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Dieses vermaledeite Lustprinzip Von Christoph Wurzel / Fotos: © Ingo Höhn Ein Blick auf den Besetzungszettel verrät die veränderte Lage. Nicht Giovanni, der Herr also, sondern der Diener Leporello steht an oberster Stelle. Aber nicht das soziale Gefüge soll hier auf den Kopf gestellt werden. Vielmehr geht es in dieser Inszenierung um eine andere Perspektive auf die Geschichte des legendären zum Mythos gewordenen Verführers. Benedikt von Peter dreht nämlich den Spieß um. Er focussiert das Geschehen nicht darauf, mit welchen Tricks und Rafinessen Giovanni die Frauen verführt, sondern darauf was seine erotische Ausstrahlung in ihnen auslöst, wie seine unwiderstehliche Anziehungskraft auf sie wirkt. Daher gibt es Don Giovanni erst zu sehen, wenn die Aufführung zu Ende ist, wenn der Sängerdarsteller Jason Cox sich dem wohl verdienten Beifall des Publikums stellt für seine fulminante sängerische Leistung, kraftvoll, viril und eminent differenziert. Leporello dagegen ist an diesem Abend nahezu omnipräsent, er ist eine Art Showmaster, der szenisch sozusagen die Spielarten des Lustprinzips durchdekliniert. Freiheit: ja, aber...: Vuyani Linde als Leporello Giovanni agiert also lediglich stimmlich aus dem Off, nur ab und zu sieht man seine nach einem neuen Liebesobjekt greifenden Hände. Anna, Elvira, Ottavio, Zerlina und Masetto werden sehr genau von einer mobilen Camera hinter einem Gazevorhang in ihrem Verhalten beobachtet und Leporello bereitet für alles dazu die Bühne. Zu Beginn bestückt er die Bühnenrampe mit kleinen Glühbirnen, als seien wir im Varieté. Und am Schluss sammelt er sie wieder ein. Dann haben die Figuren des Stücks viel von der Macht des Begehrens erfahren. Mit welchen Gedanken das Publikum des kleinen Luzerner Theaters in die kalte Schneenacht hinaus gegangen sein dürfte, bleibt das Geheimnis einer / eines Jeden. Ein enorm spannender Opernabend ist dieses Experiment, die Titelfigur von der Bühne zu verbannen. Spannend ist gleichermaßen der Einsatz der Videotechnik, der mittlerweile weit verbreitet, aber nicht selten entbehrlich wirkt. Hier aber dienen die in Großaufnahme abgefilmten Gesichter der Protagonisten dem präzisen Studium ihrer Seelenzustände. Weitere Kulissen und Requisiten braucht es nicht, nur den Gazevorhang als Projektionsfläche, der gleichzeitig auch wie eine Art Schleuse zwischen dem in Schwarz-weiß abgefilmten Geschehen dahinter und den realen Auftritten auf der Vorderbühne wirkt. Souverän switcht Carlos Isabel Garcia mit seiner Handkamera hinter dem Vorhang von Gesicht zu Gesicht, virtuos werden die gefilmten Bilder mit dem direkt sichtbaren Geschehen vorne abgemischt. Fantastisch auch das Timing der Sängerdarsteller in ihren blitzschnell wechselnden Auftritten vor und hinter diesem Vorhang. So erscheint auch die Verwechslung von Identitäten, wie der Kleidertausch zwischen dem Don und Leporello besonders einleuchtend und glaubhaft. Ziemlich gebeutelt vom Genuss der Freiheit: Solenn' Lavanant Linke (Elvira), Emanuel Heitz (Ottavio), Rebecca Krynski Cox (Anna) (v.l.) Sehr genau hat der Regisseur die Personen geführt, ihre Körpersprache ausfdifferenziert. Und alle setzen diese Intentionen grandios um. Da ist zum Beispiel Abigail Levis als Zerlina nun wirklich kein Kind von Traurigkeit. Und Masetto kann ihr noch so erbost vorhalten, nicht allein an ihm Gefallen zu finden. Selbstbewusst beweist sie ihm aber, dass die Chose auch andersherum geht. Kaum gib sich Gelegenheit, tut er's auch. Cosi fan tutti, so machen's alle - ebenso Frauen wie Männer. Mit einigem Augenzwinkern wird hier der Sinn von Lorenzo Da Pontes drei Jahre später folgendem Libretto für Mozart in einer Art emanzipatorischer Bereinigung vorweggenommen. Packend spielen auch Rebecca Krynski Cox als Anna und Solenn' Lavanant Linke als Elvira ihre Partien als von widerstreitenden Gefühlen regelrecht geschüttelten Menschen. Die Koloraturen in ihren Arien bleiben hier nicht allein rein musikalische Ornamente, sondern sind bei Anna herausgeschleuderte Hilferufe nach seelischem Halt und bei Elvira Ausdruck eines verzweifeltem Ringens um innere Fassung. "Mi tradi quell' alma ingrata", Elviras äußerst schmerzlich gewonnene Einsicht, nun gänzlich verraten, sitzengelassen und einsam geworden zu sein, nimmt in Solenn' Lavanant Linkes vokaler Gestaltung bereits die Expressivität einer romantischen Wahnsinnsarie an. Verzweifelt: Solenn' Lavanant Linke (Elvira) Deutlich erkältungsgeplagt meistert Emanuel Heitz aber doch beachtlich die ohnehin diffizile Partie des lediglich zu bloßer Reakton verurteilten Ottavio, dem diese Inszenierung in ihrer Konzeption freilich auch keine neue Rolle zuweisen kann. Als Masetto ist Flurin Caduff heftig damit beschäftigt, gegen seine selbstbewusste Braut männliche Oberhand zu behalten. Vokal gelingt es dem Sänger nicht ohne Überzeugungskraft. Und dem Komtur verleiht mit mächtigem Bass Boris Petronje die nötige Autorität. Die Figur liegt im Finale Schauer erregend leblos auf einer Bahre und fordert mit fürchterlicher Stimme Giovannis Reue ein; vergeblich wie bekannt - und so verschlingt das Höllenfeuer den ganzen Spuk unter gewaltigem Qualm. Auch dabei ist Leporello mit der von ihm ausgelösten Initialzündung die treibende Kraft. Dieser Rolle gibt Vuyani Mlinde auf grandiose Weise geradezu mefistofelische Macht. In einer Mischung aus zynischer Genugtuung und durchtriebener Selbstironie führt er die Wege und Irrwege sexuellen Begehrens vor. Zeitweise wird er zum gewieften Mitspieler in diesem perfiden Spiel der strudelnden Leidenschaften. Die Aufzählung der Amouren Giovannis in der Registerarie richtet er ans Publikum, dem er die vielen Varianten amourösen Treibens vor Augen hält - "voi sapete, quel che fa". Und stimmlich ist der Sänger in dieser Rolle einfach eine Wucht. Nicht zuletzt trägt die zupackend dramatische Gestaltung der leicht gekürzten Partitur durch das Luzerner Sinfonieorchester zum großartigen Gesamteindruck bei. Clemens Heil erweist sich nicht nur als höchst präziser und aufmerksamer Dirigent, sondern lässt Mozarts Musik auch in intensiver Klangrede musizieren. Beredt und phantasievoll begleitet zudem William Kelley die Rezitative am Hammerflügel. FAZIT Benedikt von Peter hat hier eine frühere Regiearbeit aus Hannover nochmals geschärft und überzeugend auf die Luzerner Verhältnisse zugeschnitten. Geblieben ist die beeindruckende Grundkonzeption, die durch die Darsteller mit höchstem Engagement realisiert wurde. Dass auch die musikalische Seite durch alle Beteiligten an diesem Abend große Strahlkraft besaß, spricht für die überraschend hohe Leistungsfähigkeit dieses doch relativ kleinen Hauses.
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ProduktionsteamMusikalische Leitung Inszenierung
Video Bühne Kostüme Licht Dramaturgie Einstudierung Chor Live-Kameramann
Chor des Luzerner
Solisten*rezensierte Aufführung Leporello Don Giovanni Donna Anna Don Ottavio Komtur Donna Elvira Zerlina Masetto
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