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Er nimmt sie an der Hand und
führt sie in das Schloß,
die anderen folgen


Ein Stück von Pina Bausch
Musik von Peer Raben
(Uraufführung: 22. April 1978 im Schauspielhaus Bochum)

Eine Koproduktion mit dem Schauspielhaus Bochum

Aufführungsdauer: ca. 3h 15' (eine Pause)

Wiederaufnahme im Opernhaus Wuppertal am 17. Mai 2019
(rezensierte Aufführung: 19.05.2019)

 



Tanztheater Wuppertal
(Homepage)

Improvisationen zu Macbeth

Von Thomas Molke / Fotos: © Ursula Kaufmann

Als 1978 der damalige Intendant des Schauspielhauses Bochum, Peter Zadek, Pina Bausch einlud, als Koproduktion mit den Wuppertaler Bühnen eine Version von Shakespeares Macbeth zu entwickeln, war Bausch noch lange nicht die Kultfigur des Tanztheaters, zu der sie sich später entwickeln sollte. Damals begegnete man ihren Stücken in Wuppertal mit einer großen Skepsis, und häufig blieben nach der Pause zahlreiche Plätze frei. Auch das Stück, das sie im Schauspielhaus Bochum am 22. April 1978 unter dem sperrigen Titel Er nimmt sie an der Hand und führt sie in das Schloß, die anderen folgen herausbrachte, verstörte das Publikum so sehr, dass eine Vorstellung in Bochum sogar abgebrochen werden musste, weil es lautstarke Proteste gab und Gegenstände auf die Bühne geworfen wurden. Was die einzelnen Szenen mit Shakespeares Drama zu tun haben sollten, erschloss sich vielen Besuchern nicht. Mit dem wachsenden Kult um Pina Bauschs Choreographien fand auch dieses Stück, dessen Titel eine Regie-Anweisung aus Shakespeares Macbeth aufgreift, sein begeistertes Publikum. Seit 2015 ist es ein besonderes Anliegen der Compagnie gewesen, Bauschs Frühwerk nach 29 Jahren erneut einzustudieren. Die Probenleitung hat Josephine Ann Endicott übernommen, die bei der Uraufführung 1978 mitwirkte und bei einer Aufführung sogar die protestierenden Zuschauer angeschrieen haben soll: "Go home, look television!"

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Johanna Wokalek (rechts) erzählt die Geschichte von Macbeth (links: Maik Solbach, auf dem Sofa: Julie Shanahan und Jonathan Fredrickson).

Das Stück verlangt aber auch heute noch den Zuschauern einiges ab, vor allem Geduld. Zu Beginn liegt der riesige Raum, den Rolf Borzik mit zahlreichen Möbelstücken aus verschiedenen Stilepochen gestaltet hat, im Dunkeln. In den vorderen Bereich der Bühne führt ein roter Gartenschlauch, aus dem unentwegt Wasser strömt und der die Rampe in eine Art See verwandelt. Im Hintergrund befindet sich eine Jukebox, bei der Oleg Stepanov später immer wieder eine bestimmte Melodie aufrufen wird, zu der er verloren über die Bühne tanzt. Durch ein riesiges Fenster auf der rechten Seite fällt Licht herein, das das langsame Aufgehen der Sonne suggeriert. Minutenlang passiert nichts, während sich das Licht langsam über die ganze Bühne ausbreitet. Vier Frauen und fünf Männer liegen zunächst auf den zahlreichen Sofas, auf dem Boden und in einem Bett im Hintergrund und scheinen zu schlafen. Ganz langsam erwachen sie und beginnen, sich zu bewegen, erst ganz langsam, dann immer schneller. Männer tragen die Frauen wie Trophäen über die Bühne. Aus diversen Kartons wird Spielzeug auf der Bühne verteilt. Man befindet sich scheinbar in einer Art Kinderzimmer. So wirkt die Schauspielerin Johanna Wokalek auch fast wie eine Märchentante, wenn sie die Handlung von Shakespeares Drama ungeachtet der darin erhaltenen Grausamkeiten mit lieblicher Stimme erzählt. Bei den Namen der Figuren nennt sie wie in einem Zeitungsartikel nur den Anfangsbuchstaben. Dabei fährt sie sich unentwegt mit einem knallroten Lippenstift über die Lippen.

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Ausleben der Aggressionen (von links: Tsai-Wei Tien, Julie Shanahan und Oleg Stepanov, im Hintergrund: Julian Stierle und (halb verdeckt) Maik Solbach)

Ältere Besucher werden bei diesen Geschichten sicherlich noch Mechthild Grossmann in Erinnerung haben, die diese Rolle damals mit ihrer unnachahmlichen Reibeisenstimme geprägt hat. Wokalek versucht nicht, Grossmann zu kopieren, und findet einen eigenen Stil für die Erzählungen, der ebenfalls eine gehörige Portion Ironie enthält. Wenn sie allerdings Tsai-Wei Tien anraunzt, wie klein sie denn sei, aber das dies ja gar nichts ausmache, gelingt es ihr allerdings nicht, Grossmanns groteske Komik einzufangen. Als weiterer Schauspieler tritt Maik Solbach auf und trägt eindrucksvoll einzelne Passagen aus Shakespeares Drama vor, ohne dass daraus der komplette Handlungsverlauf rekonstruiert werden könnte. So durchleben die Tänzerinnen und Tänzer jeder allein in zahlreichen Improvisationen ihre eigene Auseinandersetzung mit dem Macbeth-Mythos. Mal tollen sie dabei wild über die Bühne und lassen sich auf die Sofas und in die Sessel fallen. Dann bekämpfen sie imaginäre Feinde oder versuchen sich wie Macbeth und seine Gattin von ihrer Schuld "reinzuwaschen". Außerdem gibt es die für die frühen Stücke so typischen Bilder zwischen Männern und Frauen, die die beiden Geschlechter in einem gestörten Verhältnis zeigen. Mal fordern die Frauen Zärtlichkeit ein, mal weisen sie die Männer dabei zurück.

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Warten, worauf? (von links: Michael Strecker, Julian Stierle, Breanna O'Mara, Maik Solbach, Johanna Wokalek, Jonathan Fredrickson, Tsai-Wei Tien, Oleg Stepanov und Julie Shanahan)

Vor der Pause wird eine Reihe mit Kinosesseln aufgebaut, und die Tänzerinnen und Tänzer setzen sich dem Publikum Vis-a-vis. Lange Zeit passiert nichts, außer dass die Plätze untereinander getauscht werden. Das sind die Momente, die den Abend ein wenig lang werden lassen, aber dennoch sehr intensiv umgesetzt werden. Mit einer lieblichen Tanzmelodie geht es dann nahezu unbemerkt in die Pause. Oleg Stepanov tanzt noch mit einer imaginären Tänzerin über die Bühne, während das Saallicht angeht. Nach der Pause scheinen aus den Kindern vom Beginn des Abends Erwachsene geworden zu sein. Die Tänzerinnen und Tänzer schreiten über die Bühne und legen dabei ständig neue Kleidungsstücke an und wieder ab, testen sich somit aus. Dabei posieren sie in der jeweiligen Kleidung und versuchen, Eindruck bei den anderen zu machen. Der Zusammenhang zu Shakespeares Macbeth scheint nun ganz abhanden gekommen zu sein. Erst viel später greift Johanna Wokalek ihre Erzählung wieder auf. Solbach wälzt sich dann in der Pfütze an der Bühnenrampe und schreit die ganze Verzweiflung heraus, die Macbeth kurz vor seinem Ende gefühlt haben dürfte.

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Moment der Hilflosigkeit (Johanna Wokalek auf dem Arm von Jonathan Fredrickson, links: Tsai-Wei Tien)

Besonders im Gedächtnis bleibt eine Ensemble-Szene aus dem zweiten Teil. Zu einem Medley, das Peer Raben aus relativ schnellen Rhythmen gemixt hat, laufen die Tänzerinnen und Tänzer hektisch quer über die Bühne, treten einzeln durch eine Tür auf der linken hinteren Seite auf und verlassen sie wieder durch eine Tür vorne rechts, um kurz darauf erneut von hinten links aufzutreten. Dabei stellen sie jeweils ein anderes Gefühl eindrucksvoll dar. Mal geben sich die Frauen verführerisch, dann kämpfen sie gegen unsichtbare Dämonen oder strotzen vor Selbstbewusstsein. Später fordert Julie Shanahan als eine Art Spielleiterin die anderen Tänzerinnen und Tänzer leicht versnobt auf, eine bestimmte Emotion zum Ausdruck zu bringen. Dann geben sich die Frauen wiederum ganz hilflos und rufen einen Mann herbei, der sie von einem Ort zu einem anderen tragen soll. Breanna O'Mara lässt sich dabei auf das Piano auf der linken Bühnenseite legen und dazu noch ihren Arm für das Spiel auf dem Piano benutzen. Nach einigen Tangorhythmen ertönt erneut Stepanovs Musik, und das Licht verlischt langsam auf der leeren Bühne. Das Publikum zeigt sich begeistert und spendet großen Beifall.

FAZIT

Pina Bauschs Frühwerk verlangt seinen Zuschauern auch heute noch sehr viel ab, wird aber mittlerweile viel begeisterter aufgenommen als Ende der 70er Jahre.

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Produktionsteam

Regie
Pina Bausch

Probenleitung Neueinstudierung 2019
Josephine Ann Endicott

Bühne und Kostüme
Rolf Borzik

Musikalische Mitarbeit
Neueinstudierung 2019
Matthias Burkert


Solisten

Jonathan Fredrickson
Breanna O'Mara
Julie Shanahan
Maik Solbach
Oleg Stepanov
Julian Stierle
Michael Strecker
Johanna Wokalek
Tsai-Wei Tien

 


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Tanztheater Wuppertal
(Homepage)




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