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Boris Godunow


Musikalisches Volksdrama in vier Akten (sieben Bildern)
Libretto vom Komponisten nach dem gleichnamigen Drama von Alexander Puschkin
Musik von Modest Mussorgskij
Erste Fassung vomn 1868/69 ("Ur-Boris")


in russischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 30' (eine Pause)

Premiere im Theater Mönchengladbach am 23. März 2019

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Theater Krefeld-Mönchengladbach
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Der kultivierte Diktator von nebenan

Von Stefan Schmöe / Fotos liegen uns noch nicht vor

Leicht gemacht hat es Modest Mussorgskij sich und dem Publikum nicht mit dem Boris Godunow. Die Oper wurde 1870 vom kaiserlichen Opernhaus abgelehnt - zu sehr gegen den herrschenden Geschmack, so das Urteil, wobei der wenig beschönigende Blick auf das Zarentum, so darf man vermuten, auch zum Missfallen beigetragen hat. Mussorgskij überarbeitete das Werk mehrfach, komponierte gar einen kompletten neuen Akt hinzu, und nach seinem Tod setze Rimskij-Korsakow die Reihe der Neufassungen fort (die nicht die letzte sein sollte) - das Programmheft zieht zum VergleichDon Carlos und Hoffmanns Erzählungen heran als Werke, bei denen die Frage nach der "gültigen" Fassung ähnlich kompliziert ist wie hier. Inzwischen setzt sich mehr und mehr die allererste Version durch, meist als "Ur-Boris" bezeichnet, die auch in dieser Produktion gespielt wird. Dass die wuchtige Musik mit manchen unerwarteten Schroffheiten aufwartet und sich nicht den gängigen Opernkonventionen beugt, macht nicht nur den besonderen Reiz von Boris Godunow aus, sondern passt eben auch zu diesem erratischen Bilderbogen aus der russischen Geschichte am Beginn des 17. Jahrhunderts.

Genau den allerdings will Regisseurin Agnessa Nefjodov partout nicht bieten. Kein Kreml, nicht eine einzige Ikone, nicht einmal die sonst unvermeidlichen russischen Birken - das Spiel um Macht bleibt ebenso zeit- wie ortlos. In moderner Kleidung (Kostüme: Nicole von Graevenitz) tragen die Akteure Stangen mit Glühlampen an der Spitze vor sich her, eine moderne Variante der Fackel wohl, und etliche davon lassen sich bequem auf einem Fuß mit Rollen vor sich hin schieben - das sieht dann so aus wie die rollbaren Vorrichtungen zum Aufhängen von Infusionslösungen im Krankenhaus, was diesem prägenden Bildelement doch einiges von der beabsichtigten Wirkung nimmt. Ansonsten gibt's variabel einsetzbare schwarze Wände (Bühne: Eva Musil). Kein Russland-Klischee, nirgends. Selbst da nicht, wo es erforderlich wäre: In der Wirtshausszene, wo man nicht recht glauben mag, dass niemand außer dem Gesuchten den Steckbrief lesen kann, der den selbsternannten Thronfolger Grigorij zur Fahndung ausschreibt, und das nur als Genrebild funktioniert. Oder in der Figur des Gottesnarren, den es in dieser Form eben doch nur im historischen Russland gegeben hat.

Trotzdem wäre die Lösung von der Historie ein plausibler Ansatz in diesem Machtdrama um Boris Godunow, der 1591 den Zarewitsch ermorden ließ, um selbst den Thron zu besteigen (historisch korrekt ist diese These wohl nicht), dann mehr und mehr dem Wahnsinn verfällt bis zum plötzlichen Tod 1605. Die Handlung als allgemeingültiges Spiel um Macht und Moral auszudeuten, das wäre auch kein neuer Ansatz. Nur müsste dann etwas anderes an die Stelle der Geschichtsstunde treten, das fesselt. Aber im etwas verkrampften Bemühen, modern daherzukommen und sich nicht in kleinteiliger Nacherzählung zu verlieren, vertändelt die Regie den großen Stoff. Etwa in der Szene, in der Boris vor dem Volk auf den Gottesnarren trifft und der ihn als Kindesmörder bezeichnet - da bleiben der Chor ungeachtet dieser ungeheuerlichen Anklage völlig unbeteiligt stehen. Die Personenregie müsste viel "sprechender" und präziser sein, kommt aber über pauschale Gesten nicht hinaus. Die Regisseurin arrangiert lieber mal mehr, mal weniger hübsche Tableaus, wobei der Gestaltungswille nicht immer zu glücklichen Lösungen führt. Wenn die Bojaren - eigentlich angehörige des niederen Adels - allesamt schwarze Pullover mit dem gelben Schriftzug "Bojar" tragen, erinnert das an ein Firmenlogo und die wenig aufregende Belegschaftsversammlung eines mittelständigen Unternehmens. Boris Godunow, im schicken Mantel, könnte glatt als Seniorchef durchgehen - ein bisschen autoritär, aber doch ein kultivierter Mensch. Selbst wenn das in diese Richtung gedacht sein sollte - es bleibt doch ziemlich langweilig, was auf der Bühne zu sehen ist.

Musikalisch geht sich das schon aufregender an. Johannes Schwärsky gibt körperlich wie stimmlich einen ordentlichen Boris ab, mit Würde und Eleganz, weniger allerdings mit Schwärze und Machtbesessenheit (dieser kultivierte Nachbar vom alten Schlag stirbt wohl eher am Herzinfarkt denn am Wahnsinn). Kairschan Scholdybajew mit pointiertem Tenor als sein aalglatter, intriganter Gegenspieler Schuissky mit Funktionärsbrille hat da schon schärferes Profil. Hayk Dèinyan singt den alten Mönch und Geschichtsschreiber Pimen mit sanfter Würde, Igor Stroin den Grigorij, der sich fälschlich als Zarewitsch ausgibt, mit solidem Tenor, Matthias Wippich den Bettelmönch Waarlam mit kauzigem, nicht überzogenem Humor und David Esteban den Narren mit angemessen schneidendem Ton. Auch die kleineren Partien sind angemessen besetzt.

Zuverlässig agieren und singen Chor und Extrachor in großer Besetzung. Die recht guten Niederrheinischen Sinfoniker spielen unter der Leitung von Chefdirigent Mikhel Kütson aufmerksam, wobei die Interpretation sicher schärfer sein könnte, weniger unverbindlich und mit mehr Mut zu Mussorgskijs Abgründen - ein wenig bleibt der Eindruck, dass Kütson vorerst genug damit zu tun hat, das große Ensemble sicher zu koordinieren (was souverän gelingt), und die musikalische Feinarbeit dahinter zurückbleibt - da ist noch Potential für die weiteren Aufführungen.


FAZIT

Die Regie bleibt im an sich ja ehrenwerten Bemühen um Zeitlosigkeit vage bis zur Langeweile. Musikalisch eine beachtliche Ensembleleistung.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Mikhel Kütson

Inszenierung
Agnessa Nefjodov

Bühne
Eva Musil

Kostüme
Nicole von Graevenitz

Chor
Michael Preiser

Dramaturgie
Ulrike Aistleitner


Statisterie, Chor und
Extrachor des Theater
Krefeld und Mönchengladbach

Die Niederrheinischen Sinfoniker


Solisten

Boris Godunow
Johannes Schwärsky

Fjodor
Valerie Eickhoff /
* Susanne Seefing

Xenia
Panagiota Sofroniadou /
* Sophie Witte

Fürst Schujskij
Kairschan Scholdybajew

Andrej Schtschelkalow
* Raphael Bruck /
Alexander Kalina

Pimen
Hayk Dèinyan

Grigorij Otrepjew
Igor Stroin

Warlaam
Matthias Wippich

Missail
Markus Heinrich

Ein Narr
* David Esteban /
Woongyi Lee

Schenkwirtin
Janet Bartolova

Xenias Amme
Katharina Ihlefeld

Polizeioffizier Nikititsch
Thomas Peter

Leibbojar
Bondo Gogia

Mitjucha
* Alexander Kalina /
Tomas Kildisius

Hauptmann der Streifenwache
Gereon Grundmann



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