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Musiktheater
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Arien

Ein Stück von Pina Bausch
Musik von Ludwig van Beethoven, Wolfgang Amadeus Mozart, Sergei Rachmaninow, Robert Schumann, Italienische Arien, Belcanto Italiano, Comedian Harmonists u. a.
(Uraufführung: 12. Mai 1979)

Aufführungsdauer: ca. 2h 10' (keine Pause)

Wiederaufnahme im Opernhaus Wuppertal am 21. März 2019

 



Tanztheater Wuppertal
(Homepage)

Tanz mit dem Nilpferd

Von Thomas Molke / Fotos: © Oliver Look und Laszlo Szito

Auch wenn beim ersten Prozesstermin vor dem Arbeitsgericht Wuppertal am 13. Dezember 2018 festgestellt wurde, dass die fristlose Kündigung der Intendantin Adolphe Binder rechtswidrig sei, wurde einen Tag später von der designierten Nachfolgerin Bettina Wagner-Bergelt und dem neuen Geschäftsführer Roger Christmann der Spielplan für die zweite Hälfte der laufenden Saison vorgestellt. Seit dem 1. Januar 2019 firmiert Wagner-Bergelt nun auch als Intendantin und künstlerische Leiterin. Ob damit die Querelen ein Ende haben und Binder mit einer Abfindung entschädigt wird, scheint jedoch immer noch nicht geklärt zu sein. Der Spielbetrieb läuft jedenfalls normal weiter, und der Fokus liegt in Wuppertal auf zwei von Pina Bauschs Frühwerken (Arien und Er nimmt sie an der Hand und führt sie in das Schloß, die anderen folgen) und einem weiteren zentralen Stück aus Bauschs choreographischem Schaffen, mit dem unter anderem im November 2013 die Feierlichkeiten zum 40-jährigen Jubiläum des Wuppertaler Tanztheaters eröffnet wurden: Palermo Palermo. Den Anfang macht Arien, das am 12. Mai 1979 seine Uraufführung im Wuppertaler Opernhaus erlebte. Es ist das vorletzte Stück, für das Bauschs Lebensgefährte Rolf Borzik das Bühnenbild und die Kostüme entworfen hat. Lange Zeit stand dieses Werk nicht mehr auf dem Programm, bis es 2017 von der Compagnie neu einstudiert wurde.

Der Titel dürfte auf die Musikauswahl zurückgreifen, die zum großen Teil aus Opernarien besteht. Ein Motiv, das sich durch den ganzen Abend zieht, ist die Barockarie "Selve amiche" von Antonio Caldara, die die melancholische Atmosphäre des Stückes sehr gut einfängt. Wie in der Barockzeit eine Arie nicht dazu diente, die Handlung voranzutreiben, sondern in einem Moment des Affektes zu verharren, geht es auch Bausch darum, mit dieser Musik Emotionen der Tänzerinnen und Tänzer darzustellen. Zu Caldaras Arie trägt Julian Stierle die relativ kleine Ditta Miranda Jasjfi über die Bühne und presst dabei seine Lippen auf ihren Mund, ein Moment, der einerseits zärtlich, andererseits aber auch sehr zerbrechlich wirkt. Dann wiederum legen sich die Tänzer in das knöcheltiefe Wasser, mit dem die Bühne geflutet ist, und die Tänzerinnen suchen Schutz auf ihren Körpern. Zu einem späteren Zeitpunkt sinniert Nazareth Panadero in einem Monolog vor einem Spiegel auf der linken Seite der Bühne darüber, welch zahlreiche Assoziationen die Menschen mit Arien haben können, und besticht dabei mit ihrem gewohnt expressiven Ausdruck. Der ganze Raum erinnert mit den vielen Spiegeln an eine riesige Künstlergarderobe, in der sich die Tänzerinnen und Tänzer zu Beginn der Aufführung auf ihren Auftritt vorzubereiten scheinen. Dabei tragen sie bisweilen feine Abendgarderobe, mit der sie durch das knöcheltiefe Wasser waten. Auch in den ersten Reihen, dürfte man sicherlich den einen oder anderen Wasserschwall abbekommen, wenn die Tänzerinnen und Tänzer sich ins Wasser fallen lassen.

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Plötzliche Hektik auf der gefluteten Bühne: Ophelia Young und Damiano Ottavio Bigi (© Laszlo Szito)

Der Abend beginnt nicht mit Opernmusik, sondern mit einer jazzigen Instrumental-Variante des Titels "Stormy Weather". An einem Tisch in der Mitte der Bühne macht Michael Strecker mit einem Korken im Mund Sprechübungen und zieht sich bis auf die Unterhose aus, um sich sportlich zu betätigen. Damiano Ottavio Bigi posiert vor einem Spiegel auf der rechten Bühnenseite und lässt bei Gesangsübungen seine Muskeln spielen. Während die Tänzerinnen und Tänzer in dieser Szene nur gelegentlich aufeinander treffen und ein wenig Smalltalk führen, wechselt die Stimmung, wenn die Musik in ein Lied der Comedian Harmonists übergeht. Nun entsteht eine enorme Hektik auf der Bühne, und alle rennen wild durcheinander. Diese unruhigen Momente wechseln sich mit Szenen absoluter Stille ab, in denen die Bühne leer ist und gar nichts passiert oder plötzlich das Licht im Saal angeht und die Tänzerinnen und Tänzer das Publikum in Augenschein nehmen. Die Kostüme werden relativ häufig gewechselt, vielleicht weil sie durch das ständige Waten durch das Wasser völlig durchnässt sind. Die Tänzerinnen nehmen in einer Szene auf Stühlen, die im Vordergrund der Bühne aufgebaut werden, Platz und werden von den Tänzern mit übertrieben bunten Tüchern ausstaffiert und geschminkt, als ob sie für einen Auftritt vorbereitet werden. In anderen Momenten werden Gendergrenzen gesprengt, wenn die Tänzer in Frauenkleidern auftreten.

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Breanna O'Mara und das Flusspferd (© Oliver Look)

Ein weiterer Blickfang des Abends dürfte das große Nilpferd sein, das immer wieder über die Bühne stapft. Vielleicht hat hier Lina Pate gestanden, ein berühmtes Flusspferd, das zur Entstehungszeit des Stückes ein absoluter Liebling im Wuppertaler Zoo war. Zunächst wirkt es wie ein Fremdkörper in der Inszenierung, wird aber bald zu einem normalen Bestandteil auf der gefluteten Bühne und lässt sich gerne mal im Wasser nieder. Breanna O'Mara scheint im Verlauf des Stückes auch eine besondere Beziehung zu dem Tier zu entwickeln, tanzt gewissermaßen mit dem Nilpferd, während die anderen Tänzerinnen und Tänzer Paare bilden, oder kuschelt mit ihm im Bühnenhintergrund, wo das Wasser noch ein wenig tiefer ist. Emma Barrowman und Andrey Berezin schweben wie Ginger Rogers und Fred Astaire in fließenden Bewegungen über die Bühne und suggerieren trotz des Wassers eine enorme Leichtigkeit. Natürlich gibt es auch die für Bausch ganz klassischen Momente, in denen einzelne Tänzerinnen und Tänzer an die Rampe treten und kurze Geschichten erzählen. Diese Geschichten waren bei der Uraufführung genau auf die Charaktere der damaligen Tänzerinnen und Tänzer zugeschnitten und spiegelten ein wenig deren Persönlichkeit wider, was bei einer Neueinstudierung über 40 Jahre später mit anderen Tänzerinnen und Tänzern natürlich schwierig umzusetzen ist. Michael Strecker und Nazareth Panadero gelingt es allerdings sehr gut.

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Kinderspiele im Wasser: von links: Emma Barrowman, Stephanie Troyak, Tsai-Wei Tien und Ophelia Young (© Oliver Look)

Neben zahlreichen Kinderspielen ("Reise nach Jerusalem", "Jetzt fahr'n wir über'n See") lädt Breanna O'Mara die anderen Tänzerinnen und Tänzer zu einer Feier ein. Dafür wird ein großer Tisch in die Mitte der Bühne gestellt. Mit großartiger Komik werden beim Begrüßungszeremoniell die kleinen Feindseligkeiten zwischen einzelnen Gästen und der Gastgeberin herausgearbeitet. O'Mara begeistert dabei durch wunderbar aufgesetzte Arroganz. Während der Feier vermitteln italienische Arien von Verdi und Leoncavallo eine feierliche Atmosphäre, die allerdings plötzlich aus dem Ruder läuft. Mit Entsetzen stellt O'Mara fest, dass die Gäste ihr Fest völlig auf den Kopf stellen, schreit entsetzt dagegen an, findet aber letztendlich nur Trost bei ihrem Flusspferd. Danach kehrt der Abend zum Anfang zurück. Michael Strecker beginnt erneut mit seinen Sprechübungen, Damiano Ottavio Bigi mit seinen Muskelspielchen, und das Licht verlöscht. Das Publikum reagiert mit frenetischem Jubel.

FAZIT

Arien funktioniert auch fast 40 Jahre nach der Uraufführung und begeistert immer noch durch eine tieftraurige Melancholie.

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Produktionsteam

Inszenierung und Choreographie
Pina Bausch

Bühne und Kostüme
Rolf Borzik

Mitarbeit
Marion Cito
Hans Pop


Solisten

*rezensierte Aufführung

Ruth Amarante
Emma Barrowman
*Andrey Berezin /
Michael Carter
Damiano Ottavio Bigi
Jonathan Fredrickson
Ditta Miranda Jasjfi
Milan Kampfer
Eddie Martinez
Breanna O'Mara
*Nazareth Panadero /
Blanca Noguero Ramírez
Azusa Seyama
Julie Anne Stanzak
Oleg Stepanov
Julian Stierle
Michael Strecker
Fernando Suels Mendoza
Christopher Tandy
Tsai-Wei Tien
Stephanie Troyak
Ophelia Young
Tsai-Chin Yu


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Tanztheater Wuppertal
(Homepage)




Da capo al Fine

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