Tragedia giapponese in drei
Akten
Libretto von
Luigi Illica
und Giuseppe
Giacosa nach
einem
Bühnenstück
von David
Belasco
Musik von
Giacomo
Puccini (Brescia-Fassung
1904)
Aufführungsdauer: ca.
3 Stunden (eine Pause)
In italienischer
Sprache mit deutschen Übertiteln
Premiere am 8.
Dezember 2018 im Opernhaus des
Staatstheaters Kassel
„Teilnahme erregen, überraschen, zu Tränen rühren oder zum
Lachen reizen“ – eines davon, mehreres oder alles zu
kombinieren, war Puccinis selbsterklärte Absicht dazu,
welche Wirkungen er mit seinen Bühnenwerken erreichen
wollte. Wobei die erstgenannten wesentlich häufiger zu
finden sind als das Lachen, mit dem er zwar hier und
da auch seine tragischen Werke würzt, sich dahingehend
aber eigentlich nur im Gianni Schicchi richtig
austobt.
Zu lachen gibt es auch in seiner Madama Butterfly
kaum etwas, dafür lässt er mit großer Kunstfertigkeit
Erotik, Leidenschaft, Sinnlichkeit, Zärtlichkeit,
Überheblichkeit, Patriotismus, Religiosität, Pathos,
Verzweiflung… aufeinanderstoßen und miteinander
verschmelzen. Dass er dabei die Grenze zum Kitsch
streift, ist nicht zu leugnen und mag zum Teil der zur
Zeit der Entstehung herrschenden Mode der
„Japonaiserie“ geschuldet sein. Diese Oper darauf zu
reduzieren wäre aber eine sträfliche Ungerechtigkeit,
die ihr leider viel zu oft widerfährt. Die Grundtragik
der Handlung besteht darin, dass der Marineoffizier
Pinkerton zwar eine zur Zeit der Handlung vollkommen
rechtmäßige Ehe für 99 (bzw. 999 wie er meint) Jahre
schließt – dabei aber keine sogenannte Musume
heiratet, sondern eine junge Geisha, die glaubt, dass
sie mit der Eheschließung zu einer Amerikanerin wird,
ihren Glauben und ihre Traditionen ablegt und dafür
von ihrer Familie und der Gesellschaft verstoßen wird.
Ein Missverständnis, das dem windigen
Heiratsvermittler Goro eigentlich bewusst sein müsste.
Doch selbst wenn, wäre es ihm egal. Er ist in dieser
Oper der einzige Bösewicht. Alle anderen sind Opfer
von Missverständnissen oder eben von Goros Intrigen.
Eine Geisha ist eine angesehene Frau, die diesen
höchst ehrenhaften Beruf ausübt. Oft gaben arme
Familien ihre jungen Töchter in die Geisha-Schule, um
später durch die gutverdienende Tochter abgesichert zu
sein. Zur Zeit der Handlung herrschte kein
Krieg, das Militär war zum Schutz der Handelsschiffe
unterwegs, weshalb Pinkerton gern und richtig als
schicker Operettenoffizier dargestellt wird.
„Jan-Richard Kehl übernimmt die
Inszenierung für den aus persönlichen
Gründen verhinderten Regisseur Lorenzo
Fioroni. Kehl, der in der
Vergangenheit schon mit Fioroni
zusammengearbeitet hat, wird im
Wesentlichen das Konzept übernehmen,
d. h. er wird die Puccini-Oper »nach
einer Idee von Lorenzo Fioroni«
inszenieren“ – ist auf der Homepage
des Staatstheaters Kassel zu lesen.
Das Programmheft schweigt sich über
diesen Umstand seltsamerweise aus.
Fioronis Handschrift ist in Kassel gut
bekannt und auch in diesem Konzept
offensichtlich. Die Geschichte wird
als eine Art rückblendende
Geisterschau inszeniert, in die auch
die Geschichte Nagasakis einbezogen
wird, als der Ort der Handlung der
Oper, des zweiten Abwurfs einer
Atombombe am 9. August 1945 und als
moderne Welt irgendwann zwischen den
60er-Jahren und heute.
In einem großen zweigeteilten
heruntergekommenen Raum mit modernem
Fahrstuhl stehen auf der linken Seite
ein Whirlpool und mehrere Kisten
Whisky, auf der rechten Seite leben
heruntergekommene Huren, die sich auf
einem Zwei-Platten-Elektrokocher eine
ärmliche Mahlzeit zubereiten (Bühne:
Ralf Käselau, Kostüme: Annette Braun).
Sie sind Goros Kapital, aus dem er
sich zum Verkauf und auch zur eigenen
Lust bedient, und das er fortjagt,
wenn er die Frauen gerade nicht
gebrauchen kann, um den Raum als
romantisches Liebesnest zu
präsentieren. Ein Billig-Bordell,
irgendwo in einer Hochhauswohnung?
Genau das ist es aber nicht, denn der
gute Amerikaner geht nicht einfach ins
Bordell, sondern will seine Triebe in
geordneten Verhältnissen ausleben
(auch, wenn es im Grunde auf das
Gleiche herauskommt) – das war Puccini
und seinen Textdichtern wichtig, die
sich so einiger amerikanischer
Klischees bedienten. Auch Cio-Cio-San
gehört zu Goros Kapital, was den oben
beschriebenen Grundkonflikt der Oper
aushebelt und die feingesponnene
Geschichte auf eine sehr plakative
Ebene bringt. Freunde und Familie
Cio-Cio-Sans erscheinen in einer
Mischung aus westlicher und
traditioneller Kleidung, sind nach der
Hochzeitszeremonie stockbetrunken und
schauen, die Braut verstoßend, noch
einmal mit Tiermasken herein. Selbst
der auf die religiöse Tradition
pochende Onkel Bonzo trägt über seinem
Rock ein westliches Sakko mit
Einstecktuch. Als Hochzeitsdekoration
schweben Alu-Luftballons in
Fischformen im Raum.
Merūnas
Vitulskis (Pinkerton), Szczepan Nowak
(Kaiserlicher Kommissar), Hakan Ciftcioglu
(Yakusidè), Jessica Kirstein (Butterflys
Seele), Bassem Alkhouri (Goro), Marta Hermann
(Suzuki)
In
einer
Vermischung
aus Zeiten und
Geschichten
wird die Figur
der
Cio-Cio-San
gedoppelt, im
Programmheft
einmal als
Cio-Cio-San
bezeichnet und
einmal als
Butterflys
Seele, die als
junge,
überschlanke,
verletzliche
Frau in erster
Linie
körperlich
präsent ist
und stumm
agiert,
während die
singende
Cio-Cio-San in
verschiedenen
Lebensphasen
erscheint
–
zwischen
eleganter
amerikanisierter
Dame, als
atomar
verseuchte,
extrem
vorgealterte
Frau und als
alte Frau mit
Strickmütze
und
überdimensionalem
Web-Pelzmantel.
Was sich als
(wohlbekannte)
Idee durchaus
interessant
liest,
funktioniert
auf der Bühne
nur
ansatzweise.
Am
überzeugendsten
zu Beginn,
wenn Butterfly
von Goro (mit
speckigem Hut
und
Sonnenbrille)
wie eine Hure
präsentiert
wird und er
ihr sogar noch
das
durchsichtige
Negligé
abnimmt, damit
sie nur in
Unterwäsche
auf silbernen
Plateau-Schuhen
dasteht. Die
elegante Dame
Cio-Cio-San
(die singende)
beobachtet die
Szene nicht
nur, sondern
tritt auch
immer wieder
als ihr
eigenes Ich in
die Handlung,
in der klar
wird, dass
Pinkerton nur
das Eine will,
sie aber
wesentlich
mehr. Die
Verletzung
dieser Seele
wird zum
Trauma, das
bei der
beobachtenden
Cio-Cio-San
ein blutiges
selbstverletzendes
Symptom
auslöst.
Pinkerton
kommt
geradewegs von
Kriegskämpfen,
hat sich noch
nicht einmal
das Blut von
einer Wunde
über dem
rechten Auge
abgewischt,
geschweige
denn die
schmutzigen
Stiefel
geputzt.
Wem
das schon zu verwirrend ist, der
sollte sich für den zweiten Akt warm
anziehen, denn da wird er noch mehr
gefordert. Die Atombombe ist längst
gefallen, die Menschen leben im
Elend und Cio-Cio-San und Susuki
sehen aus wie einer japanischen
Fassung des „Tanz der Vampire“
entsprungen. Goro versucht
Cio-Cio-San mit dem reichen Yamadori
zu verkuppeln, der im klassischen
Gewand, aber auf Damenschuhen
eintritt. Nach der Frage, was
Cio-Cio-San täte, wenn Pinkerton nie
zurückkäme, küsst Konsul Sharpless
sie mit entfesselter Lüsternheit auf
den Mund – auch der Grundgute ist in
seiner Seelentiefe ein Schuft.
Butterflys Seele sieht man hinter
dem Fenster vorbeigehen – mit der
Papiertüte einer Fastfoodkette
(gelbes M auf rotem Grund) in der
Hand. Die Huren sind auch wieder da
(allerdings nicht atomar verseucht)
und werden von Goro verjagt, bevor
er versucht, Susuki zu
vergewaltigen. Nach dem Kämmen hält
Susuki ein Bündel langer weißer
Haare Cio-Cio-Sans in der Hand, der
sie sichtbar ausfallen. Aber warum
hat sie in diesem Elend noch eine
Dienerin? Das ist sie vielleicht gar
nicht, wie eine erotische
Liebesszene zwischen den beiden
Frauen während des Summ-Chors zeigt
– ausgerechnet dann, wenn Pinkerton
gerade gelandet ist und jeden
Augenblick auftauchen könnte. Ein
trauriger Höhepunkt in dieser
regielichen Ideensammlung, die sich
selbst genügen muss, weil sie zur
Erhellung des Werkes nicht taugt.
Warum Cio-Cio-Sans Haare nach dem
Schlafen wieder schwarz sind, was
sie bei dieser Form ihres Ichs nie
waren, aber bei ihrer Seele,
erschließt sich wie so manches
nicht. Indem Cio-Cio-San in den
Spiegel schaut, während sie singt
„Und das hier, kann er das jemals
vergessen?!“, womit sie eigentlich
ihr Kind meint, macht sie Pinkerton
für den Abwurf der Atombombe
verantwortlich. Nun ja, ein
nachvollziehbarer Gedanke… aber eine
Nummer kleiner täte es auch. Das
Kind tritt nicht auf, wird nur durch
herumliegendes Spielzeug, eine
Puppe, eine Haarsträhne und einen
sehr effektvoll hereinrollenden Ball
angedeutet. Der Kanonenschuss, der
die „Abraham Lincoln“, Pinkertons
Schiff, ankündigt, entsteht durch
das Platzen eines der Luftballons.
Das Platzen einer Illusion? Die
Mohnblüte, die sich Cio-Cio-San von
Susuki ins Haar stecken lässt, ist
ein Bund vertrockneten Gestrüpps,
die Scheinschwangerschaft, die
Cio-Cio-San vor sich herträgt,
besteht aus dem Kopf ihres Vaters,
der Harakiri beging (eine ehrenhafte
Selbsttötung: Männer schlitzen sich
den Bauch auf, während der beste
Freund hinter ihnen steht und ihnen
zum schnelleren Tod den Kopf
abschlägt. Frauen schneiden sich die
Halsschlagader auf). Etwas weniger
plakativ wäre mehr – was für den
größten Teil dieser Inszenierung
gilt.
Ganz
kurz vor der Premiere ist Celine
Byrne erkrankt, erklärte sich aber
dankenswerterweise bereit, als
Cio-Cio-San auf der Bühne zu
agieren, was von der nur wenige
Stunden vor Premierenbeginn
gefundenen Einspringerin nicht zu
leisten gewesen wäre, weshalb Soojin
Moon die Partie nur sang, dies aber
so vielfarbig und beseelt, so
ausdrucksvoll und berührend, dass
sie beim Schlussapplaus mit einer
Standing Ovation gefeiert wurde.
Merūnas Vitulskis lässt einen
kraftvollen, geradezu ungestümen
Tenor mit metallischen Höhen hören,
der interpretatorisch der Figur des
Pinkerton absolut gerecht wird.
Hansung Yoo verströmt als Konsul
Sharpless viel Wohlklang, könnte der
Partie aber mehr Kontur verleihen.
Als Susuki hat es Marta Herman nicht
leicht, sich trotz einer gewissen
regielichen Vernachlässigung der
Figur Präsenz zu verschaffen. Bassem
Alkhouri wird dem Goro stimmlich und
schauspielerisch in jeder Hinsicht
gerecht und der unverwüstliche
Dieter Hönig dröhnt den bösen Onkel
Bonzo einfach herrlich.
Joakim Unander dirigiert
die Partitur als vielfarbige,
zuweilen rauschende, zuweilen
bedrückende Symphonie, gibt der
zarten Melodie des Beginns die von
Puccini geforderte Härte und
verleiht insbesondere dem Finale mit
einem großen Bogen eine beklemmende,
immer stärker werdende Spannung. Das
Staatsorchester folgt ihm engagiert
und mit beeindruckenden solistischen
Leistungen hochkonzentriert. Der
Chor rundet die musikalische Seite
der Produktion adäquat ab.
In den letzten Jahren hatte ich den
Eindruck, dass sich das
Premierenpublikum in Kassel geradezu
verschworen hat, dem Regieteam auch
bei einer ungeliebten Inszenierung
keine Buh-Rufe zu gönnen. An diesem
Abend wurde diese Haltung
aufgeweicht.
FAZIT
Eine
fragwürdige, verquaste Inszenierung, die
geschichtsumfassend klug sein möchte,
den Grundkonflikt der Geschichte
zugunsten einer Idee aushebelt und doch
kein befriedigendes, geschweige denn ein
überzeugendes Gesamtergebnis liefert.
Musikalisch präsentiert sich diese
Produktion eindrucksvoll, aber nicht
umwerfend.