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Die Walküre

Erster Tag des Bühnenfestspiel Der Ring des Nibelungen
Text und Musik von Richard Wagner

Aufführungsdauer: ca. 5 Stunden 20 Minuten (zwei Pausen)

In deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Premiere am 9. März 2019 im Opernhaus des Staatstheaters Kassel

 


Staatstheater Kassel
 (Homepage)

Weniger ist mehr - und dann richtig gut


Von Bernd Stopka / Fotos von N. Klinger

Der neue Ring am Staatstheater Kassel geht in die zweite Runde. Nachdem Regisseur Markus Dietz mit dem Rheingold die Grundlagen der Inszenierung gelegt hat, führt er das Konzept in der Walküre konsequent weiter aus. Er betrachtet den Text im Detail und interpretiert ihn durch Übertragung in die heutige Zeit, unterstützt durch die Bühnenbilder von Mayke Hegger und die Kostüme von Henrike Bromber, aber vor allem durch eine ausgefeilte Personenregie, die zu zeigen versucht, wie sich Menschen heute in diesen oder ähnlichen Situationen und Konflikten verhalten und bewegen würden. Nun ist das wahrhaft keine neue Idee, aber es ist ja auch nicht nötig, das Rad immer wieder neu zu erfinden. Es ist sinnvoller, es neu zu betrachten, zu verfeinern, in anderen Farben und Größen zu gestalten und gegebenenfalls auch auseinanderzubauen und neu wieder zusammenzusetzen. Dabei muss man aber aufpassen, dass es hinterher wieder rollt und durch den Wunsch, etwas anders zu machen, nicht ins Schlingern gerät.

foto folgt
Siegmund (Martin Iliev), Sieglinde (Nadja Stefanoff)

Alle drei Akte spielen im gleichen Raum, der doch kein Einheitsbühnenbild ist. Im ersten Akt strahlt er in eleganten weißen Wänden, in die einer Bar ähnliche Regale eingebaut sind. Der zweite Akt zeigt ihn von einer Brandbombe zerstört, so dass fast nur noch das Stangengerüst erhalten und alles mit verbranntem Papier bedeckt ist (was man im Zuschauerraum auch riechen kann). Konturen aus Neonröhren deuten ihn im dritten Akt nur noch an. Der Hintergrund dient als zweite Spielebene, in der das vorn Erzählte bebildert wird, zumeist doppelnd. Dort erscheint auch immer wieder leitmotivisch das schon aus dem Rheingold bekannte große W aus Neonröhren, das wohl doch für Wotan steht.

Zum Vorspiel wird die Szene dargestellt, von der Siegmund später berichtet, doch da ist kein rettender Siegmund zu sehen. Die blutig geschundene Frau wird von den Tätern dann, während Siegmunds Erzählung, auf den überlangen Tisch des Saales getragen. Da mischen sich die Ebenen. Die gleichen Männer werden von Sieglinde mit einem Schlaftrunk, den sie neben dem für Hunding mischt, vergiftet. Zum Walkürenritt werden sie dann von den Kampfesmädchen geknebelt und an klirrenden Ketten wie Maso-Sklaven auf die Bühne gezerrt und vorgeführt. Das Einsammeln gefallener Helden für Wotans Walhall-Heer wird hier nicht nur haarsträubend inszeniert, sondern auch ohne Respekt vor der Musik auf die Bühne gestellt, denn die klirrenden Ketten stören ganz erheblich. Dass Fricka sich im schwarzen Hosenanzug von einer Harley auf die Bühne fahren lässt, die dann dekorativ bis zum Ende von Wotans Monolog stehenbleibt, während Fricka zu Fuß nach Hause geht, ist ein Gag. Dass sie sich bei Wotan für den Eid mit einer heftigen Umarmung und langen Knutscherei bedankt, ist dagegen völlig überzogen. Wie köstlich war die gleiche Szene im vorletzten Ring in Kassel, als sie sich von ihrem Göttergatten mit einem distanziert vornehmen Küsschen auf die Wange verabschiedete. Eine spannende und überzeugende Andersdeutung ist hingegen das freundlich-herzliche Umgehen Frickas mit Brünnhilde, die die Walküre geradezu liebevoll zu Wotan schickt, um seinen, nein, ihren Auftrag auszuführen. Warum sollte sie da also nicht freundlich zu ihr sein?

Vergrößerung in neuem FensterWalküren-Party

Humor beweist der Regisseur, indem er in die Projektionen während Wotans Erzählung einen fliegenden Storch einfügt und damit Erdas Schwangerschaft bebildert („von mir doch barg sie ein Pfand“). Ebenso, wenn er in der Todesverkündigungs-Szene Sieglinde ihrem Siegmund zuflüstern lässt, was der Brünnhilde fragen soll. Fast wie im richtigen Leben. Wenn neun bronzen schimmernde Figuren (acht Männer und eine Frau) während dieser Szene im düsteren Hintergrund die Bühne hinaufschweben und dabei wie „Oscar“-Statuen aussehen, wirkt dies aber eher unfreiwillig komisch. Ebenso der Moment, in dem Sieglinde am Ende des ersten Aktes ihr Kleid nicht ausgezogen bekommt, zum zweiten Akt dann aber nur im blendend weißen Unterrock auftritt, nachdem der über und über blutige Siegmund im ersten Akt überall seine Blutspuren hinterlassen hatte. Dass Brünnhilde mit weiß und rot beleuchtetem Dampf nicht auf einem Felsen schlafen gelegt wird, sondern in die Unterbühne hinabfährt und dann einen säulenartig beleuchteten Bühnennebelschwall hinterlässt, gehört wiederum zu den nicht überzeugenden Posten auf dem Konto „anders machen“.

In der Walküre wird viel erzählt und das ganz intensiv und spannend, aber der Regisseur traut der Kraft von Musik und Text nicht und bebildert, was nur zu bebildern ist. Er traut auch der Bühnenpräsenz seiner Sänger nicht und bevölkert die Bühne immer wieder mit zusätzlichem oder an dieser Stelle nicht vorgesehenem Personal. Vielleicht traut er auch nicht der Fähigkeit des Publikums, sich längere Zeit auf Text und Musik konzentrieren zu können, und möchte es mit Bildern und Aktionen bei der Stange halten. Geweckt wird es jedenfalls regelmäßig durch ausgiebig flackernde Blitze und eine blendende tragbare Lampe als Requisiten-Leitmotiv, mit der beispielsweise Fricka ihren Gatten wie in einem Verhör blendet.
 

Foto folgtFricka (Ulrike Schneider), Statist

Der Beginn des zweiten Aktes wird als Party aller 9 Walküren gezeigt, das stört nicht weiter, das kann man machen. Aber dass die Walküren-Schwestern zum Schlafenlegen Brünnhildes zurückkommen, sie in ein übergroßes goldenes Gewand mit Zwangsjackenärmeln verpacken und ihr einen Karton mit Schleife als Grabbeigabe dazulegen (was da drin ist, bleibt bis zum Siegfried eine Überraschung), ist widersinnig. Gerade eben hatte Wotan ihnen doch unter höchster Strafandrohung strikt verboten, den Walkürenfelsen zu betreten. („Weichet von ihr und haltet euch fern! Wer von euch wagte bei ihr zu weilen…“). Zu Wotans Monolog im zweiten Akt werden Bilder aus dem Rheingold projiziert, was diese ganz intime, heimliche Lebensbeichte zwischen Vater und Tochter zu einer Bildergeschichte macht. Ja, die kann lang werden, aber wenn man so fantastische Sängerdarsteller zur Verfügung hat, dürfte man sich ganz auf ihre Darstellungskraft verlassen. Das beweist eine Sequenz im dritten Akt, in der Brünnhilde und Wotan allein, vor schwarzem Hintergrund nur mit ein bisschen waberndem Bühnennebel ihren Vater-Tochter-Streit mit Worten ausfechten. Vom Bild her ist das die schlichteste Szene – aber mit Abstand die intensivste. Und damit sind wir bei der großen Stärke dieser Inszenierung, der Personenregie, die den Text bis ins Kleinste ausdeutet und höchst intensive und spannende Szenen entstehen lässt. Im Detail spannend, nicht durch große Aktion oder Bebilderung. In den Szenen, in denen diese Personenregie mit Reflektionen und Schattenelementen, die eher optische Eindrücke als zusätzliche Bilder erzeugen, kombiniert wird, zeigt sich großes Musiktheater.

Foto folgtWotan (Eglis Silins), Brünnhilde (Nancy Weißbach)


Egils Silins ist ein wunderbarer Göttervater mit echter Wotan-Stimme, der seine Stimmkraft klug und nicht protzig einsetzt und seine Kräfte unmerkbar zu disponieren weiß, so dass er auch mit dem finalen „Wer meines Speeres Spitze fürchtet durchschreite das Feuer nie!“ noch so kraftvoll und eindringlich in den Zuschauerraum droht, dass von dort bestimmt niemand auf die Idee käme, es zu versuchen. Mit einem ebenso gewaltigen Ausbruch besiegelt er vorher mit „So nimm meinen Segen, Niblungen-Sohn!“ sein Schicksal – und das Schicksal der Welt. Seine Vorliebe für A/O-Lauteinfärbungen ist allerdings ein bisschen gewöhnungsbedürftig. Nancy Weißbach gibt mit ihrem ersten Auftritt eine Visitenkarte ab, auf der „Hojotoho“-Rufe stehen, die man so exakt, klangschön und ausdrucksvoll selten zu hören bekommt. Und das gilt für ihre ganze Gestaltung der Partie. Ihr substanzreicher Sopran blüht farbenreich und üppig. Die Stimme sitzt sicher und ohne Flackern. Wenn sie die Todesverkündigung aus einer hinteren Loge des Zuschauerraumes singt, wird ihre exzellente Stimmtechnik besonders deutlich hörbar. Man könnte sich aber ein genaueres Aussingen der Schlusstöne einzelner Phrasen wünschen. Nadja Stefanoff singt eine leidenschaftliche Sieglinde und macht doch auch im Ausdruck die verletzte Seele dieser Figur deutlich. Martin Iliev kommt hörbar vom Bariton-Fach, singt den Siegmund eher markig-markant als heldisch-strahlend und unterstreicht damit das Naturburschenhafte der Figur. Die „Wälse“-Rufe gelingen ihm eindrucksvoll, ein bisschen mehr Legatokultur wäre insgesamt aber wünschenswert. Ulrike Schneider bietet als Fricka ein Kabinettstückchen an interpretatorischer Feinarbeit, gestaltet jedes Wort minutiös aus und setzt ihren Göttergatten mit argumentativer Zickigkeit unter Druck. Vor stimmlicher Gewalt muss Wotan aber keine Angst haben. Yorck Felix Speer sang in Kassel bereits den Bartolo im Figaro und wird auch der Baculus im Wildschütz sein. Partien, die seiner Stimme besser liegen dürften als der Hunding, den er tadellos mit hoher Stimmkultur singt, aber ohne das schwarze Bassfundament, das die Figur bedrohlich wirken lässt. Sehr gut aufeinander abgestimmt, ausnahmslos auf hohem Niveau, dadurch im Klang zwar individuell, aber doch homogen, kann das Walküren-Oktett begeistern.

Francesco Angelico nimmt den ersten Akt sehr genau unter die Lupe, dirigiert detailorientiert quasi mit dem Seziermesser, zerschneidet damit aber auch fast jeden Spannungsbogen. Dazu kommt ein ausgesprochen langsames Tempo, was diesen eigentlich so leidenschaftlichen Akt recht langatmig werden lässt. Der zweite und dritte Akt lassen dagegen kaum etwas zu wünschen übrig. Da entstehen Spannungsbögen und geradezu atemberaubend intensive Passagen. Den Feuerzauber legt er zwischendurch wie ein retardierendes Moment einmal kurz auf Sparflamme, um ihn dann angemessen, aber nicht übertrieben brennen zu lassen.
Das Staatsorchester folgt seinem Generalmusikdirektor engagiert und wesentlich konzentrierter als in der Rheingold-Premiere, über einzelne Ausfälle lässt es sich dadurch besser hinweghören.  


FAZIT

Eine Inszenierung, die Musik und Text allein nicht traut und vieles überbildert, dafür aber mit einer exzellenten Personenregie im Detail überzeugt. Nach einem auch musikalisch eher enttäuschenden ersten Akt können der zweite und dritte umso mehr begeistern.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Francesco Angelico

Inszenierung
Markus Dietz

Bühne
Mayke Hegger

Kostüme
Henrike Bromber

Licht
Christian Franzen

Videoproduktion
David Worm


Choreografische Mitarbeit
Lillian Stillwell

Dramaturgie
Christian Steinbock


Staatsorchester Kassel

Solisten


Siegmund
Martin Iliev

Hunding
Yorck Felix Speer

Sieglinde
Nadja Stefanoff

Wotan
Eglis Silins

Brünnhilde

Nancy Weißbach

Fricka
Ulrike Schneider

Helmwige
Doris Neidig

Gerhilde
Jaclyn Bermudez

Ortlinde
Barbara Senator

Waltraute
Maren Engelhardt

Siegrune
Marie-Luise Dreßen

Rossweiße
Inna Kalinina

Grimgerde
Marta Herman

Schwertleite
Ulrike Schneider

 

Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Staatstheater Kassel
 (Homepage)





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