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Zwei Klassiker mit Live-Orchester Von Thomas Molke / Fotos: © Bettina Stöß, Klaus Dilger und Ursula Kaufmann
Noch immer ist nicht geklärt, wie es mit der Leitung des Tanztheaters Wuppertal weitergehen wird. Eine Güteverhandlung mit der fristlos gekündigten Intendantin Adolphe Binder ist gescheitert, so dass nun für den 13. Dezember der erste Prozesstermin vor dem Arbeitsgericht angesetzt ist. Mittlerweile ist der Spielplan für die laufende Saison vorgelegt worden, der mit Ausnahme von zwei Streichungen genau dem entspricht, was Binder bereits als Entwurf vorgelegt haben soll und wofür sie angeblich von den Verantwortlichen der Stadt abgestraft worden ist. Doch statt für Klarheit bei diesen schon lange schwelenden Querelen zu sorgen, wird in Wuppertal erst einmal gefeiert. Café Müller, mit dem Pina Bausch 1978 nach vier Jahren an der Wupper einen neuen Weg einschlug, der sie allmählich an die Spitze der Tanzszene katapultieren sollte, wird nämlich 40 Jahre alt. Aus diesem Grund haben Wuppertals Bundestagsabgeordnete Helge Lindh und Jürgen Hardt die kulturpolitischen Sprecher von CDU/CSU, SPD und Grünen an die Wupper eingeladen, um ihnen zunächst in einer Ausstellung im Foyer des Schauspielhauses Wuppertal Einblicke aus dem Pina Bausch Archiv zu gewähren, was hoffentlich die Restaurierung des Schauspielhauses zum Pina-Bausch-Tanzzentrum voranbringt, und anschließend dieses legendäre Stück in einer Neueinstudierung durch den langjährigen Tänzer Dominique Mercy zu besuchen. Als besonderes Geburtstagsgeschenk wurde die Aufführung erstmals vom Sinfonieorchester Wuppertal live begleitet. Café Müller: Versuch einer Annäherung: Azusa Seyama zwischen Michael Strecker (links) und Scott Jennings (rechts) (© Bettina Stöß) Café Müller war ursprünglich eine Produktion von vier Choreographen, die vier unabhängige, selbstständige Kreationen schufen, die unter dem Gesamttitel Café Müller zusammengefasst wurden. Gemeinsam war den Stücken nur, dass sie alle in einem Caféhaus spielen, in dem Dunkelheit und Isolation herrschen. Bei der Uraufführung tanzte Bausch selbst in ihrer Kreation einen wichtigen Part, weshalb dieses Werk heute noch ganz besonders mit ihr verbunden wird. Zu wehmütigen Arien von Henry Purcell irren insgesamt sechs Personen durch ein ansonsten leeres Café, das voller Tische und Stühle ist. Im Hintergrund befindet sich eine gläserne Drehtür, in der sich einzelne Tänzerinnen bisweilen wie ein Hamster im Laufrad verfangen und Schwierigkeiten haben, den Weg hinein oder hinaus zu finden. Nazareth Panadero tippelt auf hochhackigen Schuhen in einem dunklen Mantel mit einer roten Perücke zunächst in den Raum und läuft hilflos umher, bevor sie den Raum wieder verlässt. Anschließend erscheinen Helena Pikon und Azusa Seyama in langen weißen Gewändern und sind tief in ihre Gefühlswelt versunken. Mit geschlossenen Augen versuchen sie, ihren Weg in dem Chaos von Stühlen und Tischen zu finden. Pau Aran Gimeno ist stets bemüht, Seyama die Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Café Müller: Auf der Suche nach Nähe: Nazareth Panadero und Scott Jennings (© Klaus Dilger) Die Unfähigkeit zu einer Beziehung wird bereits in Bauschs frühem Stück thematisiert. Seyama versucht verzweifelt, an Scott Jennings Halt zu finden und klammert sich verzweifelt an ihn, nachdem das beidseitige Umherirren sie zusammengeführt hat. Doch Michael Strecker stört ihre Zweisamkeit und ordnet ihre Haltungen neu. Er legt Seyama auf Jennings' Arm, wobei dieser sie aber stets nach einem kurzen Moment fallen lässt. Seyama erhebt sich und begibt sich wieder in die klammernde Ausgangsposition, die von Strecker so lange und immer schneller korrigiert wird, bis Seyama und Jennings schließlich selbst diesen Bewegungsablauf durchführen. Dabei hört man die klagende Musik von Henry Purcell, die live aus dem Orchestergraben von der Sopranistin Marie Heeschen und dem Bass Lukas Jakobski vorgetragen wird. Heeschen verfügt über einen hellen, leuchtenden Sopran, der in großem Kontrast zu dem Pathos von Janet Baker steht, die bei den früheren Wiederaufnahmen über Lautsprecher zu hören war. Dabei klingt ihr weicher Sopran glasklar der Welt entrückt und untermalt beeindruckend die Isolation, in der sich die Figuren auf der Bühne befinden. Das Sinfonieorchester Wuppertal findet unter der Leitung von Henrik Schaefer zu einem eindringlichen Klang, der die tiefe Trauer des Stückes unterstreicht. Wenn Panadero am Ende ihre Perücke Pikon aufsetzt und ihr ihren Mantel umlegt, möchte man am liebsten weinen. Pikon fängt die Tragik, die Bausch damals in dieser Rolle verkörpert hat, beeindruckend ein. Das Frühlingsopfer: Wer wird das Opfer sein? (Tänzerinnen) (© Ursula Kaufmann) Nach der Pause folgt Bauschs legendäres Frühlingsopfer, das mittlerweile seit vielen Jahren als Doppelabend mit Café Müller kombiniert wird. Ursprünglich erlebte es in dem dreiteiligen Ballettabend Frühlingsopfer 1975 mit Wind von West zu Igor Strawinskys Kantate von 1952 und Der zweite Frühling seine Uraufführung. Eine Rekonstruktion dieses Dreiteilers gab es 2013 im Opernhaus (siehe auch unsere Rezension). Bausch hält sich in dieser Choreographie im Wesentlichen an die originale Szenenfolge des Librettos, wobei der Kerngehalt die Suche nach einem Mädchen ist, das sich im Frühjahr als Opfer zu Tode tanzt, um die heidnischen Götter gnädig zu stimmen. Die komplette Bühne ist dabei mit Torf bedeckt, wodurch ein archaischer Schauplatz geschaffen wird. Blickfang ist ein rotes Kleid, auf dem zu Beginn eine Tänzerin ruht. Die Tänzerinnen bewegen sich in hellen Unterkleidern über die Bühne, die allmählich durch heftige und ruckartige Bewegungen auf dem Torf die braune Farbe der Erde annehmen. Dabei ist anfangs noch nicht klar, welches Mädchen das diesjährige Opfer sein wird. Das rote Kleid wird unter den Tänzerinnen herumgereicht. Manche nehmen sofort erschrocken Abstand davon. Einige scheinen davon regelrecht angezogen zu werden. Das Frühlingsopfer: Rituale zur Auswahl des Opfers (Ensemble) (© Ursula Kaufmann) Die Männer treten allesamt mit schwarzen Hosen und nackten Oberkörpern auf, formieren sich mit den Frauen zum magischen Zeichen des Kreises und beginnen in einer dem ethnischen Tanz entlehnten Bewegungssprache mit der Erdanbetung. Die schonungslose Rhythmik und Härte der Musik, die vom Sinfonieorchester Wuppertal in großem Kontrast zu Purcells Klängen im ersten Teil wunderbar umgesetzt wird, kommt in den schroffen Bewegungen des Ensembles beeindruckend zur Geltung. Dabei begeistert das große Ensemble teils durch punktgenaue Homogenität, teils durch bewusste Abweichungen von der Norm, um einzelne Versuche des Ausbruchs zu konstatieren. Schließlich bestimmt Michael Strecker als Anführer das Opfer. Dies ist zunächst für die Gruppe der Auslöser, mit einem orgiastischen Fruchtbarkeitsritus zu beginnen, der eher an eine Vergewaltigung als an einen Akt lustvoller Befreiung erinnert. Es folgt der erschütternde Opfer- bzw. Totentanz der Auserwählten (Tsai-Chin Yu). Unter den erstarrten, teilweise furchtsamen Blicken der übrigen Tänzerinnen und Tänzer beweist sie mit großer Leidenschaft und Ekstase ihren Opfergeist, der auch das Publikum in seinen Bann zieht. Wenn sie schließlich mit dem letzten Takt der Musik leblos zusammenbricht, ist man zum einen schockiert, fühlt sich andererseits aber auch seltsam befreit. Die Tänzerinnen und Tänzer werden zu Recht nach diesem Kraftakt mit stehenden Ovationen des Publikums gefeiert. FAZIT Das Tanztheater Wuppertal zeigt erneut, wie viel Sprengkraft
auch nach 40 Jahren noch in diesen beiden Klassikern steckt. Vor allem die
Begleitung durch ein Live-Orchester verleihen dem Abend neuen Glanz. |
ProduktionsteamInszenierung und Choreographie
Bühne und Kostüme Mitarbeit Musikalische Leitung
Sinfonieorchester Wuppertal
Café Müller Probenleitung Wiederaufnahme Solisten*rezensierte Aufführung Sopran Bass Tänzerinnen und Tänzer
Das Frühlingsopfer Mitarbeit Probenleitung Wiederaufnahme Solisten Olivia Tarrish Ancona
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