht verliert. Baron Kronthal hat
sich auf dem gräflichen Schloss als Stallmeister
verkleidet und wird von der Gräfin angehimmelt, gibt
sich aber nicht als ihr Bruder zu erkennen. Er
seinerseits verliebt sich stante pede in das
vermeintliche Gretchen, das in Wirklichkeit die
verwitwete Baronin Freimann ist, die als Student
verkleidet zusammen mit ihrem ebenfalls als Mann
verkleideten Kammermädchen Nanette durch das Land
reist und Baculus helfen will, indem sie (bzw. er)
sich als Gretchen verkleidet beim Grafen für Baculus
einsetzen und sich dabei gleich den Baron Kronthal
anschauen möchte, den sie nach dem Willen ihres
Bruders, des Grafen, heiraten soll. Der Graf
verliebt sich in das vermeintliche Gretchen, den
verkleideten Studenten, der in Wirklichkeit die
Baronin Freimann ist, also seine Schwester. Aber
Baron Kronthal geht es ebenso und er macht ihr einen
Heiratsantrag, ohne zu wissen, dass sie die Frau
ist, die er nach dem Willen des Grafen sowieso
heiraten soll. Obendrein bietet er Baculus ein
Geschäft an. Der ist bereit seine Braut für 5000
Taler an den Baron abzutreten. Die große Liebe ist
es eh nicht, weder für den alten Schulmeister noch
für das junge Gretchen, die den Alten obendrein gern
aufgibt, um Baronin zu werden. Das Geschäft platzt,
als sich nach all den ausgiebigen Verwechslungen,
Verkleidungen und Verwirrungen doch noch alles
aufklärt. Die Paare – Liebende und Geschwister –
erkennen und finden sich und machen für alles die
„Stimme der Natur“ verantwortlich (in einem Finale,
dass stark an Mozarts Figaro erinnert). Auch
Baculus wird begnadigt, denn obwohl er wildern
wollte, hat er es nicht wirklich getan: in der
Dämmerung hat er anstatt eines Rehbocks
versehentlich seinen eigenen Esel erschossen.
Yorck Felix
Speer (Baculus), Chor
Es ist eine
klassische
Verkleidungskomödie,
die Lortzing
musikalisch
wie textlich
mit viel
geistreichem
Witz und
feiner Ironie,
kleinen und
größeren
gesellschaftskritischen
Seitenhieben
insbesondere
auf das
Biedermeierliche,
den
Adelsdünkel,
die zur
Entstehungszeit
der Oper
ausgebrochene
Begeisterung
für die Antike
und
dergleichen
würzt, ohne
dabei die
„Heiterkeit
und
Fröhlichkeit“,
die der Graf
an seinem
Geburtstag
besingt, zu
unterminieren.
Auch Regisseur
Tom Ryser tut
dies nicht und
präsentiert
das Werk ganz
natürlich in
den einfachen,
aber
realistischen
Bühnenbildern
von Julie
Weideli und
den üppigen,
augenzwinkernd
ironischen
Kostümen von
Magali
Gerberon, in
die diverse
Elemente
verschiedener
Trachten und
Festkleider
eingeflossen
sind und die
den Grafen und
die Gräfin als
Menschen eines
anderen
Standes
zeigen.
Zauberhafte
Schattenspiele
erzeugen ganz
besonders
reizvolle
Effekte und
auch die
Gewitter-Videos
von David Worm
fügen sich
bruchlos und
bereichernd
ein. Es
herrscht
ziemlich
schlechtes
Wetter auf der
Bühne. Es
gewittert und
nebelt und
gelegentlich
hört man Regen
prasseln.
Das
Entscheidende
und überaus
beglückende
dieser
Inszenierung
ist die
Herangehensweise
das Werk
wörtlich zu
nehmen und den
geistreichen
Witz, die
feine Ironie
sowohl des
Librettos als
auch der
Musik, die
sich immer
wieder
gegenseitig
konterkarieren,
herauszuarbeiten
und sich
entwickeln zu
lassen,
durchaus auch
mit Ruhe und
ohne ständige
Reizüberflutung,
in aller
Feinheit ohne
Übertreibungen
ohne unnötige
Verdeutlichungen
und ohne das
geistreich
Komische
witziger
machen zu
wollen – woran
so viele
Inszenierungen
komischer
Opern
scheitern. Das
erlebt man
selten, kann
es im ersten
Moment kaum
glauben und
hat dann umso
mehr Vergnügen
daran.
Wunderbar, wie
exakt die
Pointen
gesetzt sind,
wie Mimik und
Gestik
ausgearbeitet
sind.
Natürlich ist
die
Billard-Szene
schon an sich
das Herzstück
dieser Oper,
aber wenn sie
so wunderbar
inszeniert
(und gesungen)
wird, ist das
eine kleine
Sternstunde.
Daniel Holzhauser (Graf von
Eberbach), Inna Kalinina, (Gräfin)
Einige
Veränderungen an diesem Werk sind
aber doch zu verzeichnen. Baron
Kronthal rezitiert vor dem zweiten
Akt ein Liebesgedicht Lortzings –
das man nur zu gut verstehen kann.
Die Gräfin spricht ihre Szene aus
Antigone, mit der sie die
Dienerschaft langweilt, in
russischer Sprache zum Publikum, das
darüber genauso ratlos ist wie die
Bediensteten über ihre Vorlesung.
Das sind kleine Zugaben bzw.
Änderungen, die nicht stören,
sondern weitere Gewichte in die
Waagschalen von Tragik und Komik
werfen. Bedauerlicher ist, dass die
Szene, in der Frauen die Laube zum
Geburtstagsfest des Grafen schmücken
und in der er mit jeder tanzen
möchte – eine Andeutung auf seine
Unersättlichkeit – gestrichen wurde.
Und besonders schade ist es, dass
der Haushofmeister Pancratius nicht
sächselt, denn dadurch verpufft der
Effekt seines Lieblingsausdrucks
„närr’sch“ im Nichts. Wenig
überzeugend ist der Auftritt von
Baculus‘ Schülern im Finale als
Cheerleader mit lästig raschelnden
schwarzen Pom Poms. Eine unnötige
Aktualisierung, die wie ein
Fremdkörper im Gesamtkonzept wirkt,
das ansonsten wunderbar aufgeht.
In dieser Komödie stecken aber auch
menschliche Dramen: Geschwister, die
sich unerkannt ineinander verlieben,
eine Gräfin, die sich in die
Antikenwelt flüchtet, weil oder
weswegen sich ihr Mann gern
anderweitig umsieht und nicht
zuletzt ein alternder Schulmeister,
der seine junge Braut mit Vergnügen
verkauft. „Unschuldig sind wir alle“
singen Grafens und Baronens im
Finale – und müssen es sich
gegenseitig glauben, damit das
Kartenhaus nicht einstürzt. Das wird
hier ganz deutlich, wenn Baron
Kronthal im heiklen Moment alle zum
Lachen animiert und so versucht, die
Situation nicht eskalieren zu
lassen. Sie haben sich nicht mit
Taten schuldig gemacht, aber nicht
etwa weil sie nicht wollten, sondern
nur weil sie (noch) keine
Gelegenheit dazu hatten. Wie ist das
aber mit
dem Willen dazu und dem dadurch
problematisch gewordenen Vertrauen?
Das gilt auch für Baculus, der nicht
gewildert hat, obwohl er wollte. Der
Regisseur lässt dies alles nicht
außer Acht, zerrt es aber auch nicht
künstlich in den Vordergrund,
sondern deutet es nur an. Gleich am
Anfang macht er Baculus‘ schlechtes
Gewissen sichtbar, als diesem in
kurzen Momentaufnahmen seine
Verlobungsgäste als Ankläger seiner
Wilderei erscheinen. Wie ein
Lausejunge, der glaubt, dass jeder
weiß, was er angestellt hat. Am Ende
heiraten Baculus und Gretchen nicht,
sondern Gretchen findet ihre Liebe
im Begleiter der Baronin – einer als
Mann verkleideten Frau, die Baculus
schroff zurückweist. Wie könnte
Gretchen den alten Schulmeister auch
noch heiraten, nachdem er sie
verschachern wollte?
Jaclyn
Bermudez (Baronin Freimann),
Daniel Jenz (Baron
Kronthal), Yorck Felix Speer
(Baculus), Inna Kalinina
(Gräfin), Daniel Holzhauser
(Graf von Eberbach). Auf dem
Hochstand: Marta Hermann
(Nanette), Karola Sophia
Schmid (Gretchen, Chor und
Kinderchor
Yorck Felix Speer gelingt es mit
kernig-volltönendem und doch höchst
beweglichem Spielbass und
exzellenter Schauspielkunst
sängerisch wie szenisch die
Tragikomik des Schulmeisters Baculus
überzeugend darzustellen, so dass
man diese leicht trottelige
Respektsperson zwischen Mitgefühl,
Schmunzeln, Kopfschütteln und auch
mal lachend ganz realistisch erlebt.
Seine „5000 Taler“-Arie ist
gesanglich und schauspielerisch ein
Kabinettstückchen allererster Güte.
Karola Sophia Schmid singt das
Gretchen mit mädchenhaft klarem
Sopran, den sie an den
entsprechenden Stellen mit köstlich
energischem Selbstbewusstsein oder
eigensinniger Zickigkeit
einfärbt. Inna Kalinina
verströmt als Gräfin vom Kopf bis
zum Zeh und auch mit den
Stimmbändern aristokratische
Eleganz. Daniel Jenz singt den Baron
Kronthal mit geschmeidigem, schön
timbriertem, hellem Tenor und lässt
wunderschöne Spitzentöne hören. Als
Baronin Freimann singt sich Jaclyn
Bermudez mit ihrem Loblied auf den
Witwenstand erst einmal frei,
verströmt dann später üppige
frauliche Sinnlichkeit mit ihrem
substanzreichen Sopran. Daniel
Holzhauser war als Zweitbesetzung
des Grafen von Eberbach vorgesehen,
sang dann aber kurzfristig doch die
Premiere, was der Grund dafür sein
mag, dass er stimmlich zuweilen
etwas vorsichtig agierte, sich dann
aber im dritten Akt mit vollem Elan
in die „Heiterkeit und
Fröhlichkeit“-Arie warf. Wunderschön
klingt das a cappella-Quartett im
Finale. Ein Sonderlob gebührt dem
Chor, der ausgesprochen
differenziert, klangvoll und homogen
seine umfangreiche und vielfältige
Aufgabe mit Bravour bewältigt. Auch
der Kinderchor Cantamus hinterlässt
mit seinem Auftritt im Finale
singend den besten Eindruck.
Alexander Hannemann sorgt vom Pult
aus für klangliche Leichtigkeit und
Heiterkeit und ein exaktes
Zusammenspiel von Bühne und Graben.
Das Staatsorchester folgt ihm mit
Elan und Engagement.
FAZIT
Ein ganz wunderbarer Opernabend mit
dieser köstlichen Komödie, die als solche mit
all ihren geistreichen Feinheiten
ernstgenommen und ohne Holzhammer, aber doch
mit Andeutungen der menschlichen Tragödien
inszeniert ist. Musikalisch und
schauspielerisch ebenso ein Fest, das Felix
Yorck Speer als Baculus mit einer großartigen
Leistung krönt.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
*Alexander Hannemann
Deniola Kuraja
Inszenierung
Tom Ryser
Bühne
Julie Weideli
Kostüme
Magali Gerberon
Licht
Stefanie Dühr
Video
David
Worm
Choreinstudierung
Marco
Zeiser Celesti
Choreinstudierung
Cantamus
Maria
Radzikhovskiy
Dramaturgie
Christian Steinbock
Chor des
Staatstheaters Kassel
Kinderchor Cantamus
Staatsorchester Kassel
Solisten
*Besetzung der hier
besprochenen Premiere
Graf von Eberbach
*Daniel Holzhauser
Marc-Olivier Oetterli
Die Gräfin
Inna Kalinina
Baron Kronthal
Daniel Jenz
Baronin Freimann
*Jaclyn Bermudez
Ani Yorentz
Nanette
Marta Herman
Baculus
*Yorck Felix Speer
Christoph Seidl
Gretchen
*Karola Sophia Schmid
Lena Langenbacher
Pankratius
Bernhard Modes
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