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Musiktheater
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Palermo Palermo

Ein Stück von Pina Bausch
Musik von Edvard Grieg, Niccolo Paganini, Musik aus Süditalien, Afrika, Japan und Schottland,
Renaissancemusik, Blues und Jazz aus Amerika u. a.
(Uraufführung: 17. Dezember 1989)

Aufführungsdauer: ca. 2h 45' (eine Pause)

Wiederaufnahme im Opernhaus Wuppertal am 29. März 2019

 



Tanztheater Wuppertal
(Homepage)

Wenn die Mauer fällt

Von Thomas Molke / Fotos: © Evangelos Rodoulis

Kein Stück von Pina Bausch dürfte so sehr die Erinnerung an die deutsch Wiedervereinigung wachrufen wie Palermo Palermo, das im Dezember 1989 seine Uraufführung erlebte. Wenn zu Beginn des Stückes eine riesige Steinmauer auf der Bühne laut krachend nach hinten stürzt, mag zumindest 1989 im Publikum jeder an den Fall der Berliner Mauer gedacht haben. Folglich gab es im Uraufführungsjahr nach dieser Szene auch häufig Applaus. Dabei war diese Assoziation von Bausch gar nicht beabsichtigt. Das Stück war in Kooperation mit dem Teatro Biondo in Palermo entstanden, und Bausch war mit ihrer Compagnie im Sommer 1989 nach Sizilien gereist, um Eindrücke von Land und Leuten zu gewinnen, die sie in ihrem Tanzabend verarbeiten wollte. So erzählen die Geschichten unter anderem von den Spannungen zwischen Arm und Reich in Süditalien. Der Mauerfall ermöglicht einen Blick in eine von Kargheit und Armut geprägte Landschaft. Die Tänzerinnen, die teilweise mit hochhackigen Schuhen über dieses Ruinenfeld laufen müssen, zeigen dabei, wie man lernt, sich an einen derartigen Zustand anzupassen.

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Julie Shanahan mit Scott Jennings

Einzigartig für das Pina Bausch Tanztheater ist, dass Tänzerinnen und Tänzer des Uraufführungs-Ensembles auch fast 30 Jahre später noch auf der Bühne stehen. Zu nennen ist hier beispielsweise Julie Shanahan, die den tänzerischen Teil des Abends mit einer irritierenden Szene eröffnet. Mit schwarzer Kreide markiert sie zunächst den Ort, an dem sie steht, um sich anschließend ein schwarzes Kreuz ins Gesicht zu malen. Danach fordert sie hysterisch zwei Männer auf, ihre Hand zu halten oder sie zu umarmen. Dabei entzieht sie sich ihnen immer wieder, stellt ihre Forderung danach allerdings umso heftiger. Die beiden Tänzer versuchen verzweifelt, es ihr recht zu machen, haben allerdings keine Chance. Später müssen sie Shanahan sogar mit Tomaten bewerfen, mal ins Gesicht, dann wiederum in die Magengegend. Beeindruckend stellt Shanahan hier eine verzweifelte Frau dar, deren Wunsch nach Liebe in Selbsthass übergegangen ist. Später tritt sie mit einer Strumpfmaske und einer Pistole auf, vielleicht ein weiterer Versuch, sich von ihrer Aggression zu befreien. Nazareth Panadero begeistert immer noch mit ihrem unnachahmlichen Ausdruck, wenn sie mit einer Handvoll roher Spaghetti auftritt und dem Publikum bei jeder einzelnen Nudel verkündet, dass dies "ihre" Spaghetti seien, die sie mit keinem teilen werde. Später baut sie auf einem Tisch zahlreiche Pumps auf und erzählt von ihren Ängsten vor Heuschrecken, Schlangen und nackten Beinen, während sie auf einem Stuhl sitzend die Schuhe wechselt.

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Andrey Berezin in einem der zahlreichen skurrilen Outfits

Auch Dominique Mercy, der seine Tänzerkarriere mittlerweile beendet hat, kehrt als Gast zurück und fasziniert durch seine enorme Bühnenpräsenz. Wie viel Spannung er mit einem bloßen Blick erzeugen kann, wenn er rauchend ins Publikum schaut, ist wirklich unglaublich. Später bewegt er sich wie ein Affe über die Bühne und streckt die Arme dabei scheinbar unkontrolliert in die Höhe, während er in schwingenden Bewegungen über die Steine klettert. Jan Minariks Part hat mittlerweile Andrey Berezin übernommen. Absolut machohaft präsentiert er sich mit einem blauen Auge, wobei sein Auftritt in großem Kontrast zu den femininen Accessoires steht, die er sich in der Szene anlegt. Dann wiederum scheint er, sich vom Unterarm eine Scheibe Fleisch abzuschneiden, die er anschließend auf einem Bügeleisen grillt und verspeist. Später werden auf diesem Bügeleisen auch noch Spiegeleier gebraten. Und immer wieder symbolisieren die Steine der umgefallenen Mauer die Trümmer eines missglückten Lebens.

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Milan Kampfer

Der Kampf zwischen Mann und Frau wird, wie häufig in Pina Bauschs Stücken, in diversen Szenen durchdekliniert. Mal ist es Tsai-Chin Yu, die einen Tänzer zunächst beschimpft und dann immer wieder heftig in den Hintern tritt, während er immer weitere versteckte Lebensmittel aus seinem Anzug holt und ihr zu Füßen wirft. Dann tragen mehrere Tänzer eine Frau, die an der linken Bühnenseite die Wand emporläuft, auf dem Rückweg sich quasi kopfüber durch die Luft bewegt, um auf der rechten Seite wieder die Wand hinunterzulaufen. Eine andere Tänzerin wird von Fernando Suels Mendoza kopfüber gedreht, während sie mit einem Fotoapparat ein Bild macht oder mit einem gefüllten Sektglas einem Tänzer zuprostet. Eddie Martinez spielt mit seiner Rolle als Mann, indem er sich im Liegen die Fingernägel rot lackiert und dabei immer strahlend ins Publikum lächelt. Milan Kampfer taucht ein weißes Hemd in einen Eimer Wasser, um es anschließend völlig durchnässt wieder anzuziehen. Dann lässt er sich Wachs auf den Arm tropfen, um sich selbst mit darauf befestigten brennenden Kerzen zum Leuchten zu bringen. Dabei spielen Matthias Burkert am Piano und André Enthöfer am Saxophon "Stormy Weather".

Der musikalische Rahmen des Abends reicht von orientalisch gefärbten Klängen sizilianischer Volksmusik über Musik der 1930er Jahre aus den USA bis hin zu Tschaikowskys Klavierkonzert Nr. 1, das von sechs Pianisten auf der Bühne live gespielt wird. Teilweise hört man auch dröhnende Kirchenglocken und lauten Lärm, der wohl den Krach an einem ganz normalen Alltag in Palermo einfangen soll. Die Tänzerinnen und Tänzer haben auch beeindruckende Ensemble-Szenen. So treten sie kurz vor der Pause mit jeder Menge Müll auf, den sie rücksichtslos auf der Bühne verteilen. Im zweiten Teil schreiten die Tänzerinnen und Tänzer jeweils in einer Reihe zur Bühnenrampe und balancieren einen Apfel auf dem Kopf. Der Übergang in die Pause ist gewissermaßen fließend, da der Tanz auf der Bühne in wechselnden Paarkonstellationen trotz Pausenankündigung einfach weitergeht. Irritierend ist die Dudelsackmusik kurz vor Ende des Abends. Die Tänzerinnen und Tänzer hüpfen dabei in gebückter Haltung synchron quer über die Bühne. Anschließend werden aus dem Schnürboden riesige Äste herabgelassen, die dann auf die Steine in den Hintergrund gelegt werden, während Oleg Stepanov das Märchen vom Fuchs und den Gänsen erzählt, die sich dem Fuchs entzogen haben, indem sie ihn überreden konnten, sie noch ein letztes Gebet sprechen zu lassen. Und so beten die Gänse noch heute. Damit wünscht Stepanov dem Publikum eine "Gute Nacht". Die Zuschauer bedanken sich mit frenetischem Beifall und stehenden Ovationen.

FAZIT

Palermo Palermo ist zwar ein verstörendes Stück, hat aber auch nach fast 30 Jahren nichts von seinem Reiz verloren.

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Produktionsteam

Inszenierung und Choreographie
Pina Bausch

Bühne
Peter Pabst

Kostüme
Marion Cito

Musikalische Mitarbeit
Matthias Burkert


Solisten

Emma Barrowman
Rainer Behr
Andrey Berezin
Matthias Burkert
Michael Carter
Çağdaş Ermis
Jonathan Fredrickson
Scott Jennings
Milan Kampfer
Eddie Martinez
Dominique Mercy
Blanca Noguerol Ramírez
Breanna O'Mara
Nazareth Panadero
Franko Schmidt
Azusa Seyama
Julie Shanahan
Julie Anne Stanzak
Oleg Stepanov
Julian Stierle
Fernando Suels Mendoza
Christopher Tandy
Stephanie Troyak
Ophelia Young
Tsai-Wei Tien
Tsai-Chin Yu

Saxophon
André Enthöfer

Piano
Matthias Burkert
Christoph Iacono
Tim Kienecker
Johann Kirschniok
Ed Kortlandt
Franko Schmidt


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Tanztheater Wuppertal
(Homepage)




Da capo al Fine

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