Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur Homepage Zur Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum



Dead Man Walking

Oper in zwei Akten
Libretto von Terrence McNally nach dem gleichnamigen Buch von Sister Helen Prejean, CSJ
Musik von Jake Heggie


In englischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Dauer: ca 3  Stunden – keine Pause

Premiere am 23. März 2019
(rezensierte Aufführung: 07.04.2019)




Homepage
Kathartische Oper

Von Christoph Wurzel / Fotos von Stephan Walzl

"Die Todesstrafe ist abgeschafft." Der kürzeste Artikel unseres Grundgesetzes ist  kompromisslos und klar. Von wenigen populistischen Ausreißern etwa nach einem medial spektakulär aufgemachten Mordfall einmal abgesehen, ist diese Entscheidung in unserer Gesellschaft wie auch den gesamten europäischen Rechtsstaaten geklärt und unumstößlich. Es gibt vom Standpunkt der Menschenrechte aus keine überzeugende ethische Begründung für die Tötung eines Menschen durch den Staat. Das ist in den USA anders. Obwohl auch hier die Zustimmung bröckelt, können Politiker mit Hinrichtungsquoten dort immer noch Wahlen gewinnen.

In den neunziger Jahren erregte in der Diskussion um die Frage "Gerechtigkeit durch die Todesstrafe?" in den USA ein Buch große Aufmerksamkeit, in dem die katholische Schwester Helen Prejean über ihre Erfahrungen bei der Betreuung von Todeskandidaten in US-Gefängnissen berichtete. Der Titel "Dead Man Walking" gibt die Worte wieder, mit denen die Gefangenen auf ihrem Gang zur Hinrichtung ausgerufen werden. Obwohl das Thema eminent politisch ist, nahm Helen Prejean in ihrem Beitrag nicht explizit dazu Stellung, sondern beleuchtete vom Standpunkt der Menschenwürde aus das unmenschlich erscheinende System der Hinrichtungsmaschinerie in ihrem Land. Aus ihrem tiefen christlichen Glauben heraus betonte sie, dass auch der schwerste Verbrecher trotzdem noch eine Würde besitzt und "mehr wert ist, als das Schlimmste, das er getan hat". Tim Robbins drehte kurz darauf einen packenden Film über das Buch und Jake Heggie schrieb nach dem Libretto des Dramatikers Terrence McNally seine nicht minder beeindruckende Oper, die 2000 in San Francisco mit keiner geringeren Sängerin in der Hauptrolle als Susan Graham uraufgeführt wurde. Seitdem wurde die Oper mehr als vierzig Mal in USA inszeniert und auch in Deutschland war sie mehrfach zu sehen. Oldenburg ist nun das sechste Haus, das hierzulande Dead Man Walking produziert hat.

Bild zum Vergrößern

"Dead Man Walking": Gefängniswärter (Andreas Lütje, Alwin Kölblinger) Schwester Helen (Melanie Lang) und Joseph de Rocher (Kihun Yoon)

Der Plot erzählt von Schwester Helens Entschluss, den zum Tode verurteilten Joseph De Rocher in seinen letzten Tagen vor der Hinrichtung geistlich zu betreuen, worum er sie in einem Brief gebeten hatte. Ihr erster Besuch im Gefängnis verläuft ernüchternd. Aber auch die bedrückende Atmosphäre im Todestrakt und Josephs aggressiv arrrogante Ablehnung seiner Schuld schrecken sie nicht ab. Sie erkennt, dass sie dem Todeskandidaten helfen müsse, sich seiner Schuld zu stellen. Nur dadurch könne er seine Würde wieder erlangen und im christlichen Sinne Erlösung.

Beim letzten Versuch, die Hinrichtung abzuwenden, der Anhörung vor einem Gnadenausschuss, begleitet Helen Josephs Mutter, die verzweifelt um das Leben ihres Sohnes fleht. Dort trifft sie auch auf die verbitterten Eltern des jungen Pärchens, die Joseph bei einem nächtlichen Überfall im Wald brutal misshandelt und ermordet hatte. Nachdem ein Aufschub der Hinrichtung abgelehnt worden ist, wird im 2. Akt der Ablauf des festgelegten Tages gezeigt. Im Hintergrund läuft die Uhr. Seine Mutter und seine Brüder nehmen von Joseph Abschied. Schwester Helen gelingt es in einem letzten Gespräch, Joseph zur Einsicht in seine Schuld zu bewegen. Dann wird die Tötungsmaschinerie in Gang gesetzt. Begleitet von Schwester Helen wird der Todeskandidat vom Gefängnispersonal in Ketten hereingeführt und wie ein Gekreuzigter auf eine Liege geschnallt. Während die Todesspritze angelegt wird, richtet sich Joseph an die anwesenden Eltern der Opfer, bekennt seine Tat und bittet um Vergebung seiner Schuld. Nach den letzten Tönen des Herzfrequenzmonitors singt Schwester Helen ein Gospellied und in beklemmender Stille klingt die Oper aus.

Bild zum Vergrößern

Schlusszene (Ensemble)

Das ließ im Oldenburger Publikum wohl niemanden kalt. Was auch der sensiblen Regie von Olivia Fuchs zu verdanken war, welche die Handlung zwar realistisch, aber aus einer Distanz präsentiert, die eher Nachdenken befördert, aber dennoch Anteilnahme ermöglicht. Schon zu Beginn, wenn in einer stummen Szene der Mord an dem jungen Paar gezeigt wird, weicht die Regie dem Einsatz reißerischer Mittel konsequent aus. Die mit wenigen Umbauten ineinander fließenden Szenen kommen in dem funktionalen Bühnenbild von Jamie Vartan nur mit den notwendigsten Requisiten aus. Es kommt nur auf die Grundskizzierung der Situation an. Vorherrschend ist in den Gefängnisszenen die Gitterwand, hinter der nicht nur jede Freiheit endet, sondern auch die Menschlichkeit. Wenn Schwester Helen durch die Sicherheitsschleusen des Männergefängnisses geht, schlägt ihr sexistisches Gegröle entgegen. Diese Welt ist nicht zimperlich, auch nicht besonders empfindsam. Erschreckend auch die kalte Reaktion des Kaplans auf ihre Bitte, Joseph geistlichen Beistand zu gewähren. Etwas zugänglicher ist der Gefängnisleiter, der aber letzten Endes auch nur seinen Job macht, und das bedeutet zum Tode zu befördern. Wenn sie das Vaterunser singen, während sie den Todeskandidaten hereinführen, bleibt das nur ein Sinn entleerter  Ritus. Allein Schwester Helen gibt Joseph in diesem Moment menschlichen Beistand und Wärme.

Dabei wird über die Schuld und das schwere Verbrechen Joseph De Rochers kein Zweifel gelassen. Die Oper nimmt nicht einseitig Partei. Auch die Eltern der Opfer kommen mit ihrem Leid und ihrer Trauer zu Wort. Wenn in der Szene vor dem Gnadenkomitee Josephs Mutter ergreifend um Gnade für ihren Sohn bittet, fällt ihr der Vater des getöteten Mädchens mit allem Schmerz seiner Erinnerung ins Wort.  Zwei Arten von Elternliebe treffen dann auf tragische Weise aufeinander. In der objektiv klaren Art dieser Inszenierung wirkt diese Szene besonders beklemmend. Als Mrs. Patrick De Rocher schöpft Ann-Beth Solvang hier alle Möglichkeiten  darstellerischer Kraft und vokalen Ausdrucks aus. Ihre Arie wird zu einem der Höhepunkte dieser Aufführung.

Bild zum Vergrößern

Vor dem Gnadenausschuss: Mrs. Patrick De Rocher (Ann-Beth Solvang, Mitte) und Ensemble

Die Produktion gewinnt ihre starke Wirkungsmacht durch die überwältigende Präsenz aller Sängerdarsteller. Sich mit einem brutalen Mörder und Todeskandidaten zu identifizieren, dürfte für einen Opernsänger eine große Herausforderung bedeuten. Kihun Yoon gelingt dies aber vollkommen, er geht gleichsam in dieser Rolle auf und spiegelt in realistischer Deutlichkeit das Selbstbild dieses aggressiv Verzweifelten, seine verlorene Selbstachtung und die nur mühsam unterdrückte Angst. Dafür verfügt sein Bariton über die nötige Kraft und Ausdrucksstärke. Melanie Lang setzt als Ordensschwester dagegen ebenso Empathie wie Entschlossenheit. Schwester Helen hat im 1. Akt während der Fahrt ins Gefängnis eine Szene, in der sie hin- und hergerissen von Zweifeln und Ungewissheit nur durch ihren festen Glauben aus dem Gefühlschaos herausfindet und schließlich die Aufgabe, sich Joseph zu widmen, als ihre Mission anerkennt. Melanie Lang lebt die innere Stärke ihrer Figur überzeugend in ihrer Darstellung und behauptet sich auch stimmlich bis zum Schluss, wenn sie ohne instrumentale Begleitung für den eben hingerichteten Joseph das Abschiedslied singt - "He [The Lord] will gather us around", ein Gospellied, das leitmotivisch als Funke der Hoffnung die Oper durchzieht.

Heggies Musik insgesamt ist von hoher emotionaler Wirkung. Er verbindet unterschiedliche Stilebenen miteinander, um die Situation zu charakterisieren. Bluesanklänge bestimmen die Szenen des gesellschaftlich geächteten Mörder Joseph, ausgedehnte ariose Szenen hat vor allem Schwester Helen. Und wenn sie mit gemeinsamen Erinnerungen an ein Presley-Konzert endgültig Josephs Vertrauen gewinnt, dann rockt es kurz im Orchester. Die Grundfarbe der Musik wechselt zwischen einem leicht verständlichen Parlando-Stil und emotional hochfahrendem Orchestersound, was jeweils die situative und emotionale Situation treffend schildert.

Das Oldenburgische Staatsorchester kommt unter Leitung des Oldenburger Kapellmeisters Carlos Vázquez mit der Musik hervorragend zurecht. Vor allem in den Ensembleszenen lässt der Dirigent die Sängerinnen und Sänger gut durchdringen, was auch die Verständlichkeit des (englischen) Textes an allen Stellen garantiert. Auch die Sängerinnen und Sänger der kleineren Rollen zeigen hohe Präsenz.

Die Oper weckt in keiner Weise Verständnis für die Tat, wohl aber fragt sie nach der Berechtigung des Tötens durch den Staat und gibt zu denken, ob Gerechtigkeit bedeutet, gegen einen Mord das menschliche Leben des Täters aufwiegen zu wollen und auszulöschen. Oder ob nicht vielmehr dadurch nur Leiden vermehrt wird. Wenn die Oper auch in Amerika spielt, so kann sie doch auch einen Beitrag zum ethischen Selbstverständnis unserer Gesellschaft leisten. Im klassischen Sinne kann sie kathartische Wirkung entfalten.

FAZIT

Mit tiefem Ernst und hoher Sensibilität hat sich das Oldenburgische Staatstheater dieser Oper angenommen und damit ohne zu moralisieren einen Beitrag zum (Musik-) Theater als moralische Anstalt geleistet, bei dem das Publikum sich selbst die moralische Frage beantworten kann.


Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Carlos Vázquez

Inszenierung
Olivia Fuchs

Bühnenbild
Jamie Vartan

Kostüme
Zahra Mansouri

Licht
Arne Waldl

Rock'N'Roll-Choreografie

Yoko El Edrisi

Einstudierung Chor
Markus Popp

Einstudierung Jugendchor
Thomas Honickel

Dramaturgie
Christina Schmidl

 

Oldenburgisches Staatsorchester

Opern- und Extrachor
des Oldenburgischen Staatstheaters

KlangHelden Jugendchor des
Oldenburgischen Staatstheaters

Statisterie des Oldenburgischen
Staatstheaters

 

Solisten

*rezensierte Aufführung

Sister Helen Prejean
Melanie Lang

Joseph De Rocher
Kihun Yoon

Mrs. Patrick De Rocher, Josephs Mutter
Ann-Beth Solvang

Sister Rose
Martyna Cymerman

George Benton, Gefängnisdirektor
Henry Kiichli

Father Grenville, Gefängniskaplan
Sandro Monti

Kitty Hart, Mutter des ermordeten Mädchens
Marha Eason

Owen Hart, Vater des ermordeten Mädchens

Stephen K. Foster

Jade Boucher, Mutter des ermordeten Jungen

Erica Back

Howard Boucher, Vater des ermordeten Jungen
Timo Schabel

Motorradpolizist
Logan Rucker

Erster Gefängniswärter
Stephen K. Foster (Sänger)
Felix Schrödinger (Darsteller)

Zweiter Gefängniswärter
Alwin Köblinger

Älterer Bruder von Joseph
Jong-Seong Kim

Jüngerer Bruder von Joseph
Tillmann Hots

Sister Catherine
Daniela Köhler

Eine Mutter
Ute Biniaß

Mrs. Charlton
Edwina Treptow

Anwaltsgehilfin
Maaike Poorthuis

Bühnenklavier
Anorthe Eckert

 



Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Oldenburgischen Staatstheater
(Homepage)




Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum
© 2019 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -