Macht und Leidenschaft
Von
Ursula
Decker-Bönniger / Fotos von Jörg Landsberg
In der Nacht, in der sie sexuell bedrängt und genötigt wird
und der Polizeipräsident Scarpia glaubt, am Ziel seiner Lüste
zu sein, sticht Floria Tosca zu. Mitten ins Herz. Ist sie eine
Antiheldin? Oder von allen Opernheldinnen die „reinste,
diejenige, die am meisten Sängerin ist“, wie Cathérine Clément
schreibt?

Baron Scarpia (Rhys Jenkins)
erwartet Tosca.
Gewürzt mit Liebe, Eifersucht, Macht und besonderen historischen
Umständen – Mascha Pörzgens Inszenierung im Theater Osnabrück
zeigt, dass Puccinis 119 Jahre alte Oper Tosca auch im 21.
Jahrhundert spannend wie ein Kriminalroman sein kann. Dass der
Schriftsteller Victorien Sardou sowie Puccini und seine
Librettisten die Oper im Jahre 1800 verorten, kurz vor der
Schlacht von Marengo, scheint in dieser Inszenierung weniger
wichtig zu sein. Und doch lenkt die Oper selbst die Aufmerksamkeit
gleich zu Beginn auf die zwiespältige Haltung der Kirche und die
politische Situation. Toscas Liebhaber, der Maler Mario
Cavaradossi, der auftragsgemäß eine Kirche ausmalt, gewährt seinem
flüchtigen Freund Angelotti Unterschlupf. Und da der gefürchtete
Scarpia, der Republikaner verfolgt, foltert und tötet, in der
Inszenierung von Mascha Pörzgen vor allem als Liebhaber der Künste
und Verehrer der berühmten Sängerin dargestellt wird, verstärkt
sich auch das Bild einer vermeintlich unpolitischen,
leidenschaftlich der Liebe und Kunst verfallenen Sängerin Tosca.
Durch und durch in Mario verliebt, glaubt sie in dem Gemälde in
der Kirche die Attavanti zu erkennen, und macht eifersüchtig ihrem
Liebsten eine Szene, ohne die politische Untergrundtätigkeit der
Marchesa zu kennen bzw. zu berücksichtigen.
Frank Fellmann, der für Bühne, Kostüme und Video verantwortlich
zeichnet, verwandelt Scarpias Esszimmer im Obergeschoss des
Palazzo Farnese in einen Empfangsraum, der mit großzügigen
Fenstern, einem faszinierenden Ausblick auf die Dächer Roms, sowie
einem langen, einladenden, roten Sofa und einer Pferdestatuenlampe
ausgestattet ist. Zugleich erinnern aus Wand und geöffneten
Bodenklappen lugende Gebeine wie beiläufig an die Foltermorde des
gefürchteten Barons.

Tosca (Lina Liu) weiht ihren gefolterten Geliebten Mario
Cavaradossi (Ricardo Tamura) in den Fluchtplan ein.
Gesangssolisten, Opernchor, Extrachor und Kinderchor des Theater
Osnabrück sowie das Osnabrücker Sinfonieorchester präsentieren
unter der Leitung von Andreas Hotz transparent, effektvoll und
differenziert die vielfältige, plakative, mal lyrisch
schmachtende, mal dramatisch aufblitzende Musik Puccinis. Bariton
Rhys Jenkins ergänzt das Porträt des machtbewussten,
intrigierenden, lüsternen Ästheten mit kraftvollem, brustig
dramatischen Stimmklang. Lina Liu ist eine junge, klangvolle
Tosca, die für ihre anrührende Gestaltung der Arie „Vissi d’arte“
während der Premiere spontane Bravi und Applausi erntete. Und als
nach Osnabrück zurückkehrender Gast konnte Tenor Ricardo Tamura
für die Rolle des Cavaradossi gewonnen werden.
FAZIT
Eine stimmige, leicht aktualisierende Inszenierung und
überzeugende musikalische Darbietung