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Verwirrspiel mit Türen
Dass sich in Zeiten knapper Kassen Theater zusammenschließen und Opern in
Koproduktion inszenieren, ist gut nachvollziehbar und vernünftig, um ein hohes
Niveau halten bzw. erreichen zu können. Ein wenig überraschend ist, dass die
Oper Wuppertal in dieser Spielzeit gleich bei zwei Produktionen mit der English
National Opera in London zusammenarbeitet. Nach Verdis Luisa Miller, die
im Dezember 2018 in Wuppertal Premiere feierte (siehe auch
unsere Rezension), gibt es nun auch Mozarts Die
Hochzeit des Figaro als Koproduktion mit der ENO. In beiden Fällen macht
Wuppertal den Anfang, bevor die Inszenierungen dann in der nächsten Spielzeit in
London zu erleben sind. Obwohl es sich um zwei völlig unterschiedliche
Regie-Teams handelt, hat man beim Bühnenbild das Gefühl, optische Parallelen zu
erkennen. Das mag allerdings vor allem an dem sterilen Weiß des Raums liegen.
Ansonsten haben die beiden Ansätze nichts miteinander zu tun.
Die Gräfin (Anna Princeva, rechts) und Susanna (Ralitsa
Ralinova, links) verkleiden Cherubino (Iris Marie Sojer, Mitte) als Frau.
Zentraler Bestandteil der weißen Guckkastenbühne von Johannes Schütz sind vier
Türen im Hintergrund, durch die die Protagonisten schon während der Ouvertüre in
einem bunten Verwirrspiel auf- und abgehen. Ein bisschen erinnern diese
Auftritte an die Choreographie aus Moldawien beim Eurovision Song Contest 2018
in Portugal. Ansonsten ist der Raum völlig leer. Das Versteckspiel Cherubinos
und des Grafen im ersten Akt hinter einem Sessel, muss folglich über die
geöffneten Türen erfolgen. Das ist zwar nicht immer ganz glaubhaft, weil die
Figuren natürlich einander sehen müssten, wenn die Türen geschlossen werden,
wird aber dennoch mit großem Spielwitz und feiner Präzision umgesetzt. Für den
zweiten Akt wird die riesige Guckkastenbühne nach oben gefahren und gibt den
Blick auf den dahinter liegenden tiefen dunklen Bühnenraum frei. Dadurch wird
nachvollziehbar, dass Cherubino kaum unbemerkt aus dem Zimmer der Gräfin
entkommen kann. Nachdem er zunächst hinter einer Tür Geschirr unter lautem
Klirren auf die Bühne darunter fallen lässt, werden dicke Matten aus dem Off
herbeigetragen, um ihm den Sprung aus gut zwei Meter Höhe zu
ermöglichen. Bis zum dritten Akt geht dieses Konzept wunderbar auf, da, solange
sich das Verwirrspiel im Inneren des Schlosses abspielt, der abgeschlossene Raum
mit den Türen gut funktioniert. Für den letzten Akt wird die Guckkastenbühne
nach hinten gezogen und hat in der großen Gartenszene eigentlich keine Funktion
mehr.
Die Bühne ist nun völlig leer, was das Versteckspiel im Garten deutlich
erschwert. Es ist lediglich der großen Spielfreude der Solisten zu verdanken,
dass dieses Verwirrspiel auch hier noch in Ansätzen funktioniert.
Wie das Bühnenbild sind auch die Kostüme von Astrid Klein sehr modern gehalten.
Vielleicht sollen sie im sterilen Weiß der Bühne einen farblichen Kontrast
setzen. Ob man dabei allerdings auf derart schlechten Geschmack setzen muss, ist
fraglich. Die Gräfin in ein Leoparden-Oberteil und eine schreckliche braune
Hippie-Hose zu stecken, ist schon beinahe eine Verunglimpfung der Figur. Soll
damit zum Ausdruck gebracht werden, dass der Graf seiner Frau überdrüssig
geworden ist und sich nach anderen Frauen umsieht? Dafür müssten allerdings
Susanna oder Barbarina ansprechender gekleidet sein, was nicht der Fall ist,
selbst wenn dem Kostüm der Gräfin der Barbara Dex Award des Abends zustehen
würde. Zum Glück lässt die ausgefeilte Personenregie von Joe Hill-Gibbins und
die große Spielfreude des Ensembles über die Kostümsünden hinwegsehen.
Unerwartetes Familienglück: Figaro (Sebastian
Campione, 2. von links) mit seiner Braut Susanna (Ralitsa Ralinova, 2. von
rechts) und seinen wiedergefundenen Eltern Marcellina (Joslyn Rechter, rechts)
und Bartolo (Nicolai Karnolsky, links)
Musikalisch lässt der Abend keine Wünsche offen. Julia Jones begeistert am Pult
des Sinfonieorchesters Wuppertal mit einem schlanken Klang. Furios setzt Jones
auf Tempo, was vom Ensemble während der Ouvertüre mit den Türen witzig umgesetzt
wird. Sehr differenziert lotet sie mit dem Orchester auch die unterschiedlichen
Gefühlswallungen der Figuren aus, die größtenteils mit Ensemblemitgliedern
besetzt sind. Da ist zunächst einmal Sebastian Campione zu nennen, der als
Figaro mit profundem Bariton glänzt. In der Kavatine "Se vuol ballare, signor
Contino" bricht seine ganze Wut darüber hervor, dass der Graf seine geliebte
Susanna verführen möchte. Mit leicht überheblichem Tonfall verspottet er dann in
"Non più andrai" den in Susannas Gemach entdeckten Schwerenöter Cherubino, dem
nun ein hartes Soldatenleben fernab des Schlosses droht. Ein weiterer Höhepunkt
ist seine Arie im vierten Akt, "Aprite un po' quegl' occhi", in der er die
Untreue der Frauen anprangert. Mit großem Spielwitz gestaltet Campione auch den
Versuch, den Grafen zu überlisten, wobei immer wieder deutlich wird, dass
Susanna und die Gräfin ihm in diesem Spiel haushoch überlegen sind. Ralitsa
Ralinova punktet als Susanna mit keckem Spiel und lieblichem Sopran. Immer
wieder gelingt es ihr, Figaro um den Finger zu wickeln. Mit besonderer Komik
spielt sie den Moment im dritten Akt aus, wenn sie seine plötzliche Zuneigung zu
Marcellina misinterpretiert.
Verwirrspiel im Garten: Figaro (Sebastian
Campione) mit der Gräfin (Anna Princeva, links) und Susanna (Ralitsa Ralinova,
rechts)
Iris Marie Sojer stellt das jünglingshafte Liebesbegehren des jungen Cherubino
absolut überzeugend dar und wickelt die Frauen mit ihrem geschmeidigen
Mezzosopran regelrecht ein. Während sie in ihrer Auftrittsarie "Non so più cosa
son, cosa faccio" die Angst des jungen Liebenden unterstreicht, der nicht weiß,
wie er ohne die reizenden Frauen des Hofes auskommen soll, gibt sie im zweiten
Akt im Gemach der Gräfin mit der berühmten Arietta "Voi che sapete" den
absoluten Schwerenöter, der die Frauen wie Marionetten tanzen lässt. Sojer
spielt den knabenhaften Charme dabei in jedem Moment glaubhaft aus, auch wenn
sie von Barbarina als Blumenmädchen verkleidet ist. Anna Princeva verleiht der
Gräfin mit rundem Sopran eine melancholische Tiefe, die mit dieser Figur nicht
nur wegen ihres grässlichen Kostüms mitleiden lässt. Ihre traurige Kavatine zu
Beginn des zweiten Aktes, "Porgi amor", und ihre Verzweiflungsarie im dritten
Akt, "Dove sono i bei momenti", in der sie voller Schwermut an die längst
vergangene glückliche Zeit mit dem Grafen zurückdenkt, rühren zu Tränen und
lösen beim Publikum regelrechte Begeisterungsstürme aus. Simon Stricker punktet
als untreuer Graf mit beweglichem Bariton und überzeugt ebenfalls durch großen
Spielwitz.
Ein Wiedersehen gibt es auch mit Joslyn Rechter, die bis zur Auflösung des
Opern-Ensembles durch den damaligen Intendanten Toshiyuki Kamioka 2014 zum
festen Ensemble gehörte. Nun ist sie als Marcellina zurückgekehrt und begeistert
mit großem Spielwitz und dunkel gefärbtem Mezzosopran. Besonders komisch gelingt
ihr der Wechsel von der Figaro begehrenden Frau zu seiner liebenden Mutter.
Nicolai Karnolsky gestaltet den auf Rache sinnenden Bartolo mit dunklem Bass.
Anna Martha Schuitemaker, Marcel van Dieren und Mark Bowman-Hester runden als
Barbarina, Antonio und Basilio mit dem spielfreudigen, von Markus Baisch
einstudierten Chor die Ensemble-Leistung überzeugend ab, so dass es für alle
Beteiligten großen und verdienten Applaus gibt.
FAZIT
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Produktionsteam
Musikalische Leitung Inszenierung
Bühne
Kostüme
Choreographie
Licht
Chor Dramaturgie
Sinfonieorchester Wuppertal Opernchor der Wuppertaler Bühnen Solisten*Premierenbesetzung Graf Almaviva Gräfin Almaviva Susanna Figaro Cherubino Marcellina Bartolo Basilio / Don Curzio Barbarina Antonio Zwei Mädchen
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- Fine -