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Nicht immer ist weniger mehr
Von Roberto Becker / Fotos © Monika Rittershaus
Franz Schreker gehört zu der Gruppe von Komponisten des 20. Jahrhunderts, an denen die Nachwelt zumindest eine Wiederentdeckungsschuld abzutragen hat. Allen, die nicht in ihre reichserbauliche kulturpolitische Agenda und ihren Rassenwahn passten, haben die Nazis bekanntlich die Rezeptionsgeschichte ihrer Werke nachhaltig unterbrochen. Und meistens auch ihr Leben verdorben. Dabei gehörte Schreker (1878-1934) zu den höchst erfolgreichen Konkurrenten von Richard Strauss. Werden seine Werke heute aufgeführt, dann liefert Strauss nicht nur den Vergleichsmaßstab, sondern fungiert auch als Türöffner. Da klingt etwas so wie Strauss, aber eben doch ganz anders und mit eigener Originalität. Wie die am Ende des ersten Weltkrieges komponierten und 1918 uraufgeführten Gezeichneten. Alviano im Kreise der amüsierwütigen Kumpanen
Dieses merkwürdig im Unterbewussten gründelnde Werk haben Hans Neuenfels und Michael Gielen in Frankfurt 1979 wieder auf die Bühne und ins Bewusstsein geholt. Später dann zogen die Salzburger Festspiele (2002) und Stuttgart (2005) nach. In jüngster Zeit auch Calixto Bieito an der Komischen Oper in Berlin. Jetzt hat deren Chef Barrie Kosky in Zürich die Gezeichneten inszeniert. Wie an dem führenden Opernhaus der Schweiz üblich, in einer denkbar noblen Besetzung und mit seinem Wunschpartner Vladimir Jurowski am Pult des Zürcher Orchesters. So wie Kosky als Intendant sein Gespür für ein originelles Programm bewiesen hat, schafft er es noch jedes Mal, als Regisseur zu verblüffen. Sicher verspricht sein Name bei der Operette auch die große Show (und löst sie dann ein), aber bei anderen Werken unterläuft er auch gerne mal die Erwartungen. Nicht an die Intensität seiner Personenführung, wohl aber an die Optik, also den szenischen Rahmen. Die Künstlerin in Gedanken an die Schönheit versunken
Dabei ausgetretene Pfade bewusst zu verlassen, ist das eine. Aber aus Prinzip auf etwas anderes zu setzten nicht unbedingt - wie sich jetzt in Zürich gezeigt hat - das überzeugendere andere. Man kann es mit allem übertreiben. Auch mit der Reduktion von Opulenz. In den Gezeichneten geht es um Ausschweifungen, Grenzüberschreitungen, die vom Gesellschaftlichen ins Individuelle zurückwirken. Kosky richtet seinen Blick in diese Richtung, konzentriert sich auf das Beziehungsdreieck, das in der Geschichte, die um die Insel Elysium rankt, auf der der Adel Genuas die Töchter der Stadt missbraucht, gar auf nimmer Wiedersehen verschwinden lässt. Deren Schöpfer, der missgestaltete, reiche Alviano (John Daszak), macht dabei zwar selbst nicht mit, aber ermöglicht dieses Treiben nach dem Motto: "Die Schönheit wird die Beute des Starken". Eine Art Sublimierung hat auch die kränkelnde Künstlerin Carlotta (Catherine Naglestad) im Sinne, als sie ihn zum Modell macht und sich ihm dabei nähert, dann aber doch der Ausstrahlung des Ober-Machos Tamare (Thomas Johannes Mayer) erliegt. Die Künstlerin kommt ihrem Modell (zu) nah
Der lässt - so erzählt Kosky es - alles beim Herzog und damit in der Öffentlichkeit auffliegen, um Alviano als vermeintlichen Rivalen abzuservieren. Kosky macht aus diesem irritierenden, psychologisierenden Vexierbild einer Gesellschaft am Abgrund ein Psychokammerspiel. Alles in einem klinisch nüchternen Bühnenkasten von Rufus Didwiszus, der mit lauter antiken Gipsmodellen vollgestellt ist. Grundton: weiß. Sein Alviano hat keinen Buckel, hier fehlen ihm die Hände (von Händen ist in Schrekers Text viel die Rede), die ihm Carolotta - von durchaus glaubwürdiger Empathie angetrieben - modelliert, um dann doch Tamare zu verfallen. Von den Protagonisten punkten vor allem John Daszak als Alviano und Catherine Naglestad als Carlotta von ihren Erfahrungen mit ihren Rollen, die sie in München schon gemacht haben. Thomas Johannes Mayer liefert jedoch die überzeugendste Leistung des mit seiner vokalen Gestaltung des Machos Tamare. Von den in dieser deutlich verkürzten Fassung profilieren darüber hinaus Christopher Purves als Herzog und Albert Pesendorfer als Podestà ihre Rollen. Das übrige Ensemble ist handverlesen besetzt, auch wenn ihm die Regie wenig Möglichkeiten gibt, sich ins rechte Licht zu setzten. Eine Frau zwischen zwei Männern
Wo sich Kosky auf die Beziehung zwischen den dreien konzentriert, also den Blick gleichsam aufs persönlich werdende Innere des Werkes reduziert, da redzuziert auch Vladimir Jurowski im Graben, nicht nur durch drastische Striche, sondern vor allem durch eine Betonung eines nach außen gerichteten Klangrausches. Der hat in seiner Überdosis - so nach dem Motto, was solls, wenn wir schon mal im Postspätromantischen schwelgen dürfen - nur begrenzt seinen Reiz, denn er schließt Verlust an differenzierter Feinzeichnung ein. Der Gazevorhang, der oft eine Szene im Diffusen in einem höheren Sinne auch klarer machen kann, der fehlt diesmal nicht nur auf der Bühne, sondern bildlich gesprochen auch im Graben.
Barrie Kosky Vladimir Jurowski interpretieren Franz Schrekers Oper in Zürich szenisch unterkühlt und musikalisch mit Effekt. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten
Herzog Adorno / Capitaneo di giustizia
Graf Tamare
Lodovico Nardi
Carlotta Nardi
Alviano Salvago
Guidobald Usodimare
Menaldo Negroni
Michelotto Cibo
Gonsalvo Fieschi
Julian Pinelli
Paolo Calvi
Diener
Ein Jüngling
Ein Mädchen
Erster Senator
Zweiter Senator
Dritter Senator
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