Weniger
ist mehr - und dann richtig gut
Von
Bernd
Stopka / Fotos von N. Klinger
Der neue Ring
am
Staatstheater
Kassel geht in
die zweite
Runde. Nachdem
Regisseur
Markus Dietz
mit dem Rheingold die
Grundlagen der
Inszenierung
gelegt hat,
führt er das
Konzept in der
Walküre
konsequent
weiter aus. Er
betrachtet den
Text im Detail
und
interpretiert
ihn durch
Übertragung in
die heutige
Zeit,
unterstützt
durch die
Bühnenbilder
von Mayke
Hegger und die
Kostüme von
Henrike
Bromber, aber
vor allem
durch eine
ausgefeilte
Personenregie,
die zu zeigen
versucht, wie
sich Menschen
heute in
diesen oder
ähnlichen
Situationen
und Konflikten
verhalten und
bewegen
würden. Nun
ist das
wahrhaft keine
neue Idee,
aber es ist ja
auch nicht
nötig, das Rad
immer wieder
neu zu
erfinden. Es
ist
sinnvoller, es
neu zu
betrachten, zu
verfeinern, in
anderen Farben
und Größen zu
gestalten und
gegebenenfalls
auch
auseinanderzubauen
und neu wieder
zusammenzusetzen.
Dabei muss man
aber
aufpassen,
dass es
hinterher
wieder rollt
und durch den
Wunsch, etwas
anders zu
machen, nicht
ins Schlingern
gerät.
Siegmund
(Martin Iliev), Sieglinde (Nadja Stefanoff)
Alle
drei Akte spielen im gleichen Raum, der doch
kein Einheitsbühnenbild ist. Im ersten Akt
strahlt er in eleganten weißen Wänden, in
die einer Bar ähnliche Regale eingebaut
sind. Der zweite Akt zeigt ihn von einer
Brandbombe zerstört, so dass fast nur noch
das Stangengerüst erhalten und alles mit
verbranntem Papier bedeckt ist (was man im
Zuschauerraum auch riechen kann). Konturen
aus Neonröhren deuten ihn im dritten Akt nur
noch an. Der Hintergrund dient als zweite
Spielebene, in der das vorn Erzählte
bebildert wird, zumeist doppelnd. Dort
erscheint auch immer wieder leitmotivisch
das schon aus dem Rheingold bekannte große W
aus Neonröhren, das wohl doch für Wotan
steht.
Zum Vorspiel wird die Szene dargestellt, von
der Siegmund später berichtet, doch da ist
kein rettender Siegmund zu sehen. Die blutig
geschundene Frau wird von den Tätern dann,
während Siegmunds Erzählung, auf den
überlangen Tisch des Saales getragen. Da
mischen sich die Ebenen. Die gleichen Männer
werden von Sieglinde mit einem Schlaftrunk,
den sie neben dem für Hunding mischt,
vergiftet. Zum Walkürenritt werden sie dann
von den Kampfesmädchen geknebelt und an
klirrenden Ketten wie Maso-Sklaven auf die
Bühne gezerrt und vorgeführt. Das Einsammeln
gefallener Helden für Wotans Walhall-Heer
wird hier nicht nur haarsträubend
inszeniert, sondern auch ohne Respekt vor
der Musik auf die Bühne gestellt, denn die
klirrenden Ketten stören ganz erheblich.
Dass Fricka sich im schwarzen Hosenanzug von
einer Harley auf die Bühne fahren lässt, die
dann dekorativ bis zum Ende von Wotans
Monolog stehenbleibt, während Fricka zu Fuß
nach Hause geht, ist ein Gag. Dass sie sich
bei Wotan für den Eid mit einer heftigen
Umarmung und langen Knutscherei bedankt, ist
dagegen völlig überzogen. Wie köstlich war
die gleiche Szene im vorletzten Ring in
Kassel, als sie sich von ihrem Göttergatten
mit einem distanziert vornehmen Küsschen auf
die Wange verabschiedete. Eine spannende und
überzeugende Andersdeutung ist hingegen das
freundlich-herzliche Umgehen Frickas mit
Brünnhilde, die die Walküre geradezu
liebevoll zu Wotan schickt, um seinen, nein,
ihren Auftrag auszuführen. Warum sollte sie
da also nicht freundlich zu ihr sein?
Walküren-Party
Humor beweist der Regisseur,
indem er in
die
Projektionen
während Wotans
Erzählung
einen
fliegenden
Storch einfügt
und damit
Erdas
Schwangerschaft
bebildert
(„von mir doch
barg sie ein
Pfand“).
Ebenso, wenn
er in der
Todesverkündigungs-Szene
Sieglinde
ihrem Siegmund
zuflüstern
lässt, was der
Brünnhilde
fragen soll.
Fast wie im
richtigen
Leben. Wenn
neun bronzen
schimmernde
Figuren (acht
Männer und
eine Frau)
während dieser
Szene im
düsteren
Hintergrund
die Bühne
hinaufschweben
und dabei wie
„Oscar“-Statuen
aussehen,
wirkt dies
aber eher
unfreiwillig
komisch.
Ebenso der
Moment, in dem
Sieglinde am
Ende des
ersten Aktes
ihr Kleid
nicht
ausgezogen
bekommt, zum
zweiten Akt
dann aber nur
im blendend
weißen
Unterrock
auftritt,
nachdem der
über und über
blutige
Siegmund im
ersten Akt
überall seine
Blutspuren
hinterlassen
hatte. Dass
Brünnhilde mit
weiß und rot
beleuchtetem
Dampf nicht
auf einem
Felsen
schlafen
gelegt wird,
sondern in die
Unterbühne
hinabfährt und
dann einen
säulenartig
beleuchteten
Bühnennebelschwall
hinterlässt,
gehört
wiederum zu
den nicht
überzeugenden
Posten auf dem
Konto „anders
machen“.
In der Walküre
wird viel
erzählt und
das ganz
intensiv und
spannend, aber
der Regisseur
traut der
Kraft von
Musik und Text
nicht und
bebildert, was
nur zu
bebildern ist.
Er traut auch
der
Bühnenpräsenz
seiner Sänger
nicht und
bevölkert die
Bühne immer
wieder mit
zusätzlichem
oder an dieser
Stelle nicht
vorgesehenem
Personal.
Vielleicht
traut er auch
nicht der
Fähigkeit des
Publikums,
sich längere
Zeit auf Text
und Musik
konzentrieren
zu können, und
möchte es mit
Bildern und
Aktionen bei
der Stange
halten.
Geweckt wird
es jedenfalls
regelmäßig
durch
ausgiebig
flackernde
Blitze und
eine blendende
tragbare Lampe
als
Requisiten-Leitmotiv,
mit der
beispielsweise
Fricka ihren
Gatten wie in
einem Verhör
blendet.
Fricka
(Ulrike Schneider), Statist
Der
Beginn des zweiten Aktes wird als Party
aller 9 Walküren gezeigt, das stört nicht
weiter, das kann man machen. Aber dass die
Walküren-Schwestern zum Schlafenlegen
Brünnhildes zurückkommen, sie in ein
übergroßes goldenes Gewand mit
Zwangsjackenärmeln verpacken und ihr einen
Karton mit Schleife als Grabbeigabe
dazulegen (was da drin ist, bleibt bis zum
Siegfried eine Überraschung), ist
widersinnig. Gerade eben hatte Wotan ihnen
doch unter höchster Strafandrohung strikt
verboten, den Walkürenfelsen zu betreten.
(„Weichet von ihr und haltet euch fern!
Wer von euch wagte bei ihr zu weilen…“).
Zu Wotans Monolog im zweiten Akt werden
Bilder aus dem Rheingold projiziert, was
diese ganz intime, heimliche Lebensbeichte
zwischen Vater und Tochter zu einer
Bildergeschichte macht. Ja, die kann lang
werden, aber wenn man so fantastische
Sängerdarsteller zur Verfügung hat, dürfte
man sich ganz auf ihre Darstellungskraft
verlassen. Das beweist eine Sequenz im
dritten Akt, in der Brünnhilde und Wotan
allein, vor schwarzem Hintergrund nur mit
ein bisschen waberndem Bühnennebel ihren
Vater-Tochter-Streit mit Worten
ausfechten. Vom Bild her ist das die
schlichteste Szene – aber mit Abstand die
intensivste. Und damit sind wir bei der
großen Stärke dieser Inszenierung, der
Personenregie, die den Text bis ins
Kleinste ausdeutet und höchst intensive
und spannende Szenen entstehen lässt. Im
Detail spannend, nicht durch große Aktion
oder Bebilderung. In den Szenen, in denen
diese Personenregie mit Reflektionen und
Schattenelementen, die eher optische
Eindrücke als zusätzliche Bilder erzeugen,
kombiniert wird, zeigt sich großes
Musiktheater.
Wotan (Eglis Silins),
Brünnhilde (Nancy Weißbach)
Egils Silins ist ein wunderbarer
Göttervater mit echter Wotan-Stimme, der
seine Stimmkraft klug und nicht protzig
einsetzt und seine Kräfte unmerkbar zu
disponieren weiß, so dass er auch mit dem
finalen „Wer meines Speeres Spitze
fürchtet durchschreite das Feuer nie!“
noch so kraftvoll und eindringlich in den
Zuschauerraum droht, dass von dort
bestimmt niemand auf die Idee käme, es zu
versuchen. Mit einem ebenso gewaltigen
Ausbruch besiegelt er vorher mit „So nimm
meinen Segen, Niblungen-Sohn!“ sein
Schicksal – und das Schicksal der Welt.
Seine Vorliebe für A/O-Lauteinfärbungen
ist allerdings ein bisschen
gewöhnungsbedürftig. Nancy Weißbach gibt
mit ihrem ersten Auftritt eine
Visitenkarte ab, auf der „Hojotoho“-Rufe
stehen, die man so exakt, klangschön und
ausdrucksvoll selten zu hören bekommt. Und
das gilt für ihre ganze Gestaltung der
Partie. Ihr substanzreicher Sopran blüht
farbenreich und üppig. Die Stimme sitzt
sicher und ohne Flackern. Wenn sie die
Todesverkündigung aus einer hinteren Loge
des Zuschauerraumes singt, wird ihre
exzellente Stimmtechnik besonders deutlich
hörbar. Man könnte sich aber ein genaueres
Aussingen der Schlusstöne einzelner
Phrasen wünschen. Nadja Stefanoff singt
eine leidenschaftliche Sieglinde und macht
doch auch im Ausdruck die verletzte Seele
dieser Figur deutlich. Martin Iliev kommt
hörbar vom Bariton-Fach, singt den
Siegmund eher markig-markant als
heldisch-strahlend und unterstreicht damit
das Naturburschenhafte der Figur. Die
„Wälse“-Rufe gelingen ihm eindrucksvoll,
ein bisschen mehr Legatokultur wäre
insgesamt aber wünschenswert. Ulrike
Schneider bietet als Fricka ein
Kabinettstückchen an interpretatorischer
Feinarbeit, gestaltet jedes Wort minutiös
aus und setzt ihren Göttergatten mit
argumentativer Zickigkeit unter Druck. Vor
stimmlicher Gewalt muss Wotan aber keine
Angst haben. Yorck Felix Speer sang in
Kassel bereits den Bartolo im Figaro und
wird auch der Baculus im Wildschütz
sein. Partien, die seiner Stimme besser
liegen dürften als der Hunding, den er
tadellos mit hoher Stimmkultur singt, aber
ohne das schwarze Bassfundament, das die
Figur bedrohlich wirken lässt. Sehr gut
aufeinander abgestimmt, ausnahmslos auf
hohem Niveau, dadurch im Klang zwar
individuell, aber doch homogen, kann das
Walküren-Oktett begeistern.
Francesco Angelico nimmt den ersten Akt
sehr genau unter die Lupe, dirigiert
detailorientiert quasi mit dem
Seziermesser, zerschneidet damit aber auch
fast jeden Spannungsbogen. Dazu kommt ein
ausgesprochen langsames Tempo, was diesen
eigentlich so leidenschaftlichen Akt recht
langatmig werden lässt. Der zweite und
dritte Akt lassen dagegen kaum etwas zu
wünschen übrig. Da entstehen
Spannungsbögen und geradezu atemberaubend
intensive Passagen. Den Feuerzauber legt
er zwischendurch wie ein retardierendes
Moment einmal kurz auf Sparflamme, um ihn
dann angemessen, aber nicht übertrieben
brennen zu lassen.
Das Staatsorchester folgt seinem
Generalmusikdirektor engagiert und
wesentlich konzentrierter als in der
Rheingold-Premiere, über einzelne
Ausfälle lässt es sich dadurch besser
hinweghören.
FAZIT
Eine
Inszenierung, die Musik und Text allein
nicht traut und vieles überbildert,
dafür aber mit einer exzellenten
Personenregie im Detail überzeugt. Nach
einem auch musikalisch eher
enttäuschenden ersten Akt können der
zweite und dritte umso mehr begeistern.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Francesco Angelico
Inszenierung
Markus Dietz
Bühne
Mayke Hegger
Kostüme
Henrike Bromber
Licht
Christian Franzen
Videoproduktion
David
Worm
Choreografische
Mitarbeit
Lillian
Stillwell
Dramaturgie
Christian Steinbock
Staatsorchester Kassel
Solisten
Siegmund
Martin Iliev
Hunding
Yorck Felix Speer
Sieglinde
Nadja Stefanoff
Wotan
Eglis
Silins
Brünnhilde
Nancy Weißbach
Fricka
Ulrike Schneider
Helmwige
Doris Neidig
Gerhilde
Jaclyn Bermudez
Ortlinde
Barbara Senator
Waltraute
Maren Engelhardt
Siegrune
Marie-Luise Dreßen
Rossweiße
Inna Kalinina
Grimgerde
Marta Herman
Schwertleite
Ulrike Schneider
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