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Der Wildschütz
oder Die Stimme der Natur

Komische Oper in drei Aufzügen von Albert Lortzing
Text vom Komponisten nach dem Lustspiel Der Rehbock oder Die schuldlosen Schuldbewussten von August Friedrich Ferdinand von Kotzebue

Aufführungsdauer: ca. 2 Stunden 30 Minuten (eine Pause)

In deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Premiere am 25. Mai 2019 im Opernhaus des Staatstheaters Kassel

 



Staatstheater Kassel
 (Homepage)

Heiterkeit und Fröhlichkeit


Von Bernd Stopka / Fotos von N. Klinger


Albert Lortzing war nicht nur Dichterkomponist, er war auch als Schauspieler aktiv. In Kotzebues höchst erfolgreichem Lustspiel Der Rehbock oder die schuldlos Schuldbewußten, spielte er mehrfach den Grafen und fand an dem Stoff so sehr Gefallen, dass er daraus eine Oper machte: Der Wildschütz oder Die Stimme der Natur.   

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Eigentlich wollte der Schulmeister Baculus nur günstig an ein Festmahl zu seiner Hochzeit mit Gretchen kommen, aber der Schuss, den er beim Wildern abgibt und der während der Ouvertüre zu hören ist, fungiert gleichzeitig als Startschuss in eine quicklebendige, reichlich verwirrte, sich am Ende aber doch in allgemeines Wohlgefallen auflösenden Handlung. 
Wegen seiner Wilderei wird Baculus vom Grafen entlassen und versucht nun ihn umzustimmen, damit er Ruf und Beruf nicht verliert. Baron Kronthal hat sich auf dem gräflichen Schloss als Stallmeister verkleidet und wird von der Gräfin angehimmelt, gibt sich aber nicht als ihr Bruder zu erkennen. Er seinerseits verliebt sich stante pede in das vermeintliche Gretchen, das in Wirklichkeit die verwitwete Baronin Freimann ist, die als Student verkleidet zusammen mit ihrem ebenfalls als Mann verkleideten Kammermädchen Nanette durch das Land reist und Baculus helfen will, indem sie (bzw. er) sich als Gretchen verkleidet beim Grafen für Baculus einsetzen und sich dabei gleich den Baron Kronthal anschauen möchte, den sie nach dem Willen ihres Bruders, des Grafen, heiraten soll. Der Graf verliebt sich in das vermeintliche Gretchen, den verkleideten Studenten, der in Wirklichkeit die Baronin Freimann ist, also seine Schwester. Aber Baron Kronthal geht es ebenso und er macht ihr einen Heiratsantrag, ohne zu wissen, dass sie die Frau ist, die er nach dem Willen des Grafen sowieso heiraten soll. Obendrein bietet er Baculus ein Geschäft an. Der ist bereit seine Braut für 5000 Taler an den Baron abzutreten. Die große Liebe ist es eh nicht, weder für den alten Schulmeister noch für das junge Gretchen, die den Alten obendrein gern aufgibt, um Baronin zu werden. Das Geschäft platzt, als sich nach all den ausgiebigen Verwechslungen, Verkleidungen und Verwirrungen doch noch alles aufklärt. Die Paare – Liebende und Geschwister – erkennen und finden sich und machen für alles die „Stimme der Natur“ verantwortlich (in einem Finale, dass stark an Mozarts Figaro erinnert). Auch Baculus wird begnadigt, denn obwohl er wildern wollte, hat er es nicht wirklich getan: in der Dämmerung hat er anstatt eines Rehbocks versehentlich seinen eigenen Esel erschossen.

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                        FensterYorck Felix Speer (Baculus), Chor

Es ist eine klassische Verkleidungskomödie, die Lortzing musikalisch wie textlich mit viel geistreichem Witz und feiner Ironie, kleinen und größeren gesellschaftskritischen Seitenhieben insbesondere auf das Biedermeierliche, den Adelsdünkel, die zur Entstehungszeit der Oper ausgebrochene Begeisterung für die Antike und dergleichen würzt, ohne dabei die „Heiterkeit und Fröhlichkeit“, die der Graf an seinem Geburtstag besingt, zu unterminieren.

Auch Regisseur Tom Ryser tut dies nicht und präsentiert das Werk ganz natürlich in den einfachen, aber realistischen Bühnenbildern von Julie Weideli und den üppigen, augenzwinkernd ironischen Kostümen von Magali Gerberon, in die diverse Elemente verschiedener Trachten und Festkleider eingeflossen sind und die den Grafen und die Gräfin als Menschen eines anderen Standes zeigen. Zauberhafte Schattenspiele erzeugen ganz besonders reizvolle Effekte und auch die Gewitter-Videos von David Worm fügen sich bruchlos und bereichernd ein. Es herrscht ziemlich schlechtes Wetter auf der Bühne. Es gewittert und nebelt und gelegentlich hört man Regen prasseln.

Das Entscheidende und überaus beglückende dieser Inszenierung ist die Herangehensweise das Werk wörtlich zu nehmen und den geistreichen Witz, die feine Ironie sowohl des Librettos als auch der Musik, die sich immer wieder gegenseitig konterkarieren, herauszuarbeiten und sich entwickeln zu lassen, durchaus auch mit Ruhe und ohne ständige Reizüberflutung, in aller Feinheit ohne Übertreibungen ohne unnötige Verdeutlichungen und ohne das geistreich Komische witziger machen zu wollen – woran so viele Inszenierungen komischer Opern scheitern. Das erlebt man selten, kann es im ersten Moment kaum glauben und hat dann umso mehr Vergnügen daran. Wunderbar, wie exakt die Pointen gesetzt sind, wie Mimik und Gestik ausgearbeitet sind. Natürlich ist die Billard-Szene schon an sich das Herzstück dieser Oper, aber wenn sie so wunderbar inszeniert (und gesungen) wird, ist das eine kleine Sternstunde.
 

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                    folgtDaniel Holzhauser (Graf von Eberbach), Inna Kalinina, (Gräfin)

Einige Veränderungen an diesem Werk sind aber doch zu verzeichnen. Baron Kronthal rezitiert vor dem zweiten Akt ein Liebesgedicht Lortzings – das man nur zu gut verstehen kann. Die Gräfin spricht ihre Szene aus Antigone, mit der sie die Dienerschaft langweilt, in russischer Sprache zum Publikum, das darüber genauso ratlos ist wie die Bediensteten über ihre Vorlesung. Das sind kleine Zugaben bzw. Änderungen, die nicht stören, sondern weitere Gewichte in die Waagschalen von Tragik und Komik werfen. Bedauerlicher ist, dass die Szene, in der Frauen die Laube zum Geburtstagsfest des Grafen schmücken und in der er mit jeder tanzen möchte – eine Andeutung auf seine Unersättlichkeit – gestrichen wurde. Und besonders schade ist es, dass der Haushofmeister Pancratius nicht sächselt, denn dadurch verpufft der Effekt seines Lieblingsausdrucks „närr’sch“ im Nichts. Wenig überzeugend ist der Auftritt von Baculus‘ Schülern im Finale als Cheerleader mit lästig raschelnden schwarzen Pom Poms. Eine unnötige Aktualisierung, die wie ein Fremdkörper im Gesamtkonzept wirkt, das ansonsten wunderbar aufgeht.

In dieser Komödie stecken aber auch menschliche Dramen: Geschwister, die sich unerkannt ineinander verlieben, eine Gräfin, die sich in die Antikenwelt flüchtet, weil oder weswegen sich ihr Mann gern anderweitig umsieht und nicht zuletzt ein alternder Schulmeister, der seine junge Braut mit Vergnügen verkauft. „Unschuldig sind wir alle“ singen Grafens und Baronens im Finale – und müssen es sich gegenseitig glauben, damit das Kartenhaus nicht einstürzt. Das wird hier ganz deutlich, wenn Baron Kronthal im heiklen Moment alle zum Lachen animiert und so versucht, die Situation nicht eskalieren zu lassen. Sie haben sich nicht mit Taten schuldig gemacht, aber nicht etwa weil sie nicht wollten, sondern nur weil sie (noch) keine Gelegenheit dazu hatten. Wie ist das aber mit dem Willen dazu und dem dadurch problematisch gewordenen Vertrauen? Das gilt auch für Baculus, der nicht gewildert hat, obwohl er wollte. Der Regisseur lässt dies alles nicht außer Acht, zerrt es aber auch nicht künstlich in den Vordergrund, sondern deutet es nur an. Gleich am Anfang macht er Baculus‘ schlechtes Gewissen sichtbar, als diesem in kurzen Momentaufnahmen seine Verlobungsgäste als Ankläger seiner Wilderei erscheinen. Wie ein Lausejunge, der glaubt, dass jeder weiß, was er angestellt hat. Am Ende heiraten Baculus und Gretchen nicht, sondern Gretchen findet ihre Liebe im Begleiter der Baronin – einer als Mann verkleideten Frau, die Baculus schroff zurückweist. Wie könnte Gretchen den alten Schulmeister auch noch heiraten, nachdem er sie verschachern wollte?

Foto folgtJaclyn Bermudez (Baronin Freimann), Daniel Jenz (Baron Kronthal), Yorck Felix Speer (Baculus), Inna Kalinina (Gräfin), Daniel Holzhauser (Graf von Eberbach). Auf dem Hochstand: Marta Hermann (Nanette), Karola Sophia Schmid (Gretchen, Chor und Kinderchor

Yorck Felix Speer gelingt es mit kernig-volltönendem und doch höchst beweglichem Spielbass und exzellenter Schauspielkunst sängerisch wie szenisch die Tragikomik des Schulmeisters Baculus überzeugend darzustellen, so dass man diese leicht trottelige Respektsperson zwischen Mitgefühl, Schmunzeln, Kopfschütteln und auch mal lachend ganz realistisch erlebt. Seine „5000 Taler“-Arie ist gesanglich und schauspielerisch ein Kabinettstückchen allererster Güte. Karola Sophia Schmid singt das Gretchen mit mädchenhaft klarem Sopran, den sie an den entsprechenden Stellen mit köstlich energischem Selbstbewusstsein oder eigensinniger Zickigkeit einfärbt.  Inna Kalinina verströmt als Gräfin vom Kopf bis zum Zeh und auch mit den Stimmbändern aristokratische Eleganz. Daniel Jenz singt den Baron Kronthal mit geschmeidigem, schön timbriertem, hellem Tenor und lässt wunderschöne Spitzentöne hören. Als Baronin Freimann singt sich Jaclyn Bermudez mit ihrem Loblied auf den Witwenstand erst einmal frei, verströmt dann später üppige frauliche Sinnlichkeit mit ihrem substanzreichen Sopran. Daniel Holzhauser war als Zweitbesetzung des Grafen von Eberbach vorgesehen, sang dann aber kurzfristig doch die Premiere, was der Grund dafür sein mag, dass er stimmlich zuweilen etwas vorsichtig agierte, sich dann aber im dritten Akt mit vollem Elan in die „Heiterkeit und Fröhlichkeit“-Arie warf. Wunderschön klingt das a cappella-Quartett im Finale. Ein Sonderlob gebührt dem Chor, der ausgesprochen differenziert, klangvoll und homogen seine umfangreiche und vielfältige Aufgabe mit Bravour bewältigt. Auch der Kinderchor Cantamus hinterlässt mit seinem Auftritt im Finale singend den besten Eindruck. Alexander Hannemann sorgt vom Pult aus für klangliche Leichtigkeit und Heiterkeit und ein exaktes Zusammenspiel von Bühne und Graben. Das Staatsorchester folgt ihm mit Elan und Engagement.


FAZIT

Ein ganz wunderbarer Opernabend mit dieser köstlichen Komödie, die als solche mit all ihren geistreichen Feinheiten ernstgenommen und ohne Holzhammer, aber doch mit Andeutungen der menschlichen Tragödien inszeniert ist.  Musikalisch und schauspielerisch ebenso ein Fest, das Felix Yorck Speer als Baculus mit einer großartigen Leistung krönt.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
*Alexander Hannemann
Deniola Kuraja

Inszenierung
Tom Ryser

Bühne
Julie Weideli

Kostüme
Magali Gerberon

Licht
Stefanie Dühr

Video
David Worm


Choreinstudierung
Marco Zeiser Celesti

Choreinstudierung Cantamus
Maria Radzikhovskiy

Dramaturgie
Christian Steinbock


Chor des
Staatstheaters Kassel

Kinderchor Cantamus

Staatsorchester Kassel

Solisten

*Besetzung der hier
besprochenen Premiere


Graf von Eberbach
*Daniel Holzhauser
Marc-Olivier Oetterli

Die Gräfin
Inna Kalinina

Baron Kronthal
Daniel Jenz

Baronin Freimann
*Jaclyn Bermudez
Ani Yorentz

Nanette
Marta Herman

Baculus
*Yorck Felix Speer
Christoph Seidl

Gretchen
*Karola Sophia Schmid
Lena Langenbacher

Pankratius
Bernhard Modes

 

Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Staatstheater Kassel
 (Homepage)





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