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The Circle

Oper nach dem gleichnamigen Roman von Dave Eggers
Libretto von Tiina Hartmann
Musik von Ludger Vollmer


in deutscher Sprache mit Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h (eine Pause)

Auftragswerk des Deutschen Nationaltheater Weimar
Uraufführung am 4. Mai 2019


Homepage

Deutsches Nationaltheater Weimar
(Homepage)

Der Triumph des Möglichen

Von Joachim Lange / Fotos: © Thomas Müller

Dave Eggers Roman The Circle ist nicht unbedingt der literarischen Weisheit letzter Schluss. Aber der 2013 erschienene Bestseller ist so nah am Puls der Zeit, dass es fast schon beängstigend ist. Immerhin sind die 560 Seiten (in der bei Kiepenheuer&Witsch erschienenen Paperback-Version) flott zu lesen. Und das, was die Autorin Tiina Hartmann gemeinsam mit dem Komponisten Ludger Vollmer (in Weimar seit Lola rennt - Erfolg bestens eingeführt) zum Libretto destilliert und was Uraufführungsregisseurin Andrea Moses und der Weimarer Operndirektor Hans-Georg Wegner als Dramaturg für die Bühne eingerichtet haben, bleibt immer in Sichtweite zum Roman. Dieser Kreis schließt sich. In der Story selbst ist das Schließen des Kreises, diese "Vollendung" des Circle, eine Metapher für den Triumph des Möglichen, für die totale digitale Transparenz, für die (Selbst-)Aufgabe des Individuums.

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Der Konzernboss als Guru der Innovationen

Im Zentrum der Geschichte steht die junge Mae Holland (fabelhaft überdreht: Sayaka Shigeshima), die dank ihrer Freundin Annie (Heike Porstein) einen Job beim IT-Giganten "Circle" erhält und voll in dessen Obhut be- und sich selbst damit aufgibt. Ihr gelingt es zwar, ihre Eltern, die seit der Erkrankung ihres Vaters an den Grenzen der normalen Krankenversicherung leiden, über die Firma mit zu versichern. Der Preis ist die komplette Transparenz ihres Lebens. Und eine "Anteilnahme" über die sozialen Medien, die sie völlig überfordert. So, wie der Konzern schrittweise die totale Transparenz der Politiker durchsetzt (und eine Senatorin, die sich dagegen stellt, durch "rein zufällig" aufgespürte Sauerein auf ihrem Laptop ausschaltet) und damit einen Druck des Faktischen erzeugt, der alle anderen auch dazu zwingt, wird Mae Pionierin einer total transparenten Person, die nur noch für wenige Minuten beim Toilettengang ihre Liveübertragung von sich selbst ausschalten darf.

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Ein Call-Center - die ganze Welt als Kundschaft

Die drei Chefs des Circle, genannt "die Weisen", sind in ihrem Gehabe realen Vorbildern wie Steve Jobs und Mark Zuckerberg nachempfunden. Andrea Moses setzt deren Auftritte, die Vollmer mit griffig motivierenden Gospelrhythmen unterlegt, wie eine Präsentations- oder Motivations-Show in Szene, bei der die Zuschauer im Saal auch zum Publikum im Stück werden. Daeyoung Kim gibt als Eamon Bailey dem offensiv propagierten Circle-Selbstverständnis Gesicht und Stimme. Sebastian Kowski füllt die Sprechrolle des eher fürs Ökonomische des Konzerns zuständigen Tom Stenton mit einem gewissen Charisma aus. Der Counter Ray Chenez ist als Ty der dritter im Bunde. Ein Genie, dem immerhin die eigene Geschäftsidee längst unheimlich geworden ist. Inkognito geht er eine Beziehung zu Mae ein, scheitert aber mit seiner Hoffnung, mit ihr gemeinsam den Wahnsinn, den er erkennt, Einhalt zu gebieten. Dass Mae ihn hier etwas zu sehr wie nebenbei an die beiden anderen verrät, ihm aber zumindest nichts Offensichtliches passiert, gehört wohl zum Preis der Verdichtung eines Romans auf Librettomaß. Nimmt man es hochtheoretisch, dann ist The Circle ein Beleg dafür, wie die Digitalisierung der Wirklichkeit von heute (auch das schon ein Widerspruch in sich) Horkheimer und Adornos berühmte These aus dem Jahre 1944 von der Dialektik der Aufklärung, also der latenten Gefahr ihrer Selbstzerstörung, bestätigt.

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Die Illusion der großen Familie

Im Roman und auch in der Oper ist es Maes in ihrer Kleinstadt-Provinz zurückgelassener, kreuzbiederer Exfreund Mercer (Oleksandr Pushiniak), der das Ganze am klarsten durchschaut. Er stellt "nur" Kronleuchter aus Geweihen her und ist mit dieser analogen Existenz, die sich weder um die Likes von Facebook-"Freunden" noch überhaupt um seine Position in der digitalen Scheinwelt kümmert, zufrieden. Er wehrt sich gegen seine von Mae forcierte Vereinnahmung durch die Circle-Welt nach Kräften und verliert dabei sein Leben, weil die ihn bei der Demonstration eines Programms zum Aufspüren beliebiger Individuen in den Selbstmord treibt. Dass Mae das im Grunde nicht mehr berührt, ist die Essenz ihrer Deformation durch eine Existenz in der absoluten Transparenz. Mercer sagt (im Roman) Sätze wie: "Es kommt mir manchmal so vor, als wäre ich in eine Zone geraten, in der alles seitenverkehrt ist, eine Spiegelwelt, wo der dämlichste Mist der Welt alles beherrscht. Die Welt hat sich verdämlicht." Oder zu Mae: "Einzeln wisst ihr nicht, was ihr kollektiv macht.") Gut gebrüllt Löwe, freilich längst tauben Ohren! Sage keiner, diese Circle-Welt habe nichts mit uns zu tun. Jeder, der mit dem Smartphone vor dem Gesicht durch die Stadt läuft, ohne seine Mitmenschen zu sehen, jeder, der am Tisch beim Essen seine E-Mails checkt, jeder, der sofort eine Antwort erwartet oder sie sofort liefert, egal was er gerade macht, ist ein potentielles Circle-"Opfer", auf dem Weg aus dem realen Leben Aug in Auge mit richten Menschen in die Blase, hin zu den Facebook-"Freunden" oder ins Feuer diverser Shitstorms.

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Verloren in den eigenen Slogans

Ludger Vollmers Musik ist dezidiert aufs Parlando und die dichte Szenenfolge hin geschrieben. Kirill Karabits und die Staatskapelle fremdeln kein bisschen mit dieser Opernnovität, zumal Vollmer seinen Ehrgeiz auch nicht in die Neuerfindung oder avantgardistische Raffinesse gelegt hat. Er ist aber dem ganz verschieden klingenden digitalen Grundrauschen der Welt von heute, das Stille und Besinnung auf sich selbst verhindert, oft dicht auf der Spur. Der Inszenierung von Andrea Moses mit ihrer präzise charakterisierenden Personenregie, der hinreichend mit digitalem Interieur bestückten Bühne von Raimund Bauer, den Kostümen von Svenja Gassen und auch den passgenau illustrierenden Videos von René Liebert, gelingt es zudem, manche Schwäche der Vorlage ausgleichen.

FAZIT

Die Uraufführung von Ludger Vollmers Oper The Circle am Deutschen Nationaltheater Weimar trifft in der Regie von Andrea Moses mit ihrem Thema ins Schwarze.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Kirill Karabits

Inszenierung
Andrea Moses

Bühnenbild
Raimund Bauer

Kostüme
Svenja Gassen

Video
René Liebert

Dramaturgie
Hans-Georg Wegner


Staatskapelle Weimar


Sänger

Mae
Sayaka Shigeshima

Annie
Heike Porstein

Mercer
Oleksandr Pushniak

Francis
Jörn Eichler

Kalden / Ty
Ray Chenez

Eamon Bailey
Daeyoung Kim

Tom Stenton
Sebastian Kowski

Dr. Villalobos
Heain Youn

Senatorin Santos
Gisela Boigk

Dan
Jens Schmiedeke

Maes Vater
Chang-Hoon Lee

Maes Mutter
Anne-Kathrin Doormann

zwei Cherokee-Frauen
Annegret Schodlok / Tatjana Winn

Alistair
Xiaoyu Wei

Denise
Soyoung Park

Josiah
Chong Ken Kim

Helena
Silvia Schneider / Soyoung Park

Gretchen Karapcek
Susann Günther

Theologe
Klaus Wegener

Kundin 1
Karine Minasyan

Kundin 2
Rita Feuerherdt

Kunde 1
Taehwan Kim

Kunde 2
Jong-Kwueol Lee

Jasper
Walter Farmer Hart



Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Deutschen Nationaltheater Weimar
(Homepage)
 



Da capo al Fine

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