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Musiktheater
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Guercœur

Tragédie lyrique in drei Akten
Libretto und Musik von Albéric Magnard

in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 10' (eine Pause)

Premiere und deutsche Erstaufführung im Theater am Domhof am 15. Juni 2019

 

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Theater Osnabrück
(Homepage)

Zwischen Dystopie und Illusion          

Von Ursula Decker-Bönniger / Fotos von Jörg Landsberg

Das Theater Osnabrück gräbt immer mal wieder nahezu unbekannte Opern- bzw. Musik-Raritäten aus und widmet ihnen ein umfangreiches Begleitprogramm. In der Spielzeit 2018/19 ist es die Oper Guercœur des französischen Komponisten Albéric Magnard – ein Außenseiter, politisch und künstlerisch eigenwilliger Zeitgenosse Debussys. Vielleicht verhinderte der frühe Tod des 1865 in Paris geborenen Komponisten eine größere Verbreitung seiner Werke, vielleicht sind es die Begleitumstände seines Todes, vielleicht der starke, auf Paris fixierte Zentralismus Frankreichs, vielleicht seine, die deutsche Spätromantik rezipierende  Musiksprache und ein allzu moralisierendes Libretto?

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1. Akt: Guercœur (Rhys Jenkins) im Jenseits

Magnard, der seit dem Sommer 1904 abseits vom Pariser Künstler- und Kulturtrubel in Baron lebte und arbeitete, wurde 10 Jahre später, im September 1914 bei einem Schusswechsel getötet. Er hatte versucht, sich und seinen Landsitz gegen die anrückenden deutschen Soldaten zu verteidigen. Es kostete ihn nicht nur das Leben. Anschließend steckten sie sein Haus in Brand, sodass viele seiner Werke, darunter auch die Partitur des ersten und dritten Aktes seiner zweiten Oper „Guercœur“ vernichtet wurden. Freund und Komponistenkollege Guy Ropartz, der den dritten Akt 1908 in Nancy konzertant aufgeführt hatte, rekonstruierte die Partitur anhand eines Klavierauszugs. 1931 kommt es schließlich zur posthumen Uraufführung an der Opéra Garnier in Paris.

Auch das Libretto der zwischen 1897 und 1900 entstandenen Oper stammt von Magnard. Ungewohnt für die Gattung der dramatische Aufbau. Im ersten Akt begegnen dem bereits toten Guercœur die allegorischen Gottheiten Beauté (Schönheit), Bonté (Güte) und Souffrance (Leid). Trotz einer entrückten, friedlichen Sphäre der Auserwählten will er – voller Enthusiasmus - zurück ins Leben, sich weiterhin politisch einmischen, sein Lebenswerk der Demokratisierung vorantreiben und die junge Geliebte wiederfinden. Souffrance will ihn für seine Eitelkeit bestrafen, Er solle leben, um zu leiden. Vérité (Wahrheit) willigt schließlich ein.

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2. Akt: Der zum Leben erweckte Guercœur (Rhys Jenkins) besucht seine Frau Giselle (Susann Vent-Wunderlich)

Der zweite Akt trägt die Züge einer Anti-Revolutionsoper. Zurück im Leben muss Guercœur feststellen, dass seine Frau Gisèle seinen ehemaligen Schüler Heurtal liebt. Die junge Republik endet in Verelendung und Chaos. Und der machtgierige Heurtal lässt sich zum Diktator ausrufen. Als Guercœur sich in die aufgebrachte öffentliche Debatte einmischen will, hält man ihn für einen Hochstapler und tötet ihn erneut. Reumütig kehrt er im dritten Akt ins Jeneits zurück. Im großen Monolog über die Hoffnung auf eine bessere und demokratische Welt endet die Oper.

Dirk Schmeding setzt sich in seiner Inszenierung weniger mit den politischen Verhältnissen des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts in Frankreich auseinander sondern mit dem Tabu Tod. Dabei folgt er der Struktur des Werkes. Martina Segna verlegt den oratorienhaften ersten Akt in die harmonische Weite des  Weltraums, in dem Guercœur und die allegorischen Gottheiten körperlos zu schweben scheinen. Der zweite Akt findet komprimiert auf einem kreisförmigen Podest statt. Das zweite Bild, Heurtals öffentlicher Auftritt wird dabei etwas zu bildgewaltig mit Anspielungen auf heutige polarisierende Politiker video-untermalt. Im dritten Akt verwandelt sich der Podest in einen weißen Altar, der sich je nach Zeremonie in Totenbahre, Ausstellungspodest für den Sarg und Krematorium verwandelt.

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2. Akt: Heurtal im Kreise seiner Anhänger

Die spätromantische Musik Magnards ist eine Entdeckung. Der große, musikalische Spannungsbogen wird leitmotivisch zusammengehalten vom musikalischen Themenmaterial der Souffrance, das u.a. von der Bassklarinette gleich zu Beginn der Einleitung vorgestellt wird. Wunderbar die Charakterisierung der beiden Sphären, die Chorpartien, die im Theater Osnabrück mal entrückt aus weiter Ferne, mal streitend und kämpfend coram publico zu erleben sind. Wunderbar auch die ausgedehnten, symphonisch-programmatischen Zwischenspiele, die das Osnabrücker Sinfonieorchester unter der Leitung von Andreas Hotz ausdrucksstark darbietet. Dazu präsentiert Osnabrück ein musikalisch überzeugendes Gesangssolistenensemble. Allen voran Susann Vent-Wunderlich, die die widersprüchliche Haltung Giselles im zweiten Akt klangvoll und anrührend vor Augen führt sowie Lina Liu in ihrem weihevoll fließenden Monolog im dritten Akt. Rhys Jenkins ist eher der kraftvolle, heldenhafte, weniger ein leidender Guercœur.

Da die Oper Guercœur seit ihrer Uraufführung 1931 offenbar nie zu sehen war, feiert man im Theater Osnabrück nicht nur die deutsche Erstaufführung sondern auch die erste Wiederaufführung seit 88 Jahren. Die Premiere wurde vom Deutschlandfunk Kultur mitgeschnitten und ist am 22. Juni mitzuerleben.

 

FAZIT

Magnards Persönlichkeit und Musik ist eine jenseits aller nationalen Schulen des 19. Jahrhunderts wohltuende Entdeckung.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Andreas Hotz

Inszenierung
Dirk Schmeding

Bühne
Martina Segna

Kostüme
Frank Lichtenberg

Video
Roman Kuskowski

Choreinstudierung
Sierd Quarré

Dramaturgie
Christoph Lang

 

Osnabrücker Symphonieorchester

Opernchor und Extrachor
des Theaters Osnabrück

Statisterie des Theaters Osnabrück


Solisten

Vérité
Lina Liu

Bonté / L'ombre d'une femme
Katarina Morfa

Beauté / L'ombre d'une vierge
Erika Simons

Souffrance
Nana Dzidziguri

L'ombre d'un poète
Daniel Wagner

Guercœur
Rhys Jenkins

Heurtal
Costa Latsos

Giselle
Susann Vent-Wunderlich

 




Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Osnabrück
(Homepage)





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