Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Auf der Suche nach der verlorenen Zeit
Von Stefan Schmöe / Fotos von Christian POGO Zach
Momo singt nicht. Das ist wohl ein entscheidender Grund, warum es überhaupt zu dieser Oper gekommen ist. In Michael Endes Roman Momo, 1975 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet, beruht der Zauber des plötzlich aus dem Nichts erscheinenden Mädchen Momo darin, anderen Menschen zuhören zu können - Ruhepunkt in einer oberflächlichen und hektischen Welt, in der den Menschen durch die "grauen Herren" von der "Zeit-Spar-Kasse" ihre Zeit (zumindest die, von der die Lebensqualität abhängt) gestohlen wird. Dem Schriftsteller missfiel, dass in einer 1978 entstandenen Vertonung durch den Komponisten Mark Lothar (1902 - 1985) diese Idee umgekehrt wird, indem die Titelfigur diverse Arien singt und die anderen entsprechend ihr zuhören müssen. Zwischen Wilfried Hiller, dem Komponisten dieser neuen Momo-Oper, und dem 1995 verstorbenen Michael Ende hat es eine lange Freundschaft und Zusammenarbeit gegeben, wobei auch die Idee zu dieser Oper entstand, die aber nie umgesetzt wurde - bis Hiller einen Kompositionsauftrag vom Münchner Gärtnerplatztheater erhielt und die lang gehegten Pläne realisierte.
Bei Hiller singt Momo also nicht. Inmitten unterschiedlicher musikalischer Sphären ist die Figur als Sprechrolle angelegt (Anna Woll ist mit mädchenhaftem, nicht zu jungem Aussehen eine Idealbesetzung, könnte allerdings dem Text mehr Gewicht verleihen). Entsprechend Endes buddhistisch angehauchter Zeit-Philosophie verwendet Hiller eine Reihe von asiatischen Instrumenten wie Klangschalen oder asiatische Flöten. Die grauen Herren, als abstrakte Wesen geschlechtlich nicht einzuordnen, sind als Septett quer durch alle Lagen vom extrem hohen Sopran (brillant in höchsten Koloraturhöhen: Ilia Staple) bis zum tiefen Bass vertont und vom Schlagwerk begleitet; als Gegensatz dazu singt Meister Hora, der Hüter der Zeit, nicht mit eigener Stimme, sondern wird durch einen unsichtbaren Chor, durch elektronisch erzeugten Nachhall unwirklich verfremdet, musikalisch dargestellt. Die Schildkröte Kassiopeia, die Momo ins Reich Horas führt, hat die rätselhaft klingende Oboe d'Amore als Begleitinstrument (die famose Oboistin Marta Aleksandra Mizgala wird leider auf dem Besetzungszettel nicht genannt). Mit dieser Konstellation gelingt es Hiller, interessante Klangräume zu schaffen und die Stimmung des Romans überzeugend einzufangen. Momo und die grauen Herren
Als problematischer erweisen sich die realen Menschen, insbesondere Momos engste Freunde Beppo Straßenkehrer und Gigi Fremdenführer. Letzterer steht als Tenor (großartig und mit bestechendem Charme: der noch sehr junge Maximilian Mayer) in der Tradition der italienischen Opernmusik des 19. Jahrhunderts. Michael Ende habe, so schreibt Hiller zu seiner Vertonung, selbst Melodien für die Hauptfiguren im Kopf gehabt, und die seien in dieser Oper aufgegriffen. Wo sich das bei Gigi andeutet, wirkt die Musik allerdings recht anachronistisch und ein wenig anbiedernd. Der Schluss der Oper mit einer solchen Kanzonette (mit Chor) soll in dieser Uraufführung, so war zu hören, gestrichen worden sein (jetzt endet das Werk sehr stimmungsvoll mit ätherischen Klängen). Im Buch wandelt sich Gigi vom fantasievoll fabulierenden Märchenerzähler unter dem Einfluss der grauen Herren zum erfolgreichen, aber zunehmend fantasielosen Showstar; in der Oper wird er zum Schlagersänger - das Problem, ihm einen eingängigen, dabei erkennbar trivialen Song zu schreiben, hat Hiller nur halbwegs überzeugend gelöst. Die Figur des Beppo (sympathisch, aber unauffällig: Holger Ohlmann), wirkt musikalisch merkwürdig unterbelichtet und gewinnt wenig eigenes Gewicht. Momo bei Meister Hora, dem Hüter der Zeit
Momo ist eine veritable Familienoper geworden, der in der hier besprochenen Aufführung das Publikum (teilweise deutlich jünger als die vom Theater vorgeschlagenen mindestens 11 Jahre) mit großer Konzentration durch die (mit Pause) mehr als zweieinhalb Stunden Spieldauer folgte. Librettist Wolfgang Adenberg hat sich ziemlich genau an die Romanvorlage gehalten, wie auch schon die Verfilmung von Johannes Schaaf aus dem Jahr 1986. Das hat den Vorteil, dass Kinder, die diese Vorlagen kennen, sich gut wiederfinden. Der bildmächtigen, aber auch sehr konzentrierten Regie von Nicole Claudia Weber gelingt es, mit kleinen Zeichen die häufig wechselnden Situationen überzeugend einzufangen, aber auch mit markanten Bildern einen beeindruckenden ästhetischen Rahmen zu setzen. Auf der intensiv genutzten Drehbühne setzen sich virtuos einzelne Bauteile schnell zu den Ruinen des Amphitheaters oder zum Reich Meister Horas zusammen (Bühnenbild: Karl Fehringer und Judith Leikauf; ein Kompliment an die Bühnentechnik des Gärtnerplatztheaters für die reibungslose Umsetzung der komplexen Bildwechsel). Das ist konkret genug, um die Handlung an ihren jeweiligen Schauplätzen zu verorten, lässt der Fantasie aber genug Freiräume. Momo mit Schildkröte Kassiopeia
Schildkröte Kassiopeia ist eine veritable Riesenschildkröte, auf deren Panzer Momo bei Bedarf auch reiten kann. Aber die Regie gleitet auch bei solchen verspielten Momenten nie ins niedlich-gefällige ab. Die grauen Herren tragen Halskrausen, aus denen ein kaltes Licht leuchtet, das verlischt, wenn ihnen die Zeit ausgeht (Kostüme: Tanja Hofmann). Meister Hora wird von einem Tänzer dargestellt (angemessen geheimnisvoll drahtig: Matteo Carvone), der, auch das ein Verweis auf buddhistische Motive, asiatisch anmutet und seinen Verjüngungsprozess darstellt, indem er gemeinsam mit Momo seinen weißen Zuckerwatte-Bart aufisst. Eine sängerisch-schauspielerisches Kabinettstückchen besonderer Art liefert Caroline Adler als sprechende Puppe "Bibigirl", mit der die grauen Herren Momo (vergeblich) zu ködern versuchen. Es sind auch solche liebevollen, präzise gestalteten Details, die gefangen nehmen. Das durchweg gute Ensemble des Gärtnerplatztheaters, den klangschönen Chor (Einstudierung: Felix Meybier) inbegriffen, setzt das mit großer Spielfreude um. Am Pult des ebenfalls sehr überzeugenden Orchesters steht an diesem Abend Andreas Partilla (die Premiere dirigierte Michael Brandstätter, erster Kapellmeister des Hauses), der die Aufführung umsichtig leitet.
Unbedingt sehens- und hörenswert: Wenn auch nicht in jedem Takt ein Meisterwerk, so bietet Momo doch große Oper für Erwachsene und Kinder in einer musikalisch wie szenisch eindrucksvollen Umsetzung. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Choreographie
Licht
Video
Chor
Dramaturgie
Solisten
Momo
Gigi, Fremdenführer
Beppo, Straßenkehrer
Erster Grauer Herr
Zweiter Grauer Herr
Dritter Grauer Herr
Vierter Grauer Herr
Fünfter Grauer Herr
Sechster Grauer Herr
Siebter Grauer Herr
Meister Hora
Herr Fusi, Friseur
Nicola, Maurer
Puppe "Bibigirl"
Erstes Traumgirl
Zweites Traumgirl / Erste Frau
Drittes Traumgirl / Zweite Frau
Kassiopeia
Nino, Wirt
Herr Fusis Lehrbub
Junge mit dem Vogelkäfig
|
© 2019 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de