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Sonnenstaat first!
Von Roberto Becker / Fotos von Lisa Stern
Es ist ganz schön was los in Luigi Cherubini (1760-1842) Oper Idalide oder Die Jungfrau der Sonne. Musikalisch im gesicherten Umfeld der Klangaura seines Altersgenossen Mozart. Man nannte den Italiener, der früh nach Frankreich ging, nicht zu Unrecht einen "französischen Mozart". Die handwerkliche Solidität eines Arienketten-Goldschmiedes von Format ist auch dieser frühen Oper anzuhören. Sie hat alles, was für einen Opernerfolg spricht: Eine außergewöhnliche Lovestory quer zu den gesellschaftlichen Konventionen und kulturellen Gegensätzen. Immerhin liebt ein europäischer Eroberer (Enrico) eine Inka-Priesterin (Idalide). Und umgekehrt. Dann bringt eine Naturkatastrophe (Vulkanausbruch mit Erdbeben) alles ins Wanken. Auch die Tabus, die unüberwindlich zwischen den beiden stehen: Er rettet sie, doch die gemeinsame Flucht wird vereitelt. Was zu der moralischen Grundsatzfrage führt, ob individuelle Zuneigung (Begnadigung und Happyend) über traditionelle Werte bzw. die Staatsraison (Tod für die Tabubrecher, vor allem die Tabubrecherin) gestellt werden kann oder eben nicht.
Diese Zutaten hätten aus Cherubinis 1784 uraufgeführten Oper durchaus einen Erfolg machen können. Ist aber nicht passiert. Idalide war jedenfalls nicht dabei, als die Opernproduktion im vorigen Jahrhundert vom Uraufführungsmodus in den Wiederholungsmodus und zur Etablierung eines Kanons von Stücken fürs Repertoire überging. So ist die jüngste Neuproduktion des Theaters Rudolstadt tatsächlich die allererste Neuinszenierung des Werkes nach 235 Jahren! Dabei profitiert das Theater von der Praxis des Verlages der laufenden Werkausgabe, noch vor dem Druck einem Theater sozusagen den Praxistest des Notenmaterials anzutragen. Die speziell dafür engagierten fünf Sängerinnen erwiesen sich als Glücksfall.
Außerdem haben sich der russische Regisseur Viktor Vysotzki, Ausstatterin Gretl Kautzsch und Dramaturg Carlo Mertens geschickt auf die beschränkten Möglichkeiten im Saal des Meininger Hofs in Saalfeld eingestellt. Das fehlende Notenmaterial zu den Rezitativen und dem Schlusschor haben sie kurzerhand zu einer Vorlage für ihre Inszenierung gemacht. Die Rezitativlücken zwischen den auf alle Protagonisten hübsch gleichmäßig verteilten Arien haben sie genutzt, um die Geschichte im räumlich und zeitlich fernen, gerade von den Europäern eroberten Inkareich zu einer Talkshow im Fernsehen eines (Fantasie-)Sonnenstaates von heute zu machen. Der Talkmaster (Schauspieler Jochen Ganser) hat sie alle eingeladen. Für das Studio von "Schuld oder Schicksal" genügen ein paar Stehpulte, eine stilisierte Inkapyramide und eine Projektionswand im Hintergrund.
Gekommen sind sie alle: Enrico (mit Leidenschaft: Lena Spohn), der vom Eroberer zum ausländischen Berater mutiert ist, den der Herrscher "braucht". Seine alle Sitten des Landes missachtende Idalide (mit forscher Höhe: Katharina Borsch) ist hier die "entführte" Angestellte des Sonnenminsteriums. Dazu ihr Vater Palmoro (Josefine Göhmann) - ein Astrophysiker. Die eigentlich dem Ausländer zugedachte Alciloe (schön zickig: Daria Kalinina) ist natürlich auf dessen wahre Liebe eifersüchtig und hat einiges zu sagen. Schließlich kommt, wenn auch etwas verspätet, die in diesem "Sonnenstaat first"-Regime regierende Generalissima (Martha Jordan mit royalem Habitus) selbst gerne in die Talkshow. Als ein Vulkanausbruch zur Breaking News wird und alles durcheinanderbringt, wird natürlich auch gleich ein Laufband mit einem Spendenkonto bei der Sonnenbank eingeblendet. Diese Aktualisierung der historischen Vorlage ist mit flotter Hand auf Comicformat gebracht - und funktioniert.
Das größte Plus bei dieser Produktion ist aber das fabelhafte Ensemble aus jungen Stimmen, die allesamt die Aufschwünge in leicht verzierte Koloraturhöhen ebenso souverän bewältigen wie das Anschmiegen ans Melodische und Gefühlvolle. Es ist durchweg ein Ohrenschmaus in der verblüffend guten Akustik des Meininger Hofes in Saalfeld. Das Ganze wird natürlich auch deshalb zum Vergnügen, weil sich Oliver Weder, der Chefdirigent der Thüringer Symphoniker Saalfeld-Rudolstadt, und seine Musiker mit hörbarer Entdeckerfreude einem Werk widmen, das sie nach 235 Jahren das erste Mal wiederaufführen durften.
FAZIT Das Theater Rudolstadt macht sich mit der ersten Wiederaufführung von Idalide oder Die Jungfrau der Sonne nach 235 Jahren um Luigi Cherubinis Oper verdient. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Dramaturgie
Sänger
Idalide
Ataliba
Alciloe
Enrico
Palmoro
Sprecher
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