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Karl V.

Bühnenwerk mit Musik in zwei Teilen (1938)
Text und Musik von
Ernst Krenek

Aufführungsdauer: ca. 3 Stunden (eine Pause)

In deutscher Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Premiere im Nationaltheater der Bayerischen Staatsoper München am 10. Februar 2019






Bayerische Staatsoper München
 (Homepage)

Surreale Lebensbeichte


Von Bernd Stopka / Fotos von Wilfried Hösl


Karl V. war das erste abendfüllende Musiktheaterwerk, das durchweg in Zwölftontechnik komponiert wurde. Diese, von Schönberg und seinen Kollegen der Zweiten Wiener Schule erdachte, sachlich-akademische Sichtweise auf eine Gleichberechtigung der 12  Töne der chromatischen Skala, die in beliebige Reihenfolgen gestellt immer wieder variiert werden, hat der Komponist Ernst Krenek nicht zufällig für Karl V., Bühnenwerk mit Musik in zwei Teilen, gewählt. Die finale Einsicht des Kaisers des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation, dass die Gleichberechtigung verschiedener Sichtweisen, Glaubensrichtungen und Lebenshaltungen elementar ist, spiegelt sich in diesem Kompositionsprinzip wider.

Krenek – der auch das anspruchsvolle Libretto schrieb – hält sich bis auf wenige Ausnahmen sehr nah an die geschichtlichen Fakten. Er kombiniert gesungene, gesprochene und im Sprechgesang gehaltene Passagen, so dass die Textverständlichkeit sehr gut ist und man der Handlung jederzeit folgen kann.

Bild zum VergrößernKarl (Bo Skovhus) vor Tizians "Das Jüngste Gericht"

Nachdem Karl V. abgedankt hatte, zog er sich ins Kloster San Geronimo de Yuste zurück und legt nun auf Nachfrage Gottes und quasi als Generalprobe für das Jüngste Gericht dem jungen Mönch Juan de Regla seine Lebensbeichte ab - in Rückschauen, die uns durch die wichtigen Stationen der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts führen. Krenek zeigt einzelne Episoden, die Marksteine im Leben eines Herrschers waren, der seinen, nach eigener Überzeugung von Gott gegebenen, Auftrag darin sah, die Welt unter dem Himmel des christlichen (des katholischen!) Glaubens zu vereinen und fremde Einflüsse, insbesondere reformatorische und osmanische, zu bekämpfen. Im Rahmen seiner Rückschau durchlebt Karl sein Leben erneut, betrachtet kritisch seine Entscheidungen und Haltungen, erkennt Irrtümer und Fehler. Sein Scheitern in Sachen christliches Weltreich führt er darauf zurück, dass man die Vielfalt („Vielheit“) der Welt, des Glaubens, der individuellen Menschlichkeit und die Frage des Rechts nicht mit Gewalt unter eine Glocke drücken kann, sondern sich mit Toleranz aufeinander zu entwickeln lassen muss.

Krenek legt damit den Fokus auf das Scheitern von Karls Weltmachtstreben und bezieht die Geschichte auf die politische und gesellschaftliche Gegenwart der Entstehungszeit (der martialische deutsche Nationalismus wird dabei besonders scharf gezeichnet). Das 1933 vollendete Werk wurde nicht wie geplant in Wien uraufgeführt, denn Krenek stand wegen Jonny spielt auf auf der schwarzen Liste der Nationalsozialisten und wurde von der aufkommenden österreichischen „Heimwehr“ verpönt. Erst 1938 wurde Karl V. im noch nicht annektierten Prag uraufgeführt, um dann bis 1950 von den Bühnen der Welt zu verschwinden, auf denen es auch danach nur noch wenige Male wiederzufinden war. Umso beeindruckender ist es, dass das Münchner Nationaltheater Karl V. nun, 2019, nach einer Produktion im Jahr 1965 zum zweiten Mal auf den Spielplan gesetzt hat.

Vergrößerung in neuem Fenster Franz I. (Wolfgang Ablinger-Sperrhacke), Statisten

Regisseur Carlus Padrissa, Mitglied und Mitbegründer der Theatergruppe La Fura dels Baus, betrachtet die weltpolitischen Fragen wie auch den individuellen Menschen Karl gleichermaßen und geht mit Lita Cabellut, die für Bühnenbild, Kostüme und Videos verantwortlich zeichnet, einen Schritt weiter. Sie stellen die derzeit wieder höchst aktuellen Fragen, die das Werk aufwirft, als zu jeder Zeit, in jedem Raum und in jeder Gesellschaft elementar dar, indem sie die Geschichte in eine surreale, fantastische Welt stellen, in der reale Bilder übermalt, gedehnt, verzerrt, verschoben – und vor allem bühnenhoch und -breit gespiegelt werden. „Die Welt muss vielfältig sein, darin spiegelt sich ihr Reichtum“ kann als das Credo des Regisseurs verstanden werden. „Globalisierung mit nur einer Denkweise“ ist nicht möglich, ja verheerend. Und das ist höchstaktuell. In eine fiktive Welt gestellt, entsteht eine Distanz, die Nähe bewirkt (ein oft erklärter Regie-Ansatz, der hier tatsächlich auch gelingt). Zudem stehen diese Bilder in ihrer surrealen Modernität im harmonischen Einklang der (unharmonischen) Musik. Als opulente historisierende Ausstattungsoper würde das nicht funktionieren.

Mit einer geradezu überbordenden Fülle emotionalisierender Bilder gelingt es hier, auch Skeptiker der Projektionstechnik von diesem Gestaltungsmittel zu überzeugen, weil es als Weg, etwas darzustellen eingesetzt wird, nicht um seiner selbst willen und nicht, um parallel eine andere Geschichte zu erzählen, insbesondere im kongenialen Zusammenschluss weiterer theatertechnischer Mittel. Der Film- und Kinoenthusiast Krenek hätte sicher seine helle Freude daran gehabt.

Überdimensionales und Miniaturhaftes, Schrilles und Geheimnisvolles, vielfach Gespiegeltes und gigantisch Aufgeblasenes ist da auf einer von Wasser gefluteten Bühne zu sehen (wichtigste praktische Requisiten der Kostüme: Variationen von Gummistiefeln). Sind das schon die Wasser der Lethe? Ach nein, wir sind ja in der christlichen Welt. Tizians „Jüngstes Gericht“ scheint lebendig zu werden, indem eine lurchähnliche Gestalt an ihm hinaufklettert. Mit staatsanwaltlicher Genauigkeit zählt Mechthild Grossmann aus dem Off Karls Titel auf, was an die habsburgische Anklopfzeremonie erinnert und so steht er denn auch da, in der Oper nur noch Karl genannt, nicht nur ein Mensch wie alle, sondern ein armes Menschlein in seinem kurzen Hemd, auf das eine Uhr-Spirale gedruckt ist, in uhrzeitlich bedruckten Strumpfhosen und mit 5 harten, hoch aufstehenden goldgelben Zöpfen, die für den surrealen Anteil sorgen.
Mit „Feuer, Wasser, Luft und Erden“ führt uns Karl durch seine Lebensbeichte. Spätestens seit der Zauberflöte weiß der Opernbesucher, dass man dadurch „rein“ werden kann. Ein gewaltiger Wasserschwall fällt aus einem Knäuel scheinbar nackter Menschen, die an Seilen auf verschiedenen und wechselnden Ebenen von der Bühne herabhängen und sich im Laufe des Abends szenenbezogen in immer wieder neuen Gebilden zusammenfügen, bis hin zu einem DNA-ähnlichen Gebilde am Ende, wenn es zurück an den Ursprung geht. 

Bild zum VergrößernFrangipani (Kevin Conners), Franz I. (Wolfgang Ablinger-Sperrhacke)

In solch einem Menschenknäuel sieht man Karls Erzfeind Franz I., der später selbst hochelegant auf ein Urnen-Vasen-Säulen-Gebilde schwebt, das seinen Gefängnisturm darstellt. Sein königlicher Kopfschmuck ähnelt dem Karls – er sieht damit aber eher wie eine Mischung aus 80er-Jahre-Punker und Karnevalsprinz aus. An einer Stelle tritt auch der Beichtvater-Mönch leibhaftig in Karls Erinnerung, was doch ein bisschen viel des Surrealen ist.
Die Erscheinung der Mutter als zunächst verhängte Pietà gelingt höchst eindrucksvoll. Dass die Regie auf den wurmstichigen Apfel verzichtet, mit dem die Mutter dem Sohn deutlich macht, dass der Tod in allem steckt, und sie ihm gleich eine gläserne Weltkugel mit Wurm überreichen lässt, nimmt die später zerschellende, Vertragspapiere und dergleichen freigebende Weltkugel vorweg. Die Glaskugel steht dann durchweg als stetige Mahnung auf dem Souffleurkasten. „Von innen zerbricht die mühsam gefügte Welt - eine Kugel von Glas“ ist der Hinweis aus dem Libretto zu diesem Bild.

Zur Darstellung des Reichstags zu Worms tritt Luther durch den Zuschauerraum vor die erste Parkettreihe, wirft Flugblätter ins Publikum (die 95 Thesen?), die den Opernbesuchern von seinen Gegnern gleich wieder entrissen werden. Dass Karl Luther freiließ, sehen der junge Mönch und später auch der Jesuit Francisco Borgia (mit Totenschädel auf der Kutte) als seinen größten Fehler an.
Auch für das Plündern der Neuen Welt muss sich Karl verantworten. Nutzte er das Gold auch als Kapital zur Christianisierung, konnte dies vielleicht vor seinem Gewissen standhalten, nicht aber vor dem Volk, das seinen Anteil haben will und „wo ist das Gold“ zischend auf den Armlehnen das Parkett hinaufklettert, was zur goldenen Beleuchtung des Zuschauerraumes einen enormen Effekt macht.
Der Schmerz über den Tod seiner geliebten Frau lässt Karl für einen Moment sein Motto „Immer weiter“ in „nicht mehr weiter“ ändern, eine höchst menschliche Szene.

Die Erscheinung der vier Geister lässt die Regie ganz auf sich gestellt wirken und gönnt dem Publikum einen visuellen Ruhepunkt. Das Auftreten der vier Uhren am Ende (die Uhr der Einheit der Welt, die Uhr des Amtes, die Uhr des Lebens, die Uhr der Welt) geht aber leider irgendwie unter. Sultan Soliman triumphiert mit überdimensionalem Turban über das Missglücken der christlichen Einheit und freut sich darüber, dass sich die Völker weiterhin die Köpfe einschlagen. Zuvor hatte dies das deutsche Volk eindringlich bewiesen: Sie wollen weiterhin Deutsche sein und keine Weltbürger. Mit martialisch-militanter Musik erschreckt diese Szene zutiefst und es wundert nicht, dass diese Oper von den Nationalsozialisten verboten wurde.


Vergrößerung in neuem Fenster Franz I. (Wolfgang Ablinger-Sperrhacke), Eleonore (Gun-Brit Barkmin), Karl (Bo Skovhus)

Unter 12 schnelllaufenden Uhren, die unterschiedliche Zeiten des Weltreichs anzeigen, liegt Karl – historisch belegter Uhrenfanatiker, der sich wünschte alle Uhren der Welt gleich laufen zu lassen und gleichzeitig zum Schlagen zu bringen. Als ob der Sterbende nicht genug mit sich selbst auszumachen hätte, legt auch noch der erneut erscheinende Luther seinerseits seine Lebensbeichte an Karls Sterbebett ab, ebenso Karls Schwester Eleonore. Sie jubelte - unter den durch ihre Kostüme und mit einer musikalischen Wendung an Klingsors Blumenmädchen erinnernden Verehrerinnen – Franz I., dem Erzfeind ihres Bruders zu und wurde als Friedenspfand an ihn verschachert. Leider ging die Rechnung nicht auf und Franz I. erwies sich als nicht vertrauenswürdig.

Zur nun auch final erklingenden markanten Stimme aus dem Off (ebenso wie die Titelaufzählung zu Beginn eine Textbeigabe der Regie) mit der Devise des spanischen Wappens und Karls persönlichem Wahlspruch „Plus Ultra“ – „Immer weiter“ –  liegt Karl nicht auf seinem Sterbebett wie oft im zweiten Teil, sondern steht aufrecht da, schaut ins Publikum und erwartet nicht nur das Jüngste Gericht, sondern auch das Urteil der Nachgeborenen, unsere Einschätzung, unsere Ideen, unser Bessermachen.

Mit Bo Skovhus steht ein Karl auf der Bühne, der diese Figur bis in die Fingerspitzen durchlebt, der glaubhaft leidet und zweifelt – und der die Partie nicht nur ausdrucksvoll, sondern auch wunderschön singt. Als seine Mutter, Johanna die Wahnsinnige, bewegt Okka von der Damerau mit sicher geführtem Alt. Wolfgang Ablinger-Sperrhacke bewältigt die undankbare Partie des unsympathischen Franz I. bravourös. Gun-Brit Barkmin wirft sich mit viel Leidenschaft in die Partie der immer leidenden Eleonore. Scott McAllister pocht als Francisco Borgia klangvoll und eindringlich auf Buße und Reue. Michael Kraus ist ein mit machtvoller Stimme überzeugender Luther und Janus Torp ist eine Idealbesetzung für die Sprechrolle des Juan de Regla, der als junger Mönch unter der gewaltigen Beichte schier zusammenbricht.

Staatsorchester und Chor bestehen die Herausforderung der zwölftönigen Partitur mit Bravour. Erik Nielsen hält die Fäden, oder besser die Reihen, in sicheren Händen und beweist, wie eindringlich und ausdrucksvoll in Zwölftontechnik Komponiertes klingen kann. Denn auch wenn man die Reihen in ihren Varianten nicht (wieder)erkennt, spürt man doch, dass es eine Ordnung gibt und die Klänge nicht willkürlich zusammengeworfen wurden.

FAZIT

Immer ist irgendwo der Wurm drin, vermittelt Karls Mutter. Hier nicht. Eine im wahrsten Sinne fantastische, grandiose Produktion, in der musikalisch und szenisch alles zusammenpasst und stimmig ist.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Erik Nielsen

Inszenierung
Carlus Padrissa -
La Fura dels Baus


Regie Mitarbeit
Esteban Muñoz

Bühne, Kostüme, Videokonzept
Lita Cabellut

Videodesign
Marc Molinos

Spezialeffekte
Thomas Bautenbacher

Licht
Michael Bauer

Chöre
Stellario Fagone

Dramaturgie
Benedikt Stampfli

 

Chor der
Bayerischen Staatsoper

Statisterie der
Bayerischen Staatsoper

Bayerisches Staatsorchester


Solisten

Karl V.
Bo Skovhus

Juana, seine Mutter
Okka von der Damerau

Eleonore, seine Schwester
Gun-Brit Barkmin

Ferdinand, sein Bruder
Dean Power

Isabella, seine Gattin
Anne Schwanewilms

Juan de Regla, sein Beichtvater
Janus Torp

Francisco Borgia, Jesuit
Scott MacAllister

Pizarro
Kevin Conners

Franz I.
Wolfgang Ablinger-Sperrhacke

Frangipani
Kevin Conners

Luther
Michael Kraus

Ein Anhänger Luthers
Dean Power

Sultan Soliman
Peter Lobert

Sein Hofastrolog
Kevin Conners
 
Erster Geist / Erste Uhr
Mirjam Mesak

Zweiter Geist / Zweite Uhr
Anaïs Mejías

Dritter Geist / Dritte Uhr
Natalia Kutateladze

Vierter Geist / Vierte Uhr
Noa Beinart

Henri Mathys,
Papst Clemens,
Moritz von Sachsen,
Alacron,
Alba,
Kardinal
(Toneinspielungen)

Mechthild Großmann



Weitere Informationen:

Bayerische Staatsoper München
 (Homepage)




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